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BFH - Entscheidung vom 30.07.2019

VIII R 21/16

Normen:
ZPO § 239, § 240
InsO § 85

Fundstellen:
AO-StB 2020, 72
BB 2020, 213
BB 2020, 869
BStBl II 2021, 171
DB 2020, 706
DStR 2020, 164
DStRE 2020, 180
NJW 2020, 566
NZG 2020, 433
NZI 2020, 240
ZIP 2020, 331
ZInsO 2020, 310

BFH, Urteil vom 30.07.2019 - Aktenzeichen VIII R 21/16

DRsp Nr. 2020/1462

Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einspruchsführers Rechtsstellung des Finanzamts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

1. Einspruchsverfahren werden in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einspruchsführers unterbrochen. 2. Die Regelungen über die Aufnahme eines Aktivprozesses gemäß § 85 InsO sind bezüglich der Aufnahme des Einspruchsverfahrens durch das FA nicht analog anwendbar. 3. Mangels gesetzlicher Regelung in der AO kann das FA ein Einspruchsverfahren, wenn die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer bereits vor der Insolvenzeröffnung gezahlt wurde, erst nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens fortsetzen.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 28.06.2016 - 8 K 92/13 insoweit aufgehoben, als es die Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 13.12.2012 in Bezug auf den unzulässigen Einspruch vom 26.03.2011 gegen die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2007 betrifft.

Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Revision des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat zu 19 % die Klägerin und zu 81 % der Beklagte zu tragen.

Normenkette:

ZPO § 239 , § 240 ; InsO § 85 ;

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen des X (Insolvenzschuldner).

Der Insolvenzschuldner hatte in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2003 und 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und für die Streitjahre 2005 und 2007 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Arzt erklärt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß fest. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2007 legte der Insolvenzschuldner am 02.02.2009 fristgemäß Einspruch ein.

Nach den Feststellungen einer im Jahr 2009 begonnenen Steuerfahndungsprüfung erzielte der Insolvenzschuldner in den Jahren 2004 bis 2007 Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit als Arzt, die er nicht erklärt hatte. Das FA erließ daraufhin am 24.02.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2004, 2005 und 2007, die zu erhöhten Einkommensteuerfestsetzungen führten. Die Steuernachforderungen wurden vom Insolvenzschuldner vollständig beglichen. Gegen die Änderungsbescheide legte er mit Schreiben vom 26.03.2011 Einspruch ein.

Am XX.09.2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit Schreiben vom 24.10.2012 forderte das FA die Klägerin auf, mitzuteilen, ob sie die Einsprüche des Insolvenzschuldners gegen die Steuerfestsetzungen der Streitjahre aufrechterhalte. Es kündigte an, dass es nach Aktenlage über die Einsprüche entscheiden werde, wenn keine Stellungnahme bis zum 27.11.2012 erfolgen würde. Die Klägerin teilte dem FA mit Schreiben vom 30.10.2012 mit, dass die Einspruchsverfahren aufgrund der Insolvenzeröffnung analog § 240 der Zivilprozessordnung ( ZPO ) unterbrochen worden seien. Eine Aufnahme der unterbrochenen Einspruchsverfahren durch das FA sei erst nach dem Prüfungstermin vor dem Insolvenzgericht möglich. Vorsorglich teilte sie mit, dass sie die Einsprüche aufrechterhalte. Da sich der Insolvenzschuldner in Haft befinde und wesentliche Teile seiner Unterlagen von der Steuerfahndung beschlagnahmt worden seien, könne sie erst nach deren Freigabe beurteilen, inwieweit die Einsprüche begründet seien.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 13.12.2012 wies das FA die Einsprüche des Insolvenzschuldners vom 26.03.2011 bezüglich Einkommensteuer 2003 bis 2005 als unbegründet zurück und verwarf den Einspruch bezüglich Einkommensteuer 2007 als unzulässig. Den Einspruch bezüglich der Einkommensteuer 2007 vom 02.02.2009 wies es als unbegründet zurück.

Die Klägerin erhob gegen die Einspruchsentscheidungen vom 13.12.2012 isolierte Anfechtungsklagen und stellte hilfsweise den Antrag auf Feststellung, dass die Einspruchsverfahren gemäß § 240 ZPO analog unterbrochen worden seien. Zur Begründung führte sie aus, dass die Unterbrechung gemäß § 240 ZPO analog auch Aktivprozesse betreffe. Die Aufnahme eines unterbrochenen Aktivprozesses könne nur durch den Insolvenzverwalter erfolgen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 1676 ). Es hob die Einspruchsentscheidungen vom 13.12.2012 auf und stellte fest, dass die Einspruchsverfahren betreffend die Einkommensteuer für 2003 bis 2005 und 2007 in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO unterbrochen worden seien.

Das FA macht mit der Revision geltend, dass die Einspruchsverfahren nicht nach § 240 ZPO (analog) unterbrochen worden seien. Die Verfahrensunterbrechung gelte nur in Bezug auf das dem Insolvenzverfahren unterliegende Vermögen. Vorliegend werde jedoch keine Forderung des FA gegen die Insolvenzmasse geltend gemacht, da die Steueransprüche bereits vor der Insolvenzeröffnung erfüllt worden seien. Die Einsprüche seien mit dem Ziel eingelegt worden, dass die bereits gezahlte Steuer erstattet wird. Erstattungsbescheide dürften nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch nach der Insolvenzeröffnung ergehen. Folglich habe das FA über die Einsprüche, die zu keiner Zahllast des Insolvenzschuldners führten, auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheiden können. Entgegen der Auffassung des FG sei nicht zu berücksichtigen, dass im Einspruchsverfahren die abstrakte Möglichkeit bestehe, dass das FA eine verbösernde Entscheidung erlassen könne (§ 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung —AO—). Eine Verböserung sei vom FA nicht angedroht worden.

Zudem sei zu beachten, dass die Regelung über die Aufnahme von Aktivprozessen nach § 85 der Insolvenzordnung ( InsO ) weder nach dem Wortlaut der Vorschrift noch nach der gesetzgeberischen Konzeption auf das Einspruchsverfahren anwendbar sei. Hieraus folge, dass die Einspruchsverfahren nicht gemäß § 240 ZPO unterbrochen worden seien. Andernfalls werde das FA rechtsschutzlos gestellt. Hilfsweise macht das FA geltend, dass die Einspruchsverfahren gemäß § 85 InsO analog aufgenommen worden seien.

Das FA beantragt,

das Urteil des FG vom 28.06.2016 - 8 K 92/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist teilweise begründet. Das FG-Urteil ist insoweit aufzuheben, als der Klage in Bezug auf die Einspruchsentscheidung vom 13.12.2012, mit der der Einspruch vom 26.03.2011 für das Streitjahr 2007 als unzulässig verworfen wurde, stattgegeben und festgestellt wurde, dass das Einspruchsverfahren auch insoweit unterbrochen gewesen sei. Insoweit wird die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Im Übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ).

1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidungen und der Antrag auf Feststellung der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO zulässig sind.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die isolierte Anfechtung einer Einspruchsentscheidung zulässig, wenn diese eine selbständige Beschwer enthält, die ein berechtigtes Interesse des Betroffenen an der alleinigen Aufhebung der Rechtsbehelfsentscheidung begründet (BFH-Urteil vom 07.07.1976 - I R 66/75, BFHE 119, 368 , BStBl II 1976, 680 , unter II.1.b; Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung , 9. Aufl., § 44 Rz 45 f., m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, da die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift geltend gemacht wird (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.1982 - IV R 185/80, BFHE 136, 445 , BStBl II 1983, 21 ; von Beckerath in Gosch, FGO § 44 Rz 186). Die Entscheidung über einen Einspruch, obwohl das Einspruchsverfahren wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 ZPO unterbrochen wurde, stellt eine wesentliche Verfahrensverletzung dar. Der Insolvenzverwalter kann eine unter Verstoß gegen § 240 ZPO erlassene Entscheidung anfechten, ohne die Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens beenden zu müssen (vgl. BFH-Beschluss vom 14.05.2013 - X B 134/12, BFHE 240, 534 , BStBl II 2013, 585 , Rz 10, und Urteil des Bundesgerichtshofs —BGH— vom 16.01.1997 - IX ZR 220/96, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 1445 , m.w.N.).

b) Auch die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die Einspruchsverfahren für die Streitjahre entsprechend der Regelung des § 240 ZPO unterbrochen worden sind, ist zulässig. Nach § 41 Abs. 1 FGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Zwar ist die Feststellungsklage nach § 41 Abs. 2 FGO gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär, wenn der Kläger durch diese seine Rechte verfolgen kann (BFH-Urteil vom 24.08.2017 - V R 11/17, BFH/NV 2018, 14 ). Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass allein durch die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidungen das Feststellungsinteresse der Klägerin nicht erfüllt wird, da das FA die Unterbrechung der Einspruchsverfahren durch das Insolvenzverfahren ausdrücklich bestreitet. Es besteht daher hinsichtlich des Erlasses von Einspruchsentscheidungen während der Unterbrechung des Verfahrens eine Wiederholungsgefahr, die ein Feststellungsinteresse begründet (vgl. zu § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO BFH-Urteil vom 20.11.2018 - VIII R 45/15, BFHE 263, 175 , BStBl II 2019, 306 ).

2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einspruchsentscheidungen über die zulässigen Einsprüche des Insolvenzschuldners rechtswidrig waren, da sie während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO ergangen sind.

a) Die Einspruchsverfahren wurden durch die Insolvenzeröffnung in entsprechender Anwendung des § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen.

aa) Die Vorschriften der §§ 347 ff. AO enthalten keine Regelung über die Unterbrechung des außergerichtlichen Einspruchsverfahrens im Falle der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Einspruchsführers. Die Gesetzeslücke ist nach allgemein vertretener Auffassung in entsprechender Anwendung von § 240 ZPO zu schließen (vgl. zur Konkursordnung BFH-Urteil vom 02.07.1997 - I R 11/97, BFHE 183, 365 , BStBl II 1998, 428 ; Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 251 AO Rz 166, 171; MünchKommInsO/Schumacher, 3. Aufl., Vor §§ 85 bis 87 Rz 50; Windel in Jaeger, Insolvenzordnung , § 85 Rz 81). Nach dieser Vorschrift wird im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Die Unterbrechung tritt unabhängig davon ein, ob es sich um ein Aktiv- oder um ein Passivverfahren handelt. § 240 ZPO unterscheidet in seinem Anwendungsbereich nicht zwischen diesen beiden Verfahren (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., S. 326 f.). Für die Unterbrechung des Einspruchsverfahrens ist deshalb die vom FG erörterte Frage, ob das Einspruchsverfahren abstrakt geeignet wäre, im Falle der Verböserung durch die Einspruchsentscheidung zu einer Anmeldung der Steueransprüche zu führen, unerheblich.

bb) Danach wurden die Einspruchsverfahren für die Streitjahre durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am XX.09.2012 gemäß § 240 ZPO analog unterbrochen. Sie betrafen die Insolvenzmasse, da sie zu einer Erstattung der bereits vor der Insolvenzeröffnung festgesetzten und gezahlten Einkommensteuer führen sollten. Der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen gehört gemäß § 35 Abs. 1 InsO zur Insolvenzmasse, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt —wie im vorliegenden Fall— vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (BGH-Beschluss vom 12.01.2006 - IX ZB 239/04, Der Betrieb 2006, 387; s.a. BGH-Beschluss vom 13.02.2014 - IX ZB 23/13, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2014, 616, Rz 5).

b) Die Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch die Insolvenzeröffnung dauert nach § 240 ZPO analog solange fort, bis das Verfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidungen des FA nicht erfüllt.

aa) Die unterbrochenen Einspruchsverfahren wurden —mangels gesetzlicher Regelung— nicht vom FA durch Erlass der Einspruchsentscheidungen aufgenommen.

aaa) Der AO ist nicht zu entnehmen, in welcher Art und Weise das FA das Einspruchsverfahren nach der Unterbrechung analog § 240 ZPO aufnehmen kann. Da eine Regelung in der AO fehlt, kommt als Rechtsgrundlage für die Aufnahme des Einspruchsverfahrens durch das FA allein eine entsprechende Anwendung der Regelungen der InsO über die Aufnahme unterbrochener Gerichtsverfahren in Betracht. Dabei ist zwischen Aktiv- und Passivprozessen zu unterscheiden (§§ 85 f. InsO ). Bei den vorliegenden Einspruchsverfahren handelt es sich bei entsprechender Anwendung dieser Regelungen um einen "Aktivprozess" i.S. des § 85 InsO , da die Einsprüche im Erfolgsfall zu einer Erstattung der bereits vom Insolvenzschuldner gezahlten Steuern in die Insolvenzmasse geführt hätten (vgl. BFH-Beschluss vom 02.07.2009 - X S 4/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1660 , Rz 15; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, a.a.O., S. 327).

bbb) Nach Auffassung des Senats sind die Regelungen des § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO jedoch auf das Einspruchsverfahren nicht analog anwendbar.

Die analoge Anwendung einer Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn die für einen bestimmten Sachverhalt vorgesehene gesetzliche Regelung auf einen anderen, vom Gesetz nicht erfassten, aber nur unwesentlich abweichenden Sachverhalt anwendbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 13.02.1980 - II R 18/75, BFHE 130, 188 , BStBl II 1980, 364 , unter II.1.a, und vom 08.09.1994 - IV R 85/93, BFHE 175, 451 , BStBl II 1995, 67 , unter 2.b; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 4 AO Rz 365, m.w.N.). Der vom Gesetz nicht erfasste Sachverhalt muss mit dem gesetzlich geregelten Sachverhalt in den wesentlichen, für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsichten übereinstimmen (Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 202).

Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf eine analoge Anwendung des § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO auf das Einspruchsverfahren nicht erfüllt. Die Vorschriften sind weder nach dem Wortlaut noch nach der Gesetzessystematik auf das Einspruchsverfahren anwendbar. Die Regelungen sind offensichtlich auf den kontradiktorischen Zivilprozess zugeschnitten. Das Einspruchsverfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von einem Gerichtsverfahren. Das FA entscheidet im Einspruchsverfahren in eigener Sache und ist selbst Herr des Verfahrens. Eine unabhängige Entscheidungsinstanz, an die der Antrag auf Aufnahme des Verfahrens gemäß § 239 Abs. 2 ZPO zu richten wäre und die die Aufnahmevoraussetzungen prüft und überwacht, ist nicht vorhanden. Die Regelungen in § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO können daher nicht auf das Einspruchsverfahren angewandt werden, ohne sie in ihrem Kern zu ändern. Zur Schaffung solcher im Gesetz nicht angelegter Regelungen ist nur der Gesetzgeber befugt.

ccc) Es fehlt somit nach der derzeitigen Rechtslage an einer gesetzlichen Grundlage für die Aufnahme des Einspruchsverfahrens durch das FA im Falle eines Aktivprozesses, der auf die Erstattung von Steuern in die Insolvenzmasse gerichtet ist. Allein das Interesse des FA, das Einspruchsverfahren durch eine Einspruchsentscheidung abzuschließen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das FA wird dadurch nicht rechtsschutzlos gestellt. Es hat sich mit der Steuerfestsetzung selbst einen vollstreckbaren Titel verschafft. Der Insolvenzschuldner hat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Steuer gezahlt, ohne dass diese Zahlung —nach den von den Beteiligten nicht bestrittenen Feststellungen des FG— von der Klägerin angefochten wurde. Der Steueranspruch ist danach durch die Zahlung erloschen (§ 47 AO ) und nicht zur Insolvenztabelle anzumelden.

bb) Die Einspruchsverfahren wurden auch nicht durch die Klägerin als Insolvenzverwalterin in analoger Anwendung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO aufgenommen.

aaa) Die Regelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO , nach der der Insolvenzverwalter jederzeit Aktivprozesse aufnehmen kann, ist nach Auffassung des Senats auf das Einspruchsverfahren anwendbar. Zum einen hängt die Aufnahme eines Aktivprozesses durch den Insolvenzverwalter nicht von weiteren Voraussetzungen ab, die gerichtlich zu prüfen sind. Zum anderen hat der Insolvenzverwalter —im Unterschied zum FA— ein berechtigtes Interesse daran, dass das durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt wird, wenn hierdurch eine Erstattung der gezahlten Steuern in die Insolvenzmasse erreicht werden kann.

bbb) Jedoch kann das Schreiben der Klägerin vom 30.10.2012 nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie die Einspruchsverfahren aufnehmen wollte. In diesem hat sie vielmehr ausdrücklich auf die Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahrens hingewiesen und geltend gemacht, die Einsprüche aufrechterhalten zu wollen.

c) Da die Einspruchsentscheidungen somit während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren erlassen worden sind, sind sie unwirksam, soweit die Einsprüche zulässig waren (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 240, 534 , BStBl II 2013, 585 , Rz 17, sowie vom 21.04.2004 - XI B 17/01, BFH/NV 2004, 1285 ). Das FG hat die Einspruchsentscheidungen insoweit zu Recht aufgehoben und festgestellt, dass die Einspruchsverfahren unterbrochen waren.

3. Die Revision des FA ist jedoch begründet und das FG-Urteil aufzuheben, soweit dies die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2012 über den unzulässigen Einspruch des Insolvenzschuldners vom 26.03.2011 gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 2007 betrifft. Insoweit ist die Klage der Klägerin abzuweisen.

a) Der Insolvenzschuldner hatte gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 2007 bereits am 02.02.2009 Einspruch eingelegt. Der am 26.03.2011 (wiederholt) gegen den Änderungsbescheid erhobene Einspruch war danach unzulässig. Dies folgt aus der Regelung des § 365 Abs. 3 AO , nach der bei der Änderung des angefochtenen Steuerbescheids der geänderte Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird. Einer erneuten Einspruchseinlegung fehlt danach das Rechtsschutzbedürfnis (Birkenfeld in HHSp, § 365 AO Rz 181).

b) Ein unzulässiger Rechtsbehelf, der bereits vor der Unterbrechung des Verfahrens eingelegt wurde, kann in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO auch während der Unterbrechung des Verfahrens als unzulässig verworfen werden (BFH-Beschluss vom 29.03.2017 - VI R 83/14, BFH/NV 2017, 917 , m.w.N.). Das FG hat danach zu Unrecht die Einspruchsentscheidung des FA vom 13.12.2012 in Bezug auf den unzulässigen Einspruch vom 26.03.2011 aufgehoben und festgestellt, dass das Verfahren insoweit unterbrochen worden sei.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO . Über die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens ist wegen der teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung und teilweisen Abweisung der Klage neu zu befinden (vgl. BFH-Urteil vom 25.09.2018 - VIII R 3/15, BFHE 263, 123 , BStBl II 2019, 235 , Rz 23). Die Kosten des Verfahrens hat zu 19 % die Klägerin und zu 81 % der Beklagte zu tragen.

Vorinstanz: FG Köln, vom 28.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 92/13
Fundstellen
AO-StB 2020, 72
BB 2020, 213
BB 2020, 869
BStBl II 2021, 171
DB 2020, 706
DStR 2020, 164
DStRE 2020, 180
NJW 2020, 566
NZG 2020, 433
NZI 2020, 240
ZIP 2020, 331
ZInsO 2020, 310