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BGH - Entscheidung vom 27.02.2018

XI ZR 417/17

Normen:
BGB § 355 Abs. 1
BGB § 355 Abs. 2
BGB § 495 Abs. 1

BGH, Urteil vom 27.02.2018 - Aktenzeichen XI ZR 417/17

DRsp Nr. 2018/4675

Wirksamkeit des Widerrufs von auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen bei behaupteter unzureichender Aufklärung über den Beginn der Widerrufsfrist

Fehlt es an einem Vertragsschluss "unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln", weil der Verbraucher während der Vertragsanbahnung persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter des Unternehmers oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter hat, so haben die Parteien keinen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB geschlossen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. Juni 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 1. Juli 2016 wird insgesamt zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Normenkette:

BGB § 355 Abs. 1 ; BGB § 355 Abs. 2 ; BGB § 495 Abs. 1 ;

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen des Klägers.

Im Vorfeld des Abschlusses dieser Darlehensverträge führte ein Mitarbeiter der Beklagten ein persönliches Vorgespräch mit dem Kläger, anlässlich dessen die Höhe der Darlehensraten in Abhängigkeit von den Vermögensverhältnissen und Einkünften des Klägers erörtert wurden und der Mitarbeiter der Beklagten den Begriff des Annuitätendarlehens erläuterte. Außerdem füllte der Mitarbeiter der Beklagten mit dem Kläger eine Selbstauskunft und Darlehensformulare aus.

Daran anschließend übersandte die Beklagte dem Kläger zwei Exemplare eines von ihr unterzeichneten Vertragsformulars. Dieses Vertragsformular bezog sich auf ein "Annuitätendarlehen II" Nr. 45 über 112.000 € und einen bis zum 30. April 2022 festen Zinssatz von 4,64% p.a. Die Beklagte belehrte den Kläger über sein Widerrufsrecht wie folgt:

Der Kläger sandte im April 2007 ein von ihm gegengezeichnetes Exemplar des Vertragsformulars samt Widerrufsbelehrung an die Beklagte zurück. Ein Vertragsformular samt einer Widerrufsbelehrung verblieb in seinem Besitz.

Wiederum an das Vorgespräch mit dem Mitarbeiter der Beklagten anschließend übersandte die Beklagte dem Kläger zwei Exemplare eines von ihr unterzeichneten Vertragsformulars. Dieses Vertragsformular bezog sich auf ein weiteres "Annuitätendarlehen II" Nr. XXX70 über 23.000 € und einen bis zum 31. Dezember 2017 festen Zinssatz von 4,86% p.a. Die Beklagte belehrte den Kläger über sein Widerrufsrecht wie oben ausgeführt. Der Kläger sandte im Dezember 2007 ein von ihm gegengezeichnetes Exemplar des Vertragsformulars samt Widerrufsbelehrung an die Beklagte zurück. Ein Vertragsformular samt einer Widerrufsbelehrung verblieb in seinem Besitz.

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2014 widerrief der Kläger seine auf Abschluss der Darlehensverträge von April und Dezember 2007 gerichteten Willenserklärungen. Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 10. Oktober 2014 und 22. Januar 2015 zurück.

Die auf Feststellung der Umwandlung der Darlehensverträge in Rückgewährschuldverhältnisse, des Annahmeverzugs der Beklagten und der Pflicht der Beklagten zur Erstattung der seit dem 30. Juni 2015 geleisteten Zahlungen, weiter auf Zahlung von 91.712,83 € nebst Zinsen "Zug um Zug gegen Zahlung von 169.157,19 €" und auf Freistellung des Klägers von vorgerichtlich verauslagten Anwaltskosten gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers, mit der er unter anderem begehrt hat festzustellen, dass der Beklagten "zum 4. Oktober 2014 über den Betrag in Höhe von 97.360,21 € hinaus keine weitere Forderung zustehe", und mit der er zuletzt noch verlangt hat, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 107.040,42 € nebst Zinsen "Zug um Zug gegen Zahlung von 178.371,85 €" zu zahlen und ihn von vorgerichtlich verauslagten Anwaltskosten freizustellen, hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 106.083,19 € "Zug um Zug gegen Zahlung von 178.380,08 € zu zahlen". Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung des Klägers weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen noch widerrufen können, weil die Beklagte ihn unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist unterrichtet habe. Nach dem Wortlaut der Widerrufsbelehrung habe für das Anlaufen der Widerrufsfrist genügt, dass der Darlehensnehmer seine Vertragserklärung und die Widerrufsbelehrung zur Kenntnis nehme, ohne dass die Widerrufsbelehrung kenntlich gemacht habe, dass beide Unterlagen dem Darlehensnehmer während der Widerrufsfrist hätten zur Verfügung stehen müssen. Die Widerrufsbelehrung habe damit nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen. Das Widerrufsrecht des Klägers sei nicht verwirkt.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft ohne nähere Prüfung unterstellt, die Klage sei zulässig. Das trifft nicht zu. Der Kläger hat, was das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, ohne daraus aber prozessuale Konsequenzen zu ziehen, mittels seines Antrags, die Beklagte zur Zahlung "Zug um Zug" gegen Zahlung zu verurteilen, der Sache nach eine Aufrechnung erklärt (Senatsurteil vom 25. April 2017 - XI ZR 108/16, WM 2017, 1008 Rn. 18 ff.). Der vermeintliche Zahlungsantrag des Klägers war mithin, was der Senat selbst tun kann, dahin auszulegen festzustellen, der Kläger schulde aus dem Rückgewährschuldverhältnis nicht mehr als den Saldo beider Zahlungsbeträge zugunsten der Beklagten. Dieses Auslegungsergebnis legt auch der Umstand nahe, dass der Kläger zwischen dem Antrag auf Verurteilung zur Zahlung "Zug um Zug" gegen Zahlung und dem Antrag festzustellen, der Beklagten stehe zum Stichtag des Widerrufs keine höhere Forderung zu als die von ihm in Höhe von 97.360,21 € zugestandene, hin- und hergewechselt ist. Für eine negative Feststellungsklage dieses Inhalts fehlte indessen, da die Beklagte die Wirksamkeit des Widerrufs und das Zustandekommen eines Rückgewährschuldverhältnisses leugnet, das Feststellungsinteresse (Senatsurteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 13).

2. Außerdem weisen die Ausführungen zur mangelnden Deutlichkeit der von der Beklagten erteilten Belehrung und damit zur fortbestehenden Widerruflichkeit der auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen des Klägers Rechtsfehler auf.

a) Allerdings hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt richtig erkannt, dem Kläger sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 , §§ 32 , 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung (künftig: aF) zu widerrufen.

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Kläger unzureichend über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt, so dass die Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen gewesen sei, hält revisionsrechtlicher Überprüfung indessen nicht stand. Die Widerrufsfrist war bei Erklärung des Widerrufs am 4. Oktober 2014 abgelaufen. Die den Darlehensverträgen beigegebene Widerrufsbelehrung entsprach, was der Senat nach den Grundsätzen der objektiven Auslegung selbst bestimmen kann (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 15, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 12 und vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 28), den gesetzlichen Anforderungen.

aa) Das gilt zunächst für die Belehrung über die Bedingungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist. Der Senat hat aufgrund der getroffenen Feststellungen im Revisionsverfahren davon auszugehen, dass den Vertragsschlüssen eine persönliche Beratung durch einen Mitarbeiter der Beklagten vorausgegangen ist. Damit haben die Parteien einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung nicht geschlossen. Wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tag in der Sache XI ZR 160/17 näher dargelegt hat, fehlt es an einem Vertragsschluss "unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln", wenn der Verbraucher während der Vertragsanbahnung persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter des Unternehmers oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter hat. Die Bedingungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist richteten sich damit allein nach § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF. Eines Hinweises auf § 312d Abs. 2 , letzter Halbsatz BGB in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 3. August 2009 geltenden Fassung bedurfte es nicht (dazu Senatsurteil vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 29). Wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tag in der Sache XI ZR 160/17 für eine insoweit gleichlautende Widerrufsbelehrung entschieden hat, informierte die von der Beklagten verwandte Widerrufsbelehrung den Kläger hinreichend deutlich über die Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF.

bb) Die Widerrufsbelehrung entsprach auch zu den Widerrufsfolgen (Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2017 - XI ZR 294/17, juris Rn. 8) und als Sammelbelehrung mit den Angaben zu "Finanzierten Geschäften" (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 50; Senatsbeschluss vom 24. Januar 2017 - XI ZR 66/16, WM 2017, 370 Rn. 9) den gesetzlichen Vorgaben. Die Beklagte hat zwar die Konjunktion "oder" in § 358 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB in der bis zum 3. August 2011 geltenden Fassung (künftig: aF) ("wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient") durch die Konjunktion "und" ("wenn wir uns bei Vorbereitung und Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung Ihres Vertragspartners bedienen") ersetzt. Sie hat sich dabei allerdings an der Formulierung des Gestaltungshinweises (8) der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der zwischen dem 1. September 2002 und dem 7. Dezember 2004 geltenden Fassung orientiert. Wenn auch der Verordnungsgeber in Gestaltungshinweis (9) der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung wieder enger am Gesetzestext orientiert formuliert hat, lässt die Formulierung der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der zwischen dem 1. September 2002 und dem 7. Dezember 2004 geltenden Fassung einen hinreichenden Rückschluss darauf zu, dass der (materielle) Gesetzgeber auch eine Belehrung wie von der Beklagten erteilt nicht für undeutlich erachtet hat. Insofern liegt der Fall anders als der, der Gegenstand des Senatsbeschlusses vom 12. Dezember 2017 ( XI ZR 769/16, juris) war. Dort hatte die Beklagte - vom Verordnungsgeber nie so vorgegeben und erheblich missverständlich - die beiden Varianten des § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB aF entgegen der gesetzlichen Vorgabe durch die Konjunktion "und" und nicht durch die Konjunktion "oder" verbunden. Damit ist der hiesige Fall nicht vergleichbar.

III.

Das Berufungsurteil unterliegt mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO ), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO ).

Insbesondere erfüllte die Beklagte die Anforderungen des § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF, wenn sie dem Kläger ein Exemplar des Vertragsformulars überließ, das nach Unterschriftsleistung durch den Kläger - wenn auch nicht notwendig auf dem bei ihm verbliebenen Exemplar - seine Vertragserklärung dokumentierte. Weil nach § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF die Abschrift der Vertragserklärung des Verbrauchers genügt, muss das ihm belassene Exemplar nicht von ihm unterzeichnet oder mit dem Abbild seiner Unterschrift versehen sein (vgl. zu § 361a Abs. 1 Satz 4 BGB BT-Drucks. 14/2658, S. 47 rechte Spalte oben; vgl. auch BT-Drucks. 16/11643, S. 80 linke Spalte unten; OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 7. September 2017 - 17 U 107/17, juris Rn. 5 und vom 30. Januar 2012 - 19 W 4/12, BKR 2012, 243, 244; OLG Köln, Beschluss vom 1. September 2017 - 12 U 203/16, juris Rn. 33 f.). § 492 Abs. 3 BGB in der hier maßgeblichen, bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung, der sich nicht mit den Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist befasst, enthält keine Modifikation des § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF für Verbraucherdarlehensverträge (undeutlich MünchKommBGB/Schürnbrand, 5. Aufl., § 492 Rn. 86; Palandt/ Weidenkaff, BGB , 69. Aufl., § 492 Rn. 18).

Da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO ), weist der Senat die Berufung des Klägers - soweit noch nicht geschehen - zurück. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO , an dem es hier für die so auszulegende negative Feststellungsklage fehlt, ist nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung. Ein Feststellungsbegehren, das das Berufungsgericht für zulässig erachtet hat, kann bei tatsächlich fehlendem Feststellungsinteresse in der Revisionsinstanz aus sachlichen Gründen abgewiesen werden (st. Rspr., zuletzt etwa Senatsurteile vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 31 und vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 457/16, WM 2017, 2256 Rn. 29).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. Februar 2018

Vorinstanz: LG Koblenz, vom 01.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 454/15
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 16.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 930/16