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BGH - Entscheidung vom 02.07.2018

AnwZ (Brfg) 54/17

Normen:
BRAO § 7 Nr. 5

BGH, Urteil vom 02.07.2018 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 54/17

DRsp Nr. 2018/9887

Wiederzulassung eines Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft hinsichtlich Unwürdigkeit durch die Begehung von Straftaten; Abwägung des berechtigten Interesses eines Rechtsanwalts an beruflicher und sozialer Eingliederung mit dem durch das Berufsrecht geschützten Interesse der Öffentlichkeit

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Dies ist der Fall, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, dass ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Von einer die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begründenden Unwürdigkeit kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn die begangenen Straftaten zwar als gravierend und berufsbezogen einzustufen, seit ihrer Begehung indes mittlerweile fast 20 Jahre vergangen sind.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das seinem Prozessbevollmächtigten am 11. September 2017 an Verkündungs statt zugestellte Urteil des 2. Senats des Saarländischen Anwaltsgerichtshofs abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, den Zulassungsantrag des Klägers vom 4. August 2016 nicht aus den in dem Bescheid vom 2. Dezember 2016 angeführten Gründen zurückzuweisen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 7 Nr. 5 ;

Tatbestand

Der am 5. April 1955 geborene Kläger wurde 1994 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seine Zulassung wurde im Mai 1999 wegen fehlender Berufshaftpflichtversicherung nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO widerrufen. Durch Urteil des Landgerichts S. vom 5. Juli 1999 wurde der Kläger wegen zwölf zwischen Sommer 1995 und Oktober 1998 tatmehrheitlich begangener Vergehen - unter anderem falscher uneidlicher Aussage, versuchten (Prozess-) Betrugs, falscher Verdächtigung, Vortäuschung einer Straftat und Verleumdung - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Kläger wurde für die Dauer von drei Jahren ein Berufsverbot als Rechtsanwalt erteilt.

Mit Antrag vom 3. Juni 2002 begehrte der Kläger erstmals seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Dieser Antrag hatte keinen Erfolg (siehe Senatsbeschluss vom 12. Januar 2004 - AnwZ (B) 16/03, juris). Am 27. Juni 2007 beantragte der Kläger erneut die Wiederzulassung. Auch dieser Antrag blieb erfolglos (siehe Senatsbeschluss vom 15. Juni 2009 - AnwZ (B) 59/08, juris). Ein Ende 2009 gestellter Antrag auf Wiederzulassung wurde von der Rechtsanwaltskammer in Z. abgelehnt; hiergegen legte der Kläger kein Rechtsmittel ein. Mit Schreiben vom 31. Mai/17. Juni 2013 beantragte der Kläger erneut bei der Beklagten die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. In dem der Antragsschrift beigefügten "Fragebogen zum Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft" verneinte er die Frage nach strafgerichtlichen Verurteilungen (§§ 4 bis 8 BZRG ). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. September 2013 und Widerspruchsbescheid vom 19. November 2013 wegen Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO ) ab. Die Klage gegen diese Bescheide wies der Anwaltsgerichtshof ab. Der hiergegen gerichtete Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos (siehe Senatsbeschluss vom 10. Februar 2015 - AnwZ (Brfg) 55/14, juris). Einen weiteren Antrag des Klägers auf Wiederzulassung vom 18. Juli 2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. März 2016 und Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2016 ab; der Kläger erhob keine Klage. Er stellte bei der Beklagten vielmehr mit Antragsformular vom 4. August 2016 einen erneuten - nunmehr sechsten - Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Diesen Antrag wies die Beklagte mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 wegen materiell-rechtlicher Bindung an den rechtskräftigen Versagungsbescheid vom 30. März 2016 als unzulässig zurück.

Der Anwaltsgerichtshof hat die gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2016 und auf Wiederzulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft gerichtete Klage abgewiesen. Er hat ausgeführt, zwar sei fraglich, ob die Beklagte unter Berufung auf die Bindungswirkung ihres Bescheids vom 30. März 2016 eine sachliche Prüfung des Wiederzulassungsantrags habe ablehnen dürfen. Sie habe den Antrag des Klägers indes deshalb zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil einer erneuten Sachprüfung die materielle Rechtskraft des Urteils des Anwaltsgerichtshofs aus November 2014 entgegenstehe. Eine wesentliche Veränderung der Sachlage sei seither nicht eingetreten. Der bloße weitere Zeitablauf reiche hierfür nicht aus. Ausgehend von der letzten, im Oktober 1998 vom Kläger begangenen Straftat sei die Zeitspanne zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel 15 bis 20 Jahre betrage, derzeit noch nicht überschritten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger sich bis in das letzte gerichtliche Wiederzulassungsverfahren hinein im Hinblick auf seine strafgerichtliche Verurteilung durchgehend uneinsichtig gezeigt und im Rahmen seines Wiederzulassungsantrags vom 31. Mai 2013 durch die unzutreffende Verneinung der Frage nach strafgerichtlichen Verurteilungen gegen die ihm obliegende Wahrheitspflicht verstoßen habe. Vor diesem Hintergrund komme der relativ kurzen Dauer seines jetzigen Wohlverhaltens kein solches Gewicht zu, dass sie für die Bewertung des Versagungsgrundes des § 7 Nr. 5 BRAO erheblich sein könne.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Anwaltsgerichtshof hat sich zu Unrecht an einer erneuten Sachprüfung im Hinblick auf das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 7 Nr. 5 BRAO gehindert gesehen, weil sich seit seinem Urteil aus November 2014 die Sachlage nicht wesentlich verändert habe (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 96/09, juris Rn. 7 zur Sperrwirkung der Rechtskraft einer vorangegangenen, denselben Bewerber betreffenden Entscheidung, solange sich die Sachlage nicht wesentlich verändert hat). Letzteres trifft nicht zu.

a) Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG, NJW 2017, 3704 Rn. 25; Senat, Urteil vom 10. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 10/10, juris Rn. 13 f.; Beschluss vom 10. Februar 2015, aaO Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, dass ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt (vgl. BVerfG, aaO; Senat, Beschluss vom 10. Februar 2015, aaO). Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (BVerfG, aaO).

Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist (vgl. BVerfG, aaO Rn. 27, 29), ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der (Wieder-)Zulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 2015, aaO und vom 18. November 1996 - AnwZ (B) 11/96, juris Rn. 13; vgl. auch Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO , 9. Aufl., § 7 Rn. 41). Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten (Senat, Urteil vom 10. Oktober 2011; Beschluss vom 10. Februar 2015; jeweils aaO). Wurde die Unwürdigkeit durch die Begehung von Straftaten seitens des Rechtsanwalts begründet, ist neben der seit der Begehung der letzten Straftat vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat (Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 2015, aaO Rn. 6 und vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 21/04, juris Rn. 9).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann von einer die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begründenden Unwürdigkeit des Klägers im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO nicht mehr ausgegangen werden.

aa) Zwar sind die vom Kläger bis Oktober 1998 begangenen Straftaten als gravierend und berufsbezogen im Sinne der Senatsrechtsprechung einzustufen (Senat, Beschluss vom 10. Februar 2015, aaO). Seit ihrer Begehung sind indes mittlerweile fast 20 Jahre vergangen. Angesichts dieser langen Zeitspanne haben die Straftaten für die Frage der (Wieder-)Zulassung des Klägers erheblich an Bedeutung verloren.

bb) Allerdings hat der Anwaltsgerichtshof zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Kläger im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten bis in das letzte gerichtliche Wiederzulassungsverfahren hinein uneinsichtig zeigte und seine erst im dortigen Schriftsatz vom 30. Januar 2014 bekundete Reue daher prozesstaktisch motiviert und nicht von wirklicher innerer Einsicht getragen erschien (Senat, Beschluss vom 10. Februar 2015, aaO). Indes sind seit diesem Verfahren vier Jahre vergangen und hat sich die geänderte Haltung des Klägers inzwischen verfestigt. So hat er in dem durch seinen Antrag vom 18. Juli 2015 eingeleiteten - nicht rechtshängig gewordenen - Wiederzulassungsverfahren erneut seine Unrechtseinsicht bekundet, wie sich aus dem (zurückweisenden) Bescheid der Beklagten vom 30. März 2016 (S. 4) ergibt. Des Weiteren hat er in der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof am 21. August 2017 die Frage, ob er sich den Vortrag seines Prozessbevollmächtigten zu der falschen strafgerichtlichen Verurteilung zu Eigen mache, ausdrücklich und mehrfach verneint. In der Verhandlung vor dem Senat hat er diese geänderte Einstellung erneut bekräftigt. Von einer uneinsichtigen oder ausschließlich prozesstaktisch motiviert einsichtigen Haltung des Klägers zu den von ihm begangenen Straftaten kann daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr ausgegangen werden.

cc) Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Rahmen des aktuellen Antrags auf Wiederzulassung seine strafgerichtliche Verurteilung wahrheitsgemäß angegeben hat. Gleiches gilt für das durch den Antrag des Klägers vom 18. Juli 2015 eingeleitete Wiederzulassungsverfahren, wie sich aus dem Bescheid der Beklagten vom 30. März 2016 (S. 4) ergibt. Die schwerwiegende Pflichtverletzung, die in der wahrheitswidrigen Verneinung der Frage nach strafgerichtlichen Verurteilungen im Rahmen seines Wiederzulassungsantrags vom 31. Mai 2013 begründet lag (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 10. Februar 2015, aaO Rn. 7), hat hierdurch erheblich an Bedeutung verloren. Sie liegt zudem auch schon wieder längere Zeit zurück (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2000 - AnwZ (B) 30/99, juris Rn. 5 zum Bedeutungsverlust einer im Wiederzulassungsantrag verschwiegenen Straffälligkeit nach Ablauf von zwei Jahren).

dd) Angesichts des weiter fortgeschrittenen und nunmehr ganz erheblichen Zeitablaufs seit den vom Kläger begangenen Straftaten, der inzwischen von ihm im Hinblick auf die Straftaten mehrfach gezeigten Einsicht und der fehlenden Wiederholung seines - ebenfalls bereits länger zurückliegenden - Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht hat sich - entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs - die für die Beurteilung der Unwürdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO maßgebliche Sachlage nunmehr wesentlich verändert. Unter Gewichtung aller für und gegen den Kläger sprechenden Umstände - einschließlich seines Alters - und unter Abwägung seines berechtigten Interesses an beruflicher und sozialer Eingliederung mit dem durch das Berufsrecht geschützten Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, lässt sich der Vorwurf einer Unwürdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO nicht mehr rechtfertigen.

2. Die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft kann dem Kläger daher nicht nach der vorgenannten Vorschrift versagt werden. Allerdings kommt eine Verpflichtung der Beklagten zur Zulassung nicht in Betracht, weil diese sich mit den übrigen Zulassungsvoraussetzungen bisher noch nicht abschließend befasst hat und Gelegenheit haben muss, dies nachzuholen. Ihr ist deshalb aufzugeben, den Zulassungsantrag nicht nach § 7 Nr. 5 BRAO zurückzuweisen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Mai 2010 - AnwZ (B) 117/09, juris Rn. 14; zur neuen Rechtslage nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO vgl. Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 7 Rn. 8 und § 112c Rn. 267; Decker in BeckOK VwGO , § 113 Rn. 73.1 [01.04.2018]).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 1 , § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO .

Verkündet am: 2. Juli 2018

Vorinstanz: AnwGH Saarland, vom 11.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen AGH 9/16