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BVerwG - Entscheidung vom 14.08.2018

7 B 8.18

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 14.08.2018 - Aktenzeichen 7 B 8.18

DRsp Nr. 2018/12889

Erlöschen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Behandlung von Abfällen; Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 S. 3 VwGO verlangt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und Erläuterungen dazu, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Hierfür reicht es nicht aus, die vermeintlichen Grundsatzfragen aneinanderzureihen und als höchstrichterlich ungeklärt zu bezeichnen.2. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 27. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; VwGO § 108 Abs. 2 ;

Gründe

I

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte festgestellt hat, dass die ihr im Jahre 1997 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Behandlung von Abfällen (Bauschutt, Bau- und Gewerbeabfälle, Abbruchholz und Altreifen, jeweils unbelastet) mit Ablauf des 14. Dezember 2007 erloschen sei, weil die genehmigte Anlage zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren nicht mehr betrieben worden sei. Die im Zusammenhang mit dem Straßenbauprojekt Ortsumgehung ... im Bereich der Gemeinde L. erfolgten Abfallablagerungen und Erdmassenbewegungen auf dem Betriebsgelände der Klägerin im Jahre 2007 stellten keinen Weiterbetrieb dar; die Gründe für die Einstellung des Anlagenbetriebs seien unerheblich. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen, dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und Erläuterungen dazu, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. März 2017 - 7 B 11.16 - Rn. 5).

Daran gemessen rechtfertigen die in der Beschwerdebegründung (S. 2 f.) - sinngemäß - aufgeworfenen Fragen,

- nach welchen Kriterien (stoffliche Beschaffenheit, Herkunft, Entstehungsbranche, Gefährlichkeit) die Umschlüsselung bzw. Einstufung von Abfällen nach der Verordnung zur Umsetzung des Europäischen Abfallverzeichnisses (Abfallverzeichnis-Verordnung - AVV) vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3379 ; zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 17. Juli 2017, BGBl. I S. 2644 ) im Allgemeinen und konkret für Abfälle mit der Abfallschlüsselnummer (ASN) 31409 (Bauschutt) des Abfallartenkatalogs der Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) zu erfolgen hat,

- unter welchen Voraussetzungen Boden mit mineralischen Fremdbestandteilen als Boden oder Bauschutt, der als "Bodenersatzstoff" verwendet werden darf, anzusehen ist, sowie

- ob eine Genehmigung zur Annahme, Lagerung, Aufbereitung und Behandlung und zum Verkauf von unbelastetem Bauschutt (ASN 31409) auch die Behandlung und Verwertung von Stoffen der Abfallschlüssel 17 01 07 (Gemische aus Beton, Ziegeln, Fliesen und Keramik), 17 05 04 (Boden, Steine) und 17 06 04 (Dämmmaterial) der AVV sowie von unbelasteten Erdmassen und "Mineralboden" bzw. "Massen aus einem Erdwall" erlaubt,

die Zulassung der Revision nicht. In der Beschwerdebegründung wird weder dargelegt, warum diese Fragen in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich wären, noch, warum sie grundsätzlich klärungsbedürftig und -fähig sind. Ihr Inhalt beschränkt sich vielmehr darauf, die vermeintlichen Grundsatzfragen aneinanderzureihen und als höchstrichterlich ungeklärt zu bezeichnen. Das reicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes nicht aus. Dies gilt namentlich für die zuletzt genannte Frage, die der Sache nach die Auslegung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 15. August 1997 durch das Oberverwaltungsgericht betrifft. Gegen dessen tatrichterliche Würdigung, die Umsetzung, Behandlung und Verwertung oder Deponierung von Erdmassen werde von der Genehmigung nicht umfasst (UA S. 11), kann sich die Klägerin nicht mit einer Grundsatzrüge wenden.

2. Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Klägerin ebenfalls nicht durch.

a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO ) verstoßen, weil es entgegen der Anregung der Klägerin im Schriftsatz vom 21. August 2014 den - von ihr in Auszügen vorgelegten - Planfeststellungsbeschluss vom 25. Januar 2006 für das Straßenbauvorhaben "Um- und Ausbau der ... zwischen Neuensorga und Großebersdorf" nicht vollständig und "samt Aufstellungsvorgängen und Ausführungsplanungen" beigezogen hat. Der Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht beruht, ist die materiell-rechtliche Beurteilung der Vorinstanz zugrunde zu legen (BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2016 - 7 B 47.15 - juris Rn. 13). Davon ausgehend musste sich dem Oberverwaltungsgericht die Notwendigkeit der Beiziehung dieser Unterlagen nicht aufdrängen. Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts hätte es für die Ausdehnung der genehmigten Abfallbehandlung auf weitere Stoffe (sowie die Ausdehnung des Betriebsgeländes nach Süden) einer Änderungsanzeige oder Änderungsgenehmigung bedurft, die weder durch den Planfeststellungsbeschluss für das Straßenbauvorhaben, für das Teile des Betriebsgeländes der Klägerin in Anspruch genommen wurden, noch durch die im Zusammenhang mit der Durchführung des Vorhabens erfolgte Beauftragung der Klägerin durch das Ostthüringer Straßenbauamt ersetzt worden sei (UA S. 11). Auf den Inhalt zusätzlicher Unterlagen aus dem Planfeststellungsverfahren und der Ausführungsplanung kam es für das Oberverwaltungsgericht danach nicht an.

b) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) durch eine Überraschungsentscheidung ist nicht dargetan.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 - [insoweit in Buchholz 404 IFG Nr. 10 nicht abgedruckt] juris Rn. 16, 18 und vom 31. Juli 2013 - 6 C 9.12 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 180 Rn. 38 jeweils m.w.N.).

Daran gemessen führt das Beschwerdevorbringen, es hätten keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass das Oberverwaltungsgericht die Behandlung und Verwertung von Erdmassen und Erdaushub auf dem Betriebsgelände der Klägerin im Zusammenhang mit dem Straßenbauvorhaben als nicht von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 15. August 1997 gedeckt betrachten würde, nicht auf eine Überraschungsentscheidung. Die Frage, ob die Klägerin auf ihrem Betriebsgelände im Zeitraum vom 13. Dezember 2004 bis zum 13. Dezember 2007 Arbeiten durchgeführt hat, die von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung umfasst werden, war zentraler Gegenstand sowohl des erstinstanzlichen Verfahrens als auch des Berufungsverfahrens (vgl. Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 30. Juli 2014 - 1 ZKO 668/12 - über die Zulassung der Berufung, UA S. 3); weiterer richterlicher Hinweise bedurfte es insoweit nicht. Die Klägerin hat zu dieser Frage ausführlich vorgetragen. Dass das Oberverwaltungsgericht ihre Rechtsauffassung - wie schon das Verwaltungsgericht - im Ergebnis nicht geteilt hat, stellt keinen Gehörsverstoß in Gestalt einer Überraschungsentscheidung dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Thüringen, vom 27.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen KO