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BGH - Entscheidung vom 14.02.2018

4 StR 622/17

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 14.02.2018 - Aktenzeichen 4 StR 622/17

DRsp Nr. 2018/3582

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Annahme eines Rauschmittelkonsums im Übermaß; Soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit des Betroffenen aufgrund seiner Konsumgewohnheiten

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster (Westf.) vom 19. September 2017 – soweit es ihn betrifft – mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Strafkammer die Verneinung eines Hangs nicht tragfähig begründet hat.

a) Nach den Feststellungen nimmt der Angeklagte seit etwa 22 Jahren täglich ein bis zwei Gramm Marihuana, gelegentlich Kokain und „ganz selten“ Amphetamine zu sich. Zu einem Anstieg des Konsums kam es über die Jahre nicht. Nach seiner Inhaftierung und dem damit einhergehenden Konsumverzicht traten bei dem Angeklagten weder Entzugserscheinungen noch „sonstige Schwierigkeiten“ auf. Die ihm zur Last gelegte Betäubungsmittelstraftat beging er zur Finanzierung seines Eigenkonsums. Neben den bei ihm sichergestellten, für den Verkauf vorgesehenen Betäubungsmitteln hielt er weiteres Rauschgift für den Eigenkonsum vorrätig. Im Jahr 2010 wurde er wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 25 Fällen verurteilt. Die Strafkammer hat ohne weitere Ausführung angenommen, dass bei dem Angeklagten auf der Grundlage dieser Feststellungen ein Hang im Sinne des § 64 StGB nicht bejaht werden könne.

b) Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB einen unzutreffenden Maßstab angelegt hat.

aa) Einen Hang im Sinne von § 64 StGB hat, wer aufgrund einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder aufgrund einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich nimmt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 3 StR 563/17, Rn. 7; Urteil vom 4. Dezember 1952 – 3 StR 671/52, BGHSt 3, 339 , 340). Das Fehlen ausgeprägter Entzugssymptome sowie Intervalle der Abstinenz stehen der Annahme einer solchen Neigung nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216 ). Für die Annahme eines Rauschmittelkonsums im Übermaß ist es ausreichend, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 3 StR 563/17, Rn. 7; Beschluss vom 6. Dezember 2017 – 1 StR 415/17, Rn. 10; Beschluss vom 9. August 2016 – 3 StR 287/16, Rn. 3 jew. mwN).

bb) Dass der Angeklagte eine intensive Neigung hat, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen, liegt angesichts der Feststellungen zu seinem Konsumverhalten auf der Hand. Da die verfahrensgegenständliche Betäubungsmittelstraftat auch der Finanzierung des Eigenkonsums des Angeklagten dienen sollte, kann auch eine soziale Gefährlichkeit als Folge seines jahrelangen Missbrauchs von verschiedenen Betäubungsmitteln nicht ohne nähere Begründung verneint werden. Dabei ist auch die Vorahndung des Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln im Jahr 2010 von Bedeutung, weil sie in den Zeitraum seines fortdauernden Betäubungsmittelkonsums fällt.

2. Zu den weiteren Anordnungsvoraussetzungen oder Ausschlussgründen verhält sich das landgerichtliche Urteil nicht. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen der Betäubungsmittelstraftat und dem Konsumverhalten wird bereits durch die festgestellte Eigenkonsumfinanzierung nahegelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2017 – 1 StR 415/17, Rn. 12 mwN).

Über die Frage der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb unter Beachtung des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463 ) neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die etwaige Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 3 StR 563/17, Rn. 9; Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 ); der Angeklagte hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 ).

3. Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB Einfluss auf den Strafausspruch gehabt hat. Dieser kann daher bestehen bleiben.

Vorinstanz: LG Münster, vom 19.09.2017