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BFH - Entscheidung vom 18.12.2019

I R 72/17

Normen:
AStG § 1 Abs. 1, Abs. 4
OECD-MustAbk Art. 9 Abs. 1
DBA-Polen 2003 Art. 9 Abs. 1
AEUV Art. 49
AStG § 1 Abs. 1
OECD-MustAbk Art. 9 Abs. 1
DBA-Polen (2003) Art. 9 Abs. 1
AEUV Art. 49
AStG § 1 Abs. 4

Fundstellen:
BFH/NV 2020, 1049
IStR 2020, 907

BFH, Urteil vom 18.12.2019 - Aktenzeichen I R 72/17

DRsp Nr. 2020/12140

Voraussetzungen einer Einkünftekorrektur nach dem AStG Begriff der fremdüblichen Bedingungen i.S. von § 1 Abs. 1 AStG

1. NV: Die fehlende Darlehensbesicherung gehört grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen "Bedingungen" i.S. des § 1 Abs. 1 AStG . Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 Abs. 1 DBA -Polen 2003). 2. NV: Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 Abs. 1 DBA -Polen 2003) beschränkt den Korrekturbereich des § 1 Abs. 1 AStG nicht auf sog. Preisberichtigungen, sondern ermöglicht auch die Neutralisierung der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder einer Teilwertabschreibung hierauf (Bestätigung des Senatsurteils vom 27.02.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 ). 3. NV: § 1 Abs. 1 AStG ist mit dem Recht der EU vereinbar, soweit die Vorschrift die Minderung des Bilanzgewinns aufgrund der Abschreibung von Darlehensforderungen korrigiert (Bestätigung des Senatsurteils vom 27.02.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 ).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 18.05.2017 – 3 K 2872/14 G,F aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

AStG § 1 Abs. 1 , Abs. 4 ; OECD-MustAbk Art. 9 Abs. 1; DBA -Polen 2003 Art. 9 Abs. 1 ; AEUV Art. 49 ;

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Einkünftekorrektur nach § 1 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen ( Außensteuergesetz ) i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) vom 16.05.2003 (BGBl I 2003, 660 , BStBl I 2003, 321 ) —AStG—.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine KG, an der im Jahr 2005 (Streitjahr) neben der nicht vermögensmäßig beteiligten Komplementärin, der B–GmbH, C und D zu jeweils gleichen Anteilen als Kommanditisten beteiligt waren. Nach dem Tod von C am 04.08.2005 folgten diesem seine Ehefrau und seine Tochter in die Gesellschafterstellung nach.

Um auf dem polnischen Markt Fuß zu fassen und auch öffentliche Aufträge annehmen zu können, gründeten C und D bereits im Jahr 2002 jeweils zur Hälfte die E Sp.z.o.o. (E). Die Klägerin trug für E die laufenden Kosten, beglich Rechnungen fremder Unternehmer, übernahm Bürgschaften und nahm auch Darlehen auf, die sie zur Erhöhung der Liquidität an E weiterleitete. Die Klägerin verbuchte diese Beträge als "kurzfristige Darlehen E" und nahm hierauf im Streitjahr aufgrund negativer Geschäftsentwicklung der E Gewinnminderungen in Höhe von insgesamt ... € vor.

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Einkünfte im Gewinnfeststellungsbescheid zunächst "brutto" festgestellt und die hierin enthaltenen Einkünfte, die unter § 3c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) fallen, ausgewiesen hatte, stellte er nach Verböserungshinweis gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung ( AO ) im durch Einspruchsentscheidung geänderten Gewinnfeststellungsbescheid die Einkünfte "netto" fest und stützte die außerbilanzielle Hinzurechnung auf § 1 Abs. 1 AStG .

Die dagegen erhobene Klage hatte weitgehend Erfolg (Urteil des Finanzgerichts —FG— Münster vom 18.05.2017 – 3 K 2872/14 G,F). Das FG rechnete lediglich ... € wegen der Zinslosigkeit des Darlehens wieder hinzu.

Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die Vorinstanz hat zu Unrecht angenommen, dass das Einkommen der Klägerin nicht zu korrigieren ist.

1. Das FG hat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO ) festgestellt, dass das zwischen der Klägerin und E vereinbarte Darlehen ernstlich gewollt und damit steuerrechtlich anzuerkennen ist. Zudem hat es bindend festgestellt, dass die Klägerin hierauf zu Recht eine Teilwertabschreibung vorgenommen hat.

2. Das FG hat zwar zutreffend angenommen, dass das FA im Rahmen des Einspruchsverfahrens die zuvor "brutto" festgestellten Einkünfte in einem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid "netto" feststellen durfte, da die Klägerin mit dem ursprünglichen Einspruch sowohl den Gesamtgewinn als auch die gesonderte Feststellung nach § 3c Abs. 2 EStG angefochten hatte (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25.07.2019 – IV R 47/16, BFHE 265, 273 , m.w.N.). Ob dem —wie geschehen— ein Verböserungshinweis (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO ) vorauszugehen hatte, kann offen bleiben.

3. Entgegen der Auffassung des FG ist jedoch die durch die Teilwertabschreibung eingetretene Minderung des Steuerbilanzgewinns nach § 1 Abs. 1 AStG zu neutralisieren (vgl. Senatsurteil vom 27.02.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 , Rz 17 ff.).

a) Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen mit einer ihm nahestehenden Person dadurch gemindert, dass er im Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, so sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften gemäß § 1 Abs. 1 AStG so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Geschäftsbeziehung in diesem Sinne ist gemäß § 1 Abs. 4 AStG jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13 , 15 , 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder im Fall eines ausländischen Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde.

b) Das Darlehensverhältnis zwischen der Klägerin und E ist eine solche Geschäftsbeziehung i.S. von § 1 Abs. 4 AStG , zu deren Bedingungen die Nichtbesicherung der Ansprüche gehört. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Senatsurteils in BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 , Rz 21 Bezug genommen.

c) Die Nichtbesicherung der Rückzahlungsforderung aus dem Darlehen weicht auch von den Bedingungen ab, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten (sog. Fremdvergleich).

aa) Zwar hat das FG zu der Frage, ob die fehlende Besicherung der Darlehensrückzahlungsforderung dem entspricht, was ein fremder, nicht mit E verbundener Darlehensgeber (ex ante) vereinbart hätte, keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Es hat sich —aus seiner Sicht konsequent— mit der Fremdvergleichsproblematik nicht näher befasst, weil es sich der bisherigen Senatsrechtsprechung (Urteile vom 17.12.2014 – I R 23/13, BFHE 248, 170 , BStBl II 2016, 261 , und vom 24.06.2015 – I R 29/14, BFHE 250, 386 , BStBl II 2016, 258 ) angeschlossen hat, nach der unter der Geltung der Art. 9 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD–Musterabkommen —OECD–MustAbk—) nachgebildeten Bestimmungen, zu denen auch der im Streitfall einschlägige Art. 9 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 14.05.2003 (BGBl II 2004, 1305 , BStBl I 2005, 350 ) —DBA–Polen 2003— gehört, eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG nur dann möglich sein sollte, wenn der zwischen den verbundenen Unternehmen vereinbarte Preis seiner Höhe nach dem Fremdvergleichsmaßstab nicht standhalte. An dieser Rechtsprechung hält der Senat indessen nicht fest. Vielmehr ermöglicht der Korrekturbereich des Art. 9 Abs. 1 OECD–MustAbk auch die Neutralisierung der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder einer Teilwertabschreibung hierauf. Zur Begründung wird wiederum auf das Senatsurteil in BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 , Rz 24 ff. Bezug genommen. Für Art. 9 Abs. 1 DBA–Polen 2003 gilt nichts anderes.

bb) Die Vornahme des Fremdvergleichs im Rahmen des § 1 Abs. 1 AStG ist auch nicht aufgrund des sog. Rückhalts im Konzern entbehrlich. Der Topos des sog. Konzernrückhalts beschreibt lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung und bringt die Üblichkeit zum Ausdruck, innerhalb eines Konzerns Kreditansprüche nicht wie unter Fremden abzusichern. Eine fremdübliche (werthaltige) Besicherung des Rückzahlungsanspruchs im Sinne einer aktiven Einstandsverpflichtung kann allein in den Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters auf den Darlehensnehmer jedoch nicht gesehen werden. Auch insoweit wird auf das Senatsurteil in BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 , Rz 13, 18 Bezug genommen.

cc) Der Senat kann die Würdigung, ob die fehlende Besicherung der Darlehensrückzahlungsforderung dem Fremdvergleich entspricht, jedoch selbst nachholen. Die vom FG festgestellten Umstände lassen es ausgeschlossen erscheinen, dass ein nicht mit E verbundener Darlehensgeber dieser das von der mit der Klägerin vereinbarte Darlehen ohne Gewährung einer werthaltigen Sicherheit gewährt hätte. Neben der Unverzinslichkeit und den fehlenden Tilgungsbestimmungen ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei E um ein erst 2002 gegründetes Unternehmen gehandelt und sich das Gesamtengagement in Polen —nach den Einlassungen der Klägerin— von Beginn an als gravierende wirtschaftliche Fehlmaßnahme erwiesen hatte. Einer Zurückverweisung der Sache an das FG bedarf es bei dieser Sachlage nicht.

d) Die Einkünfteminderung ist i.S. von § 1 Abs. 1 AStG durch ("dadurch") die fehlende Besicherung eingetreten. Zur weiteren Begründung wird erneut auf das Senatsurteil in BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 , Rz 23 Bezug genommen.

e) Schließlich widerstreitet auch das Unionsrecht nicht einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG .

aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union —früher: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften— (EuGH) stellt eine Regelung wie diejenige des § 1 Abs. 1 AStG eine zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union , der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1) dar (jetzt Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft , Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47; EuGH-Urteil Hornbach-Baumarkt vom 31.05.2018 – C–382/16, EU:C:2018:366, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2018, 580 ).

bb) Soweit der EuGH mit dieser Entscheidung für die unentgeltliche Übernahme von Garantie- und Patronatszusagen im Rahmen seiner Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit erkannt hat, dass das wirtschaftliche Eigeninteresse der Konzernobergesellschaft an ihren Beteiligungsgesellschaften sowie die gewisse Verantwortung als Gesellschafterin bei der Finanzierung dieser Gesellschaften Geschäftsabschlüsse unter nicht fremdüblichen Bedingungen rechtfertigen ("erklären") und damit einer Berichtigung nach § 1 AStG entgegenstehen können, kommt diese Einschränkung vorliegend nicht zum Tragen.

Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 263, 525 , BStBl II 2019, 394 , Rz 13, 18 ausgeführt, dass dann, wenn die Ausreichung von Fremdkapital durch einen Gesellschafter eine unzureichende Ausstattung der Gesellschaft mit Eigenkapital ausgleicht und diese Finanzierung die Voraussetzung dafür ist, dass die darlehensempfangende Gesellschaft die ihr zugedachte wirtschaftliche Funktion (weiter) erfüllen kann, eine unterschiedliche Behandlung von Einlage und Darlehensausfall mit Rücksicht auf den unionsrechtlich anerkannten Geltungsanspruch der Gewinnabgrenzung nach Maßgabe fremdüblicher Bedingungen ausgeschlossen ist. Nichts anderes gilt für den Streitfall.

4. Einer darüber hinausgehenden Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG wegen der Unverzinslichkeit des Darlehens steht das Verbot der Schlechterstellung entgegen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO ).

5. Das angefochtene Urteil beruht auf einer anderen rechtlichen Beurteilung. Es ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .

Vorinstanz: FG Münster, vom 18.05.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 2872/14
Fundstellen
BFH/NV 2020, 1049
IStR 2020, 907