Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 03.08.2018

10 B 4.18

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 03.08.2018 - Aktenzeichen 10 B 4.18

DRsp Nr. 2018/12884

Zurechnung eines bei der Herstellung eines komplett neuen papiernen Fristenkalenders erfolgten Übertragungsfehlers; Übersehen einer einzigen Frist von den Handakten zurück in den neuen Papierkalender

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten zu 1 und 3 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. November 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten zu 1 und 3 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 313 442,33 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe die Fristversäumnis verschuldet. Seine organisatorischen Vorkehrungen vor der planmäßig erfolgten Wartung seines Servers hätten nicht den Anforderungen an eine hinreichende Büroorganisation entsprochen, weil er die unmittelbar nach der Wartung seines Computersystems ablaufenden Fristen nicht vor Beginn der Wartung durch einen Ausdruck oder eine Speicherung auf einem Wechselmedium gesichert habe.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen. Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hiergegen bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beschwerde ist allerdings zulässig. Insbesondere wurde sie fristgemäß erhoben. Die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt einen Monat nach Zustellung des vollständigen Urteils (§ 133 Abs. 2 VwGO ). Voraussetzung für den Beginn der Frist ist damit die ordnungsgemäße bzw. wirksame Zustellung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (vgl. Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO , Stand Juni 2017, § 133 Rn. 19 mit Hinweis auf § 124a Rn. 78, 32). An einer solchen fehlt es vorliegend, weil der frühere Beklagtenvertreter das Empfangsbekenntnis nicht unterzeichnet hat (vgl. Zöller, ZPO , 32. Aufl. 2018, § 174 Rn. 8 mit Hinweis auf BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - VIII ZB 55/14 - juris Rn. 7). Der Zustellungsmangel ist auch nicht geheilt (§ 189 ZPO ). Ein Nachweis darüber, dass die Entscheidung dem früheren Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugegangen ist, kann den Akten nicht entnommen werden. Insbesondere genügt die in der Nichtzulassungsbeschwerde enthaltene Formulierung, der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts sei dem früheren Prozessbevollmächtigten der Kläger "wohl am 08.12.2017" zugegangen, nicht als Nachweis eines tatsächlichen Zugangs des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts bei dem früheren Prozessbevollmächtigten.

2. Die weitgehend im Stil einer Berufungsbegründung verfasste Beschwerde ist unbegründet. Die Beklagten haben Revisionszulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht dargelegt bzw. bezeichnet.

a) Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

Die Frage,

ob ein bei der Herstellung eines komplett neuen papiernen Fristenkalenders erfolgter Übertragungsfehler in Form des Übersehens einer einzigen Frist von seinen sämtlichen Handakten zurück in (s)einen neuen Papierkalender dem Rechtsanwalt als Verschulden zugerechnet werden kann,

rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Die Frage entzieht sich einer generellen Beantwortung durch das Bundesverwaltungsgericht. Die in der Frage verwendeten Kriterien sind zu unbestimmt, als dass eine alle möglichen Fallgestaltungen abdeckende Beantwortung möglich wäre. Die Frage würde sich zudem in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat das anwaltliche Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nämlich nicht erst darin gesehen, dass der damalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten einen Fehler bei dem Versuch einer Rekonstruktion seines Fristenkalenders gemacht hat, sondern vielmehr bereits darin, dass er vor Beginn der Wartung seines Servers nicht durch geeignete Maßnahmen ausgeschlossen hat, dass es für den Fall auftretender Computerprobleme zu der Notwendigkeit einer Wiederherstellung des Fristenkalenders kommt.

b) Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

Die Beklagten meinen, das Oberverwaltungsgericht sei von dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. August 2011 - I ZB 21/11 - NJW-RR 2012, 122 abgewichen. Sie übersehen insoweit, dass Entscheidungen des Bundesgerichtshofs keine divergenzfähigen Entscheidungen im Rahmen des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in seiner von den Beklagten genannten Entscheidung gerade keine grundsätzliche Pflicht des Rechtsanwalts postuliert, Fehler im Rahmen der Fristwahrung selbst zu beheben, soweit ihm dies möglich ist, sondern lediglich formuliert, ein Rechtsanwalt könne nicht darauf vertrauen, dass eine bislang zuverlässige Kanzleikraft eine konkrete Einzelweisung zur Vermeidung einer Fristversäumung befolge, wenn er selbst die Versäumung der Frist ohne weiteren Aufwand durch eine handschriftliche Korrektur beseitigen könne. Einen Rechtssatz, mit dem das Oberverwaltungsgericht von den in dem zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs enthaltenen Rechtssätzen abgewichen sein soll, benennen die Beklagten nicht.

c) Die Beklagten haben auch keinen Verfahrensfehler bezeichnet, der gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulassung der Revision führen könnte. Soweit sie meinen, das Oberverwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht auf die die Fristversäumnis tatsächlich begründende Tatsachenwirklichkeit abgestellt und daher nicht geprüft, ob das Übersehen einer Frist in einer Handakte bei der Erstellung eines neuen papiernen Fristenkalenders das Verschulden an der Fristversäumung ausschließt, liegt insbesondere weder ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO , Art. 103 Abs. 1 GG ) noch gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) vor. Nach der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts kam es auf die Frage, ob dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei der Rekonstruktion seines Fristenkalenders ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, nicht an. Maßgeblich für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts war vielmehr, wie bereits ausgeführt, dass der damalige Prozessbevollmächtigte vor Beginn der Serverwartung nicht sichergestellt hat, dass ihm für den Fall bei der Wartung auftretender Computerprobleme eine Übersicht über die in naher Zukunft ablaufenden Fristen zugänglich ist, und er dadurch von vornherein nicht in die Lage kommen kann, seinen Fristenkalender unter Zeitnot aus seinen Handakten wiederherstellen zu müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 , § 52 Abs. 1 , Abs. 3 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen, vom 14.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 A 861/16