Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 16.05.2018

2 StR 132/18

Normen:
StGB § 63

BGH, Beschluss vom 16.05.2018 - Aktenzeichen 2 StR 132/18

DRsp Nr. 2018/9900

Voraussetzungen des Maßregelausspruchs der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Symptomatischer Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der psychischen Erkrankung des Angeklagten

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Das Tatgericht hat in den Urteilsgründen darzulegen, wie sich die festgestellte psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten Nötigung in drei Fällen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Urteilsfeststellungen berührte der Angeklagte am 24. August 2016 in einem Schwimmbad mehrere Mädchen im Alter zwischen elf und 14 Jahren, indem er ihnen jeweils kurzzeitig unter Wasser an den Oberschenkel griff und versuchte, seine Hand in Richtung der Genitalien zu bewegen (Geschädigte B. ), versuchte, sie zu umklammern und ihnen an den Oberschenkel zu greifen (Geschädigte L. und B. ) bzw. sie umarmte und an sich zog (Geschädigte E. ). Darüber hinaus tauchte er zwischen den Beinen eines der Mädchen hindurch, ohne dass hierzu genauere Feststellungen getroffen werden konnten. Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der an einem schizophrenen Residuum leidende Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung "nicht oder wesentlich weniger in der Lage gewesen sei, den Tatanreizen Widerstand entgegen zu setzen" und seine Steuerungsfähigkeit daher erheblich eingeschränkt oder sogar - jedenfalls nicht ausschließbar - ganz aufgehoben gewesen sei.

2. Der Maßregelausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB ) darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB ) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB ) war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Der erforderliche symptomatische Zusammenhang besteht, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Täters für die Anlasstat kausal geworden ist, wobei Mitursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 - 1 StR 658/16, NStZ-RR 2017, 272 f.). In den Urteilsgründen ist darzulegen, wie sich die festgestellte psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2016 - 4 StR 230/16, juris Rn. 11; Beschluss vom 26. Juli 2016 - 3 StR 211/16, R&P 2016, 268 f.; Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 ; Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306 , 307).

b) Das Landgericht hat den für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzten symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der psychischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig belegt.

aa) Dem Sachverständigen Dr. Ba. folgend ist es davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer "schizophrenen Spektrumserkrankung" nach ICD-10: F20 leidet, die sich - in Ermangelung feststellbaren Wahnerlebens - als ein "schizophrenes Residuum" (ICD-10: F20.5) darstelle. Die beim Angeklagten zu beobachtende "ausgeprägte Negativsymptomatik" sei durch eine affektive Nivellierung, eine Simplifizierung der Gedankengänge, durch Apathie, Sprachverarmung sowie "ein Gedankenabreißen und bis an die Zerfahrenheit [...] heranreichende[n] assoziative Lockerungen" gekennzeichnet und das Störungsbild durch eine starke emotionale Nivellierung und "Versandung der Persönlichkeit" des Angeklagten geprägt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen setze die Diagnose eines schizophrenen Residuums wenigstens eine eindeutige psychotische Episode voraus; angesichts eines biographisch beschriebenen "Leistungsknicks" könne eine Erstepisode zu Studienzeiten "unterstellt" werden. Abweichend von den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ba. hat das Landgericht die Angaben des Angeklagten, die Mädchen im Schwimmbad hätten ihn gestisch und mimisch zur Kontaktaufnahme aufgefordert, nicht als ein "paranoides Uminterpretieren von Begebenheiten" gedeutet, welches "die Charakteristik einer paranoid-halluzinatorischen Symptomatik in sich trage"; vielmehr ist es zu der Überzeugung gelangt, dass diese Äußerung eine erdachte Rechtfertigung des Angeklagten für sein Handeln sei. Insoweit hat das Landgericht auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr. Eu. verwiesen, die den Angeklagten während der vorläufigen Unterbringung behandelte und während der mehrmonatigen Dauer der Unterbringung keinerlei Wahnerleben festzustellen vermochte. Auf der Grundlage beider sachverständiger Ausführungen ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte zur Tatzeit aufgrund der "Versandung" seiner Persönlichkeit in seiner Fähigkeit, seiner (sexuellen) Begierde etwas entgegen zu setzen, erheblich eingeschränkt gewesen sei.

bb) Damit ist der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem zum Tatzeitpunkt bestehenden psychischen Defekt und den Anlasstaten nicht tragfähig belegt. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung den Tatanreizen wesentlich weniger oder gar keinen Widerstand entgegen setzen konnte, erscheint dies insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass das Landgericht den sachverständigen Ausführungen des Dr. Ba. nicht gefolgt ist, wonach der Angeklagte sich durch Mimik und Gestik der Mädchen zur Kontaktaufnahme aufgefordert fühlte, nicht nachvollziehbar und entbehrt in Ermangelung näherer, die soziale Leistungsfähigkeit des Angeklagten und die Einschränkungen in der Affektregulation umfassend in den Blick nehmenden Ausführungen einer tragfähigen Tatsachengrundlage.

Bei dieser Sachlage kann dahin stehen, dass die beschriebenen Symptome des psychischen Defekts in einem nicht aufgelösten Spannungsverhältnis zum Verhalten des Angeklagten während des Tatgeschehens sowie zu den - etwa durch die Bezugsbetreuerin des Angeklagten beschriebenen - sonstigen Aktivitäten des Angeklagten stehen.

3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf - naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen - neuer Verhandlung und Entscheidung.

Mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2018 - 5 StR 54/18, juris Rn. 7). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, BeckRS 2013, 21437).

Der Senat sieht von der Aufrechterhaltung der für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen ab, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt eine neue und widerspruchsfreie Sachentscheidung zu ermöglichen.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 15.12.2017