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BVerwG - Entscheidung vom 22.06.2018

10 B 6.17

Normen:
IHKG § 3 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 22.06.2018 - Aktenzeichen 10 B 6.17

DRsp Nr. 2018/10197

Festsetzung eines Jahresbeitrags als Mitglied der Industriekammer und Handelskammer i.R.d. Betriebs eines Textileinzelhandels; Rücklagenbildung in der Wirtschaftsplanung mit beitragsrechtlicher Relevanz

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. November 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 696,17 € festgesetzt.

Normenkette:

IHKG § 3 Abs. 2 ;

Gründe

Die Klägerin betreibt einen Textileinzelhandel und ist Mitglied der beklagten Industrie- und Handelskammer. Mit Bescheid vom 1. März 2013 setzte die Beklagte für das Jahr 2013 vorläufig einen Jahresbeitrag in Höhe von 696,17 € fest. Die hiergegen nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Revision hat er nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung zu, die die Beklagte ihr beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ). Grundsätzliche Bedeutung ist nur gegeben, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,

ist die Rücklagenbildung in der Wirtschaftsplanung auch dann mit beitragsrechtlicher Relevanz als rechtswidrig anzusehen, wenn der Wert der liquiden Mittel des Umlaufvermögens auf der Aktivseite der Bilanz des Vorjahres die Summe des Betrages der zulässig gebildeten Rücklagen auf der Passivseite nicht erreicht, wobei die für das Wirtschaftsjahr im Erfolgsplan getroffenen Entscheidungen über die Entnahmen aus und Einstellungen in Rücklagen zu berücksichtigen sind,

verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, denn sie unterstellt einen Sachverhalt, den das Berufungsurteil nicht festgestellt hat. Der Verwaltungsgerichtshof geht zwar in Übereinstimmung mit der Beklagten davon aus, dass seit der Umstellung des Rechnungswesens der Industrie- und Handelskammern vom kameralistischen auf das doppische Haushaltssystem Rücklagen auf der Passivseite der Vermögensrechnung ausgewiesen werden und es sich anders als im kameralistischen System nicht um bei Bedarf verwendbare liquide Mittel handelt, da diese Funktion im doppischen Haushaltssystem das Umlaufvermögen übernimmt. Doppische Rücklagen dienen zusammen mit den restlichen Passivposten der Deckung der Aktivseite der Vermögensrechnung. Sie sind als Teil des Eigenkapitals zu verstehen mit der Besonderheit, dass Rücklagenpositionen gesondert ausgewiesen werden (zum Ganzen vgl. Jahn, Rücklagen und unzulässige Vermögensbildung durch Kammern, BayVBl. 2018, 258 <260>). Das Berufungsgericht nimmt zudem an, dass die auf der Passivseite einer Vermögensrechnung aufgeführten Rücklagen durch entsprechende Aktiva zu unterlegen sind, die gegebenenfalls kurzfristig aufgelöst werden können. Weiterhin hat es festgestellt, dass die Beklagte auch nach Einführung der doppischen Haushaltsführung Entnahmen aus den jeweils gebildeten Rücklagen vorgenommen hat (UA S. 13). Der Verwaltungsgerichtshof hat hingegen nicht festgestellt, dass im Wirtschaftsplan der Beklagten für das Jahr 2013 der Betrag der zulässig gebildeten Rücklagen auf der Passivseite hinter dem Wert der liquiden Mittel des Umlaufvermögens auf der Aktivseite der Bilanz zurückgeblieben wäre. Einen solchen Sachverhalt setzt aber die Fragestellung der Beklagten voraus.

2. Die weitere Frage,

ist eine Industrie- und Handelskammer, die infolge einer fehlerhaften Rücklagenbildung unzulässiges Vermögen gebildet hat, verpflichtet, die Rücklage in Höhe des unzulässigen Ansatzes vollständig im nächst erreichbaren Wirtschaftsjahr aufzulösen,

wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie geht von Annahmen aus, die dem angegriffenen Urteil nicht zugrunde liegen und deshalb für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich waren. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beitragsbescheids darauf gestützt, dass die im Wirtschaftsplan der Beklagten für das Jahr 2013 neben der allgemeinen Ausgleichsrücklage ausgewiesene "weitere" Ausgleichsrücklage rechtswidrig gewesen sei. Nach den Angaben der Beklagten in der Berufungsverhandlung sollte die allgemeine Ausgleichsrücklage dem Ausgleich allgemeiner Schwankungen im Beitragsaufkommen dienen, während die "weitere" Ausgleichsrücklage zum Ausgleich besonderer Schwankungen gedacht war, die wegen der Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit einhergehender Finanz- und Bankenkrise befürchtet worden waren. Im Hinblick auf die Höhe der "weiteren" Ausgleichsrücklage hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass eine unzulässig gebildete oder überhöhte Rücklage baldmöglichst aufzulösen oder auf ein zulässiges Maß zurückzuführen sei. Diesem Erfordernis genüge der erst mit dem Wirtschaftsplan für das Jahr 2012 einsetzende und über den Zeitraum von mehreren Jahren bis 2016 dauernde sukzessive Abbau und die Auflösung der "weiteren" Ausgleichsrücklage nicht (UA S. 18).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dabei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts orientiert, wonach die Kammer nicht nur eine überhöhte Rücklage nicht bilden darf, sondern auch eine überhöhte Rücklage baldmöglichst wieder auf ein zulässiges Maß zurückführen muss (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 18). Den Ausführungen des Berufungsgerichts lässt sich eine Verpflichtung der Industrie- und Handelskammer, eine unzulässig gebildete Rücklage vollständig im nächst erreichbaren Wirtschaftsjahr aufzulösen, nicht entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat lediglich beanstandet, dass im konkreten Einzelfall die in den Wirtschaftsplänen der Beklagten vorgesehene sukzessive Auflösung der seit 2008 gebildeten "weiteren" Ausgleichsrücklage über einen Zeitraum von 2012 bis 2016 der Anforderung, die Rücklage "baldmöglichst" zurückzuführen, nicht genüge. Es hat weder eine vollständige Auflösung überhöhter Rücklagen im nächsten Wirtschaftsjahr verlangt, noch deren schrittweise Auflösung über mehrere Wirtschaftsjahre ausgeschlossen.

3. Auch die Frage,

darf eine Industrie- und Handelskammer im Rahmen ihrer Satzungsautonomie für einzelne Zwecke aus der Menge der Vorsorgezwecke, die nach dem Finanzstatut der Kammer grundsätzlich auch durch die Ausgleichsrücklage gedeckt werden können, eine gesonderte Rücklage ansetzen,

verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie war für das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offen gelassen, ob die Bildung einer "weiteren" Ausgleichsrücklage neben der allgemeinen Ausgleichsrücklage rechtlich zulässig war (UA S. 17). Es hat seine Entscheidung tragend darauf gestützt, dass die zum Ausgleich besonderer Schwankungen im Beitragsaufkommen infolge der Finanzkrise ab 2007 gebildete "weitere" Ausgleichsrücklage rechtswidrig war, weil weder ersichtlich war noch von der Beklagten erläutert werden konnte, warum die Risiken der Finanzkrise nicht mit der allgemeinen Ausgleichsrücklage abgedeckt werden konnten. Dabei hat das Berufungsgericht berücksichtigt, dass nur zwei Drittel der Schwankungsbreite im Beitragsaufkommen (ca. 1,81 Mio. €) durch die allgemeine Ausgleichsrücklage in Höhe von 2,77 Mio. € abgebildet werden sollten und auf diese Rücklage - mit Ausnahme des Jahres 2003 - nicht zurückgegriffen wurde. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs betreffen erkennbar die Höhe der "weiteren" Ausgleichsrücklage, ohne dass es auf die Frage der Zulässigkeit der Bildung einer solchen Rücklage "dem Grunde nach" angekommen wäre.

Daneben hat das Berufungsgericht seine Feststellung, die im Wirtschaftsjahr 2013 angesetzte "weitere" Ausgleichsrücklage sei rechtswidrig, auf eine Gesamtbetrachtung der gebildeten Liquiditäts- und Ausgleichsrücklagen gestützt. Es hat die Höhe der im Jahr 2013 insgesamt gebildeten Rücklagen, die mehr als 39,5 v.H. des Betriebsaufwandes betrugen, gegenüber der für das Jahr 2016 gebildeten Ausgleichsrücklage in Höhe von etwa 28 v.H. des Betriebsaufwandes für rechtfertigungsbedürftig gehalten. Eine Erklärung für die Abweichung bei der Höhe der Rücklagen in den Wirtschaftsplänen beider Jahre konnte die Beklagte indes nicht erbringen. Unabhängig davon, ob diese berufungsgerichtlichen Ausführungen als selbständig tragende Erwägung des angegriffenen Urteils oder lediglich als zusätzliches Begründungselement für die Rechtswidrigkeit der "weiteren" Ausgleichsrücklage verstanden werden, beziehen sie sich erkennbar auf die Höhe der gebildeten Rücklage. Die Zulässigkeit der Bildung einer gesonderten Rücklage war auch für die im Urteil des Berufungsgerichts vorgenommene Gesamtbetrachtung ohne Bedeutung.

4. Schließlich rechtfertigt auch die Frage,

hat jeder noch so geringfügige Fehler in der Mittelbedarfsfeststellung im Wirtschaftsplan einer Industrie- und Handelskammer beitragsrechtliche Relevanz mit der Folge, dass die beitragsrechtlichen Regelungen der Satzung nichtig und die Beitragsbescheide mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig sind,

nicht die Zulassung der Revision. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren in dieser Allgemeinheit nicht stellen, weil sie für das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich war. Einen nur "geringfügigen Fehler in der Mittelbedarfsfeststellung", wie er der Frage der Beklagten zugrunde liegt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die vom Berufungsgericht für rechtswidrig gehaltene "weitere" Ausgleichsrücklage im Wirtschaftsplan der Beklagten für das Jahr 2013 belief sich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs auf 435 777,57 € und betrug 34,1 v.H. des Betriebsaufwandes. Entgegen dem Vortrag der Beklagten hat die Vorinstanz auch nicht "den gesamten Haushalt der Beklagten für das Jahr 2013" für rechtswidrig erklärt. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, die angegriffenen Bescheide für rechtswidrig zu erachten, weil sie nicht mit § 3 Abs. 2 IHK-Gesetz in Einklang standen. Dass im Beitragsrechtsstreit die Festsetzung des Mittelbedarfs im Wirtschaftsplan der Kammer der inzidenten gerichtlichen Überprüfung nicht entzogen ist, ist im Übrigen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 13 und 15).

5. Schließlich hat die Beklagte nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ) geltend gemacht, die divergierende Rechtsprechung der Instanzgerichte könne eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache indizieren; hierzu hat sie auf mehrere erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Urteile zur Anfechtung von IHK-Beiträgen verwiesen. Unabhängig von der Frage, ob dieses Vorbringen nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist im Beschwerdeverfahren noch Berücksichtigung finden kann, zeigt es keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Die von der Beklagten in Bezug genommene Rechtsprechung mehrerer Verwaltungsgerichte betrifft die Rechtsanwendung im Einzelfall. Dass die rechtliche Bewertung unterschiedlicher Sachverhalte zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat, liegt in der Natur der Sache und begründet keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 02.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 S 1261/14