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BVerwG - Entscheidung vom 12.06.2018

2 B 31.18

Normen:
BDG § 52 Abs. 1 S. 2
BDG § 57 Abs. 1 S. 1-2

BVerwG, Beschluss vom 12.06.2018 - Aktenzeichen 2 B 31.18

DRsp Nr. 2018/9551

Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis bei Vorliegen eines schwerwiegenden einheitlichen innerdienstlichen Dienstvergehens (hier: Diebstahl von Paketen)

1. Nach § 52 Abs. 1 S. 2 BDG muss die Klageschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben sowie die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Aus der Klageschrift muss bei verständiger Lektüre eindeutig hervorgehen, welche konkreten Handlungen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.2. Die Verwaltungsgerichte sind berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen.3. Betrifft der Mangel der Disziplinarklageschrift nur einen von mehreren Pflichtenverstößen, kann das Disziplinarverfahren wegen sonstiger, von einem Mangel nicht berührter Pflichtenverstöße weitergeführt werden. Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens verlangt keine erschöpfende Sachbehandlung der in das Disziplinarverfahren einbezogenen Pflichtenverstöße, wenn das Beamtenverhältnis bereits wegen derjenigen in tatsächlicher Hinsicht abgrenzbaren Pflichtenverstöße aufzulösen sein könnte, die rechtsfehlerfrei angeschuldigt worden sind.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

BDG § 52 Abs. 1 S. 2; BDG § 57 Abs. 1 S. 1-2;

Gründe

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels gestützte Beschwerde des Beklagten (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO und § 69 BDG ) ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Der 1964 geborene Beklagte steht als Posthauptschaffner (Besoldungsgruppe A4 BBesO ) im Dienst der Klägerin. Ende Juli 2013 wurde der Beklagte durch rechtskräftig gewordenes Strafurteil wegen Diebstahls in 22 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt. Der Beklagte hatte als Postzusteller nicht ausgetragene Pakete mit nach Hause genommen, um sie am nächsten Tag zu verteilen. Da ihm dies auf Dauer nicht gelang, ging er dazu über, die Pakete zu behalten. Überwiegend vernichtete er den Inhalt der einbehaltenen Pakete, einige Elektronikgeräte nutzte er.

Mitte Juni 2013 erhob die Klägerin mit dem Vorwurf Disziplinarklage, der Beklagte habe sich in seiner Funktion als Zusteller in mindestens 57 Fällen Paketsendungen widerrechtlich zugeeignet und dadurch einen Schaden von mindestens 8 933,34 € verursacht. Zur Konkretisierung dieser Vorwürfe verwies die Klägerin weitgehend auf den Inhalt der Ermittlungsakten. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2013 hat das Verwaltungsgericht der Klägerin aufgegeben, binnen drei Monaten ab Zustellung eine hinreichend bestimmte Klageschrift einzureichen. Bisher sei der Klageschrift nicht zu entnehmen, welche Tathandlungen dem Beklagten konkret vorgeworfen werden, da jedwede Angaben zu Tatzeit, Tatort und Schadenshöhe im Bezug auf die 57 einzelnen Handlungen fehlten. Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2014 hat die Klägerin die Disziplinarklage auf die 22 vom Amtsgericht abgeurteilten Diebstähle beschränkt und den Vorwurf weiterer 35 Diebstähle von Paketsendungen fallen gelassen. Mit Beschluss vom 4. Juli 2014 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren nach § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG mit der Begründung eingestellt, die Klageschrift genüge auch nach dem ergänzenden Vortrag im Schriftsatz vom 17. Januar 2014 nicht den gesetzlichen Vorgaben. Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht diesen Einstellungsbeschluss mit der Begründung aufgehoben, die Voraussetzungen für die Einstellung nach § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG seien nicht erfüllt. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Ergänzung der Klageschrift durch den Schriftsatz vom 17. Januar 2014 den Bestimmtheitsanforderungen genüge. Die Einstellung des Verfahrens komme aber nicht Betracht, weil jedenfalls hinsichtlich der laufenden Nr. 3 und 8 der Tatvorwürfe der aus dem Strafurteil übernommenen Auflistung eine konkrete Zuordnung des Vorgangs und damit eine sachgerechte Verteidigung des Beklagten möglich gewesen sei. Verbleibende Mängel der Klageschrift führten lediglich zum Ausschluss des betroffenen Tatkomplexes, nicht aber zur Einstellung des Disziplinarklageverfahrens, wenn noch mangelfreie angeklagte Verfehlungen verblieben, die die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts rechtfertigten.

In der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht das Disziplinarverfahren auf die im Schriftsatz der Klägerin vom 17. Januar 2014 angeführten Vorfälle Nr. 3 und 8 beschränkt und den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Infolge der Aufhebung des Einstellungsbeschlusses sei das Verwaltungsgericht wieder zur Entscheidung berufen gewesen. In der Fassung des Schriftsatzes der Klägerin vom 17. Januar 2014 genüge die Disziplinarklageschrift den Bestimmtheitsanforderungen. Denn im Schriftsatz vom 17. Januar 2014 habe die Klägerin die entsprechenden Passagen des Strafurteils wiedergegeben. Der Beklagte habe in zwei Fällen Postpakete, mit deren Auslieferung er als Zusteller dienstlich betraut gewesen sei, widerrechtlich geöffnet und den Inhalt für sich verwendet. Das Notebook habe der Beklagte behalten, das Mobiltelefon habe er verkauft. Anlass für die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils bestehe nicht. Der Beklagte habe sich hierdurch eines schwerwiegenden einheitlichen innerdienstlichen Dienstvergehens im Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten schuldig gemacht. Unter Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte sei der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil er durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe.

2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und § 69 BDG ), die ihr die Beschwerde beimisst.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

a) Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache der Sache nach zunächst in der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Disziplinarklage den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügt. Diese Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist.

Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben sowie die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Auch tragen die gesetzlichen Anforderungen an die Klageschrift dem Umstand Rechnung, dass die Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder Nachtragsklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Aus der Klageschrift muss bei verständiger Lektüre deshalb eindeutig hervorgehen, welche konkreten Handlungen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f. und Beschluss vom 17. Juli 2013 - 2 B 27.12 - DokBer 2014, 39 Rn. 14 m.w.N.).

Ein hierüber hinausgehender Klärungsbedarf wird in der Beschwerde nicht dargelegt. Die Frage, ob diese Grundsätze vom Berufungsgericht auf den Einzelfall zutreffend angewendet worden sind, begründet nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

b) Bei einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung lässt sich der Beschwerdebegründung auch entnehmen, dass im Hinblick auf die Bindung der Disziplinargerichte an die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils nach § 57 BDG eine Frage aufgeworfen werden soll, die nach Auffassung des Beklagten grundsätzliche Bedeutung hat. Aber diese Ausführungen führen nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO .

§ 57 Abs. 1 Satz 1 BDG stellt lediglich auf die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ab, unterscheidet aber nicht nach Art und Höhe der ausgesprochenen Strafe und auch nicht danach, auf welche Weise das Strafgericht zu diesen Feststellungen - etwa aufgrund der Einvernahme von Zeugen oder aufgrund der Einlassungen des Angeklagten - gelangt ist. Als Ausgleich sieht das Gesetz in § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG vor, dass das Disziplinargericht die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen hat, die offenkundig unrichtig sind. Die Verwaltungsgerichte sollen nicht gezwungen werden, gleichsam "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden zu müssen. Sie sind daher berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (BVerwG, Urteil vom 29. November 2000 - 1 D 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245>; Beschlüsse vom 7. November 2014 - 2 B 45.14 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 91 Rn. 13 m.w.N. und vom 30. August 2017 - 2 B 34.17 - NVwZ-RR 2018, 239 Rn. 13).

3. Das Berufungsurteil leidet auch nicht an dem vom Beklagten der Sache nach geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 69 BDG ).

Der Sache nach bemängelt der Beklagte die Verfahrensweise des Oberverwaltungsgerichts, das die Disziplinarklageschrift in der Fassung des Schriftsatzes der Klägerin vom 17. Januar 2014 hinsichtlich der Nr. 3 und 8 der Tatvorwürfe in der Auflistung des Strafurteils als den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügend angesehen hat. Der Beklagte macht demgegenüber geltend, der Vortrag der Klägerin sei trotz richterlichem Hinweis und ausreichender Nachfristsetzung mangelhaft geblieben, sodass das Verfahren bereits aus formellen Gründen hätte eingestellt werden müssen. Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts ist aber nicht zu beanstanden.

Betrifft der Mangel der Disziplinarklageschrift nur einen von mehreren Pflichtenverstößen, kann das Disziplinarverfahren wegen sonstiger, von einem Mangel nicht berührter Pflichtenverstöße weitergeführt werden. Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens verlangt keine erschöpfende Sachbehandlung der in das Disziplinarverfahren einbezogenen Pflichtenverstöße, wenn das Beamtenverhältnis bereits wegen derjenigen in tatsächlicher Hinsicht abgrenzbaren Pflichtenverstöße aufzulösen sein könnte, die rechtsfehlerfrei angeschuldigt worden sind (BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - 2 C 80.08 - BVerwGE 135, 24 Rn. 27 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen durften die abgrenzbaren Tatvorwürfe Nr. 3 (Notebook) und 8 (Mobiltelefon) des Schriftsatzes der Klägerin vom 17. Januar 2014 zum Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemacht werden. Insoweit erfüllt die Disziplinarklageschrift in der Fassung des Schriftsatzes der Klägerin vom 17. Januar 2014 auch die Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG . Aus diesen Angaben konnte der Beklagte hinreichend deutlich entnehmen, welche konkreten Handlungen ihm als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Festgebühren nach der Anlage zu § 78 Satz 1 BDG erhoben werden.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 06.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen A 592/15 BDG