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BGH - Entscheidung vom 23.10.2019

4 StR 515/19

Normen:
StGB § 223

Fundstellen:
NJW 2020, 1829
NStZ 2020, 240

BGH, Beschluss vom 23.10.2019 - Aktenzeichen 4 StR 515/19

DRsp Nr. 2019/16835

Äußerung eines Zeugen zum Tatgeschehen der Körperverletzung und zur Täterschaft i.R.d. Beweiswürdigung

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Juni 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 223 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. am 13. Februar 2019 vor einer Flüchtlingsunterkunft in D. zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte den Zeugen schubste und mit den Fäusten schlug. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass er dem Zeugen dadurch erhebliche Schmerzen zufügen würde. Als der Zeuge wegzulaufen versuchte, stürzte er und verlor dabei sein Handy, ohne dies zu bemerken. Der Angeklagte und ein hinzugekommener Bewohner rannten dem Zeugen schnell hinterher, wobei der Angeklagte möglicherweise erneut auf den gestürzten Zeugen einschlug. Schließlich konnte der Zeuge weglaufen. Das herausgefallene Handy nahm der Angeklagte an sich und verwendete es für sich.

Der Angeklagte hat bestritten, den Zeugen M. geschlagen zu haben. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung "vom Tatablauf" auf die Angaben des Zeugen Do. gestützt, die "mit den ursprünglichen Angaben des Geschädigten M. " übereingestimmt hätten (UA 6). Die Feststellungen "zur Täterschaft" des Angeklagten hat das Landgericht "insbesondere" aufgrund der Angaben des Zeugen M. in der Hauptverhandlung getroffen, der den Angeklagten wiedererkannt habe (UA 7).

2. Die Beweiswürdigung leidet an einem durchgreifenden Erörterungsmangel, weil nicht mitgeteilt wird, ob und wie sich der Zeuge M. in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen geäußert hat und warum dies ohne Einfluss auf das Beweisergebnis geblieben ist.

a) Nach der Rechtsprechung müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153 , 159; Miebach in: MünchKomm- StPO , 1. Aufl., § 261 Rn. 108 mwN). Stützt er seine Überzeugung auf die Bekundungen nur eines von mehreren vernommenen unmittelbaren Tatzeugen, hat er in der Regel darzulegen, welche Angaben die anderen Zeugen gemacht haben und warum diese die Überzeugungsbildung nicht beeinflussen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1995 - 2 StR 58/95, StV 1995, 340 ; Beschluss vom 10. August 1994 - 4 StR 274/94, StV 1995, 6 , 7). Ändert ein Zeuge seine Angaben und folgt der Tatrichter seinen früheren Bekundungen, ist im Allgemeinen auch die geänderte Aussage mitzuteilen und erkennbar zu machen, warum dieser Änderung keine durchgreifende Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1989 - 2 StR 205/89, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 5 - Darstellungsmangel).

b) Danach hätte die Strafkammer in den Urteilsgründen darlegen müssen, ob der Zeuge M. in der Hauptverhandlung die Bekundungen des Zeugen Do. zum Tatablauf ebenfalls bestätigt und seine hierzu gemachten Angaben gegenüber der Polizei aufrechterhalten hat oder hiervon abgewichen ist. Sollte Letzteres der Fall gewesen sein, was nach den Ausführungen im Urteil naheliegt, hätten sich hieran weitere klärende Erörterungen anschließen müssen. Offensichtlich hat sich der Zeuge auch zum Tatablauf geäußert, denn sonst ließe sich die Annahme des Landgerichts, die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten beruhten auf entsprechenden Bekundungen des Zeugen M. in der Hauptverhandlung, nicht erklären.

3. Auch die Strafzumessung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit ihm angelastet wird, er habe "sich durch eine kurz zuvor verbüßte längere Haftstrafe nicht abschrecken lassen" (UA 9 f.), findet sich dafür in den Urteilsgründen kein Beleg. Gegen den Angeklagten wurden zwar in den Jahren 2016 und 2017 Freiheitsstrafen verhängt; ob und wann diese vollstreckt wurden, ergeben die Feststellungen aber nicht. Auch für die zur Begründung der Versagung einer Bewährung herangezogene Erwägung, der Angeklagte habe "bislang keine der ihm eingeräumten Bewährungschancen zu nutzen" vermocht (UA 10), findet sich in den Urteilsgründen keine Stütze. Bezüglich keiner der festgestellten Vorverurteilungen zu Freiheitsstrafen ist eine Strafaussetzung zur Bewährung festgestellt.

4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, dass dem Zeugen M. das Handy unbemerkt aus der Tasche fiel, bevor es der Angeklagte aufnahm und sich zueignete, wird er zu prüfen haben, ob der Zeuge dadurch seinen Gewahrsam verloren hatte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Mai 1968 - 4 StR 116/68, GA 1969, 25 ; Bosch in: Schönke/Schröder, StGB , 30. Aufl., § 242 Rn. 28; Wittig in: BeckOK StGB , 43. Edition, § 242 Rn. 17; Kudlich in: SSW- StGB , 4. Aufl., § 242 Rn. 21; Vogel in: Leipziger Kommentar zum StGB , 12. Aufl., § 242 Rn. 66 mwN).

Vorinstanz: LG Essen, vom 18.06.2019
Fundstellen
NJW 2020, 1829
NStZ 2020, 240