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BVerwG - Entscheidung vom 30.11.2018

5 B 33.18 D

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 30.11.2018 - Aktenzeichen 5 B 33.18 D

DRsp Nr. 2019/1692

Unterlassung der Feststellung der Verletzung der Dispositionsmaxime; Reaktionspflicht des Verwaltungsgerichts auf einen einfachen bzw. substantiierten Schriftsatz einer Partei; Vorliegen einer Verzögerung des Rechtsstreits durch das Gericht

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 29. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 400 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.), der Abweichung (2.) und des Verfahrensmangels (3.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) zuzulassen.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 - 5 B 20.18 D - juris Rn. 9 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.

a) Die von der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 30) als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

"ob das Verwaltungsgericht auch aus der Unterlassung der Feststellung der Verletzung der Dispositionsmaxime zu Lasten des dadurch Benachteiligten/Klägers und aus dem Zeitraum, [...] dem die Rechtsverweigerung zuzuordnen ist, zu seiner Entlastung die ordnungsgemäße angemessene Bearbeitungs-/Verfahrenszeit ableiten und geltend machen kann",

verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sie - wie durch das vorangestellte "insoweit" hervorgehoben wird - in einem Maße auf die besonderen Umstände des Einzelfalls zugeschnitten ist, das einer über den Einzelfall hinausführenden, verallgemeinerungsfähigen Aussage entgegensteht. Eine Frage erlangt nicht schon dadurch allgemeine Bedeutung, dass ein den konkreten Einzelfall betreffender tatsächlicher Umstand in allgemeine Frageform gekleidet wird (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. September 2018 - 5 PB 9.18 - juris Rn. 5 m.w.N.).

b) Entsprechendes gilt, soweit die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 2) dahin verstanden werden möchte, dass sie die Frage,

"wann ein Verwaltungsgericht auf einen einfachen bzw. substantiierten Schriftsatz einer Partei reagieren muss bzw. ab welchem Zeitpunkt von einer Verzögerung des Rechtsstreits durch das Gericht ausgegangen werden muss",

für grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet. Die Frage, ab welchem Zeitpunkt ein Gericht den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten anzustellenden Bewertungen und der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit nicht gerecht geworden ist, entzieht sich einer grundsätzlichen und allgemeingültigen Beantwortung. Sie hängt vielmehr von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab.

c) Soweit die Beschwerde einleitend die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache daraus herleiten möchte, dass "die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Verfahrensverzögerung im Sinne der §§ 198 ff. GVG vom BVerwG noch nicht vollumfänglich und abschließend für die wesentlichen in Betracht kommenden Konstellationen entschieden" worden seien (Beschwerdebegründung S. 1), genügt ihr Vorbringen nicht den an eine Grundsatzrüge zu stellenden Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde formuliert schon keine konkrete Rechtsfrage im vorgenannten Sinne. Eine solche muss sich grundsätzlich auf eine bestimmte Norm beziehen und deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen betreffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 5 B 4.14 - juris Rn. 4 m.w.N.).

Gleiches gilt für die weiteren Ausführungen der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 2 bis 30 und 33 f.), mit denen sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen möchte. Auch bezüglich der insoweit im Einzelnen angesprochenen Gesichtspunkte fehlt es wiederum an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Vielmehr setzt die Beschwerde jeweils in der Art einer Revisionsbegründung der ihrer Ansicht nach fehlerhaften Rechtsauffassung und -anwendung des Oberverwaltungsgerichts ihre eigene, zu einem anderen Ergebnis führende Rechtsmeinung und Subsumtion entgegen. Eine solche Kritik der vorinstanzlichen Entscheidung kann in der Regel und so auch hier die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründen.

2. Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde gerügten Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) zuzulassen.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz liegt nur vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO , dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 - 5 B 20.18 D - juris Rn. 3 m.w.N.). Danach ist eine Divergenz schon nicht ordnungsgemäß dargelegt.

a) Die Beschwerde ist der Auffassung, das angefochtene Urteil weiche von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - sowie vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - ab, weil es "keine Prüfung in Bezug auf das für die unangemessene Verfahrensdauer wesentliche Kriterium der Entscheidungsreife vorgenommen und dieses Prüfkriterium nicht unter den Entscheidungsgründen erwähnt" habe, während das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Entscheidungen die Auffassung vertreten habe, "ohne die Bestimmung des Zeitpunkts der Entscheidungsreife [kann] die unangemessene Verfahrensdauer überhaupt nicht und schon gar nicht fehlerfrei ermittelt werden [...]" (Beschwerdebegründung S. 31). Damit ist eine Divergenz schon deshalb nicht in der gebotenen Weise dargetan, weil die Beschwerde insoweit keinen in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich aufgestellten oder ihm zugrunde liegenden abstrakten Rechtssatz herausarbeitet, der den Rechtssätzen entspricht, die die Beschwerde in ihrem Schriftsatz vom 16. November 2018 dem Bundesverwaltungsgericht zuschreibt. Daher kann offenbleiben, ob dieses Vorbringen nicht bereits verspätet ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ). Der Sache nach greift die Beschwerde - wie sie im Schriftsatz vom 16. November 2018 (S. 12) selbst einräumt - mit diesem Vorbringen vielmehr erneut die Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts im Einzelfall an. Mit der von ihr behaupteten fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall kann aber eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründet werden.

b) Mit ihren Ausführungen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschwerdebegründung S. 31) kann die Beschwerde schon deshalb keine Divergenz begründen, weil Entscheidungen dieses Gerichts im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht divergenzfähig sind.

c) Soweit die Beschwerde im Rahmen ihrer Ausführungen zur Begründung der geltend gemachten Divergenz auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2015 - 1 BvR 3164/13 - sowie vom 20. August 2015 - Vz 11/14 - verweist (Beschwerdebegründung S. 31 f.), zeigt sie keinen konkreten Rechtssatz auf, der in diesen Entscheidungen aufgestellt worden ist und von dem das Oberverwaltungsgericht abgewichen wäre. Auch insoweit rügt sie in Wirklichkeit lediglich einen Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall.

3. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich schließlich nicht, dass das angegriffene Urteil an einem Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) leidet.

Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die den Verfahrensablauf, also den Weg zur Entscheidung und nicht die materielle Rechtsanwendung betrifft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2017 - 5 B 41.16 D - juris Rn. 2 m.w.N.). Er ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 - 5 B 20.18 D - juris Rn. 15 m.w.N.). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) bleibt ohne Erfolg.

aa) Soweit die Beschwerde eine Gehörsverletzung darin sieht, dass der Vorsitzende Richter des erkennenden Senats des Oberverwaltungsgerichts dem Kläger entgegen § 173 VwGO i.V.m. § 137 Abs. 4 ZPO eigene Ausführungen mit dem Bemerken untersagt habe, er sei in einem Anwaltsprozess vom Rechtsgespräch zwischen Gericht und seinem Prozessbevollmächtigten ausgeschlossen, genügt das Beschwerdevorbringen nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Gehörsrüge. Die Beschwerde zeigt jedenfalls - was erforderlich gewesen wäre - nicht auf, dass der Kläger alles ihm in der konkreten Situation Mögliche und Zumutbare unternommen hätte, den Gehörsverstoß abzuwenden (§ 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO ), also dass er oder sein Prozessbevollmächtigter z.B. versucht hätten, die Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit eigenen Vorbringens herbeizuführen (§ 173 VwGO i.V.m. § 140 ZPO ). Abgesehen davon legt die Beschwerde auch nicht nachvollziehbar dar, was der Kläger persönlich noch vorgetragen hätte und inwieweit genau dies entscheidungserheblich gewesen wäre. Eine Gehörsverletzung scheidet im Übrigen auch aus, wenn jedenfalls dem Prozessbevollmächtigten ausreichend rechtliches Gehör gewährt wurde (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO , 24. Aufl. 2018, § 67 Rn. 42). Dass dies nicht der Fall war, hat die Beschwerde ebenfalls nicht dargelegt. Soweit sie behauptet, der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei in der mündlichen Verhandlung zu tatsächlichem Vortrag mangels ausreichender Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht imstande gewesen (Beschwerdebegründung S. 33), zeigt sie - was wiederum erforderlich gewesen wäre - nicht auf, dass dieser alles ihm in der konkreten Situation Mögliche und Zumutbare unternommen hätte, sich Gehör zu verschaffen, also die Unterbrechung der Sitzung oder deren Vertagung beantragt hätte.

bb) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde als gehörsverletzend, dass das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten nicht über seine "vorläufige[ ] Einschätzung des Rechtsstreits anhand eines Verfahrenskalenders" informiert (Beschwerdebegründung S. 33) bzw. in der Verhandlung und Begründung seiner beabsichtigten Entscheidung darüber geäußert habe, "welche Folgerungen es aus dem Vortrag der Parteien gezogen hat bzw. warum es dem klägerischen Vortrag [...] nicht gefolgt ist" (Beschwerdebegründung S. 34). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte nicht, ihre Rechtsauffassung bereits in der mündlichen Verhandlung kundzutun, zumal sich diese häufig erst im Anschluss der mündlichen Verhandlung aufgrund der Schlussberatung ergeben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2010 - 9 B 74.09 - juris Rn. 19 f.).

b) Die Beschwerde zeigt auch keine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 86 Abs. 1 VwGO auf. Sie spricht lediglich in allgemeiner Form an, dass "das Unterlassen der Ermittlung und Feststellung des wahren zugunsten des Klageanspruchs sprechenden Sachverhalts" (Beschwerdebegründung S. 33) einen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel darstelle. Eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes setzt jedoch u.a. voraus, dass der Rechtsmittelführer darlegt, bereits in der Tatsacheninstanz auf die Vornahme der vermissten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt zu haben, oder dass sich dem Gericht die entsprechenden Ermittlungen ausgehend von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt hätten aufdrängen müssen. Hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen auch in dem Schriftsatz vom 16. November 2018 indes nicht ansatzweise.

c) Die Beschwerde legt ferner nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar, dass durch die Nichtzulassung der Revision durch das Oberverwaltungsgericht die Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG , der Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG , sein Anspruch auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verletzt worden seien (Beschwerdebegründung S. 35). Abgesehen davon liegen die behaupteten Rechtsverletzungen in der Sache nicht vor. Denn all diese Vorschriften verlangen - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht eine zulassungsfreie Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung in der Revisionsinstanz. Dies ergibt sich auch nicht aus dem von der Beschwerde in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - (BVerfGE 107, 395 ).

d) Weitere Verfahrensrügen werden von der Beschwerde auch bei wohlwollender Auslegung ihres Vorbringens jedenfalls nicht hinreichend substantiiert erhoben.

4. Der Schriftsatz vom 16. November 2018 enthält - soweit seine Ausführungen nach Ablauf der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO zu berücksichtigen sind - auch im Übrigen keine eine andere Beurteilung rechtfertigenden Erläuterungen.

5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

6. Der Senat hatte keine Veranlassung zu einer in seinem Ermessen stehenden Verbindung dieses Verfahrens gemäß §§ 93 Satz 1, 125 Abs. 1 Satz 1, 141 Satz 1 VwGO mit dem Verfahren BVerwG 5 B 32.18 D.

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 29.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 P EK 2/17