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BFH - Entscheidung vom 03.12.2019

VIII R 23/16

Normen:
AO § 169 Abs. 2 Satz 2, § 90 Abs. 2, § 162
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
AO § 169 Abs. 2 S. 2
AO § 90 Abs. 2
AO § 162
FGO § 96 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
BB 2020, 1621
BFH/NV 2020, 853
DStR 2020, 1677
DStRE 2020, 1014
wistra 2020, 474

BFH, Urteil vom 03.12.2019 - Aktenzeichen VIII R 23/16

DRsp Nr. 2020/10222

Zulässigkeit des Nachweises einer Steuerhinterziehung aufgrund der Schätzung von Einkünften aus Kapitalvermögen

1. NV: Aus dem Vorhandensein eines bestimmten Vermögens kann nicht ohne Weiteres mit der für die Feststellung einer Steuerhinterziehung erforderlichen Sicherheit auf das Vorhandensein dieses Vermögens bereits zu einem früheren Zeitpunkt —lediglich in abgezinster Höhe— geschlossen werden. Dazu bedarf es vielmehr der weiteren Feststellung, dass ein zwischenzeitlicher Vermögenszuwachs ausgeschlossen werden kann. 2. NV: Das Vorhandensein eines Vermögens zu einem bestimmten Zeitpunkt reicht —selbst bei Annahme eines verminderten Beweismaßes wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten— nicht aus, um dem Steuerpflichtigen den entsprechenden Kapitalstamm auch in den Folgejahren unverändert als Grundlage der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass das Depotkonto im betreffenden Zeitraum nicht mehr vorhanden war (Anschluss an Senatsurteil vom 09.05.2017 – VIII R 51/14, BFH/NV 2018, 5 ). 3. NV: Der Grundsatz in dubio pro reo schließt es aus, die —grundsätzlich zulässige— Schätzung der Höhe der hinterzogenen Steuern auf ein reduziertes Beweismaß und bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen zu stützen und an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens auszurichten. Erforderlich ist vielmehr, dass das FG auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO ) von der Höhe der Steuerhinterziehung in jedem Jahr der Schätzung überzeugt ist (Anschluss an Senatsbeschluss vom 29.01.2002 – VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749 ).

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19.01.2016 – 15 K 155/12 aufgehoben.

Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Normenkette:

AO § 169 Abs. 2 Satz 2, § 90 Abs. 2 , § 162 ; FGO § 96 Abs. 1 Satz 1;

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 1997 bis 2007 (Streitjahre) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gaben sie Einkünfte aus Kapitalvermögen ausschließlich aus inländischen Quellen an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte den Angaben im Wesentlichen und berücksichtigte in den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von (umgerechnet) insgesamt 14.509,62 €.

Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A (Steuerfahndung) erlangte im Jahr 2007 von dem Informanten D einen Datenträger mit Geschäftsdaten der C–Bank, dessen ehemaliger Mitarbeiter er war, und der C–Treuhand. Auf dem Datenträger befanden sich auch Abbildungen von Dokumenten, die auf Vermögensanlagen der Kläger hinwiesen. Danach wurde ausweislich eines nicht datierten Dokuments bei der C–Treuhand unter der Mandatsnummer ... die E–Stiftung mit Sitz in F geführt, die am ...1995 gegründet wurde. Als Verwaltungs–/Stiftungsrat war u.a. die ... angegeben. Letztere benannte, wie sich aus einem weiteren Datenblatt ergab, am 10.07.2001 die Kläger unter Angabe ihres Geburtsdatums und ihres Wohnsitzes gegenüber der C–Bank als wirtschaftlich berechtigte Personen der E–Stiftung. Für den 01.01.2002 war ein Kontoauszug für das Konto bzw. Depot der E–Stiftung bei der C–Bank vorhanden, der einen Gesamtbestand zum 01.01.2002 in Höhe von ... € auswies. Die Unterlagen enthielten zudem einen Aktenvermerk vom 13.09.2002 einer Kundenbetreuerin über eine Besprechung mit dem Kläger im Café L in F.

Aufgrund dieser Unterlagen eröffnete die Steuerfahndung gegen die Kläger im Jahr 2008 das Strafverfahren. Bei einer Durchsuchung der Wohnung der Kläger wurden keine Unterlagen über ausländische Konten gefunden. Die Kläger bestritten die Zurechnung des Depots der E–Stiftung und den Bezug von Kapitaleinkünften hieraus. Sie behaupteten, die Daten seien vom Informanten gefälscht worden. Die Steuerfahndung schätzte daraufhin die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Kläger für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2007. Sie ging davon aus, dass die Kläger von der C–Bank aufgelegte, in der Bundesrepublik Deutschland nicht registrierte, Fonds (sog. schwarze Fonds) in ihrem Depot gehalten hatten, und zwar entsprechend des durchschnittlichen prozentualen Verhältnisses, das die Steuerfahndung in den übrigen Ermittlungsverfahren festgestellt hatte. Die Kapitalerträge aus diesen Fonds nahm sie für die Jahre 1997 bis 2003 entsprechend § 18 Abs. 3 des Auslandsinvestmentgesetzes in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung ( AuslInvestmG ) in Höhe von 10 % und für die Jahre 2004 bis 2007 entsprechend § 6 des Investmentsteuergesetzes in der in diesen Veranlagungszeiträumen geltenden Fassung ( InvStG ) in Höhe von 6 % an. Hinsichtlich der übrigen Kapitalanlagen schätzte die Steuerfahndung die Kapitalerträge anhand der Umlaufrendite für inländische festverzinsliche Wertpapiere auf 3,1 % bis 5,4 %.

Das FA erließ daraufhin im Jahr 2011 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ( AO ) geänderte Einkommensteuerbescheide für sämtliche Streitjahre, in denen es nunmehr Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von (umgerechnet) insgesamt ... € berücksichtigte. Die hinzugeschätzten Beträge rechnete es den Klägern jeweils zur Hälfte zu. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.

Im Strafverfahren wurde der Kläger vom Vorwurf der Einkommensteuerhinterziehung in den (ausschließlich angeklagten) Jahren 2004 bis 2007 in der Berufungsinstanz durch das Landgericht N (LG) freigesprochen. Das LG war zwar, wie bereits das vorinstanzliche Amtsgericht, zu der Überzeugung gelangt, dass den Klägern das Vermögen der E–Stiftung zum 01.01.2002 unmittelbar als eigenes Vermögen zuzurechnen sei, die Dokumente nicht gefälscht seien und auch der Inhalt des Aktenvermerks der Kundenbetreuerin vom 13.09.2002 zutreffe. Es konnte aber nicht die für eine strafrechtliche Verurteilung erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger auch noch in den angeklagten Jahren 2004 bis 2007 Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt hatte. Die Staatsanwaltschaft nahm daraufhin auch den Strafbefehlsantrag gegen die Klägerin zurück.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 2020 abgedruckt ist, gab der Klage insoweit statt, als es die zugerechneten Einkünfte aus Kapitalvermögen in geringem Umfang minderte. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Mit der Revision rügen die Kläger neben mehreren Verfahrensmängeln eine fehlerhafte Schätzung der Kapitalerträge durch das FG. Es verkenne, dass die Kläger ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen seien. Sie hätten aktiv versucht, den Sachverhalt durch Schreiben an die C–Bank und das Grundbuch- und Öffentlichkeitsregister in A aufzuklären. Aus der vom Zeugen P vorgelegten Mandantenliste ergäben sich zweifelsfrei Endsalden zum 31.12.2000 in Höhe von ... CHF (= ... €) und zum 31.12.2001 in Höhe von ... CHF (= ... €). Daraus ergebe sich ein Wertzuwachs (im Jahr 2001) von (nur) 42.877 CHF. Das Gericht gehe dagegen von einem Kapitalstand zum 31.12.2001 in Höhe von ... € aus. Außerdem rechne es diesen Betrag in Euro bis zum Jahr 1996 zurück, obwohl dem Gericht habe bekannt sein müssen, dass in diesem Zeitraum die Erträge in Schweizer Franken angefallen seien und zu den jeweiligen Stichtagen mit veränderlichen Umrechnungskursen in DM hätten umgerechnet werden müssen. Des Weiteren gebe es keinerlei Beweise, dass die E–Stiftung über das Jahr 2002 hinaus bis ins Jahr 2007 existiert habe. Deshalb sei der Kläger im Strafverfahren auch freigesprochen worden.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Niedersächsischen FG vom 19.01.2016 – 15 K 155/12 aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es führt im Wesentlichen aus, dass das FG zur Schätzung befugt gewesen sei, weil die Kläger ihre Mitwirkungspflicht verletzt und keine sonstigen Aufklärungsmöglichkeiten für das FG bestanden hätten. Die Schätzung des FG entspreche den allgemeinen Anforderungen. Sie sei detailliert und überzeugend begründet worden.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG zu den von den Klägern erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung ( EStG ) sowie § 17 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG bzw. § 2 Abs. 1 Satz 1 InvStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG tragen nicht seine Würdigung, dass den Klägern in den Streitjahren aus der E–Stiftung in F Kapitaleinkünfte in der jeweils geschätzten Höhe zugeflossen sind. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

1. Auch wenn das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen hat, dass den Klägern das Vermögen der E–Stiftung zuzurechnen ist, kann die Schätzung der Kapitaleinkünfte mangels hinreichender Feststellungen zum Vermögen der E–Stiftung sowie zu den hieraus erzielten Einnahmen keinen Bestand haben.

a) Für die Streitjahre 1997 bis 2000, für die bei Erlass der angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nach den bindenden Feststellungen des FG bereits abgelaufen war, beruht die Überzeugung des FG zu den von den Klägern erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen zum einen auf der Tatsache der Gründung der E–Stiftung im Jahr 1995 und zum anderen auf dem zum 01.01.2002 auf der Daten–CD abgebildeten Kapitalstand des Depots der E–Stiftung. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

aa) Die Höhe der hinterzogenen Steuern kann zwar trotz der Geltung des Grundsatzes in dubio pro reo grundsätzlich im Schätzwege ermittelt werden (Senatsurteile vom 09.05.2017 – VIII R 51/14, BFH/NV 2018, 5 , Rz 40 f., und vom 07.11.2006 – VIII R 81/04, BFHE 215, 66 , BStBl II 2007, 364 , unter II.1.d; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs —BGH— vom 06.04. 2016 – 1 StR 523/15, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2016, 1025 , Rz 15). Der Grundsatz in dubio pro reo schließt es allerdings aus, die Schätzung der hinterzogenen Steuern entsprechend den allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten auf ein reduziertes Beweismaß und bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen zu stützen und an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens auszurichten (Senatsurteil in BFHE 215, 66 , BStBl II 2007, 364 , unter II.1.d). Erforderlich ist vielmehr, dass das FG auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO ) von der Höhe der Steuerhinterziehung überzeugt ist (Senatsbeschluss vom 29.01.2002 – VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749 , unter III.3.c dd; Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 14.08.1991 – X R 86/88, BFHE 165, 458 , BStBl II 1992, 128 , unter 6.; BFH-Beschluss vom 31.01.2014 – X B 52/13, BFH/NV 2014, 860 , Rz 93). Im Zweifel hat sich das FG auf die Zuschätzung eines Mindestbetrags zu beschränken (vgl. BGH-Beschlüsse in HFR 2016, 1025 , Rz 20, und vom 20.12.2016 – 1 StR 505/16, HFR 2017, 970 , Rz 17; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO Rz 337; Krumm in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 370 AO Rz 84; Klein/Rüsken, AO , 14. Aufl., § 162 Rz 19a).

Zudem reicht allein der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger zu einem bestimmten Stichtag über Kapital verfügt hat, selbst unter Berücksichtigung eines verminderten Beweismaßes wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht für die (pauschale) Würdigung aus, der Steuerpflichtige habe aus diesem Kapital auch in (teils lange vor dem Stichtag liegenden) Vorjahren Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt. Vielmehr muss sich das FG grundsätzlich auch in Bezug auf diese Jahre die Überzeugung bilden und begründen, dass der Steuerpflichtige ein entsprechendes Guthaben zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen einsetzen konnte und eingesetzt hat (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2018, 5 ).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Annahme des FG, das zum 01.01.2002 vorhandene Kapital sei bereits in den Streitjahren 1997 bis 2000 in derselben —lediglich abgezinsten— Höhe bei der E–Stiftung vorhanden gewesen, nicht durch hinreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt.

Aus dem vom FG zur Begründung herangezogenen Umstand, dass die E–Stiftung bereits im Jahr 1995 gegründet worden war und hierzu Vermögen vorhanden gewesen sein muss, kann keine hinreichend sichere Schlussfolgerung auf die Höhe des Stiftungsvermögens in den Jahren 1997 bis 2000 und damit auf die Höhe der in diesem Zeitraum hieraus erzielten Erträge gezogen werden. Aus den Erkenntnissen des FG zur Höhe des am 01.01.2002 vorhandenen Vermögens kann ebenfalls nicht mit der für die Feststellung einer Steuerhinterziehung erforderlichen Sicherheit auf das Vorhandensein eines entsprechenden Vermögens bereits am 01.01.1997 —lediglich in abgezinster Höhe— geschlossen werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 19.10.2011 – X R 65/09, BFHE 235, 304 , BStBl II 2012, 345 , unter II.6.c). Insoweit bedarf es vielmehr weiterer Feststellungen, wie z.B., dass ein Vermögenszuwachs erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen werden kann (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 04.11.2004 – 11 K 2702/02 E, EFG 2005, 246 – nachfolgend Senatsurteil in BFHE 215, 66 , BStBl II 2007, 364 , unter II.2.). Das FG muss insoweit zwar nicht jede theoretische Möglichkeit des Vermögenszuwachses ausschließen. Es muss aber jedenfalls naheliegende Alternativen prüfen und etwaigen plausiblen Einwendungen des Steuerpflichtigen nachgehen. Dazu verhält sich das FG ebenso wenig wie zu der Frage, ob aus den dem FA bekannten Vermögensverhältnissen der Kläger im Jahr 1995 Schlussfolgerungen für die Herkunft des bei der E–Stiftung angelegten Vermögens gezogen werden können.

b) Auch für die Streitjahre 2001 und 2002, für die nach den bindenden Feststellungen des FG bei Erlass der Änderungsbescheide ebenfalls die vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bereits abgelaufen war, hält die Schätzung der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Für diese Streitjahre hat das FG zwar anhand des Kontoauszugs vom 01.01.2002 die Höhe des Stiftungsvermögens zum Jahresende bzw. zum Jahresanfang festgestellt, nicht aber, welcher Art die im Depot für die E–Stiftung gehaltenen Wertpapiere waren. Das FG führt aus, es sei überzeugt, das FA habe (u.a.) die aus der E–Stiftung bezogenen Kapitaleinkünfte für das Jahr 2002 jedenfalls nicht zu hoch geschätzt und es nimmt (u.a.) für das Jahr 2001 eine eigene, niedrigere Schätzung vor. Der Begründung des Urteils ist allerdings nicht zu entnehmen, welche Überzeugung sich das FG zur Zusammensetzung des Depots bei der E–Stiftung und den daraus vermeintlich erzielten Erträgen gebildet hat. Das FG beschränkt sich bei der (Überprüfung der) Schätzung der erzielten Erträge aus dem Kapitalstock in unzulässiger Weise auf bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen. Es stützt sich zwar zutreffend nicht auf die durchschnittliche Depotzusammensetzung entsprechend den Erkenntnissen der Steuerfahndung in anderen Ermittlungsverfahren. Allerdings geht es stattdessen ohne Feststellungen zur tatsächlichen Zusammensetzung des Depots "griffweise" davon aus, dass das Vermögen zu 50 % in sog. schwarzen Fonds angelegt war. Auch die Höhe der Erträge aus den übrigen Wertpapieranlagen stützt es lediglich auf bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen.

c) Die Begründung des FG zur Schätzung der Kapitaleinkünfte für die Streitjahre 2003 bis 2007 hält der revisionsrechtlichen Prüfung ebenfalls nicht stand. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen nicht dessen Annahme, das am 01.01.2002 vorhandene Kapital sei auch noch in den Folgejahren über die E–Stiftung bei der C–Bank angelegt gewesen und daraus seien die geschätzten Kapitalerträge erzielt worden.

aa) Nach den bindenden Feststellungen des FG hing die Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für diese Streitjahre nicht von der verlängerten Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO und damit nicht vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung ab. Gilt der Grundsatz in dubio pro reo nicht, kann das FG nach der Rechtsprechung des BFH zum Nachteil des Steuerpflichtigen von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Steuerpflichtigen und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhaltes (lediglich) eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO verletzt und der Sachverhalt anderweitig nicht aufklärbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Mitwirkungspflicht sich auf Tatsachen und Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen bezieht. Unter diesen Voraussetzungen soll der Steuerpflichtige nach dem Sinn des § 90 Abs. 2 AO den Nachteil des insoweit nicht aufgeklärten und durch das FG allein nicht aufklärbaren Sachverhalts tragen (BFH-Beschluss vom 19.12.2007 – X B 34/07, BFH/NV 2008, 597 , m.w.N.).

bb) Das FG ist jedoch zu Unrecht von einem reduzierten Beweismaß aufgrund einer Mitwirkungspflichtverletzung der Kläger ausgegangen.

Zwar haben die Beteiligten nach § 90 Abs. 2 Satz 1 AO einen Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, aufzuklären und die notwendigen Beweismittel zu beschaffen. Sie haben alle zur Sachaufklärung und zur Beweismittelbeschaffung bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen (§ 90 Abs. 2 Satz 2 AO ). Außerdem muss der Steuerpflichtige bereits bei der Gestaltung seiner Verhältnisse Beweisvorsorge treffen (§ 90 Abs. 2 Satz 4 AO ; BFH-Beschluss vom 15.12.2016 – VI B 50/16, BFH/NV 2017, 598 , Rz 4).

Entgegen seiner Auffassung durfte das FG vorliegend jedoch nicht von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht ausgehen, ohne die Kläger ausdrücklich aufzufordern, sich über das Vermögen der E–Stiftung, dessen Nutzung und Verbleib sowie eine etwaige Auflösung der E–Stiftung zu erklären und geeignete Unterlagen vorzulegen. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht kann im Allgemeinen erst dann angenommen werden, wenn ein Beteiligter auf ausdrückliche Aufforderung des FG (§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGO ) eine ihm mögliche Äußerung zu Tatsachen oder die Herausgabe von Unterlagen verweigert (BFH-Urteil in BFHE 235, 304 , BStBl II 2012, 345 , Rz 60). Jedenfalls aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände bedurfte es einer solchen ausdrücklichen Aufforderung zur Mitwirkung an der (weiteren) Aufklärung des Sachverhalts. Denn Gegenstand der finanzgerichtlichen Auseinandersetzung und insbesondere der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung war zunächst nur, ob die vom Informanten erworbenen Daten unverfälscht und inhaltlich zutreffend waren und ob den Klägern das Vermögen der E–Stiftung dem Grunde nach zuzurechnen war. Beides haben die Kläger bis zuletzt bestritten. Befasst sich das FG zunächst allein mit der Frage der Echtheit der der Schätzung zugrunde liegenden Daten und gelangt es erst im Anschluss an die Beweisaufnahme zu der Überzeugung, die Daten seien unverfälscht und inhaltlich zutreffend sowie zu der Überzeugung, den Klägern sei das Vermögen der E–Stiftung zuzurechnen, kann es nicht ohne Weiteres unterstellen, die Kläger würden an ihrer bisher vertretenen Auffassung festhalten und einer (im weiteren Verfahren erfolgenden) konkreten Aufforderung zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts in Bezug auf die Höhe der in den Streitjahren über die E–Stiftung erzielten Kapitaleinkünfte nicht nachkommen.

cc) Aber selbst bei unterstellter Beweismaßreduzierung tragen die bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht die Würdigung des FG, die E–Stiftung habe in den Streitjahren 2003 bis 2007 fortbestanden und das vom FG zum 01.01.2002 festgestellte Kapital habe dort unverändert zur Erzielung von Kapitalerträgen zur Verfügung gestanden.

Diese Schlussfolgerungen des FG beruhen im Wesentlichen auf seinen Feststellungen über die Verhältnisse am 01.01.2002. Allein der Umstand, in der Vergangenheit über Kapital verfügt zu haben, kann aber selbst unter Berücksichtigung eines verminderten Beweismaßes wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht für eine pauschale Würdigung ausreichen, der Steuerpflichtige habe aus diesem Kapital auch in den Folgejahren unverändert Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt. Vielmehr muss sich das FG für jedes Folgejahr erneut die Überzeugung bilden und begründen, dass der Steuerpflichtige das entsprechende Guthaben weiterhin zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen einsetzen konnte und eingesetzt hat (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2018, 5 , Rz 30 ff.).

Im Übrigen ist die Tatsachenwürdigung des FG lückenhaft, weil sie das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausschöpft (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.2015 – X R 30/12, BFH/NV 2016, 203 , Rz 30). Das FG hat nicht berücksichtigt, dass die von den Klägern vorgelegte Auskunft des Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisters darauf schließen lässt, dass die E–Stiftung jedenfalls im Zeitpunkt der Auskunft am 17.11.2008 nicht mehr existierte und es vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen erscheint, dass die E–Stiftung möglicherweise bereits während des Streitzeitraumes aufgelöst wurde.

Außerdem widerspricht die Annahme des FG, der Kläger habe in den Streitjahren nicht mit einer Entdeckung des ausländischen Vermögens rechnen müssen, den sich aus dem Aktenvermerk vom 13.09.2002 ergebenden Erkenntnissen. Dieser Vermerk, der nach den Feststellungen des FG inhaltlich zutreffend ist, zeichnet das Bild eines nervösen Anlegers, der sich in F von Steuerfahndern beobachtet fühlte und Sorge vor einer Entdeckung hatte. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Kläger nach Aktenlage bereits in früheren Jahren ausländisches Vermögen bei (angenommener) Gefahr der Entdeckung verschoben hatten. Mit diesen Anhaltspunkten hätte sich das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ) auseinandersetzen müssen.

dd) Darüber hinaus weisen die Kläger zu Recht auf die Möglichkeit hin, dass Erträge in Schweizer Franken erzielt wurden und deshalb hätten in DM bzw. (ab 01.01.2002) in Euro umgerechnet werden müssen. Der Kontoauszug der E–Stiftung vom 01.01.2002 weist zwar einen Bestand in Euro aus und es dürften zumindest die —vom FG angenommenen— Erträge aus dem Bertelsmann-Wertpapier in DM bzw. Euro angefallen sein. Soweit das FG aber davon ausgeht, dass Erträge aus sog. schwarzen Fonds erzielt wurden, die von der C–Bank selbst aufgelegt worden waren, liegt es nahe, dass diese Fonds in Schweizer Franken notierten. Dies hat das FG nicht berücksichtigt.

2. Weil die Revision bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg hat, kommt es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht an (vgl. BFH-Urteil in BFHE 235, 304 , BStBl II 2012, 345 , Rz 50, m.w.N.).

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO ).

Das FG wird nach den vorstehenden Maßgaben die notwendigen Feststellungen insbesondere zu dem in den Streitjahren vorhandenen Vermögen und der Höhe der daraus erzielten Kapitaleinkünfte nachzuholen haben. Hierbei wird es insbesondere die Kläger gemäß § 90 Abs. 2 AO zur Mitwirkung anzuhalten haben. Falls die Kläger hierzu erforderliche Unterlagen tatsächlich nicht mehr im Besitz haben sollten und auch nicht mehr beschaffen können, kann sie das —soweit sie, wie vom FG festgestellt, einen Auslandssacherhalt verwirklicht haben— gemäß § 90 Abs. 2 Satz 4 AO nicht entlasten. Hinsichtlich der Streitjahre 1997 bis 2002 hat das FG den Grundsatz in dubio pro reo zu beachten. Hinsichtlich der Streitjahre 2003 bis 2007 ist das FG, sofern die Kläger ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen und der Sachverhalt anderweitig nicht aufklärbar ist, zu einer Entscheidung zulasten der Kläger aufgrund eines reduzierten Beweismaßes und zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 90 Abs. 2 , § 162 Abs. 2 AO ) befugt.

4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 143 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Niedersachsen, vom 19.01.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 15 K 155/12
Fundstellen
BB 2020, 1621
BFH/NV 2020, 853
DStR 2020, 1677
DStRE 2020, 1014
wistra 2020, 474