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BVerwG - Entscheidung vom 31.01.2018

4 BN 17.17 (4 CN 2.18)

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
VwGO § 108 Abs. 2
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 138 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 31.01.2018 - Aktenzeichen 4 BN 17.17 (4 CN 2.18)

DRsp Nr. 2018/4619

Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO ) wegen einer möglichen Eigentumsverletzung; Normenkontrollklage des Eigentümers eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung

1. Ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, liegt u.a. dann vor, wenn das Gericht seiner Verpflichtung, die für die Entscheidung erheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachkommt2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft. In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmt; die (potenzielle) Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht der Antragsteller nicht ungeprüft hinzunehmen. Wird folglich eine von § 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans unmittelbar betroffen, dann kommt es für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht darauf an, dass diese Betroffenheit mehr als geringfügig, schutzwürdig oder für die Gemeinde erkennbar ist. Es genügt die Eigentumsbetroffenheit als solche. Die Frage des Vorliegens einer Rechtsverletzung und damit der Antragsbefugnis kann in einem solchen Fall auch nicht auf der Grundlage eines Vergleichs der bisherigen mit der durch den Bebauungsplan geschaffenen Rechtslage verneint werden.

Tenor

1.

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 gegen das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. März 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin zu 1 trägt die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.

2.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin zu 2 wird die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 9. März 2017 aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Antragstellerin zu 2 folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

3.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren der Antragstellerin zu 1 auf 30 000 € und für das Revisionsverfahren der Antragstellerin zu 2 vorläufig auf 30 000 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; VwGO § 108 Abs. 2 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2 ; VwGO § 138 Nr. 3 ;

Gründe

1. Die ausschließlich auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin zu 1 bleibt ohne Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat ihr Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ) nicht verletzt.

Ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, liegt u.a. dann vor, wenn das Gericht seiner Verpflichtung, die für die Entscheidung erheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachkommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392>; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985 - 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 und vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.; Beschluss vom 15. November 2017 - 4 B 13.17 - juris Rn. 7; jeweils m.w.N.). Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Die Antragstellerin zu 1 rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe ihren Vortrag im Schriftsatz vom 17. September 2015 (Bl. 37 ff. d. GA) nicht zur Kenntnis genommen, wonach sich der von ihr gemietete und betriebene ...-Markt jedenfalls deshalb im Plangebiet befinde, weil die mit einem Geh- und Fahrrecht zu belastende Teilfläche des Grundstücks Flurstück Nr. .../... (Privatstraße) als Zu- und Ausfahrt zur H. Straße integrierter Bestandteil des im Sondergebiet 1 von ihr betriebenen Marktes sei. Der Vorwurf ist unbegründet, denn dem von ihr genannten Schriftsatz lässt sich eine solche Behauptung nicht entnehmen. Dort wird zwar einleitend im Rahmen der Beschreibung der örtlichen Situation davon gesprochen, dass das Grundstück B.straße ..., das aus den Grundstücken Flurstück Nr. .../..., .../..., .../... und .../... - ... bestehe, teilweise im räumlichen Geltungsbereich des angefochtenen Bebauungsplans liege. Im Rahmen der Erörterungen zur Antragsbefugnis stellt die Antragstellerin zu 1 aber in der Sache auf die Antragsbefugnis eines Eigentümers ab, dessen Grundstück außerhalb des Plangebiets liegt (vgl. Bl. 41 f. d. GA), was durch den Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 6. Dezember 2000 - 4 BN 59.00 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 144) verdeutlicht wird. In diesem Sinne hat auch die Antragsgegnerin die Ausführungen verstanden (vgl. Schriftsatz vom 3. Dezember 2015 S. 3, Bl. 70 d. GA). Für den Verwaltungsgerichtshof bestand daher keine Veranlassung, zur Frage Stellung zu nehmen, ob der von der Antragstellerin zu 1 betriebene Markt deshalb (teilweise) im Plangebiet liegt, weil diesem auch die im Plangebiet befindliche private Erschließungsstraße zuzurechnen ist.

2. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin zu 2 ist begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zuzulassen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (BVerwG, Urteil vom 10. März 1998 - 4 CN 6.97 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123). In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ); die (potenzielle) Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht der Antragsteller nicht ungeprüft hinzunehmen. Wird folglich eine von § 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans unmittelbar betroffen, dann kommt es für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht darauf an, dass diese Betroffenheit mehr als geringfügig, schutzwürdig oder für die Gemeinde erkennbar ist. Es genügt die Eigentumsbetroffenheit als solche (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2013 - 4 BN 15.13 - BauR 2014, 90 ). Die Frage des Vorliegens einer Rechtsverletzung und damit der Antragsbefugnis kann in einem solchen Fall auch nicht auf der Grundlage eines Vergleichs der bisherigen mit der durch den Bebauungsplan geschaffenen Rechtslage verneint werden (BVerwG, Urteil vom 10. März 1998 a.a.O.).

Von dieser Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof in dem angefochtenen Normenkontrollurteil entscheidungserheblich abgewichen. Er hat die Antragsbefugnis der eigentumsbetroffenen Antragstellerin zu 2 u.a. deshalb verneint, weil aufgrund eines Vergleichs der Festsetzungen des Ursprungs- und des angefochtenen Änderungsbebauungsplans nicht ersichtlich sei, dass die Antragstellerin zu 2 durch die mit der streitgegenständlichen Änderungsplanung einhergehende geringfügige Erweiterung der baulichen Nutzungsmöglichkeiten ihres Grundstücks in ihren Rechten verletzt sein könne (UA S. 11). Eine Eigentumsbetroffenheit der Antragstellerin zu 2 hat er auch im Hinblick auf die Erweiterung des Geh- und Fahrrechts zugunsten der neu in das Plangebiet einbezogenen Grundstücke verneint, weil eine bestehende Belastung (Geh- und Fahrrecht) zugunsten der in den Bebauungsplan neu aufgenommenen Grundstücke nur "fortgeschrieben" worden sei (UA S. 10).

3. Die Kostenentscheidung für die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts folgt insofern aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren der Antragstellerin zu 2 beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 09.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 C 1255/15