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BGH - Entscheidung vom 12.09.2019

IX ZR 342/18

Normen:
InsO § 17 Abs. 2 S. 2
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 143 Abs. 1

Fundstellen:
DStR 2020, 59
NZI 2019, 850
ZInsO 2019, 2313

BGH, Beschluss vom 12.09.2019 - Aktenzeichen IX ZR 342/18

DRsp Nr. 2019/14969

Anfechtung der Zahlungen eines Schuldners (hier: GmbH) an den Sozialversicherungsträger durch den Insolvenzverwalter wegen objektiver Benachteiligung der Gläubiger; Benachteiligungsvorsatz des Schuldners bei Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit

Für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners müssen Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis des Schuldners festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der anfechtende Insolvenzverwalter. Zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Insolvenzanfechtungsprozess nicht zwingend einer Liquiditätsbilanz, wenn auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 23. November 2018 zugelassen.

Auf die Revision der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 422.655,10 € festgesetzt.

Normenkette:

InsO § 17 Abs. 2 S. 2; InsO § 133 Abs. 1 ; InsO § 143 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die F. GmbH (fortan: Schuldnerin) betrieb ein Zeitarbeitsunternehmen. Auf ein Schreiben der Schuldnerin vom 10. Dezember 2009 gewährte die Beklagte, ein Sozialversicherungsträger, der Schuldnerin eine jeweils einmonatige Stundung der in den nächsten sechs Monaten fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge. Die Schuldnerin zahlte die jeweiligen Sozialversicherungsbeiträge ab Januar 2010 nicht fristgerecht, in der Folgezeit mit Verzögerungen von regelmäßig mehr als einem Monat, gelegentlich nach Zwangsvollstreckungen und öfters nur in Teilzahlungen, aber im Ergebnis bis einschließlich der Beiträge für Juli 2012 vollständig. Der Gesamtbetrag der Zahlungen zwischen Februar 2010 und August 2012 belief sich auf 422.655,10 €.

Auf einen am 10. Oktober 2012 eingegangenen Insolvenzantrag eröffnete das Insolvenzgericht am 2. Januar 2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Kläger hat sämtliche Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte seit dem 2. Februar 2010 angefochten.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben, das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Beklagte die Zulassung der Revision und mit dieser die Abweisung der Klage.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs aus § 143 Abs. 1 , § 133 Abs. 1 InsO für den gesamten Anfechtungszeitraum bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zahlungen seien - auch soweit sie die Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung beträfen - aus dem Vermögen der Schuldnerin erfolgt und hätten die Gläubiger objektiv benachteiligt. Die Zahlungen seien mit Benachteiligungsvorsatz erfolgt, weil die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlungen zahlungsunfähig gewesen sei und dies gewusst habe. Die Schuldnerin habe bereits im November 2009 gewusst, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, ihren fälligen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Sie habe mit dem Vollstreckungsbeamten der Beklagten Zahlungsaufschübe ausgehandelt. Die Zahlungsunfähigkeit sei im Dezember 2009 nach außen in Erscheinung getreten und habe bis zum Insolvenzantrag fortgewirkt. Dies ergebe sich aus dem Schreiben der Schuldnerin vom 10. Dezember 2009 und ihrem späteren Zahlungsverhalten gegenüber der Beklagten. Die Beklagte habe Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt. Für die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO genüge es, wenn der Anfechtungsgegner Umstände kenne, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten. Die Beklagte habe eine solche Kenntnis gehabt, nachdem die Schuldnerin ihre Zahlungsunfähigkeit mit Schreiben vom 10. Dezember 2009 eingeräumt habe. Die Beklagte könne gegen den Anfechtungsanspruch weder aufrechnen noch stehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht zu.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht die Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) durch das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat einen erheblichen Beweisantritt der Beklagten übergangen.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht unter anderem, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st.Rspr., vgl. BVerfGE 86, 133 , 146; BVerfG ZIP 2004, 1762 , 1763; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 300). Erhebliche Beweisanträge muss das Gericht berücksichtigen, sofern das Prozessrecht dem nicht entgegensteht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10; vom 26. März 2015 - IX ZR 134/13, ZIP 2015, 1077 Rn. 5, jeweils mwN). Diesen Verpflichtungen ist das Berufungsgericht insoweit nicht nachgekommen, als es das von der Beklagten angebotene Sachverständigengutachten zum Beweis der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nicht eingeholt hat.

b) Stützt sich das Berufungsgericht im Hinblick auf den von § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO verlangten Benachteiligungsvorsatz des Schuldners maßgeblich auf das Indiz einer im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen bestehenden, dem Schuldner bekannten Zahlungsunfähigkeit (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, WM 2014, 1868 Rn. 17 mwN; vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15, WM 2017, 2322 Rn. 9), müssen Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis des Schuldners festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der anfechtende Insolvenzverwalter. Zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Insolvenzanfechtungsprozess nicht zwingend einer Liquiditätsbilanz, wenn auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 19 f mwN).

Dem Anfechtungsgegner bleibt es unbenommen, der Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit dem Antrag auf Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen Sachverständigen entgegenzutreten. Dies kann erfolgen, um die Beweiswirkung der für die Zahlungsunfähigkeit sprechenden Indizien zu erschüttern, oder auch, um die Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu widerlegen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 20; vom 15. März 2012 - IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 18; Beschluss vom 26. März 2015 - IX ZR 134/13, ZIP 2015, 1077 Rn. 6).

c) Die Beklagte hat sowohl in erster Instanz als auch in zweiter Instanz bestritten, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei. Sie hat bereits in erster Instanz in der Klageerwiderung zur Entkräftung der vom Kläger vorgetragenen Beweisanzeichen sowie zur Widerlegung der Vermutung Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten. Diesen Beweisantritt hat die Beklagte in der Berufungsinstanz ausdrücklich wiederholt. Das Berufungsgericht hat den Beweis jedoch nicht erhoben. Die Urteilsgründe befassen sich nicht mit dem Beweisantritt. Gründe des Prozessrechts standen der Einholung des Sachverständigengutachtens nicht entgegen. Eines besonderen Vortrags des Anfechtungsgegners zu Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Zahlungsfähigkeit bedarf es nicht, weil der Anfechtungsgegner regelmäßig keinen näheren Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Schuldners hat.

d) Das angefochtene Urteil beruht auf der dargestellten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dies ist bereits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - IX ZR 164/11, NJW-RR 2014, 172 Rn. 8 mwN; vom 3. Juli 2014 - IX ZR 285/13, ZInsO 2014, 1679 Rn. 15). So verhält es sich im Streitfall, weil das Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme offen ist.

3. Die übrigen Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde geben keinen Anlass, die Revision zuzulassen. § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV steht der Anfechtung nicht entgegen. Dies ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. November 2009 ( IX ZR 233/08, BGHZ 183, 86 Rn. 13 ff) ausreichend geklärt. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur objektiven Gläubigerbenachteiligung stehen im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG Kaiserslautern, vom 25.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 311/16
Vorinstanz: OLG Zweibrücken, vom 23.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 75/17
Fundstellen
DStR 2020, 59
NZI 2019, 850
ZInsO 2019, 2313