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BFH - Entscheidung vom 21.05.2019

IX R 6/18

Normen:
EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3
EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 3

Fundstellen:
BFH/NV 2019, 1227

BFH, Urteil vom 21.05.2019 - Aktenzeichen IX R 6/18

DRsp Nr. 2019/14026

Begriff der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG Ertragsteuerliche Behandlung des Gewinns aus der Veräußerung von Immobilien

1. NV: Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG liegt nicht vor, wenn der Steuerpflichtige die einem Angehörigen unentgeltlich überlassene Wohnung zeitweilig für wenige Nächte im Jahr als Zufluchtsmöglichkeit (mit–)nutzt, um einer wegen der Alkoholerkrankung des Ehepartners in der gemeinsamen Ehewohnung unerträglich gewordenen Situation zu entfliehen. 2. NV: Eine unter Zwang zustande gekommene Vermögensmehrung liegt nicht vor, wenn im Zeitpunkt der Veräußerung (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG ) die zuständige Behörde zwar beabsichtigte, dem betroffenen Steuerpflichtigen ein Rückbaugebot aufzuerlegen, eine dahingehende Anordnung jedoch noch nicht unmittelbar bevorstand.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg vom 30.01.2018 – 11 K 133/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3;

Gründe

I.

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Streitjahr (2015) den Tatbestand eines nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) steuerpflichtigen privaten Veräußerungsgeschäfts erfüllt hat.

Die Klägerin wurde im Streitjahr mit ihrem Ehemann nach § 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Eheleute sind Eltern zweier erwachsener Töchter (A und B).

Im Jahr 2006 erwarb die Klägerin eine etwa 100 qm große 3-Zimmer-Wohnung in der X–Straße in Z zum Kaufpreis von 45.000 € zu Alleineigentum. Die Klägerin überließ das Objekt ihrer Tochter A, nachdem ihr Ehemann sich geweigert hatte, mit der Klägerin die als gemeinsame Familienwohnung vorgesehene Immobilie zu beziehen. A, die der Klägerin für den Erwerb der Wohnung ein Darlehen in Höhe von 20.000 € gewährt hatte, hatte lediglich die Nebenkosten der Wohnung zu tragen; eine Mietzinsvereinbarung bestand nicht. Das gewährte Darlehen wurde im Jahr 2017 von der Klägerin getilgt.

Im Jahr 2007 erwarb die Klägerin eine weitere Wohnung in der Y–Straße in Z zum Kaufpreis von 78.000 € zu Alleineigentum, welche die Eheleute gemeinsam bezogen. Die Klägerin war im Streitjahr unter der Adresse Y–Straße mit Hauptwohnsitz gemeldet; die von A bewohnte Wohnung in der X–Straße nutzte die Klägerin allerdings zeitweise als Zufluchtsmöglichkeit, wenn die Situation mit ihrem alkoholkranken Ehemann eskalierte.

Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 12. Dezember 2014 veräußerte die Klägerin die Wohnung in der X–Straße in Z an die Stadt Z zum Kaufpreis von 90.000 € zuzüglich einer Umzugskostenpauschale in Höhe von 3.000 € sowie einer Pauschale für Vertragsnebenkosten für den späteren Erwerb einer Ersatzwohnung in Höhe von 7.000 €. Der Kaufpreis einschließlich der weiteren Gegenleistungen waren am 2. Januar 2015 zur Zahlung fällig, die Übergabe der Wohnung einschließlich des Übergangs von Nutzen und Lasten zum 31. Juli 2015 vereinbart. Anlass des Immobilienerwerbs durch die Stadt Z war, dass das Hausgrundstück in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet lag und die Stadt plante, nach dem Erwerb sämtlicher in der Immobilie belegenen Wohnungen das Gebäude wegen nicht behebbarer Mängel abzubrechen. Nachdem Verhandlungen mit der Klägerin über einen freihändigen Erwerb der Wohnung zunächst gescheitert waren, lud die Stadt die Klägerin im November 2014 zu einem Erörterungstermin, in dem die geplante Anordnung eines Rückbaugebotes (§§ 175 Abs. 2 , 179 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches ) besprochen werden sollte. Aufgrund dieser Maßnahme entschloss sich die Klägerin zur Veräußerung der Wohnung. Der Verkehrswert der Wohnung X–Straße wurde 2012 gutachterlich mit 52.500 € festgesetzt

Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 7. April 2016 erwarb die Klägerin eine 102,79 qm große 4–Zimmer-Wohnung in der P–Straße in Z zum Kaufpreis von 130.000 € zu Alleineigentum. Seit diesem Zeitpunkt bewohnt die Klägerin dieses Objekt zusammen mit ihrer Tochter B und deren Sohn. Der Ehemann der Klägerin bewohnt nunmehr die Wohnung in der Y–Straße alleine. Die Klägerin ist allerdings noch immer mit Hauptwohnsitz in der Y–Straße gemeldet, während die Adresse in der P–Straße offiziell lediglich als Nebenwohnsitz dient.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ging in dem unter dem 11. Juli 2016 ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr davon aus, dass die Klägerin durch den Verkauf der Wohnung in der X–Straße den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht und dabei einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in Höhe von (100.000 € [Veräußerungserlös] ./. 45.000 € [Anschaffungskosten] ./. 1.575 € [Grunderwerbsteuer] =) 53.425 € erzielt habe und setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf … € fest.

Den hiergegen gerichteten Einspruch der Klägerin wies das FA wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig zurück.

Das Finanzgericht (FG) entschied im angefochtenen Urteil vom 30. Januar 2018 – 11 K 133/17, dass der Einspruch der Klägerin entgegen der Auffassung des FA rechtzeitig eingelegt worden sei; dies ist zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren auch nicht mehr streitig. Im Übrigen ging das FG davon aus, dass das FA weitere Anschaffungsnebenkosten der Klägerin beim Erwerb des Objekts X–Straße zu Unrecht nicht berücksichtigt und mithin die Höhe des Veräußerungsgewinns unzutreffend ermittelt habe; die Festsetzung eines privaten Veräußerungsgewinns sei indes dem Grunde nach zu Recht erfolgt.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie die Verletzung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG rügt. Sie vertritt die Auffassung, dass eine Nutzung der Wohnung X–Straße zu eigenen Wohnzwecken im Streitfall schon deshalb anzunehmen sei, weil sie, die Klägerin, über einen Schlüssel für das Objekt verfügt habe und dieses jederzeit —ohne ihre Tochter A um Erlaubnis bitten zu müssen— hätte aufsuchen können. Zwar habe in der Wohnung X–Straße kein eigenes Zimmer für die Klägerin bereit gestanden, jedoch habe sie dort jederzeit ein Schlafsofa nutzen können. Diese Nutzung sei unbeschadet der Tatsache, dass die Klägerin ihren Haushalt in der Wohnung in der Y–Straße geführt und dort ihre Wäsche gewaschen habe, auf Dauer angelegt gewesen. Im Übrigen habe sie, die Klägerin, sich bei der Veräußerung des Objekts in der X–Straße in einer Zwangssituation befunden. Obwohl die Anordnung des Rückbaugebotes noch nicht von der Stadt Z beschlossen gewesen sei, habe sie, die Klägerin, sich von der Stadtverwaltung dermaßen unter Druck gesetzt gefühlt, dass sie die maßgebliche Wohnung schließlich veräußert habe. Im Übrigen bestehe ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Erwerb der Wohnung P–Straße als "Ersatzwirtschaftsgut", da der Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten am Objekt X–Straße vertraglich auf den 31. Juli 2015 festgelegt gewesen sei und die Anschaffung der Ersatzwohnung im April 2016 mithin innerhalb eines Jahrs erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG vom 30. Januar 2018 – 11 K 133/17 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2016 mit der Maßgabe zu ändern, dass kein Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften angesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es geht zusammenfassend davon aus, dass das angefochtene Urteil des FG frei von Rechtsfehlern und die maßgebliche Vorschrift des § 23 EStG zutreffend ausgelegt worden sei.

II.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) zurückzuweisen. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im Streitjahr den Tatbestand eines steuerpflichtigen privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht hat.

1. Nach § 22 Nr. 2 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG ) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG . Dazu gehören gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

a) Ausgenommen von der Besteuerung sind nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden. Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" setzt in beiden Alternativen voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen geeignet ist und vom Steuerpflichtigen bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest "auch" selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt. Eine Nutzung zu "eigenen Wohnzwecken" liegt hingegen nicht vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu bewohnen (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 27. Juni 2017 – IX R 37/16, BFHE 258, 490 , BStBl II 2017, 1192 , mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

b) Eine Wohnung wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn sie der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern sie ihm in der übrigen Zeit zur Verfügung steht. Denn eine Nutzung zu "eigenen Wohnzwecken" setzt weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus noch muss sich dort der Schwerpunkt der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger kann deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen Wohnzwecken nutzen. Erfasst sind daher auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden. Ist deren Nutzung auf Dauer angelegt, kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) hat und wie oft er sich darin aufhält (BFH-Urteil in BFHE 258, 490 , BStBl II 2017, 1192 , m.w.N.).

c) Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" ist im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG so zu verstehen wie in § 10e EStG und in § 4 des Eigenheimzulagengesetzes (BFH-Urteil vom 18. Januar 2006 – IX R 18/03, BFH/NV 2006, 936 ). Danach liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vor, wenn der Steuerpflichtige Teile einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung oder die Wohnung insgesamt einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind (§ 32 EStG ) unentgeltlich zur teilweisen oder alleinigen Nutzung überlässt. Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer in diesem Fall als eigene zuzurechnen, weil es ihm im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen (BFH-Urteil vom 18. Januar 2011 – X R 13/10, BFH/NV 2011, 974 , m.w.N.).

d) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 1. Alternative EStG setzt voraus, dass die Wohnung im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden ist. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG verlangt demgegenüber eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie —mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs— voll auszufüllen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 258, 490 , BStBl II 2017, 1192 , m.w.N.).

2. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vor, kommt es nach dem Gesetzeswortlaut auf den Grund des Tätigwerdens des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht an (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juli 1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302 , BStBl II 1970, 156 ; BFH-Urteil vom 8. April 2003 – IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171 , m.w.N.). Vor diesem Hintergrund wird die dem privaten Veräußerungsgeschäft zugrunde liegende Veräußerungsmotivation erst dann relevant, wenn die Veräußerung und die Anlage des Veräußerungserlöses in einem Ersatzgut, das wirtschaftlich dieselbe oder eine entsprechende Aufgabe erfüllt wie der ausgeschiedene Gegenstand, in sachlichem Zusammenhang bewirkt werden (s. etwa BFH-Urteile vom 29. Juni 1962 – VI 82/61 U, BFHE 75, 330 , BStBl III 1962, 387 ; vom 16. Januar 1973 – VIII R 96/70, BFHE 108, 502 , BStBl II 1973, 445 , m.w.N.). Die Annahme eines privaten Veräußerungsgeschäfts entfällt mithin, wenn Veräußerung und Wiederanlage des Erlöses der freien Entschließung des Steuerpflichtigen entzogen sind und sich als Auswechslung von Wirtschaftsgütern —ohne wesentliche Besser- oder Schlechterstellung des Steuerpflichtigen— darstellen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Veräußerung eines Immobilienobjekts dem Steuerpflichtigen durch Hoheitsakt aufgezwungen wird, insbesondere durch den Zwang bevorstehender Enteignung, und der Steuerpflichtige in sachlichem Zusammenhang hiermit ein Ersatzobjekt anschafft. Für die Annahme eines solchen Zwangs hat die Rechtsprechung stets einen strengen Beurteilungsmaßstab angesetzt (BFH-Urteil in BFHE 108, 502 , BStBl II 1973, 445 , m.w.N.).

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin im Streitfall den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht hat.

a) Die Klägerin hat das unter dem 26. Oktober 2006 angeschaffte Immobilienobjekt X–Straße mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 12. Dezember 2014 und mithin innerhalb der maßgeblichen Frist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG veräußert. Die Tatbestandsvoraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts sind dadurch erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.

b) Die Klägerin hat die Wohnung X–Straße nicht deshalb "zu eigenen Wohnzwecken" genutzt, weil sie das Objekt ihrer Tochter A unentgeltlich zur Nutzung überließ. Denn die Tochter A war im Streitjahr nicht mehr gemäß § 32 EStG einkommensteuerrechtlich bei der Klägerin zu berücksichtigen. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

c) Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" lag im Streitfall nach zutreffender Auffassung des FG auch nicht deshalb vor, weil die Klägerin die Wohnung X–Straße gelegentlich als Zufluchtsmöglichkeit genutzt hat, wenn die Situation mit ihrem alkoholkranken Ehemann in der gemeinsamen Wohnung Y–Straße "eskalierte". Das FG hat die von der Klägerin und von der Zeugin A bekundeten Sachverhaltsumstände, welche zu den gelegentlichen Übernachtungen der Klägerin in der ihr gehörenden, ihrer Tochter A zur Nutzung überlassenen Wohnung X–Straße führten, eingehend ermittelt und in nachvollziehbarer und ausführlich begründeter Weise in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Dabei hat das FG nicht nur die von der Klägerin und der Zeugin A bekundeten Tatsachen, sondern auch das Aussageverhalten einer eingehenden Würdigung unterzogen. Soweit das FG danach zu dem Schluss gekommen ist, dass die Klägerin diese Wohnung nicht "zu eigenen Wohnzwecken" genutzt hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat ist mithin an die Gesamtwürdigung seitens des FG nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden.

d) Zutreffend hat das FG auch die rechtliche Bedeutung einer Zwangslage bei der Veräußerung von Grundstücken erkannt und ist im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass eine unter Zwang zustande gekommene Vermögensmehrung zwar bei einer Enteignung oder einem Verkauf zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden, nicht aber bei einer lediglich "künftig drohenden" Enteignung zu bejahen ist. Die Frage, ob ein vom Steuerpflichtigen tatbestandlich verwirklichtes privates Veräußerungsgeschäft in diesem Sinne unter Zwang abgeschlossen wurde, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die tatsächlichen Feststellungen des FG sind vom Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat.

Im Streitfall ist das FG im Rahmen seiner Gesamtwürdigung davon ausgegangen, dass sich die Klägerin schon bei der Veräußerung des Objekts X–Straße nicht in einer die Annahme eines privaten Veräußerungsgeschäfts ausschließenden Zwangslage befunden hatte. Dabei hat es berücksichtigt, dass die Klägerin während der langwierigen Verkaufsverhandlungen mit der Stadt Z frühzeitig hatte erkennen lassen, dass sie zu einer Veräußerung der Wohnung bereit sei, sofern man ihre Kaufpreisvorstellung erfüllte. Im weiteren Zuge der Verhandlungen hat die Klägerin auch in der Tat die Stadt Z zu einer wiederholten Nachbesserung des Kaufangebots veranlasst. Überdies hat das FG berücksichtigt, dass die Stadt Z im Zeitpunkt der Veräußerung der Wohnung X–Straße durch die Klägerin zwar beabsichtigt habe, den betroffenen Wohnungseigentümern ein Rückbaugebot aufzuerlegen, eine dahingehende Anordnung jedoch noch nicht unmittelbar bevorstand. Diese Gesamtwürdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

e) Nicht zu beanstanden ist ferner, wenn das FG im Rahmen seiner Würdigung davon ausgeht, dass auch die Anschaffung der Wohnung P–Straße nicht auf einer unmittelbaren Zwangslage beruht habe, da der Klägerin zum Zeitpunkt der Anschaffung dieser ("Ersatz"–)Wohnung weiterhin die Wohnung in der Y–Straße zur Verfügung gestanden habe, in der sie überdies mit Hauptwohnsitz gemeldet war.

f) Nach alledem konnte das FG die Frage, ob die Anschaffung der Wohnung P–Straße in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Veräußerung der Wohnung X–Straße erfolgte, offenlassen. Da das FG zutreffend bereits eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken verneint hat, brauchte es überdies nicht zu den nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 1. und 2. Alternative EStG erforderlichen Selbstnutzungszeiten Stellung nehmen.

4. Die Sache ist spruchreif. Über die Höhe des von der Klägerin aus der Veräußerung der Wohnung X–Straße erzielten Veräußerungsgewinns nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, vom 30.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 133/17
Fundstellen
BFH/NV 2019, 1227