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BFH - Entscheidung vom 23.05.2019

VII R 33/17

Normen:
KN Unterpos. 2924 29 98
KN Unterpos. 2924 29 98

Fundstellen:
BFH/NV 2019, 1143

BFH, Beschluss vom 23.05.2019 - Aktenzeichen VII R 33/17

DRsp Nr. 2019/12031

Voraussetzungen der Zollfreiheit für pharmazeutische Stoffe im Sinne von Teil III Abschn. III Anhang 3 KN

NV: Die Zollfreiheit nach Teil III, Abschnitt II, Anhang 3 der KN auf Grundlage der "Liste der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vergebenen internationalen Freinamen (INN) für pharmazeutische Stoffe, für die Zollfreiheit gilt" setzt voraus, dass die zu verzollende Ware sowohl mit ihrem INN als auch mit ihrer Chemical Abstracts Service Registry Number (CAS RN) dort genannt ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 08.09.2017 – 4 K 628/16 Z wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

KN Unterpos. 2924 29 98;

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete im Zeitraum vom 10. August 2012 bis zum 19. Dezember 2014 in mehreren Fällen Iopamidol, einen Rohstoff für die Herstellung von Röntgenkontrastmitteln, entweder unter der Unterpos. 3004 90 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) oder unter der Unterpos. 2924 29 98 KN mit dem Zusatzcode 2500 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Aufgrund dieser Angaben wurde zunächst kein Zoll erhoben.

Nach einer Außenprüfung gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt —HZA—) zu dem Ergebnis, das Iopamidol sei in die Unterpos. 2924 29 98 KN einzureihen. Es sei nicht von den Zöllen befreit, weil die Chemical Abstracts Service Registry Number (CAS RN) für die Substanz 60166–93–0 laute. Dementsprechend erhob das HZA mit Bescheiden vom 29. Juli 2015 und vom 30. September 2015 Zoll nach.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Einfuhrabgabenbescheide seien rechtmäßig, weil für das Iopamidol ein Zollsatz von 6,5 % anzuwenden sei. Gemäß Anhang 3 der KN 2012 und 2013 sei nur Iopamidol der CAS RN 62883–00–5 und gemäß Anhang 3 der KN 2014 nur Iopamidol der CAS RN 60208–45–9 zollfrei. Der Anhang 3 der KN könne nicht dahin ausgelegt werden, dass darüber hinaus auch Iopamidol der CAS RN 60166–93–0 im Einfuhrzeitraum zollfrei gewesen sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das im Anhang 3 der KN genannte Iopamidol ein Gemisch sei, das pharmazeutisch nicht mehr verwendet werde und als solches unzutreffend bezeichnet worden sei, während das von der Klägerin angemeldete Iopamidol eine chemisch reinere Substanz sei, führe dies nicht zur Ungültigkeit dieser Bestimmungen. Die mittlerweile geregelte Zollfreiheit des Iopamidols der CAS RN 60166–93–0 sei erst später in Kraft getreten.

Ihre Revision begründet die Klägerin unter Hinweis auf ihre Ausführungen im Einspruchs– und Klageverfahren und ergänzt, das Iopamidol der CAS RN 60166–93–0 sei als Grundsubstanz für Kontrastmittel in der Medizin in die Unterpos. 2924 29 98 KN mit Zusatzcode 2500 einzureihen und damit zollfrei. Im Anhang 3 der KN 2012, 2013 und 2014 sei eine Substanz mit dem vermeintlichen Freinamen Iopamidol unter der CAS RN 62883–00–5 bzw. 60208–45–9 aufgeführt. Die Substanz, die dahinter stehe, sei jedoch das Racemat von Iopamidol, das seit 1997 in der Europäischen Union (EU) nicht mehr zu pharmazeutischen Zwecken verwendet werde. Der Chemical Abstracts Service und das Europäische Arzneibuch kennten den Freinamen Iopamidol ausschließlich unter der CAS RN 60166–93–0. Der Wortlaut des Anhangs 3 der KN sei somit nicht eindeutig und dahin auszulegen, dass Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 gemeint sei. Der genannte Anhang sei außerdem mit Wirkung vom 1. Januar 2017 entsprechend geändert worden. Sinn und Zweck des Anhangs 3 der KN sei die Zollbefreiung für pharmazeutische Stoffe. Bei der Substanz mit der CAS RN 60166–93–0 liege ein Stoff mit gegenüber den Substanzen mit der CAS RN 62883–00–5 bzw. 60208–45–9 unterschiedlichen chemischen Eigenschaften vor. Es sei daher auch von einem Tatsachen– oder Rechtsirrtum des Verordnungsgebers auszugehen. Weiterhin liege eine Rechtsverletzung im Hinblick auf Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor, weil die mit dem Freinamen Iopamidol bezeichnete Substanz mit der CAS RN 60166–93–0 von der EU-Kommission rechtswidrig nicht explizit im Anhang der KN aufgeführt gewesen sei. Das FG habe keinen Sachgrund festgestellt, der die Ungleichbehandlung der Substanzen rechtfertige.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Vorentscheidung und die Einfuhrabgabenbescheide vom 29. Juli 2015 und vom 30. September 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2016 aufzuheben, soweit darin Zoll aufgrund der Eintarifierung der eingeführten Waren mit der TARIC-Codenummer 2924 29 98 99 0 unter dem Zusatzcode 2501 nacherhoben worden sei.

Das HZA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Eine Zollfreiheit komme nicht in Betracht, weil das Erzeugnis der Klägerin nicht im Anhang 3 der KN zu finden sei. Die von der Klägerin für richtig gehaltene Auslegung würde darauf hinauslaufen, die CAS RN 60208–45–9 bzw. 62883–00–5 durch die CAS RN 60166–93–0 zu ersetzen. Dies könne jedoch nur der Verordnungsgeber selbst vornehmen. Außerdem liege hier eine eindeutige Regelung vor. Darüber hinaus könne es sein, dass einzelne pharmazeutische Erzeugnisse nur deshalb nicht oder noch nicht zollfrei seien, weil noch keine erneute Überprüfung in den hierfür zuständigen Gremien stattgefunden habe.

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ( FGO ). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ). Das erstinstanzliche Urteil entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO ).

1. Das HZA hat für die Einfuhren von Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 im Jahr 2012 zu Recht den Zusatzcode 2501 zu Unterpos. 2924 29 98 99 0 KN i.d.F. der Verordnung (EU) Nr. 1006/2011 der Kommission vom 27. September 2011 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— 2011, Nr. L 282/1) bzw. für die Einfuhren im Jahr 2013 i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom 9. Oktober 2012 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2012, Nr. L 304/1) sowie für die Einfuhren im Jahr 2014 i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2013, Nr. L 290/1) angewandt und gemäß Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex Zoll nacherhoben. Eine Anwendung des Zusatzcodes 2500 und damit eine zollfreie Einfuhr kommen nicht in Betracht.

Nach Teil III "Anhänge zum Zolltarif", Abschnitt II "Liste der pharmazeutischen Stoffe, für die Zollfreiheit gilt", Anhang 3 der KN "Liste der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vergebenen internationalen Freinamen (INN) für pharmazeutische Stoffe, für die Zollfreiheit gilt" der genannten Verordnungen ist im Rahmen der Unterpos. 2924 29 98 KN nur Iopamidol mit der CAS RN 62883–00–5 bzw. 60208–45–9 zollfrei, während Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 nicht in der Liste der zollfreien pharmazeutischen Stoffe genannt wird.

2. Die Gewährung einer Zollfreiheit allein aufgrund des Freinamens Iopamidol bzw. eine Gleichstellung von Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 mit Iopamidol mit der CAS RN 62883–00–5 bzw. 60208–45–9 kommen nicht in Betracht.

a) Nach Teil I Titel II "Besondere Bestimmungen" C Nr. 1 Ziff. 1 des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1987, Nr. L 256/1) in den im Streitfall maßgeblichen Fassungen werden pharmazeutische Substanzen, die sowohl durch die CAS RN identifiziert als auch durch die international non-proprietary names (INN), aufgelistet im Anhang 3 der KN, erfasst werden, von den Zöllen befreit. Demnach müssen beide der genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Dies ergibt sich auch aus Nr. 2 Ziff. 1, wonach bei einer gegenüber der CAS RN geringeren Anzahl der von einem INN umfassten Substanzen die Zollfreiheit nur für die Letzteren gilt.

Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 23. April 2014 – VII R 27/13 (BFHE 246, 88 , Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern —ZfZ— 2015, 237) bestätigt, dass die pharmazeutischen Substanzen zur Erlangung einer Zollfreiheit sowohl durch die CAS RN als auch durch die INN identifiziert sein müssen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2009 – VII B 86/09, BFH/NV 2010, 703 ).

b) Eine extensive Auslegung des genannten Anhangs dahin, dass auch für Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 eine Zollbefreiung zu gewähren ist, oder eine entsprechende Anwendung der Zollfreiheit kommen nicht in Betracht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (EuGH-Urteil Prenninger u.a. vom 7. August 2018 – C–329/17, EU:C:2018:640, Rz 31). Daher ist zu berücksichtigen, dass die Bestimmung, die die Anwendung einer Zollbefreiung vorsieht, eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass in die EU eingeführte Erzeugnisse generell zollpflichtig sind. Sie ist daher als abweichende Bestimmung eng auszulegen (EuGH-Urteil Marishipping and Transport vom 17. Februar 2011 – C–11/10, EU:C:2011:91, Rz 16, ZfZ 2011, 78 ).

Dass der Unionsgesetzgeber das Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 ebenfalls hat zollfrei stellen wollen und der genannte Anhang daher entsprechend auszulegen ist, ist nicht erkennbar. Gegen eine Anknüpfung der Zollfreiheit allein an den INN spricht schon, dass die Weltgesundheitsorganisation die Freinamen zu pharmazeutischen Zwecken bzw. zur Vereinheitlichung der Produktbezeichnungen und damit unabhängig von zollrechtlichen Überlegungen vergibt und die INN nicht rechtsverbindlich sind (vgl. Nr. 1 und Nr. 2.2 der "guidelines on the use of international nonproprietary names (INNs) for pharmaceutical substances").

Eine entsprechende Anwendung der Zollfreiheit auf Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 widerspräche dem klaren Wortlaut der oben dargestellten Allgemeinen Vorschriften für pharmazeutische Erzeugnisse, wonach für die Gewährung einer Zollfreiheit die CAS RN und die INN kumulativ vorliegen müssen. Eine Regelungslücke in Bezug auf die streitgegenständlichen Erzeugnisse ist nicht ersichtlich, so dass eine Analogie nicht in Betracht kommt.

Würde für Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 eine Zollfreiheit gewährt, obwohl diese nach der in den Streitjahren gültigen Regelung in Anhang 3 der KN nicht vorgesehen war, griffe dies in die Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Kommission aus Art. 2 der eingangs genannten Verordnungen ein. Es ist jedoch allein Aufgabe des europäischen Normgebers, diejenigen pharmazeutischen Substanzen eindeutig mit Freinamen und zugehöriger CAS RN zu bezeichnen, für die Zollfreiheit beansprucht werden kann.

c) Auch der Rechtsprechung des EuGH sind keine Hinweise zu entnehmen, dass Iopamidol mit der CAS RN 60166–93–0 in den Streitjahren hätte zollfrei eingeführt werden können.

Der EuGH legt die zollbefreiende Regelung der KN dahin aus, dass pharmazeutische Substanzen nicht zollbefreit sind, wenn sie —abgesehen von eventuellen in diesen Substanzen vorhandenen Verunreinigungen aus Rückständen— nicht in reiner Form vorliegen (vgl. EuGH-Urteil Marishipping and Transport, EU:C:2011:91, ZfZ 2011, 78 , vgl. auch Senatsurteil in BFHE 246, 88 , ZfZ 2015, 237 ). Danach setzt die Anwendung der entsprechenden Befreiungsvorschrift voraus, dass für die reine Substanz eine Zollfreiheit bestanden hätte (vgl. EuGH-Urteil Marishipping and Transport, EU:C:2011:91, Rz 17, ZfZ 2011, 78 ), was im Streitfall nach den Vorgaben der KN gerade nicht der Fall ist.

Zum anderen weist der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass Bestimmungen über Aussetzungen und Befreiungen von Zöllen den Erfordernissen der Rechtssicherheit genügen und den Schwierigkeiten Rechnung tragen müssen, denen die nationalen Zollverwaltungen aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, gegenüberstehen (EuGH-Urteil Marishipping and Transport, EU:C:2011:91, Rz 23, ZfZ 2011, 78 ). Die notwendige Rechtssicherheit sowie eine einheitliche Anwendung der KN einschließlich ihrer Anhänge wären jedoch nicht gewährleistet, wenn die nationalen Zollverwaltungen zu entscheiden hätten, ob Unstimmigkeiten in Anhang 3 der KN zu Gunsten der INN oder zu Gunsten der CAS RN zu entscheiden wären bzw. ab welchem Zeitpunkt eine entsprechende Auslegung vorgenommen werden sollte.

d) Eine rückwirkende Anwendung der mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/1821 der Kommission vom 6. Oktober 2016 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2016, Nr. L 294/1) eingeführte Zollfreiheit von Iopamidol der CAS RN 60166–93–0 (vgl. Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 i.V.m. Anhang 3 der KN) ist ebenfalls nicht zulässig, weil diese Verordnung erst ab dem 1. Januar 2017 anwendbar ist.

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Nennung des Iopamidols zusammen mit der CAS RN 62883–00–5 bzw. 60208–45–9 in den vorher gültigen Fassungen der KN bzw. des TARIC um eine bloße Falschbezeichnung handelt (falsa demonstratio non nocet), vermag der beschließende Senat nicht zu erkennen.

3. Zweifel an der Auslegung von Unionsrecht bestehen insoweit nicht, weshalb der Senat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (vgl. konsolidierte Fassung in ABlEU 2016, Nr. C 202/47) nicht für angezeigt hält (vgl. EuGH-Urteil CILFIT vom 6. Oktober 1982 – Rs. 283/81, EU:C:1982:335).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Düsseldorf, vom 08.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 K 628/16
Fundstellen
BFH/NV 2019, 1143