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BFH - Entscheidung vom 24.01.2019

V R 32/17

Normen:
AO § 129
AO § 129

Fundstellen:
BFH/NV 2019, 673
DStRE 2019, 717

BFH, Urteil vom 24.01.2019 - Aktenzeichen V R 32/17

DRsp Nr. 2019/7274

Pflicht des Finanzamts zur Berichtigung eines Steuerbescheides aufgrund doppelter Berücksichtigung der Feststellungen einer Außenprüfung

NV: Kein Sachaufklärungsfehler, sondern eine offenbare Unrichtigkeit mit der Folge einer Berichtigungspflicht nach § 129 Satz 2 AO liegt vor, wenn das Finanzamt einen Teil der Prüfungsfeststellungen schon während der Außenprüfung in einem Änderungsbescheid berücksichtigt, dann aber die Ergebnisse des abschließenden Prüfungsberichts entgegen der Aktenlage durch eine Korrektur des Änderungsbescheides noch einmal in vollem Umfang —und damit doppelt— umsetzt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 5. Dezember 2016 6 K 613/15 sowie der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 6. Juni 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. März 2015 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 25. Februar 2014 zu ändern, indem er die Umsatzsteuer für 2006 um 45.974 €, die Umsatzsteuer 2007 um 92.232 € und die Umsatzsteuer 2008 um 70.184 € herabsetzt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Normenkette:

AO § 129 ;

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Anwendung des § 129 der Abgabenordnung ( AO ).

Bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) fand in den Jahren 2010 bis 2013 eine Außenprüfung durch das Finanzamt für Großunternehmen in H im Auftrage des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) statt. Prüfungsgegenstand war die Umsatzsteuer der Jahre 2006 bis 2008 (Streitjahre). Die Außenprüfung führte in den Streitjahren zu einer höheren Steuerschuld. Während die Außenprüfung lief, reichte die Klägerin am 15. Dezember 2011 geänderte Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre ein, mit der sie Teile der Feststellungen der Außenprüfung umsetzte. Mit Bescheiden vom 10. Januar 2012 setzte das FA die Umsatzsteuer der Streitjahre entsprechend fest. Auf Aufforderung des FA erläuterte die Klägerin die Abweichungen von den ursprünglichen Umsatzsteuererklärungen. Diese betreffen danach Sachverhalte, die von der Außenprüfung aufgegriffen und mit den geänderten Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre bereits vor Ergehen des abschließenden Prüfungsberichts korrigiert wurden. Der abschließende Prüfungsbericht vom 21. Mai 2013 umfasst u.a. diese Sachverhalte.

In Auswertung dieses Berichts ergingen am 25. Februar 2014 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Dabei erhöhte das FA aber die Bemessungsgrundlage auf Grundlage der Änderungsbescheide vom 10. Januar 2012, und zwar jeweils um sämtliche, im Prüfungsbericht enthaltenen Positionen. Das FA berücksichtigte nicht, dass der überwiegende Teil der Prüfungsergebnisse schon in die Bemessung der Umsatzsteuer für die Streitjahre in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 10. Januar 2012 eingeflossen war und somit durch die Bescheide vom 25. Februar 2014 nochmal, mithin doppelt erfasst wurde.

Kurz nach Ablauf der Einspruchsfrist bemerkte die Klägerin diesen Irrtum und begehrte am 15. April 2014 die Berichtigung der Bescheide nach § 129 AO . Dies lehnte das FA ab. Auch der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Eine offenbare Unrichtigkeit liege nicht vor, sondern ein Sachverhaltsaufklärungsfehler. Die Bearbeiterin hätte aufklären müssen, wie sich der Unterschied aus den Bemessungsgrundlagen vor der Betriebsprüfung, der Bemessungsgrundlagen in den Änderungsbescheiden und nach der Betriebsprüfung ermittele.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung des § 129 AO geltend macht. Es liege mit der doppelten Berücksichtigung der Bemessungsgrundlagen weder ein Sachverhaltsaufklärungsfehler noch ein Rechtsirrtum vor, sondern ein mechanisches Versehen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuerbescheide vom 25. Februar 2014 für die Streitjahre zu ändern, indem die Umsatzsteuer für 2006 um 45.974 €, die Umsatzsteuer für 2007 um 92.232 € und die Umsatzsteuer für 2008 um 70.184 € herabgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen des § 129 AO lägen nicht vor; denn aus einem Aktenvermerk der Bearbeiterin gehe ein Rechtsirrtum der Bearbeiterin hervor. Sie habe danach angenommen, dass "die abweichenden Daten der geänderten Umsatzsteuererklärungen vom Dezember 2011 nicht zu berücksichtigen seien". Dazu verweist das FA auf Bl. 47 der Akten über die Betriebsprüfung. Es fehle auch am Erfordernis einer offenbaren Unrichtigkeit.

II.

Die Revision ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Verpflichtung des FA zur Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre. Die Vorentscheidung hat die Voraussetzungen des § 129 AO rechtsfehlerhaft verneint, indem sie einen Sachverhaltsaufklärungsfehler angenommen hat.

1. Nach § 129 Satz 1 AO kann und muss bei berechtigtem Interesse eines Beteiligten die Finanzbehörde nach § 129 Satz 2 AO Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397 , BStBl II 2018, 378 , und vom 27. November 2003 V R 52/02, BFH/NV 2004, 605 , jeweils m.w.N.; vgl. dazu auch die Darstellung von Fallgruppen bei Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 129 AO Rz 53 ff., mit umfangreichen Nachweisen aus der Judikatur).

2. Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit vor, die wegen des berechtigten Interesses der Klägerin nach § 129 Satz 2 AO korrigiert werden muss. Wie aus den vorgelegten Akten eindeutig hervorgeht, kann die Doppelberücksichtigung der Bemessungsgrundlage für die jeweilige Umsatzsteuerfestsetzung ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden. Dies beginnt schon mit dem Schreiben der Klägerin vom 9. Februar 2012, in dem sie die Abweichungen der Bemessungsgrundlage der Streitjahre dargelegt hat (Umsatzsteuerakten 2008 des FA, Bl. 30 ff.). In einem handschriftlichen Vermerk des FA auf Bl. 38 der Umsatzsteuerakten 2008 werden sodann die Änderungen der Bemessungsgrundlagen für das Streitjahr 2008 aufgrund der Nacherklärung am 15. Dezember 2011 und der Erhöhungen durch Auswertung des Berichts in ein Verhältnis gesetzt. In diesem Zusammenhang steht auch der Vermerk des Bearbeiters, der sich auf dem Bl. 47 der Akten über die Betriebsprüfung befindet, auf dem die Prüfungsfeststellungen zur Umsatzsteuer dargestellt werden. Hier hat der Bearbeiter lediglich ausgesagt, dass bei der Umsatzsteuerschuld vor und nach "Bp die geä. USt-Erklärungen v. Dez. 2011 unberücksichtigt" blieben. Darin steckt entgegen der Revisionserwiderung des FA aber gerade nicht die (rechtsirrtümliche) Aussage, dass die abweichenden Daten nicht zu berücksichtigen seien. Vielmehr beschränkt sich der Text auf eine Beschreibung dessen, was auf dem Blatt in Zahlen zusammengefasst steht, nämlich die Erhöhung der Steuer allein aufgrund der Außenprüfung.

Es liegt deshalb kein Sachverhaltsaufklärungsfehler vor. Der Sachverhalt war aufgeklärt, aktenkundig und unstreitig. Der Bearbeiter hat seine eigenen Vermerke einfach nur übersehen und deshalb bei der Auswertung des Berichts dessen vollständige Ergebnisse übernommen, ohne —wie er selbst vermerkt hat— die bereits berücksichtigten Erhöhungen der Bemessungsgrundlagen abzuziehen. So kam die Außenprüfung bei der Umsatzsteuer 2006 zu einer um 457.054 € höheren Bemessungsgrundlage. Davon hätten aber bei der Auswertung des Prüfungsberichts wegen der bereits im Bescheid vom 10. Januar 2011 verwerteten Nacherklärung von Umsätzen in Höhe von 287.340 € —wie der Bearbeiter in der Akte selbst und zutreffend notiert hat— nur noch 169.714 € erfasst werden dürfen. Indem in allen Jahren der volle Mehrbetrag —und damit die Erhöhung doppelt— einbezogen wurde, liegt darin eine offenbare Unrichtigkeit, die zu einer Änderungspflicht nach § 129 Satz 2 AO führt.

3. Da die angefochtene Entscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FA wird nach § 129 Satz 2 AO verpflichtet, die Umsatzsteuer antragsgemäß niedriger festzusetzen. Die Verpflichtung ergibt sich aus § 129 Satz 2 AO ; die gebundene Verpflichtung zur Korrektur liegt wegen des berechtigten Interesses der Klägerin an geänderten Steuerfestsetzungen vor (vgl. dazu Wernsmann in HHSp, § 129 AO Rz 93). Dementsprechend muss das FA die Umsatzsteuer 2006 um 45.974 €, die Umsatzsteuer für 2007 um 92.232 € und die Umsatzsteuer für 2008 um 70.184 € herabsetzen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .

Vorinstanz: FG Sachsen, vom 05.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 613/15
Fundstellen
BFH/NV 2019, 673
DStRE 2019, 717