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BGH - Entscheidung vom 15.05.2018

XI ZR 199/16

Normen:
BGB § 242
BGB § 355 Abs. 1
BGB § 355 Abs. 2

BGH, Urteil vom 15.05.2018 - Aktenzeichen XI ZR 199/16

DRsp Nr. 2018/8986

Wirksamkeit eines erklärten Widerrufs von auf den Abschluss von drei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen; Prüfung des Ablaufs der Widerrufsfrist

Mit der Wendung "der schriftliche Vertragsantrag" wird nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Bedingung für das Anlaufen der Widerrufsfrist die Vertragserklärung des Verbrauchers ist. Für den durch objektive Auslegung ermittelten Belehrungsfehler ist nur entscheidend, ob die Belehrung durch die missverständliche Fassung objektiv geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 5. April 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 242 ; BGB § 355 Abs. 1 ; BGB § 355 Abs. 2 ;

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des vom Kläger erklärten Widerrufs seiner auf den Abschluss von drei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen.

Die Parteien schlossen am 29. Juli 2009 in einer Filiale der Beklagten drei Darlehensverträge in Höhe von insgesamt 1.200.000 € zu einem bis zum 30. Juli 2024 bzw. bis zum 30. Juni 2019 festgeschriebenen Nominalzins von 4,99% bzw. 4,05% p.a.

Dabei belehrte die Beklagte den Kläger über sein Widerrufsrecht bei allen drei Verträge inhaltsgleich wie folgt:

Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen. Mit Schreiben vom 30. April 2015 widerrief er seine auf Abschluss der drei Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen.

Die auf Feststellung, dass die Darlehensverträge durch die Widerrufserklärungen jeweils "beendet" worden sind, gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht dem sprachlich neu gefassten Antrag, dass die Darlehensverträge durch den Widerruf jeweils ex nunc in Rückabwicklungsschuldverhältnisse umgewandelt worden sind, stattgegeben.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung des Klägers weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht (OLG Stuttgart, Urteil vom 5. April 2016 - 6 U 145/15, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Feststellungsklage sei zulässig. Auf den Vorrang der Leistungsklage könne der Kläger nicht verwiesen werden, wenn - wie hier - der Saldo der nach Widerruf entstehenden wechselseitigen Ansprüche für ihn negativ sei. Der Kläger habe sein Widerrufsrecht am 30. April 2015 noch ausüben können. Die von der Beklagten verwendete Belehrung habe den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen. Zum einen habe sie unzureichend deutlich darüber unterrichtet, dass die Widerrufsfrist erst beginne, wenn dem Verbraucher seine eigene Vertragserklärung zur Verfügung gestellt worden sei. Dabei komme es auf den Umstand, dass die Verträge in einer Filiale der Beklagten geschlossen worden seien, nicht an. Zum anderen genüge die Belehrung zur Dauer der Widerrufsfrist, die alternativ mit einer Fußnote versehen die Monatsfrist angebe, dem Deutlichkeitsgebot nicht. Der Fußnotentext sei durch die Wendung "wird bzw. werden kann" bereits für sich genommen undeutlich.

Die Ausübung des Widerrufsrechts habe nicht gegen Treu und Glauben verstoßen (§ 242 BGB ). Es stelle keinen Rechtsmissbrauch dar, wenn der Verbraucher die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Anlass nehme, den Vertrag zu widerrufen. Der Kläger habe sein Widerrufsrecht auch nicht verwirkt. Der Umstand, dass dem Berechtigten sein Recht unbekannt sei, stehe der Verwirkung jedenfalls dann entgegen, wenn die Unkenntnis des Berechtigten in den Verantwortungsbereich des Verpflichteten falle. Die mit der nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Nachteile habe grundsätzlich der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen. Ein schutzwürdiges Vertrauen könne der Unternehmer regelmäßig schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er den mit dem unbefristeten Widerrufsrecht verbundenen Schwebezustand durch die Erteilung einer fehlerhaften Belehrung selbst herbeigeführt habe. Ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte sei zu unterstellen, dass der Verbraucher zunächst keine Kenntnis von seinem unbefristeten Widerrufsrecht habe, so dass der Widerruf auch noch nach langer Zeit erfolgen könne.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, die auf positive Feststellung der Umwandlung der Darlehensverträge vom 29. Juli 2009 in Rückgewährschuldverhältnisse gerichtete Klage sei zulässig. Dem Feststellungsantrag fehlt, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat (Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 11 ff., vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 13 ff., vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 19, vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 16, vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 16 f. und vom 23. Januar 2018 - XI ZR 359/16, WM 2018, 664 Rn. 12), das Feststellungsinteresse. Die Feststellungsklage ist auch nicht nach den Maßgaben des Senatsurteils vom 24. Januar 2017 (aaO Rn. 16) abweichend von der Regel ausnahmsweise zulässig, weil hier nicht feststeht, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien endgültig bereinigt.

2. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht gesehen, dass bei Ausübung des Widerrufsrechts am 30. April 2015 die Widerrufsfrist nach § 495 BGB in Verbindung mit § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier gemäß Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 , §§ 32 , 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung noch nicht abgelaufen war, weil die Beklagte den Kläger nicht hinreichend deutlich über die Voraussetzungen des ihm zukommenden Widerrufsrechts belehrt hat.

a) Zwar genügten, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils klargestellt hat, entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts die Angaben der Beklagten zur Länge der Widerrufsfrist den Vorgaben des inhaltlichen und gestalterischen Deutlichkeitsgebots (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 23, vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 19 und vom 28. November 2017 - XI ZR 432/16, WM 2018, 50 Rn. 8).

b) Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend erkannt, dass die Beklagte mittels der Wendung "der schriftliche Vertragsantrag" nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck brachte, dass Bedingung für das Anlaufen der Widerrufsfrist die Vertragserklärung des Klägers war (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 13, vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 24 und vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 21). Der durch objektive Auslegung ermittelte Belehrungsfehler kann, was das Berufungsgericht ebenfalls richtig gesehen und der Senat bereits eingehend begründet hat, nicht anhand des nicht in der Widerrufsbelehrung selbst in Textform dokumentierten Verständnisses der Parteien nach Maßgabe der besonderen Umstände ihrer Erteilung präzisiert werden (Senatsurteile vom 21. Februar 2017, aaO Rn. 16 ff., vom 14. März 2017, aaO Rn. 24, vom 16. Mai 2017, aaO Rn. 25, vom 21. November 2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 14 und vom 20. Februar 2018 - XI ZR 127/16, juris Rn. 14). Der Sache nach stützt die Revision ihre gegenteilige Ansicht auch gar nicht auf ein tatsächlich abweichendes Verständnis der Parteien, sondern darauf, der Belehrungsfehler sei in der konkreten Situation des Vertragsschlusses nicht kausal geworden. Auf die Kausalität des Belehrungsfehlers kommt es indessen nicht an. Entscheidend ist nur, ob die Belehrung durch die missverständliche Fassung objektiv geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten (Senatsurteil vom 21. Februar 2017, aaO Rn. 18 mwN).

c) Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der zwischen dem 1. September 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung kann sich die Beklagte nicht berufen, weil sie das Muster für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der zwischen dem 1. April 2008 und dem 3. August 2009 geltenden Fassung nicht verwendet hat (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 22 ff.).

3. Anhand der nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Senatsrechtsprechung als rechtsfehlerhaft erweisen sich außerdem die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts (§ 242 BGB ) verneint hat. Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, der Kläger habe von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus (Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 443/16, WM 2017, 2248 Rn. 26; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 17). Gleiches gilt für den Umstand, dass der Darlehensgeber "den mit dem unbefristeten Widerrufsrecht verbundenen Schwebezustand selbst herbeigeführt" hat, weil er eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat (Senatsurteil vom 10. Oktober 2017, aaO Rn. 26; Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 aaO Rn. 18 und vom 7. März 2018 - XI ZR 298/17, juris).

III.

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ).

Eine eigene Sachentscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO ) ist dem Senat nicht möglich, so dass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Der Senat kann die Feststellungsklage nicht als unzulässig abweisen, weil dem Kläger zunächst Gelegenheit gegeben werden muss, zu einem zulässigen Klageantrag überzugehen (Senatsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 39, vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 34 und vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 456/16, WM 2017, 2254 Rn. 15 sowie - XI ZR 457/16, WM 2017, 2256 Rn. 28). Im Übrigen kann der Senat einer tatrichterlichen Würdigung der für eine Subsumtion unter § 242 BGB maßgeblichen Umstände nicht vorgreifen (st. Rspr., vgl. zuletzt Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11 mwN).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 15. Mai 2018

Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 30.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 25 O 94/15
Vorinstanz: OLG Stuttgart, vom 05.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 145/15