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BVerwG - Entscheidung vom 31.07.2018

4 BN 13.18

Normen:
BNatSchG § 45 Abs. 7
VRL Art. 9 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 31.07.2018 - Aktenzeichen 4 BN 13.18

DRsp Nr. 2018/13062

Erteilung einer allgemeinen Ausnahme vom Tötungsverbot für wildlebende europäische Vogelarten in Form einer Rechtsverordnung

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2017 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BNatSchG § 45 Abs. 7 ; VRL Art. 9 Abs. 2;

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.

a) Die Frage,

ob es mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten - Vogelschutz-Richtlinie (VRL) (ABl. L 20 vom 26. Januar 2010 S. 7) - vereinbar ist, dass bei Erteilung einer allgemeinen Ausnahme vom Tötungsverbot für wildlebende europäische Vogelarten nach § 45 Abs. 7 BNatSchG in Form einer Rechtsverordnung die Art der Risiken bei Inanspruchnahme der Ausnahme nicht angegeben wird,

würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat keinen Rechtssatz des Inhalts formuliert, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. c VRL es zulässt, auf die Angabe der Art der Risiken in einer Ausnahmebewilligung zu verzichten. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass nach dieser Vorschrift u.a. die Art der Risiken in einer Ausnahmebewilligung anzugeben ist (UA S. 70 f.). Sein Befund, dass die Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 VRL und damit auch diejenigen des Buchstabens c von der Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA) vom 15. September 2014 (GVBl. LSA S. 432) beachtet werden (UA S. 71), ist für den Senat nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO bindend, weil es sich bei der Verordnung um irrevisibles Landesrecht handelt.

b) Die Frage,

ob es mit Art. 9 Abs. 2 VRL vereinbar ist, wenn § 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG lediglich eine Beachtenspflicht enthält,

ist ohne Weiteres zu bejahen. Der Antragsteller zieht nicht in Zweifel, dass das Gebot, Art. 9 Abs. 2 VRL zu beachten, zwingend ist und nicht zur Disposition des Rechtsanwenders steht. Durch die Verweisung in § 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG wird Art. 9 Abs. 2 VRL zu einer unmittelbar anwendbaren Norm des nationalen Rechts (Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/ Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Aufl. 2013, § 45 BNatSchG Rn. 22). Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Januar 2012 - C-192/11 [ECLI:EU:C:2012:44] - (NuR 2013, 718 Rn. 74) ergibt sich nicht, dass eine solche Verweisung nicht ausreicht. Es ist eine Frage der Gesetzgebungstechnik, wie eine Richtlinie des Unionsrechts in das nationale Recht umgesetzt wird. Der Sache des Unionsrechts ist durch die Verweisung auf Art. 9 Abs. 2 VRL nicht weniger gedient, als sie es wäre, wenn der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 VRL in einer Vorschrift des nationalen Rechts wiederholt würde. Dies ist auch die Botschaft der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 7. März 1996 - C-118/94 [ECLI:EU:C:1996:86] - (juris Rn. 20).

Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass der Antragsteller mit seiner Frage geklärt wissen will, ob Art. 9 Abs. 2 VRL lediglich Dokumentationspflichten regelt oder Voraussetzungen für die Erteilung von Ausnahmen normiert. Das hat mit § 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG allerdings nichts zu tun, sondern ist Gegenstand

c) der Frage,

ob es sich bei den Maßgaben, die in Art. 9 Abs. 2 VRL enthalten sind, lediglich um Vorgaben zur Ausgestaltung einer Ausnahme oder um Voraussetzungen für eine Ausnahmeerteilung handelt.

Die Frage wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Der Antragsteller entnimmt der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Januar 2012 - C 192/11 - (NuR 2013, 718 Rn. 71 ff.), dass Art. 9 Abs. 2 VRL Voraussetzungen für eine Abweichungsentscheidung normiert. Damit ist die Frage nach der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 2 VRL angesprochen. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren indes nicht stellen, weil nach den für den Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 VRL schon tatbestandlich nicht vorliegt.

d) Die Frage,

ob ein theoretischer bzw. nur kleiner oder nur unwahrscheinlicher Beitrag zur Zweckerreichung ausreicht, um einer Ausnahme die Geeignetheit zu attestieren, und ob bei der Bewertung der Geeignetheit berücksichtigt werden muss, dass die Ausnahme auch Tötungen in Situationen zulässt, mit denen kein Beitrag zur Zweckerreichung erfolgt,

ist nicht von fallübergreifender Bedeutung, sondern auf die Umstände des konkreten Falls zugeschnitten. Darüber kann die Einkleidung der Frage in eine abstrahierende Formulierung nicht hinwegtäuschen. Wann ein gewähltes Mittel nach allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätzen zur Zweckerreichung geeignet ist, ist rechtsgrundsätzlich geklärt: Geeignet ist es, wenn es zur Zweckerreichung beiträgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. August 2012 - 7 CN 1.11 - Buchholz 445.4 § 51 WHG Nr. 1 Rn. 29). Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen.

Das Oberverwaltungsgericht hat der Prüfung der Geeignetheit der Kormoranverordnung den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt (UA S. 42). Ob es danach zu dem Ergebnis gelangen durfte, die durch die Kormoranverordnung erlaubten Vergrämungsabschüsse von Kormoranen seien zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt geeignet (UA S. 42), ist trotz der Kritik des Antragstellers keine Frage, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleiht.

e) Die Frage,

ob bei der Gefahr der Verwirklichung von nicht dem Zweck dienenden Verbotstatbeständen durch Inanspruchnahme einer aufgrund einer Rechtsverordnung erteilten Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot der Geltungsbereich der Ausnahme beschränkt werden muss, wenn dadurch die Verwirklichung nicht dem Zweck dienender Verbotstatbestände verhindert oder minimiert werden kann, oder ob eine solche Beschränkung der Ausnahme mit dem Argument unterbleiben kann, dass der Verwaltungsaufwand durch die Beschränkung steigt und möglicherweise in Einzelfällen Bereiche von der Ausnahme ausgenommen werden, für die die Ausnahme gelten sollte,

dient dem Antragsteller als Anknüpfungspunkt für seine Kritik an der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Kormoranverordnung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks erforderlich sei (UA S. 48 ff.). Die Definition der Erforderlichkeit steht fest und wird vom Antragsteller nicht in Frage gestellt: Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es kein milderes Mittel gibt, das zur Zweckerreichung gleich tauglich ist (vgl. nur Götz/Geis, Polizei- und Ordnungsrecht, 16. Aufl. 2017, § 11 Rn. 24). Die Kritik des Antragstellers betrifft allein die Rechtsanwendung im Einzelfall.

f) Die Frage,

ob Tötungen gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, wenn sie nicht durch eine für die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme erforderlichen Zweckerreichung legitimiert sind,

ist in der gestellten Form nicht klärungsfähig. Sie zielt in der Sache auf die Klärung des Tatbestandsmerkmals "ohne vernünftigen Grund" in § 1 Satz 2 und § 17 Nr. 1 TierSchG . Insoweit genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen und beschränkt sich auf die Forderung, der vernünftige Grund im Tierschutzrecht müsse "materiellrechtlich" gegeben sein. Warum sich aus dem Tierschutzrecht aber andere Anforderungen als aus den im Naturschutzrecht geltenden und von der Kormoranverordnung beachteten Geboten der Geeignetheit und Erforderlichkeit ergeben sollten, legt der Antragsteller indes nicht dar.

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der gerügten Abweichung des Urteils von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof vom 26. Januar 2012 - C-192/11 - (NuR 2013, 718 ) zuzulassen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs sind nicht divergenzfähig (BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - juris Rn. 10). § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO , der die Zulassung der Revision nur bei einer Abweichung eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Bundesverfassungsgerichts vorsieht, ist abschließend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 22.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 K 127/15