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BAG - Entscheidung vom 09.10.2019

8 AZN 562/19

Normen:
ZPO § 945
ZPO § 945
ArbGG § 72 Abs. 1
ArbGG § 72a Abs. 1
ZPO § 945

Fundstellen:
AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 64
AuR 2019, 532
EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 55
EzA-SD 2019, 16
NZA 2020, 271

BAG, Beschluss vom 09.10.2019 - Aktenzeichen 8 AZN 562/19

DRsp Nr. 2019/15517

Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht Keine Beschränkung der Zulassung der Revision bei Gefahr widerstreitendender Entscheidungen

Orientierungssätze: 1. Die Zulassung der Revision kann grundsätzlich auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines selbständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Das setzt eine Selbständigkeit des von der beschränkten Zulassung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne voraus, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (Rn. 3). 2. Grundsätzlich ist bei einer Entscheidung über Klage und Widerklage eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Entscheidung über die Klage möglich. Das gilt allerdings nicht, wenn nach der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung der Erfolg einer durch Arresturteil gesicherten Zahlungsklage und der auf Schadensersatz aus § 945 ZPO gerichteten Widerklage gleichermaßen davon abhängen, ob der klagenden Partei des Hauptsacheverfahrens ein - nicht verfallener - Anspruch auf Zahlung zusteht (Rn. 5). 3. Die rechtskräftige Anordnung des Arrestes entfaltet keine Bindungswirkung für den nachfolgenden Schadensersatzprozess nach § 945 ZPO (Rn. 6).

1. Die Zulassung der Revision kann nicht auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente, aber grundsätzlich auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, soweit er Gegenstand eines selbstständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein könnte. 2. Bei einer Entscheidung des Berufungsgerichts über Klage und Widerklage ist eine Beschränkung der Zulassung der Revision auf die Entscheidung über die Klage dann nicht möglich, wenn der Erfolg der Klage und der Widerklage gleichermaßen davon abhängen, ob ein Zahlungsanspruch besteht. Denn in diesem Fall bestünde die Gefahr, dass es zu einem Widerspruch zwischendem unanfechtbaren Teil und dem mit der beschränkten Revision angegriffenen Teil des Streitstoffs kommen könnte. Dies gilt auch im Fall eines Schadensersatzanspruchs aus § 945 ZPO und einem anderen Zahlungsanspruch.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. Februar 2019 - 2 Sa 244/18 - wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Normenkette:

ArbGG § 72 Abs. 1 ; ArbGG § 72a Abs. 1 ; ZPO § 945 ;

Gründe:

I. Die Klägerin hat mit ihrer Klage vom Beklagten die Zahlung von 9.513.114,61 Euro verlangt. Der Beklagte hat widerklagend die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs aus § 945 ZPO wegen der Vollziehung eines zur Sicherung dieser Klageforderung ergangenen rechtskräftigen Arresturteils begehrt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, etwaige Ansprüche der Klägerin seien gemäß § 18 des Arbeitsvertrags verfallen. Der Widerklage hat das Berufungsgericht mit der Begründung stattgegeben, dass es an einem Arrestanspruch fehle, weil die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche zum Zeitpunkt der Beantragung des dinglichen Arrestes nach § 18 des Arbeitsvertrags bereits verfallen gewesen seien. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision für die Klägerin zugelassen, soweit die Klage abgewiesen wurde. Im Übrigen hat es die Revision nicht zugelassen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Revision unbeschränkt zugelassen war. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung ist - entgegen der Rechtsansicht des Beklagten - wirkungslos. Das Landesarbeitsgericht durfte die Zulassung der Revision nicht - wie geschehen - beschränken.

1. Zwar kann die Zulassung der Revision nicht auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente beschränkt werden; sie kann aber grundsätzlich auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden (vgl. etwa BAG 28. Mai 2019 - 8 AZN 268/19 - Rn. 5; 15. Januar 2015 - 5 AZN 798/14 - Rn. 5, BAGE 150, 279 ), der Gegenstand eines selbständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein (vgl. etwa BAG 28. Mai 2014 - 10 AZB 20/14 - Rn. 8; 24. September 1986 - 7 AZR 669/84 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 53, 105 ; 28. Mai 1986 - 7 AZR 581/84 - zu I 1 der Gründe, BAGE 52, 122 ; BGH 12. Februar 2019 - VI ZR 141/18 - Rn. 12; 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16 - Rn. 8; 2. Mai 2017 - VI ZR 262/16 - Rn. 15; 21. September 2015 - VI ZR 100/14 - Rn. 19; 30. März 2007 - V ZR 179/06 - Rn. 6) oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (vgl. BGH 25. Juni 2019 - I ZR 91/18 - Rn. 7; 12. Februar 2019 - VI ZR 141/18 - Rn. 12; 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16 - Rn. 8; 2. Mai 2017 - VI ZR 262/16 - Rn. 15; 5. April 2016 - XI ZR 428/15 - Rn. 4; 21. September 2015 - VI ZR 100/14 - Rn. 19; 30. März 2007 - V ZR 179/06 - Rn. 6). Letzteres setzt eine Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne voraus, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann. Es muss sich hierbei weder um einen eigenen Streitgegenstand handeln, noch muss der betroffene Teil des Streitstoffs auf der Ebene der Berufungsinstanz teilurteilsfähig sein (vgl. etwa BGH 25. Juni 2019 - I ZR 91/18 - Rn. 7; 22. Oktober 2013 - XI ZR 42/12 - Rn. 27, BGHZ 198, 294 ; 16. Oktober 2012 - XI ZR 368/11 - Rn. 18; 16. Dezember 2010 - III ZR 127/10 - Rn. 5).

2. Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Zulassung der Revision nicht - wie geschehen - beschränken.

Zwar ist bei einer Entscheidung des Berufungsgerichts über Klage und Widerklage eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Entscheidung über die Klage und damit zugleich eine entsprechend beschränkte Revisionszulassung grundsätzlich möglich (vgl. etwa BGH 9. Juni 2015 - II ZR 110/14 - Rn. 7; 24. Januar 2012 - VIII ZR 206/11 - Rn. 7; 12. Mai 2010 - VIII ZR 96/09 - Rn. 21). Ausweislich der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung hängen der Erfolg der Klage und der Widerklage im vorliegenden Verfahren allerdings gleichermaßen davon ab, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein - nicht verfallener - Anspruch auf Zahlung (in der geltend gemachten Höhe) zusteht. Die Frage, ob etwaige Ansprüche der Klägerin verfallen sind, ist demnach sowohl für die Entscheidung über die Klage als auch für die Entscheidung über die Widerklage erheblich. Aus diesem Grund ist es jedenfalls nicht auszuschließen, dass im Falle einer Zurückverweisung - insbesondere aufgrund weiteren Parteivorbringens - ein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftritt. Etwas anderes folgt - anders als die Nebenintervenientin meint - deshalb nicht aus dem Umstand, dass es sich bei Klage und Widerklage um unterschiedliche Streitgegenstände handelt.

Soweit die Nebenintervenientin die Möglichkeit einer beschränkten Revisionszulassung daraus ableiten möchte, dass es für den Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO ausschließlich darauf ankomme, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Arresturteils vorgelegen haben, übersieht sie nicht nur, dass auch dann, wenn die Anordnung des Arrestes rechtskräftig ist, keine Bindungswirkung für den nachfolgenden Schadensersatzprozess besteht (BGH 19. März 1992 - IX ZR 14/91 - Rn. 44; Zöller/Vollkommer ZPO 32. Aufl. § 945 Rn. 9). Ebenso übersieht sie, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um das Verhältnis des Arresturteils zum Schadensersatzverfahren nach § 945 ZPO , sondern um das Verhältnis des Hauptsacheverfahrens zum Schadensersatzverfahren nach § 945 ZPO geht. Insoweit ist sogar anerkannt, dass - umgekehrt - die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache im Rahmen der materiellen Rechtskraft Bindungswirkung für das Bestehen des Anspruchs aus § 945 ZPO entfaltet (BGH 1. April 1993 - I ZR 70/91 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 122, 172 ; Zöller/Vollkommer ZPO 32. Aufl. § 945 Rn. 11).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO . Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG .

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

Zu OS 1.: BAG 28. Mai 2019 - 8 AZN 268/19 - Rn. 5; 15. Januar 2015 - 5 AZN 798/14 - Rn. 5, BAGE 150, 279 ; 28. Mai 2014 - 10 AZB 20/14 - Rn. 8; 24. September 1986 - 7 AZR 669/84 - zu I 2 a der Gründe; BGH 12. Februar 2019 - VI ZR 141/18 - Rn. 12; 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16 - Rn. 8

Zu OS 2.: BGH 9. Juni 2015 - II ZR 110/14 - Rn. 7; 24. Januar 2012 - VIII ZR 206/11 - Rn. 7; 12. Mai 2010 - VIII ZR 96/09 - Rn. 21

Zu OS 3.: BGH 19. März 1992 - IX ZR 14/91 -

Vorinstanz: LAG Niedersachsen, vom 27.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Sa 244/18
Vorinstanz: ArbG Hannover, vom 24.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 8 Ca 107/17
Fundstellen
AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 64
AuR 2019, 532
EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 55
EzA-SD 2019, 16
NZA 2020, 271