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BGH - Entscheidung vom 27.06.2018

1 StR 188/18

Normen:
StGB § 64 S. 2

BGH, Beschluss vom 27.06.2018 - Aktenzeichen 1 StR 188/18

DRsp Nr. 2018/10581

Prüfung des Vorliegens eines Hangs hinsichtlich der Gefahr zur Begehung von suchtbedingten Straftaten i.R.d. Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Maßgebend für die Gefährlichkeitsprognose ist, ob die Gefahr, dass der Angeklagte infolge seines Hangs i.S.d. § 64 StGB erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, im Zeitpunkt der tatgerichtlichen Hauptverhandlung besteht.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 15. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

2.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 64 S. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf tatmehrheitlichen Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Rüge materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB begegnet hingegen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 5 f.) konsumierte der Angeklagte seit 2008 gelegentlich Cannabis, wobei er teilweise sogar auf einem Waldstück und später in einem Schrank seiner Wohnung selbst Cannabis anbaute. Im Jahr 2011 steigerte sich seine Drogeneinnahme zu einem täglichen Konsum, wobei er im Juni 2013 teilweise bis zu drei bis vier Gramm Cannabis pro Tag zu sich nahm. Er war aber in der Lage, seinen Konsum für mehrere Tage zu unterbrechen, wenn wichtige Termine anstanden. Ab Mai 2016 steigerte der Angeklagte bis zu seiner Festnahme am 19. Januar 2017 seinen Konsum aus Frust über einen geschäftlichen Misserfolg aber wieder auf bis zu sieben Gramm pro Tag, war aber in der Lage seinen Konsum kurzfristig einzustellen. Die Analyse einer dem Angeklagten nach der Festnahme entnommenen Haarprobe ergab nach Auswertung durch den Sachverständigen einen regelmäßigen bzw. häufigen Cannabiskonsum, wobei aber keine Anhaltspunkte für einen sonstigen Betäubungsmittelkonsum festgestellt werden konnten (UA S. 13).

b) Das Landgericht hat von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Dabei hat es die Frage des Vorliegens eines Hangs i.S.d. § 64 StGB letztlich offen gelassen. Zwar spreche der Umstand, dass der Angeklagte angefangen habe, mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben, um seinen eigenen Konsum zu finanzieren für eine soziale Gefährlichkeit, jedoch habe sich keine soziale Gefährdung ergeben im Hinblick auf die intakte Beziehung des Angeklagten zu seiner Familie und seiner Verlobten sowie seinen zahlreichen anderen Interessen. Doch könne das Vorliegen eines Hangs letztlich offen bleiben, da die hangbedingte Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten zu verneinen sei. Dabei berücksichtigt das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten neben der festen sozialen Einbindung vor allem, dass der Angeklagte nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung "erheblich unter den strafrechtlichen Konsequenzen leidet und Zukunftspläne durchaus im außerstrafrechtlichen Bereich hegt", wobei es auf Grund des Bildungsgrads und der Berufsausbildung des Angeklagten auch als wahrscheinlich erscheint, dass dieser seine beruflichen Pläne wird umsetzen können (UA S. 51). Schließlich bestünde auch keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Therapieerfolg, weil der Angeklagte keinen Zwang zum Konsum von Rauschmitteln habe und deshalb "die in der Entziehungsanstalt gegebenen Behandlungsmöglichkeiten keine Erfolge zeitigen" können (UA S. 52).

c) Die Ablehnung der Maßregel hat keinen Bestand.

Die Strafkammer ist bei der Prüfung des Vorliegens eines Hangs i.S.d. § 64 StGB zwar von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen, hat aber letztlich rechtsfehlerhaft das Ergebnis ihrer Prüfung offen gelassen. Denn die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei seiner Gefährlichkeitsprognose einen rechtlich unzutreffenden Maßstab zu Grunde gelegt hat, weil es im Rahmen seiner hier zu treffenden Gesamtwürdigung nicht allein auf die im Zeitpunkt der Verurteilung vorliegenden prognostisch relevanten Umstände abstellt. Maßgebend für die Prognose ist, ob die Gefahr, dass der Angeklagte infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, im Zeitpunkt der tatgerichtlichen Hauptverhandlung besteht (BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 - 4 StR 636/11, NStZ-RR 2012, 203 und vom 22. Januar 1997 - 2 StR 656/96, StV 1998, 73 ). Möglichkeiten, Chancen, Maßnahmen einer therapeutischen Behandlung oder auch zukünftig erst Erhofftes haben dabei im Rahmen der Gesamtwürdigung außer Betracht zu bleiben. Die Gefahr künftiger suchtbedingter Straftaten darf daher nicht deshalb verneint werden, weil der Angeklagte - wie hier - unter den strafrechtlichen Konsequenzen seiner Taten leidet und künftige berufliche Zukunftspläne im außerstrafrechtlichen Bereich wahrscheinlich wird umsetzen können. Vielmehr indiziert der Umstand, dass der Angeklagte durch den Verkauf der Betäubungsmittel seinen eigenen Konsum finanzieren wollte, dessen soziale Gefährlichkeit.

d) Angesichts des Umstandes, dass bei dem Angeklagten bislang eine Therapie noch nicht durchgeführt worden ist, sprechen die bisherigen Urteilsfeststellungen auch für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB , die auch nicht im Blick auf die Behandlungsmöglichkeiten in der Entziehungsanstalt verneint werden kann. Wenn bei dem Angeklagten - was die Strafkammer gerade offen gelassen hat - ein Hang i.S.d. § 64 StGB besteht, ist nicht erkennbar, wieso dann keine Erfolgsaussicht einer Behandlung bestehen soll.

2. Die Feststellungen zur Entscheidung über die Maßregel werden aufgehoben, um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen. Der Strafausspruch ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.

Vorinstanz: LG München II, vom 15.12.2017