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BVerwG - Entscheidung vom 09.04.2018

4 BN 10.18

Normen:
BImSchG § 3 Abs. 1
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 24
GIRL Nr. 3.1 Tabelle 1

BVerwG, Beschluss vom 09.04.2018 - Aktenzeichen 4 BN 10.18

DRsp Nr. 2018/6936

Anwendung der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) als Orientierungshilfe für das Sondergebiet "Krematorium"; Schwelle der Erheblichkeit der Belästigung durch Umweltimmissionen hinsichtlich Nachbarschutzes

1. Die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) darf nicht rechtssatzartig, insbesondere nicht im Sinne einer Grenzwertregelung, sondern nur als Orientierungshilfe angewendet werden.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats darf die Prüfung, ob eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet, nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorgenommen werden, und sie darf nicht in einem Umfang und einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt. Das Normenkontrollgericht ist deshalb nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Für das Rechtsschutzbedürfnis gilt nichts anderes.

Tenor

Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. November 2017 werden zurückgewiesen.

Antragsgegnerin und Beigeladene zu 2 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte sowie jeweils ihre außergerichtlichen Kosten. Der Beigeladene zu 1 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BImSchG § 3 Abs. 1 ; BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 24 ; GIRL Nr. 3.1 Tabelle 1;

Gründe

Die Beschwerden haben keinen Erfolg.

I. Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin führt nicht zur Zulassung der Revision. Soweit sie überhaupt den Darlegungsanforderungen genügt, ist sie jedenfalls unbegründet.

1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist von der Antragsgegnerin nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde formuliert lediglich Fragen, die sie für grundsätzlich bedeutsam erachtet. Darlegungen zur Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen fehlen völlig.

2. Aus dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin ergibt sich nicht, dass das Normenkontrollurteil von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 - 4 C 3.16 - (BauR 2017, 1978 ) und vom 21. Dezember 2011 - 4 C 12.10 - (BVerwGE 141, 293 ) abweicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ).

Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712 ). Das ist hier nicht der Fall.

Die Beschwerde entnimmt den Urteilen des Senats vom 27. Juni 2017 (a.a.O.) und vom 21. Dezember 2011 (a.a.O.) den Rechtssatz, dass die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) nicht rechtssatzartig, insbesondere nicht im Sinne einer Grenzwertregelung, sondern nur als Orientierungshilfe angewendet werden darf und dass sie auf nicht genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nur sinngemäß Anwendung findet. Das Oberverwaltungsgericht zitiert sie mit dem Rechtssatz, dass das hier in Rede stehende Sondergebiet "Krematorium" seiner Nutzungsweise nach für Zwecke der Ermittlung der zumutbaren Geruchsstundenhäufigkeiten am ehesten einem Gewerbe- und Industriegebiet vergleichbar sei, da die sich dort nicht nur vorübergehend Aufhaltenden dies ausschließlich zum Zwecke der Berufsausübung täten und daher im Ansatz eine Geruchsstundenhäufigkeit von 0,15 als Zumutbarkeitsgrenze in die Abwägung der Antragsgegnerin hätte eingehen müssen. Hieraus folgert die Antragsgegnerin, dass das Normenkontrollgericht im Widerspruch zur zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen sei, die GIRL sei nicht nur als Orientierungshilfe, sondern rechtssatzartig anzuwenden. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist damit nicht dargetan. Das Oberverwaltungsgericht hat ausdrücklich anerkannt, dass die GIRL nicht rechtssatzartig, sondern nur als sachverständige Stellungnahme Anwendung finden könne (UA S. 9). Von diesem Rechtssatz ist es auch in der von der Beschwerde zitierten Passage nicht abgerückt. Das Oberverwaltungsgericht ist ausdrücklich nur "im Ansatz" von einer Geruchsstundenhäufigkeit von 0,15 als Zumutbarkeitsgrenze ausgegangen. Eine Heranziehung der GIRL als bloße Orientierungshilfe belegen auch die weiteren, von der Beschwerde nicht wiedergegebenen Ausführungen des Gerichts, wonach weder die Lage des Plangebiets als "Insel" in einem von Tierhaltung geprägten Außenbereich, noch der Umstand, dass die Arbeitnehmer sich ganz überwiegend in geschlossenen Räumen aufhielten, es rechtfertigten, die Zumutbarkeitsgrenze auf 0,25 anzuheben (UA S. 10). Weiter heißt es in dem angefochtenen Urteil, da sich die schutzbedürftigen Arbeitnehmer vorwiegend in geschlossenen Räumen aufhielten, sei es zwar gerechtfertigt, höhere Geruchsstundenhäufigkeiten als 0,15 (im Freien) für zumutbar zu erachten, eine Erhöhung auf 0,25 oder auch nur auf 0,20 könne damit aber nicht begründet werden (UA S. 11). Damit kann keine Rede davon sein, dass das Normenkontrollgericht dem Bundesverwaltungsgericht in der Frage der Bedeutung der GIRL die Gefolgschaft verweigert hätte.

3. Dem Normenkontrollgericht ist kein Verfahrensfehler unterlaufen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ).

a) Die Antragsgegnerin zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO ) nicht nachgekommen ist.

Die Beschwerde führt aus, Antragsgegnerin und Beigeladene zu 2 hätten vorgetragen, dass der Antragsteller seit Jahren keine Schweine auf seiner Hofstelle mehr halte, weil die alten Ställe nicht den Anforderungen an die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung genügten, und der Antragsteller bei einer genehmigungsbedürftigen Änderung der Ställe sowohl auf den benachbarten Gasthof als auch auf das bauaufsichtlich genehmigte Krematorium Rücksicht nehmen müsse. Sie rügt, das Oberverwaltungsgericht sei verpflichtet gewesen, diesem Vortrag im Rahmen der Antragsbefugnis bzw. des Rechtsschutzbedürfnisses nachzugehen und den Sachverhalt gemäß § 86 Abs. 1 VwGO weiter aufzuklären; das sei nicht geschehen. Ein Verfahrensfehler ist hiermit nicht schlüssig dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats darf die Prüfung, ob eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet, nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorgenommen werden, und sie darf nicht in einem Umfang und einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt. Das Normenkontrollgericht ist deshalb nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Damit scheidet schon tatbestandlich eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO aus (BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 - BauR 2015, 967 = juris Rn. 7, vom 14. September 2015 - 4 BN 4.15 - ZfBR 2016, 154 Rn. 15 und vom 21. Dezember 2017 - 4 BN 12.17 - BauR 2018, 667 Rn. 13). Für das Rechtsschutzbedürfnis gilt nichts anderes. Der Senat hat zudem entschieden, dass bei bestehender Antragsbefugnis regelmäßig auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. September 2015 - 4 BN 25.15 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 205 Rn. 6 m.w.N.).

b) Inwieweit das Oberverwaltungsgericht die Zulässigkeit des Normenkontrollantrages, die Antragsbefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers aus sonstigen Gründen fehlerhaft beurteilt und wesentliches Klagevorbringen übergangen haben könnte, legt die Antragsgegnerin nicht dar.

II. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Beigeladenen zu 2 bleibt ebenfalls erfolglos.

1. Die Beschwerde legt eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dar.

Die Beigeladene zu 2 entnimmt den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 - 4 C 3.16 - (BauR 2017, 1978 ) und vom 21. Dezember 2011 - 4 C 12.10 - (BVerwGE 141, 293 ) sowie dem Beschluss vom 17. Juli 2003 - 4 B 55.03 - (Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 166) den Rechtssatz, dass es für die Schwelle der Erheblichkeit der Belästigung durch Umweltimmissionen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG dann, wenn diese - wie bei Geruchsimmissionen - nicht durch Gesetz, Rechtsverordnung oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift bestimmt ist, darauf ankommt, ob die Immissionen das nach der gegebenen Situation zumutbare Maß überschreiten und dass die Zumutbarkeitsgrenze aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und insbesondere der speziellen Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebiets zu bestimmen ist. Demgegenüber habe das Oberverwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt, dass die Insellage eines einem Gewerbe- und Industriegebiet vergleichbaren Sondergebiets in einem von Tierhaltung geprägten Außenbereich die Hinnehmbarkeit einer den Immissionswert IW = 0,15 für Gewerbe- und Industriegebiete nach Tabelle 1 der GIRL nicht unerheblich übersteigenden Geruchsstundenhäufigkeit nur dann begründen könne, wenn eine Gemengelage bereits vorliege. Das Normenkontrollgericht habe "damit" - so die Beschwerde - einen Rechtssatz formuliert, der außerhalb bereits bestehender Gemengelagen eine rechtssatzartige Anwendung des Immissionswerts nach Nr. 3.1 der Tabelle 1 der GIRL fordere und mithin die nach den Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts gebotene umfassende, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende und nicht schematische Würdigung ausschließe oder beschränke. Eine Divergenz ist damit nicht aufgezeigt. Einen Rechtssatz dieses - unterstellten - Inhalts hat das Oberverwaltungsgericht nicht formuliert. Es hat sich hiervon auch der Sache nach nicht leiten lassen. Wie bereits ausgeführt, hat das Gericht ausdrücklich anerkannt, dass die GIRL nicht rechtssatzartig, sondern nur als sachverständige Stellungnahme Anwendung finden könne. Auf der Grundlage dieser - zutreffenden - Erkenntnis hat es geprüft, ob hier eine Abweichung von dem in der GIRL genannten Orientierungswert der Geruchsstundenhäufigkeit von 0,15 gerechtfertigt ist, und dies bejaht, wenngleich es eine Erhöhung der Geruchsstundenhäufigkeit auf 0,25 oder auch nur auf 0,20 ausdrücklich abgelehnt hat (UA S. 11). Dem Einwand der Beigeladenen zu 2, es bestehe die Möglichkeit, durch Einsatz von Aktivkohlefiltern in der Lüftungsanlage der Krematoriumsräume die Geruchsbelastung im Innenraum vollständig, jedenfalls aber auf den dort zumutbaren Wert von 0,15 zu senken, hat es entgegengehalten, dass im Bebauungsplan eine solche Festsetzung, die auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB möglich sei, nicht getroffen worden sei und eine entsprechende Verpflichtung im städtebaulichen Vertrag zwischen Antragsgegnerin und Beigeladener zu 2 als Absicherung hierfür nicht genüge. Dem Oberverwaltungsgericht kam es damit entscheidend auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles an.

2. Die Beigeladene zu 2 hat auch die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht dargetan (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 , § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

Die Beigeladene zu 2 möchte in einem Revisionsverfahren klären lassen, ob ein mit einem Gewerbe- und Industriegebiet vergleichbares Sondergebiet in einer durch Viehhaltung geprägten Außenbereichsumgebung zur Meidung eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot grundsätzlich nur dann unter nicht unerheblicher Überschreitung des Immissionswertes IW = 0,15 nach Nr. 3.1 der GIRL durch die auf dieses Gebiet einwirkenden Tierhaltungsgerüche hineingeplant werden darf, wenn bereits eine Gemengelage vorliegt, in die hineingeplant wird.

Die Frage führt schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision, weil sie - ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierung - auf die Abwägung im Einzelfall mit Blick auf die konkrete Planungssituation zielt. Fallübergreifende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 162 Abs. 3 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 16.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 KN 54/16