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BGH - Entscheidung vom 21.03.2018

VII ZR 308/15

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 21.03.2018 - Aktenzeichen VII ZR 308/15

DRsp Nr. 2018/4668

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Geltendmachung von Ansprüchen wegen des Abschlusses eines sittenwidrigen Vertriebsvertrags sowie wegen der Vereinbarung eines weiteren Preisnachlasses

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieses Gebot verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden.

Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.

Das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. Juli 2015 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin in Höhe eines Betrags von 223.005 € (Ersatz des auf den Zeitraum ab 1. Oktober 2011 entfallenden Schadens wegen der Vereinbarung eines weiteren Rabatts in Höhe von 4 %) nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 
Insgesamt:  396.227,63 € 
Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten:  169.098,29 € 
Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin:  227.129,34 € 
des stattgebenden Teils:  223.005,00 € 

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ansprüche wegen des Abschlusses eines ihrer Ansicht nach sittenwidrigen Vertriebsvertrags sowie wegen der Vereinbarung eines weiteren Preisnachlasses geltend.

Die Klägerin stellt unter anderem Gelenkscheiben für die Automobilindustrie her und vertreibt diese. Die Beklagte ist Groß- und Zwischenhändlerin im Fahrzeugersatzteilmarkt. Sie gehört zur "T.-Gruppe". Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten und weiterer Gesellschaften der T.-Gruppe war und ist Herr T. Seit dem Jahr 2009 zeigte Herr T. Interesse an einer Beteiligung an der Klägerin. Dieses Interesse wurde zunächst an den damaligen Geschäftsführer der Klägerin S. und über diesen schließlich an die Gesellschafter der Klägerin herangetragen.

Am 28. Juli 2010 unterzeichnete Herr S. für die Klägerin und Herr T. für die Beklagte den als Anlage K 9 vorgelegten Vertriebsvertrag. Gegenstand dieses Vertrags ist die Übertragung des weltweit exklusiven Vertriebsrechts auf dem unabhängigen Ersatzteilmarkt (IAM) für alle von der Klägerin hergestellten Produkte für Kraftfahrzeuge an die Beklagte.

Am 29. Juli 2010 fand eine Besprechung des sogenannten kleinen Führungskreises der Klägerin mit dem Gesellschafter W. statt. Einige Mitarbeiter der Klägerin versuchten im Rahmen dieses Gesprächs vergeblich, Herrn W. vom Nutzen einer Beteiligung von Herrn T. und seiner T.-Unternehmensgruppe zu überzeugen.

Am 13. Oktober 2010 wurde Herr S. von seiner Aufgabe als Geschäftsführer entbunden.

Am 14. Oktober 2010 wurden die F. B. GmbH, die FC. D. G. GmbH und die FC. G. GmbH gegründet. Geschäftsgegenstand der FC. G. GmbH ist die Produktion von Gelenkscheiben. Gegenstand der FC. D. G. GmbH ist die Produktion, der Handel und der Vertrieb von Gummi-, Metall- und Gummimetallteilen. Herr Ti. ist Geschäftsführer beider Unternehmen; bei deren Gründung war er noch kaufmännischer Leiter Technischer Vertrieb/Industrieanwendungen der Klägerin. Die F. B. GmbH ist an der FC. G. GmbH mit einem Anteil von 40 % beteiligt. Deren fünf Geschäftsanteile werden allesamt von Herrn Ti. gehalten. Neben einem Anteil für sich selbst hielt Herr Ti. seinerzeit vier weitere Anteile treuhänderisch unter anderem für den seinerzeitigen Geschäftsführer der Klägerin S. und die leitenden Angestellten der Klägerin B., I. und R.

Ende Oktober 2010 gewährte Herr R., der bis zum 31. Januar 2011 bei der Klägerin angestellt war, der Beklagten mit Blick auf den Vertriebsvertrag vom 28. Juli 2010 fernmündlich eine Preisreduzierung um weitere 4 % ab 1. November 2010. Spätestens am 11. Oktober 2010, also knapp drei Wochen vor der Vereinbarung dieses weiteren Preisnachlasses, war Herrn R. nach eigener Aussage das Angebot unterbreitet worden, sich an der am 14. Oktober 2010 gegründeten FC. G. GmbH zu beteiligen. Herr R. nahm dieses Angebot an und beteiligte sich anschließend über einen von Herrn Ti. treuhänderisch gehaltenen Anteil an der F. B. GmbH an der FC. G. GmbH.

Die Klägerin trägt vor, der am 28. Juli 2010 geschlossene und zum 1. Oktober 2010 in Kraft getretene Vertrag sei für die Klägerin von Anfang an nachteilig gewesen. Die Herren S. und T. hätten beim Abschluss des Vertrags kollusiv zusammengewirkt, um Gewinn von der Klägerin auf die Beklagte abzuführen und die Klägerin so zu schädigen. Auch der bereits kurz nach Vertragsschluss im Oktober 2010 von Herrn R. - der zu diesem Zeitpunkt zwar noch bei der Klägerin angestellt, aufgrund seiner Beteiligung an der FC. G. GmbH aber bereits im Lager der Beklagten gestanden habe - gewährte weitere Preisnachlass von 4 % auf die Vertragsprodukte sei ohne Not gewährt worden, um die Klägerin zu schädigen.

Soweit die Klägerin ihren Schaden aus den vorgenannten Vereinbarungen unter Vorlage der Anlage K 17 beziffert hat, hat sie ihn mit insgesamt 868.654 € angegeben.

Die Klägerin hat in erster Instanz unter anderem beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 868.654 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 169.098,29 € nebst Zinsen zu bezahlen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision haben sowohl die Beklagte als auch die Klägerin Beschwerde eingelegt, wobei die Klägerin die Beschwerdeeinlegung beschränkt hat auf den Schadensersatzanspruch wegen der Vereinbarung eines weiteren Rabatts in Höhe von 4 %, der vom Berufungsgericht falsch berechnet worden sei.

Die Beklagte beantragt,

die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts zuzulassen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin 169.098,29 € nebst Zinsen zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision gegen das Berufungsurteil zuzulassen, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe eines Betrags von 227.129,34 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.

II.

Das Berufungsgericht hat, soweit im Beschwerdeverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche bestünden nur insoweit, als die Klage auf die Vereinbarung eines weiteren Nachlasses von 4 % gestützt werde.

Der am 28. Juli 2010 geschlossene Vertriebsvertrag sei nicht nach §§ 134 , 138 BGB nichtig. Auch der Tatbestand des § 266 StGB sei durch die bei Vertragsschluss Handelnden nicht erfüllt. Ansprüche aus § 823 Abs. 1 , Abs. 2 BGB oder § 826 BGB bestünden daher nicht.

Ein Schadensersatzanspruch bestehe allerdings insoweit, als der Beklagten durch Herrn R. Ende Oktober 2010 ein weiterer Rabatt in Höhe von 4 % gewährt worden sei.

Angesichts dessen, dass sich Herr R. Mitte Oktober 2010 an einem Konkurrenzunternehmen beteiligt gehabt habe, bestünden keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Gewährung eines Preisnachlasses von weiteren 4 % für die Beklagte nicht im Interesse der Klägerin erfolgt sei. Herr R. sei angesichts des teilweise bereits in die Tat umgesetzten Wechsels ins Lager der Beklagten Ende Oktober 2010 offensichtlich nicht mehr in der Lage gewesen, Entscheidungen pflichtgemäß im Interesse der Klägerin zu treffen. Die Gewährung eines weiteren Nachlasses zugunsten der Beklagten sei daher treuwidrig "hinter dem Rücken" der Klägerin und zu deren Schaden erfolgt. Die Absprache sei sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB ) und daher nichtig. All dies sei der Beklagten in Person ihres Geschäftsführers T. auch bewusst gewesen.

Der Schaden aus der Gewährung eines weiteren Rabatts in Höhe von 4 % betrage 169.098,29 €. Die Klägerin habe ihren Schaden im Zeitraum von Oktober 2010 bis September 2011 aus dem Vertragsschluss und der nachfolgenden weiteren Rabattzusage mit insgesamt 645.648 € angegeben. Da der Rabatt in Höhe von 4 % erst ab November 2010 gewährt worden sei, sei die einen Zeitraum von zwölf Monaten betreffende Schadenssumme zunächst um 1/12 für den Monat Oktober 2010, also um 53.804 €, zu reduzieren. Es verbleibe betreffend den Zeitraum von Oktober 2010 bis September 2011 ein Betrag in Höhe von 169.098,29 €, welcher sich aus der Rabattierung von 4 % im maßgeblichen Zeitraum ergebe.

III.

1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg.

a) Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin rügt es zu Recht als Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ), dass das Berufungsgericht sich nicht mit dem Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 22. August 2013 befasst hat, der 4 %ige Nachlass sei auch über September 2011 hinaus gewährt worden; der diesbezügliche Schaden belaufe sich auf insgesamt 223.005 €.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieses Gebot verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - V ZR 61/15, NJW-RR 2016, 78 Rn. 7 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen stellt es eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör dar, dass das Berufungsgericht das genannte Vorbringen der Klägerin zu dem auf den Zeitraum ab 1. Oktober 2011 entfallenden Schaden wegen der Vereinbarung eines weiteren Rabatts in Höhe von 4 % überhaupt nicht beschieden hat.

b) Auf dem genannten Gehörsverstoß beruht das Berufungsurteil auch. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz eines höheren Schadens ausgeurteilt hätte, wenn es das betreffende Vorbringen der Klägerin berücksichtigt und bei seiner Entscheidung erwogen hätte.

2. Im Übrigen hat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision keinen Erfolg. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat ebenfalls keinen Erfolg. Insoweit wird von einer Begründung der Zurückweisung der Beschwerden jeweils abgesehen, weil die Begründung nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO ).

Vorinstanz: LG München I, vom 10.07.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 11 HKO 7353/13
Vorinstanz: OLG München, vom 30.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen U 3028/14