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BGH - Entscheidung vom 24.10.2018

2 StR 578/16

Normen:
StPO § 244 Abs. 4
StPO § 344 Abs. 2 S. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 25

BGH, Beschluss vom 24.10.2018 - Aktenzeichen 2 StR 578/16

DRsp Nr. 2018/17856

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge i.R.e. Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör unerlässlich erscheint. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen.

Tenor

1.

Der Antrag des Angeklagten vom 26. März 2017 auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.

2.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 2. Mai 2016 wird mit der Maßgabe verworfen, dass ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

3.

Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des vorbezeichneten Urteils wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StPO § 244 Abs. 4 ; StPO § 344 Abs. 2 S. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot, wegen gefährlicher Körperverletzung in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, wobei es in drei Fällen beim Versuch verblieb, davon in einem Fall auch in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie in allen rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es ihn im Adhäsionsverfahren zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 300 € an den Nebenkläger verurteilt und im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision sowie einer gegen die Kostenentscheidung gerichteten sofortigen Beschwerde. Mit Schriftsatz vom 26. März 2017 hat er zur Heilung der Mängel einer Verfahrensrüge Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.

Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1987 - 1 StR 386/87, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGH, Beschluss vom 21. Februar 1951 - 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44 , 46; Beschluss vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08, juris Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 1993 - 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Beschluss vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01, juris Rn. 2; Beschluss vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18 ; BGH, Beschluss vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08, juris Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.

Im Übrigen hätte - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 7. März 2017 zutreffend ausführt - die erhobene Rüge, mit der eine Verletzung von § 244 Abs. 4 StPO geltend gemacht wird, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg.

2. Die Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO ). Allerdings gebietet die im Revisionsverfahren zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des Beschleunigungsgebots die in der Urteilsformel ausgesprochene Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell der Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 , 135 ff.). Die Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Einzelfalls ergibt, dass eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, die das Maß des Angemessenen überschreitet.

a) Das angefochtene Urteil ist am 2. Mai 2016 ergangen. Bereits am 7. Januar 2016 war der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben worden, so dass dieser sich während des Revisionsverfahrens in Freiheit befand. Die Sache mit einer Revisionsbegründungsschrift im Umfang von 742 Seiten ist am 16. März 2017 mit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof eingegangen und wurde dem Berichterstatter am 28. März 2017 zugeteilt. Hiernach hat der Beschwerdeführer am 3. April 2017 auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts erwidert.

b) Bei diesen Abläufen war auch unter Berücksichtigung des großen Umfangs und der Schwierigkeit des Prozessstoffs das Revisionsverfahren überdurchschnittlich lang. Insoweit ist von einer Verzögerung des Revisionsverfahrens von sechs Monaten auszugehen. Dieser Umfang der Verfahrensverzögerung ist allerdings nicht mit dem Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der verhängten (Gesamt-) Strafe zu betragen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 , 146 f.). Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erklärt der Senat einen Monat der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als bereits vollstreckt.

3. Auch die sofortige Beschwerde ist unbegründet, da die angegriffene Kostenentscheidung dem Gesetz entspricht.

Fundstellen
NStZ-RR 2019, 25