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BFH - Entscheidung vom 23.10.2019

IX B 42/19

Normen:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

BFH, Beschluss vom 23.10.2019 - Aktenzeichen IX B 42/19

DRsp Nr. 2020/757

Umfang des rechtlichen Gehörs im finanzgerichtlichen Verfahren Zulässigkeit der Verwertung von Feststellungen des Strafgerichts in einem von den Beteiligten umfassend in Bezug genommenen Strafurteil

NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 96 Abs. 2 FGO ) ist nicht dadurch verletzt, dass sich das FG —ohne vorangegangenen ausdrücklichen Hinweis— Feststellungen des Strafgerichts zu eigen macht, wenn die Beteiligten das strafgerichtliche Urteil ebenfalls umfassend in Bezug genommen haben.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26.02.2019 - 8 K 105/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Normenkette:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) sind nicht gegeben. Es fehlt an der gerügten Verletzung des Anspruchs des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf rechtliches Gehör.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ( GG ), § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.06.2008 - 2 BvR 2062/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056 ; Beschluss des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 11.05.2011 - V B 113/10, BFH/NV 2011, 1523 ). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 10.09.2014 - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47 , und vom 23.03.2016 - IX B 22/16, BFH/NV 2016, 1013 ).

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und —gegebenenfalls— Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Finanzgericht (FG) sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17, juris, Rz 15, m.w.N.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist ein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht festzustellen. Entgegen der Nichtzulassungsbeschwerde kann ein derartiger Verstoß nicht darin gesehen werden, dass es das FG versäumt habe, die Beteiligten über die Beiziehung der Strafakten bzw. die Inbezugnahme der strafgerichtlichen Entscheidung zu informieren. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat in diesem Zusammenhang zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass vorliegend keine Beiziehung der Strafakten erfolgt ist, so dass es keines entsprechenden Hinweises an die Beteiligten (§ 79 Abs. 2 , § 155 FGO i.V.m. § 273 Abs. 4 der Zivilprozessordnung ; dazu BFH-Beschluss vom 26.07.2012 - IX B 164/11, BFH/NV 2012, 1643 , Rz 3) bedurfte. Was die Verweise auf das Urteil des Strafgerichts angeht, hat das FA ferner zu Recht geltend gemacht, dass die Beteiligten sowohl in der Einspruchsentscheidung vom 29.03.2016 als auch in der Klagebegründung vom 11.07.2016 und in der Klageerwiderung vom 19.08.2016 umfassend auf die —zur Steuerakte genommene— strafgerichtliche Entscheidung Bezug genommen hatten. Dementsprechend konnte die —grundsätzlich zulässige (s. BFH-Beschlüsse vom 24.09.2013 – XI B 75/12, BFH/NV 2014, 164 , Rz 13; vom 12.01.2016 - VII B 148/15, BFH/NV 2016, 762 , Rz 6)— Bezugnahme auf die Feststellungen des Landgerichts … im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des angefochtenen FG-Urteils den Kläger nicht überraschen. Das strafgerichtliche Urteil war bereits in das Einspruchsverfahren bzw. in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführt worden und wurde nicht vom FG erstmals in seiner Entscheidung aufgegriffen.

2. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Niedersachsen, vom 26.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 105/16