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BVerwG - Entscheidung vom 12.07.2018

2 WA 1.17 D

Normen:
GG Art. 97 Abs. 1
GVG § 198 Abs. 1 S. 1
GVG § 198 Abs. 2 S. 1 bis 3
GVG § 198 Abs. 3 S. 1 und 2
GVG § 198 Abs. 4
GVG § 198 Abs. 5 S. 1
GVG § 198 Abs. 6 Nr. 1
GVG § 199 Abs. 3 S. 1
GVG § 200 S. 2
GVG § 201 Abs. 4
WDO § 91 Abs. 1 S. 3
WDO § 99 Abs. 1 S. 4
VwGO § 90 S. 2
StPO § 275 Abs. 1 S. 2
GG Art. 97 Abs. 1
GVG § 198 Abs. 1 S. 1
GVG § 198 Abs. 2 S. 1-3
GVG § 198 Abs. 3 S. 1-2
GVG § 198 Abs. 4
GVG § 198 Abs. 5 S. 1
GVG § 198 Abs. 6 Nr. 1
GVG § 199 Abs. 3 S. 1
GVG § 200 S. 2
GVG § 201 Abs. 4
WDO § 91 Abs. 1 S. 3
WDO § 99 Abs. 1 S. 4
VwGO § 90 S. 2
StPO § 275 Abs. 1 S. 2
WDO § 91 Abs. 1 S. 3
WDO § 99 Abs. 1 S. 4
GVG § 198 Abs. 4 S. 1

Fundstellen:
DÖV 2019, 204
NJW 2019, 320

BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - Aktenzeichen 2 WA 1.17 D

DRsp Nr. 2018/18788

Anspruch eines ehemaligen Soldaten auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens; Vorliegen eines Zeitraums gerichtlicher Untätigkeit von annähernd 26 Monaten

Bei der Prüfung, ob allein die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreicht (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ), sind auch bei der Wiedergutmachung wegen eines immateriellen Nachteils die vom Beteiligten durch die Verfahrensdauer erlangten finanziellen Vorteile einzubeziehen.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Verfahrensdauer in dem gerichtlichen Disziplinarverfahren vor dem Truppendienstgericht ... unangemessen war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Normenkette:

WDO § 91 Abs. 1 S. 3; WDO § 99 Abs. 1 S. 4; GVG § 198 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I

Der Kläger macht einen Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens geltend.

1. Der Kläger war Soldat auf Zeit. Im September 2014 wurde er wegen eines Dienstvergehens vorläufig des Dienstes enthoben. Bis auf Weiteres wurde die Hälfte seiner Dienstbezüge einbehalten. Der Kläger hatte ohne militärische Verwendung den Ausgang des Disziplinarverfahrens abzuwarten.

2. Nach ordnungsgemäßer Anschuldigung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft wurde sein wehrdienstgerichtliches Disziplinarverfahren (Stammverfahren) am 23. Juli 2015 beim Truppendienstgericht ... anhängig. Im Stammverfahren hat der anwaltlich vertretene Kläger nach gerichtlich gewährter Fristverlängerung unter dem 10. September 2015 schriftsätzlich die Dienstpflichtverletzungen eingeräumt. Er hat angekündigt, im Hauptverhandlungstermin ein entsprechendes Geständnis abzulegen, um kurzfristige Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins gebeten und auf die Ladung von Zeugen verzichtet. Nachdem vom Gericht mehr als sieben Monate nichts veranlasst worden ist, hat der Soldat unter dem 19. April 2016 eine unangemessene Verfahrensdauer gerügt. Auf Nachfrage hat der zuständige Kammervorsitzende dem Präsidenten des Truppendienstgerichts im Februar 2017 berichtet, keinen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen zu können, weil noch zeitlich vorrangige ältere Verfahren zur Hauptverhandlung anstünden.

Am 31. August 2017 erreichte der Soldat das Ende seiner aktiven Dienstzeit; er konnte danach einer anderweitigen beruflichen Betätigung nachgehen und erhielt ab 1. September 2017 monatlich ... € - 30 vom Hundert der vorgesehenen Übergangsgebührnisse - ausbezahlt.

Unter dem 19. Oktober 2017 ließ der Vorsitzende ermitteln, ob Beteiligte und Zeugen für den avisierten Hauptverhandlungstermin zur Verfügung stünden. Am 7. November 2017 hat er Termin zur Hauptverhandlung am 13. Dezember 2017 verfügt. Das in ihr verkündete Urteil gelangte am 15. Januar 2018 zur Geschäftsstelle und wurde dem Kläger am 20. Januar 2018 zugestellt. Mit ihm wurde dem Kläger das Ruhegehalt aberkannt. Das Urteil erwuchs mit Ablauf des 20. Februar 2018 in Rechtskraft, nachdem die vom Kläger verfristet eingelegte Berufung verworfen worden war.

In dem Urteil des Truppendienstgerichts heißt es, auch wenn von einer ausschließlich dem Staat zuzurechnenden unangemessenen Verfahrensdauer in dem für die Beteiligten bedeutsamen Verfahren auszugehen sei, könne dies nicht maßnahmemildernd berücksichtigt werden, weil die Höchstmaßnahme auszusprechen sei.

3. Im Dezember 2016 hatte der Kläger ... erfolglos aufgefordert, ihm wegen der unangemessenen Verfahrensdauer des Stammverfahrens Entschädigung zu leisten.

4. Zur Begründung der vor dem Bundesverwaltungsgericht erhobenen und der Beklagten am 10. Februar 2017 zugestellten Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Stammverfahrens macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Er habe die Beklagte erfolglos zur Entschädigungszahlung aufgefordert und im Jahr 2015 sowohl gegenüber der Wehrdisziplinaranwaltschaft als auch im April 2016 gegenüber dem Truppendienstgericht Verzögerungsrüge erhoben. Anlass zu Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde, habe bestanden. Die Verfahrensdauer sei nicht angemessen, weil das Stammverfahren nach seinem Geständnis keine Schwierigkeit mehr aufgewiesen habe. Die Verfahrensdauer habe für ihn eine besondere Härte begründet, weil Bewerbungen an seiner ungewissen beruflichen Perspektive gescheitert seien und er zu Nebenerwerbstätigkeiten gezwungen gewesen sei. Anders als von der Beklagten angenommen, sei bei der Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer auch der vorgerichtliche Verfahrenszeitraum einzubeziehen. Unzutreffend gehe die Beklagte auch davon aus, dass er durch die bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Ruhegehalts fortgesetzte Alimentierung von der Verfahrensdauer profitiert habe. Damit bleibe unbeachtet, dass sich durch die Kürzung der Bezüge seine Lebenshaltungskosten nicht reduziert hätten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, wegen unangemessener Dauer des unter dem Aktenzeichen ... (Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich ...) und ... (Truppendienstgericht ...) geführten Verfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 2 100 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die pauschale Aussage des Klägers, eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr sei nicht zu rechtfertigen, überzeuge angesichts der Einzelfallumstände nicht. Zwar liege ein sachgleiches Strafurteil vor; es betreffe jedoch nur den Anschuldigungspunkt 1. Hinsichtlich der sonstigen Anschuldigungspunkte gebe es nur einen Strafbefehl ohne bindende Tatsachenfeststellungen. Die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe seien auch bedeutsam gewesen, weil ihm deshalb die Höchstmaßnahme gedroht habe. Das Truppendienstgericht habe nur deshalb keinen früheren Verhandlungstermin bestimmt, weil zeitlich vorrangig zu entscheidende ältere Verfahren angestanden hätten.

5. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte 2 WA 1.17 D nebst Beiakten, die Gerichtsakten des Verfahrens ... und die Personalgrundakte des Klägers Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II

1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig.

a) Sie wurde insbesondere gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG , § 90 Satz 2 VwGO am 10. Februar 2017 und somit mehr als sechs Monate nach der im April 2016 im Stammverfahren geltend gemachten Verzögerungsrüge rechtshängig (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 - NJW 2014, 2443 Rn. 17; BSG , Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 5 Rn. 19 ff.).

b) Da der Kläger vor Klageerhebung bei der Beklagten erfolglos einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht hat, kann dahingestellt bleiben, ob anderenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis deshalb zu versagen wäre, weil er nicht versucht hätte, den Anspruch auf einfachere, schnellere und billigere Art durchzusetzen (gegen ein Antragserfordernis: BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 5 B 3.14 D - juris Rn. 15; OVG Münster, Urteil vom 28. September 2015 - 13 D 116/14 - juris Rn. 40 m.w.N.).

c) Dem Kläger fehlt auch nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil bereits im Urteil des Truppendienstgerichts eine überlange Dauer anerkannt wurde. § 199 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GVG , der aus den im Urteil des Senats vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - (Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 22 ff.) dargelegten Erwägungen auch im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren Anwendung findet, versagt eine Wiedergutmachung durch das Entschädigungsgericht nur dann, wenn das Gericht nicht nur eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, sondern sie auch zugunsten des Klägers berücksichtigt hat. Gerade an einer Berücksichtigung der Verfahrensdauer hat sich das Truppendienstgericht bei der Maßnahmebemessung jedoch gehindert gesehen, weil es - in Übereinstimmung mit der ständigen Senatsrechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 2. November 2017 - 2 WD 3.17 - juris Rn. 71 m.w.N.) - die disziplinarische Höchstmaßnahme ausgesprochen hat.

2. Die Klage ist teilweise begründet. Dem Kläger steht zwar kein Anspruch auf Entschädigung nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i.V.m. § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, Satz 3 GVG , wohl aber nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i.V.m. § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 4 GVG auf Feststellung einer unangemessenen Dauer des Stammverfahrens zu. Dass er dies in der Hauptverhandlung nicht beantragt hat, schadet nicht, weil § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 GVG eine solche Feststellung ohne Antrag zulässt.

a) Die Beklagte ist passivlegitimiert. Dies folgt aus § 200 Satz 2 GVG (vgl. BSG , Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 Rn. 17) i.V.m. dem Umstand, dass die Truppendienstgerichte gemäß § 69 WDO Gerichte des Bundes sind.

b) Ein Entschädigungsanspruch ist nicht schon nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG ausgeschlossen, weil der Kläger die Verfahrensdauer am 19. April 2016 nicht wirksam gerügt hätte (Verzögerungsrüge). Sie darf gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Eine noch vor dem Bestehen einer entsprechenden Besorgnis erhobene Verzögerungsrüge ist unwirksam (BFH, Urteil vom 26. Oktober 2016 - X K 2/15 - BFHE 255, 407 Rn. 46; BSG , Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 Rn. 19).

Bei der Bestimmung des Zeitpunkts, von dem ab "Anlass zur Besorgnis" i.S.v. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG besteht, verlangen Gesetzesbegründung, Rechtsprechung und rechtswissenschaftliches Schrifttum einhellig eine Situation, in der ein Verfahrensbeteiligter (§ 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG ) erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessenen zügigen Fortgang nimmt, sich folglich die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung abzeichnet (BT-Drs. 17/3802 S. 20; BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 - NJW 2014, 2443 Rn. 16; BFH, Urteil vom 26. Oktober 2016 - X K 2/15 - BFHE 255, 407 Rn. 47 ff.; Rathmann, in: Saenger, ZPO , 7. Aufl. 2017, § 198 GVG Rn. 18). Grundlage der Prognose haben danach objektive Gründe zu sein, die bei einer ex-ante-Betrachtung aus der Sicht eines vernünftigen Rügeführers im konkreten Einzelfall eine überlange Verfahrensdauer hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen (OVG Münster, Urteil vom 10. Februar 2017 - 13 D 36/16 - juris Rn. 19 und Beschluss vom 15. Februar 2018 - 13 D 68/17 - juris Rn. 5 f. m.w.N.).

Nach Maßgabe dessen stand zum Zeitpunkt der Rügeerhebung am 19. April 2016 berechtigter Anlass zur Besorgnis i.S.d. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG . Das gerichtliche Verfahren dauerte zum Zeitpunkt der Rügeerhebung bereits neun Monate an, ohne dass das Truppendienstgericht auf die geständige Einlassung und die Bitte des Klägers vom 10. September 2015 reagiert hatte, zeitnah zu terminieren. Insbesondere traf das Truppendienstgericht keine Anstalten, einen Verhandlungstermin abzustimmen, obwohl die Sache für die Beteiligten augenscheinlich von besonderer Bedeutung und - bis zum Ausscheiden des Klägers aus dem Dienst im September 2017 - auch von besonderer Dringlichkeit war. Bedeutung und Dringlichkeit folgten insbesondere für den Kläger aus dem Umstand, dass er bereits seit September 2014 des Dienstes vorläufig enthoben worden war, seine Dienstbezüge um die Hälfte gekürzt worden waren und zudem - bereits ausweislich der Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung vom 4. September 2014 - die Höchstmaßnahme im Raum stand (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 2 WD 13.15 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 202 Nr. 51 Rn. 68). Damit lagen Umstände vor, die bei einem vernünftigen Verfahrensbeteiligten die Besorgnis entstehen lassen durften, dass das Verfahren nicht binnen angemessener Dauer entschieden werden würde.

c) Das Stammverfahren war unangemessen lang, sodass gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG ein immaterieller Vermögensnachteil des Klägers vermutet wird. Umstände, die jene gesetzliche Vermutung widerlegen, sind von der Beklagten weder geltend gemacht worden noch ersichtlich (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 56; BGH, Urteil vom 13. April 2017 - III ZR 277/16 - NJW 2017, 2478 Rn. 20).

aa) Maßgeblicher Bezugszeitraum für die Bestimmung der auf ihre Angemessenheit zu überprüfenden Verfahrensdauer bildet gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbs. 1 GVG der Zeitraum von der Einleitung des Verfahrens, mithin der Anhängigkeit des Stammverfahrens am 23. Juli 2015 (§ 99 Abs. 1 Satz 4 WDO ), bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des truppendienstgerichtlichen Urteils am 21. Februar 2018 (zum Bezugspunkt formelle Rechtskraft: BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 19 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - NJW 2016, 3464 Rn. 12). Der Zeitraum vor Vorlage der Anschuldigungsschrift scheidet hingegen gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO aus (BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 12).

bb) Ob die Verfahrensdauer unangemessen ist, bemisst sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit (aaa) und der Bedeutung des Verfahrens (bbb), dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (ccc), sowie unter Berücksichtigung der Prozessförderung des Gerichts (ddd), ohne dass feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte zugrunde zu legen wären (BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 13 m.w.N.).

aaa) Der Rechtsstreit war nach Abgabe der Stellungnahme des Klägers vom 10. September 2015 in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr schwer. Dessen geständige schriftsätzliche Einlassung ließ die Notwendigkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmungen entfallen, zumal zum Anschuldigungspunkt 1 bereits strafgerichtlich bindende Feststellungen vorlagen. Dem entspricht, dass in der Hauptverhandlung nur noch zwei Zeugen - überwiegend als Leumundszeugen - vernommen wurden. Zwar hindern geständige schriftsätzliche Einlassungen den Kläger nicht, sich in der Hauptverhandlung abweichend einzulassen; Anhaltspunkte dafür bestanden bei dem anwaltlich vertretenen und beratenen Kläger indes nicht. Darüber hinaus wäre ein wechselndes Aussage- und Prozessverhalten des Klägers, welche eine Vertagung nach sich gezogen hätte, ihm i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GVG nachteilig zuzurechnen gewesen.

Die Beurteilung der Rechtslage war ebenfalls nicht schwer. Der Fall warf keine bislang ungeklärten Rechtsfragen auf. Wie dem Urteil des Truppendienstgerichts zu entnehmen ist, war insbesondere der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen durch die Senatsrechtsprechung geklärt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. Januar 2017 - 2 WD 12.16 - DokBer 2017, 211 Rn. 41).

bbb) Die Sache war für den Kläger zudem aus den bereits dargelegten Gründen von besonderer Bedeutung. Ebenso war sie es für die Beklagte, die ihn während der Dauer des Stammverfahrens weiter (teil-)alimentieren musste.

ccc) Weder der Kläger noch sein Verteidiger haben im Stammverfahren prozessordnungswidrig agiert oder das Verfahren verzögert. Der Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist bis zum 10. September 2015 ist dem Kläger nicht nachteilig anzurechnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 48). Zum einen ist ihm vom Truppendienstgericht stattgegeben worden; zum anderen wurde der Zeitraum vom Verteidiger prozessfördernd dazu genutzt, die Komplexität des Streitstoffs durch eine geständige Einlassung des Klägers zu reduzieren. Auch nach Ladung der Sache hat der Verteidiger auf Anfragen des Truppendienstgerichts konstruktiv reagiert und zu keiner Verfahrensverzögerung beigetragen. Er war zudem nicht gehalten, das Gericht zusätzlich zur Verzögerungsrüge durch Aufforderungen zum zeitnahen Abschluss des Verfahrens anzuhalten (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 4 Rn. 37).

Danach liegt ein Zeitraum gerichtlicher Untätigkeit von annähernd 26 Monaten vor, der ausschließlich aus der gerichtlichen Sphäre herrührt. Er beginnt mit dem Eingang der geständigen Einlassung des Klägers am 10. September 2015 zu laufen, da die Sache damit "ausgeschrieben" war. Danach förderte der Vorsitzende der Truppendienstkammer das Verfahren erstmals wieder am 19. Oktober 2017 durch die Aufnahme von Ermittlungen zu etwaig zu ladenden Zeugen und Beteiligten. Da sich dem am 7. November 2017 zeitnah die Ladung zur Hauptverhandlung am 13. Dezember 2017 anschloss, das dort gefällte Urteil innerhalb der nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StPO maßgeblichen Absetzungsfrist am 15. Januar 2018 zur Geschäftsstelle gegeben und dem Soldaten unverzüglich am 20. Januar 2018 zugestellt wurde, lagen keine weiteren Zeiträume gerichtlicher Untätigkeit vor.

ddd) Das Gericht hat allerdings seine Pflicht, den Prozess zu fördern und auf eine Entscheidung in angemessener Zeit hinzuwirken, nicht in den gesamten 26 Monaten verletzt. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und dass ihm - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG ) - ein Gestaltungsspielraum zusteht, wann und wie es eine Sache in Abstimmung mit anderen Sachen terminiert oder sonst fördert. Mit ihm wird des Weiteren dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache für deren rechtliche Durchdringung Zeit benötigt, um dem rechtsstaatlichen Postulat gerecht zu werden, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - NJW 2016, 3464 Rn. 24). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen deshalb nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BVerwG, Urteile vom 14. September 2017 - 2 WD 4.17 - NZWehrr 2018, 39 <43> m.w.N. und vom 15. Dezember 2017 - 2 WD 1.17 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 55 Rn. 89 ff.).

Verzögerungszeiten, die der hohen Belastung einer Truppendienstgerichtskammer und damit strukturellen Mängeln geschuldet sind, rechtfertigen es allerdings nicht, einen Soldaten länger als nötig den Belastungen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens auszusetzen. Dies gilt auch für Zeiten, in denen ein Verfahren wegen einer vakanten Richterplanstelle nicht gefördert werden kann (BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 14 m.w.N.).

Hiernach stand dem Truppendienstgericht ab der mit der geständigen Einlassung des Soldaten am 10. September 2015 sowie dem Ablauf der dazu eingeräumten Stellungnahmefrist beginnenden Entscheidungsreife ein Gestaltungsspielraum von gut fünf Monaten zu. Der darüber hinausreichende Zeitraum war bei Einbeziehung der unter aaa) bis ccc) dargelegten Abwägungsparameter sachlich nicht mehr zu rechtfertigen. Der nach der geständigen Einlassung des Klägers in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr und in rechtlicher Hinsicht von vornherein nicht komplexe Rechtsstreit war für den zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des Stammverfahrens noch im aktiven Soldatenverhältnis stehenden Kläger von besonderer Bedeutung, weil ihm seine Dienstbezüge gekürzt worden waren und er vorläufig des Dienstes enthoben worden war. Ihm war dadurch einerseits die Möglichkeit genommen, sich beim Dienstherrn nachzubewähren, und andererseits der Weg versperrt, sich beruflich neu zu orientieren. Insbesondere diese massiven Belastungen hätten veranlassen müssen, dessen Verfahren vorzuziehen und die Bearbeitung älterer Verfahren, bei denen für die Kläger weniger einschneidende Auswirkungen verbunden waren, zurückzustellen.

d) Zur Wiedergutmachung der mit der überlangen Verfahrensdauer verbundenen Nachteile ist im vorliegenden Fall gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Feststellung ausreichend, dass das Verfahren unangemessen lang gedauert hat. Eine finanzielle Entschädigung der erlittenen immateriellen Nachteile ist hier nicht erforderlich.

Ob eine Feststellung zur Wiedergutmachung ausreicht, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (BVerwG, Urteile vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 34 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - NJW 2016, 3464 Rn. 45; Frehse, Die Kompensation der verlorenen Zeit, 1. Aufl. 2017, S. 1016 ff. m.w.N.). In den Abwägungsvorgang ist namentlich einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, weitergehende immaterielle Schäden erlitten wurden oder die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt. Darüber hinaus kann einzustellen sein, welches Ausmaß die Unangemessenheit der Verfahrensdauer aufweist und ob das Ausgangsverfahren eine besondere Dringlichkeit hatte oder sie entfallen ist (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 57). Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen. Denn das im Entschädigungsrecht allgemein anerkannte Prinzip des Vorteilsausgleichs findet auch im Rahmen der §§ 198 ff. GVG Anwendung (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 55).

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob sich aus der Subsidiaritätsklausel des § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GVG eine gesetzliche Wertung dahingehend ableitet, dass die Entschädigung den Regel- und die Feststellung den Ausnahmefall bildet (vgl. BSG , Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 Rn. 44 ff.; OLG Celle, Urteil vom 20. November 2013 - 23 SchH 3/13 - NJW-RR 2014, 889 <890>; a.A.: Pietron, Die Effektivität des Rechtsschutzes gegen überlange Verfahrensdauer, 1. Aufl. 2016, S. 157 ff.) oder § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GVG ein lediglich negatives Tatbestandsmerkmal bildet (OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - NVwZ 2013, 1095 Rn. 31; vgl. auch Frehse, Die Kompensation der verlorenen Zeit, 1. Aufl. 2017, S. 1023 f.). Denn auch wenn eine gesetzliche Vermutung für die Entschädigung als Regelfolge bestünde, bleibt die Feststellung ausreichend.

Der Senat verkennt zwar nicht, dass das Ausgangsverfahren vor allem für den Kläger wegen der im Raum stehenden Höchstmaßnahme bedeutsam und für ihn mit erheblichen Belastungen verbunden war und er auch nicht zur unangemessenen Verfahrensdauer beigetragen hat. In den Blick nimmt der Senat des Weiteren, dass der Zeitraum gerichtlicher Untätigkeit weit über ein Jahr hinausreichte. Der Senat geht auch nicht davon aus, dass der Kläger nach seiner vorläufigen Dienstenthebung durch die hälftige Fortzahlung seiner Bezüge einen anrechenbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat. Mit Recht macht der Soldat insoweit geltend, dass er bis zum Ende seiner aktiven Dienstzeit am 31. August 2017 durch das fortbestehende Soldatenverhältnis zumindest faktisch bei seinen Bewerbungen um andere Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht zum Zuge kam und dass der Staat mit der Fortzahlung der hälftigen Bezüge nur seiner Alimentationspflicht nachkam. Daher lag darin kein verzögerungsbedingter finanzieller Vorteil, der die mit der überlangen Verfahrensdauer verbundenen immateriellen Nachteile aufgewogen hätte.

Die mit dem unsicheren dienstrechtlichen Status verbundenen Bewerbungsnachteile erledigten sich für den Kläger jedoch zum September 2017, weil er seinerzeit regulär aus dem Dienst ausschied und eine andere Arbeitsstelle antrat. Die Dringlichkeit des Verfahrens reduzierte sich dadurch erheblich. Hinzu tritt, dass dem Kläger nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis bis zur Rechtskraft des truppendienstgerichtlichen Urteils noch Übergangsgebührnisse von monatlich ... € netto zuflossen. Sie hätten ihm bei einer angemessenen Verfahrensdauer und bei einem somit wesentlich früheren Abschluss des Disziplinarverfahrens, in dem auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt wurde, nicht mehr zugestanden. Diesen verzögerungsbedingten wirtschaftlichen Vorteilen standen in dem gut fünfmonatigen Zeitraum zwischen regulärem Ausscheiden aus dem Dienst und Rechtskrafteintritt keine wirtschaftlichen Nachteile mehr entgegen. Dem Kläger flossen damit etwa ... € und damit mehr zu, als ihm nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG als Entschädigungsanspruch zugestanden hätte.

Dieser finanzielle Vorteil ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, zumal Schadenseintritt und Vorteil einen adäquaten Ursachenzusammenhang aufweisen (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2016 - XII ZR 148/14 - NJW 2016, 1961 Rn. 24 f.). Einen Vorteilsausgleich vorzunehmen widerspricht auch nicht dem Charakter des wegen eines immateriellen Schadens geltend gemachten Klagebegehrens. Der Gesetzgeber hat auch bei einem immateriellen Schaden nicht zwingend eine finanzielle Entschädigung vorgesehen, sondern die Entschädigungsgerichte durch § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GVG ermächtigt, wegen einzelfallbezogener Umstände davon abzuweichen. Den mit einer unangemessen langen Verfahrensdauer verbundenen finanziellen Vorteilen kompensatorische Bedeutung beizumessen, widerspricht daher nicht der ratio legis. Dem entspricht, dass sie bereits in wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren bei der Gewichtung einer unangemessenen Verfahrensdauer eingestellt werden (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 23. April 2015 - 2 WD 7.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 48 Rn. 59 und vom 24. Januar 2018 - 2 WD 11.17 - juris Rn. 45).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG . Es entsprach der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens ... aufzuerlegen. Wird - wie hier - auf Wiedergutmachung durch Feststellung der überlangen Verfahrensdauer erkannt, ist die gleichzeitige Freistellung des Klägers von den Kosten die Regel (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 16). Davon abzuweichen, besteht kein Anlass. Der Kläger hat keine den Streitwert unangemessen hoch treibenden unverhältnismäßigen Entschädigungsforderungen geltend gemacht (BT-Drs. 17/3802 S. 26). Zudem sind die zum Fortfall des Entschädigungsanspruchs führenden Vorteile erst nach Erhebung der Entschädigungsklage eingetreten.

Verkündet am 12. Juli 2018

Fundstellen
DÖV 2019, 204
NJW 2019, 320