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BGH - Entscheidung vom 22.11.2018

X ZR 33/17

Normen:
PatG § 3
PatG § 4

BGH, Urteil vom 22.11.2018 - Aktenzeichen X ZR 33/17

DRsp Nr. 2019/2269

Patentfähigkeit eines Erdbaugitters und Verfahrens zu deren Herstellung; Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes der fehlenden Ausführbarkeit der Erfindung

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 7. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 19. Januar 2017 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Normenkette:

PatG § 3 ; PatG § 4 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 534 898 (Streitpatents), das Erdbaugitter und Verfahren zu deren Herstellung betrifft. Die Anmeldung erfolgte am 27. Juni 2003 unter Inanspruchnahme der Priorität einer britischen Patentanmeldung vom 27. Juni 2002.

Die nebengeordneten Ansprüche 1 und 6 lauten in der Verfahrenssprache wie folgt:

"1. A mesh structure (7) made by stretching and orienting a plastics starting material (1) which was provided with an array of holes (2), the mesh structure comprising transverse members (6') interconnected by substantially straight oriented strands (6), at least some of the strands extending from one transverse member (6') to the next at a substantial angle to the direction (MD) at right angles to the transverse members (6') and alternate such angled strands (6) across the width of the mesh structure being angled to said direction (MD) by equal and opposite angles, characterised in that the mesh structure is a geogrid (7), in that the geogrid (7) has been uniaxially oriented and the transverse members are bars (6') and in that the orientation of each angled strand (6) extends generally in the direction of stretching (MD) across the respective bar (6') to the respective angled strand (6) on the other side of the bar (6').

6. A mesh structure (10) made by stretching and biaxially orienting a plastics starting material (1, 21) which was provided with an array of holes (2, 22), the mesh structure (10) comprising a first set of substantially straight oriented strands (6, 26) extending at an acute angle to a first direction (MD), a second set of substantially straight oriented strands (6, 26) extending at an acute angle to the first direction (MD) and, as considered in a second direction (TD) at right angles to the first direction (MD), alternate angled strands (6, 26) of the two sets being angled to the first direction (MD) by substantially equal and opposite angles, further substantially straight oriented strands (9, 30) extending in said second direction (TD), and junctions (11, 31), each interconnecting four of the angled oriented strands (6, 26) and two of the further oriented strands (9, 30), characterised in that the mesh structure is a geogrid (7), and in that at substantially each junction (11, 31) the crotch between each pair of adjacent strands is oriented in the direction running around the crotch, whereby there is continuous orientation from the edge of one strand, around the crotch and to the edge of the adjacent strand."

Ansprüche 15 und 17 betreffen Verfahren zur Herstellung solcher Erdbaugitter, Anspruch 40 betrifft ein Verfahren zur Verstärkung eines partikulären Materials und Anspruch 41 eine Erdbau-Konstruktion, bei der ein partikuläres Material durch Einbettung eines Erdbaugitters nach einem der Ansprüche 1 bis 14 oder hergestellt nach einem der Verfahren gemäß Ansprüchen 15 bis 39 verstärkt wird.

Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 bis 26 sowie 40 und 41 wegen fehlender Ausführbarkeit, unzulässiger Erweiterung und mangelnder Patentfähigkeit angegriffen. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt, hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt. Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent hilfsweise mit den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

I. 1. Das Streitpatent betrifft Erdbaugitter und Verfahren zu deren Herstellung. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift handelt es sich dabei um Gitter, mit denen der Boden verfestigt oder verstärkt werden kann. Ein solches Gitter hat offene Maschen, in die sich Bodenpartikel einhaken können. Das Gitter weist Stränge auf, die entweder an Stäben, die in Querrichtung (TD = transverse direction) verlaufen, oder an Abzweigstellen miteinander verbunden sind. Ausgangsmaterial für die Herstellung eines solchen Gitters ist eine Kunststofffolie, die mit Löchern versehen ist. Wird das Ausgangsmaterial nur in eine Richtung, die üblicherweise als MD (machine direction) bezeichnet wird, gestreckt, spricht man von einem uniaxialen Gitter. Wird das Ausgangsmaterial anschließend oder gleichzeitig in eine zweite Richtung (TD = transverse direction) gestreckt, die quer zur ersten Richtung verläuft, spricht man von einem biaxialen Gitter. Durch die Streckung werden die Zonen zwischen benachbarten Löchern zu Strängen gestreckt, die Löcher werden zu Maschen des Gitters.

Nach der Darstellung in der Streitpatentschrift werden uniaxiale Gitter eingesetzt, wenn die Belastung hauptsächlich in eine Richtung erfolgt, etwa bei der Verstärkung von Dämmen. Biaxiale Gitter würden beispielsweise zur Verstärkung körniger Lagen in Straßen, Parkplätzen und dergleichen verwendet und könnten Belastungen in zwei Richtungen aufnehmen. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass solche Gitterstrukturen in diagonaler Richtung keine genügende Stabilität aufweisen.

2. Dem Streitpatent liegt vor diesem technischen Hintergrund die Aufgabe zugrunde, Erdbaugitter und Verfahren zu deren Herstellung bereitzustellen, die eine verbesserte Festigkeit auch in Richtungen gewährleisten, die diagonal zu den Richtungen MD und TD verlaufen.

3. Diese Aufgabe soll erfindungsgemäß durch Erdbaugitter gelöst werden, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

Anspruch 1:

1.1

Eine gitterförmige Konstruktion (7) als Erdbaugitter

a)

die durch das Strecken und uniaxiale Ausrichten (orienting) eines Ausgangsmaterials (1) hergestellt ist, bei dem es sich um Plastik handelt,

b)

wobei das Ausgangsmaterial mit einer Anordnung von Löchern (2) versehen ist.

1.2

Die gitterförmige Konstruktion

a)

ist einachsig ausgerichtet, und

b)

umfasst querlaufende Teile (6'), die Stäbe (bars) sind.

1.3

Die querlaufenden Teile sind durch im Wesentlichen gerade ausgerichtete Stränge (strands) (6) miteinander verbunden, wobei

a)

mindestens einige der Stränge sich unter einem wesentlichen Winkel zu der Streckrichtung (MD), die im rechten Winkel zu den querlaufenden Teilen verläuft, von einem querlaufenden Teil (6') zum nächsten erstrecken,

b)

bei derartigen Strängen (6) über die Breite der gitterförmigen Konstruktion gleichlaufende und entgegengesetzte Winkel abwechseln, und

c)

wobei die Ausrichtung jedes im Winkel verlaufenden Strangs (6) sich im Allgemeinen in die Streckrichtung MD über den entsprechenden Stab (6') zu dem entsprechend im Winkel verlaufenden Strang (6) auf der anderen Seite des Stabs (6') erstreckt.

Anspruch 6:

6.1

Eine gitterförmige Konstruktion (10) als Erdbaugitter,

a)

die durch das Strecken und zweiachsige Ausrichten eines Ausgangsmaterials (1, 21) hergestellt ist, bei dem es sich um Plastik handelt,

b)

wobei das Ausgangsmaterial mit einer Anordnung von Löchern (2, 22) versehen ist.

6.2

Die gitterförmige Konstruktion umfasst:

a)

im Wesentlichen gerade ausgerichtete Stränge (9, 30), die sich in die zweite Richtung (TD) erstrecken;

b1)

einen ersten Satz von im Wesentlichen gerade ausgerichteten Strängen (6, 26), die sich in einem spitzen Winkel zur ersten Richtung (MD) erstrecken, und

b2)

einen zweiten Satz von im Wesentlichen gerade ausgerichteten Strängen (6, 26), die sich in einem spitzen Winkel zur ersten Richtung (MD) erstrecken,

b3)

wobei, aus einer zweiten, im rechten Winkel zur ersten Richtung (MD) verlaufenden Richtung (TD) betrachtet, die alternierenden Stränge (6, 26) dieser beiden Sätze im Wesentlichen gleiche und gegenläufige Winkel im Verhältnis zur ersten Richtung (MD) aufweisen;

c)

Abzweigungen (junctions), die jeweils vier der im Winkel zur ersten Richtung (MD) verlaufenden, ausgerichteten Stränge (6, 26) und zwei der weiteren ausgerichteten Stränge (9, 30) verbinden,

d)

wobei im Wesentlichen an jeder Abzweigung die Gabelung (crotch) zwischen zwei benachbarten Strängen in die Richtung ausgerichtet ist, die um die Gabelung herum verläuft, wodurch eine kontinuierliche Ausrichtung von der Kante eines Strangs um die Gabelung herum zur Kante des benachbarten Strangs vorliegt.

4. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung:

a) Nach Merkmal 1.1 (und 6.1) handelt es sich um eine gitterförmige Struktur als Erdbaugitter (the mesh structure is a geogrid). Das Gitter muss danach so beschaffen sein, dass es geeignet ist, zur Stabilisierung von Erdreich bei Baumaßnahmen zu dienen, also etwa wasserdurchlässig, mechanisch ausreichend belastbar und verrottungsbeständig sein, sowie, je nach Einsatzzweck, eine Maschenweite aufweisen, die z.B. eine Durchwurzelung oder die Durchdringung mit Partikeln des Erdreichs ermöglicht.

b) Anspruch 1 betrifft nach Merkmal 1.2 a eine Konstruktion, die einachsig ausgerichtet ist. Das Ausgangsmaterial wird danach nur in eine Richtung (MD) gestreckt. Dagegen betrifft Anspruch 6 ein Gitter, das in zwei Richtungen (MD und TD, siehe Abs. 26 f.) gestreckt wird, wobei die zweite Richtung im rechten Winkel zur ersten Richtung verläuft (Abs. 18).

c) Das Gitter weist nach Merkmal 1.3 im Wesentlichen gerade ausgerichtete Stränge auf. Wird das Ausgangsmaterial, das nach Merkmal 1.1 b mit einer Anordnung von Löchern versehen ist, gestreckt, so werden die Zonen zwischen benachbarten Löchern zu Strängen gezogen. Die Streckung bewirkt, wie etwa die Maßangaben in Figur 3 der Streitpatentschrift zeigen, dass das Material im Bereich der Stränge dünner wird. Sie bewirkt ferner eine Ausrichtung (orientation) des Materials, womit eine molekulare Ausrichtung bzw. Orientierung des Kunststoffmaterials in die Richtung der Streckung gemeint ist (Abs. 16). Diese Ausrichtung hat zur Folge, dass das Material in Richtung der Orientierung stärker belastbar ist. Bei einem im Wesentlichen gerade ausgerichteten Strang handelt es sich danach um einen Bereich des Gitters, der im Wesentlichen gerade verläuft und durch die Streckung eine Ausrichtung erfahren hat.

d) Das Gitter umfasst nach Merkmal 1.2 b querlaufende Teile, die Stäbe sind. Die Angabe "quer" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Stäbe im Wesentlichen senkrecht zur Maschinenrichtung verlaufen. Da das Ausgangsmaterial hier nur in eine Richtung gestreckt wird, findet die Strangbildung unter Ausrichtung des Materials nicht in allen Bereichen statt, sondern ist in den strangbildenden Zonen zwischen benachbarten Löchern besonders ausgeprägt. Andere Bereiche werden dagegen deutlich weniger stark beeinflusst, das Material wird nur in geringerem Umfang dünner und die Orientierung ist weniger ausgeprägt. In den nachstehend abgebildeten Figuren 1 und 2 ist dies durch die im Bereich 4 gezeichneten Referenzlinien (truth lines) verdeutlicht. Dabei zeigt Figur 1 das Ausgangsmaterial vor der Streckung und Figur 2 den Zustand nach Streckung in die Richtung MD.

e) Entscheidende Bedeutung kommt den Merkmalen 1.3a bis c zu. Danach sind die querlaufenden Stäbe durch im Wesentlichen gerade ausgerichtete Stränge miteinander verbunden, von denen mindestens einige im Winkel zur Streckrichtung MD verlaufen, wobei sich gleichlaufende und entgegengesetzte Winkel abwechseln. Da die Orientierung der Stränge ihre Belastbarkeit in Streckrichtung erhöht, hat die Anordnung der Stränge im Winkel zur Streckrichtung zur Folge, dass das Gitter nicht nur Kräfte aufnehmen kann, die in Richtung MD wirken, sondern auch solche, die schräg dazu wirken. Weiter gefördert wird diese Wirkung nach Merkmal 1.3 c dadurch, dass sich die Ausrichtung eines in einem Winkel zur Richtung MD verlaufenden Strangs über den querlaufenden Stab hinweg in den entsprechend abgewinkelten Strang jenseits des Stabs erstreckt.

Die Ausrichtung bedeutet, anders als das Patentgericht meint, auch hier nicht nur eine räumliche Ausrichtung. Merkmal 1.3 c setzt vielmehr darüber hinaus voraus, dass sich auch auf der molekularen Ebene die Ausrichtung eines Strangs jedenfalls in einem gewissen Umfang über den querlaufenden Stab hinweg in den nächsten Strang erstreckt. Für dieses Verständnis spricht zum einen, dass die Streitpatentschrift den Begriff Ausrichtung ausdrücklich dahin definiert, dass damit eine Orientierung auf molekularer Ebene gemeint ist (Abs. 16), zum anderen, dass der Begriff der Ausrichtung in Anspruch 1 sonst in unterschiedlicher Bedeutung verwendet würde. Im Regelfall gilt jedoch, dass gleiche Begriffe im Zusammenhang eines Patentanspruchs auch gleiche Bedeutung haben (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2016 - X ZR 21/15, GRUR 2017, 152 - Zungenbett). Bestätigt wird dieses Verständnis durch Absatz 46 der Beschreibung. Dort wird ausgeführt, dass die Streckung des Ausgangsmaterials in die Richtung MD dazu führt, dass die Bereiche 6'' eine leichte Orientierung in Richtung MD aufweisen, so dass sich die Orientierung der Stränge über den querlaufenden Stab hinweg fortsetzt. Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff der Ausrichtung hier anders gemeint sein könnte als es der im allgemeinen Teil der Streitpatentschrift enthaltenen Definition (Abs. 16) entspricht, sind nicht ersichtlich.

f) Entsprechendes gilt für das biaxial ausgerichtete Erdbaugitter nach Anspruch 6. Nach Merkmal 6.2 a umfasst das Gitter im Wesentlichen gerade ausgerichtete Stränge, die sich in die zweite Richtung (TD) erstrecken. Diese Stränge treten an die Stelle der in Anspruch 1 vorgesehenen Stäbe und sind gerade ausgerichtet, weil das biaxiale Gitter auch in Querrichtung gestreckt worden ist. Nach Merkmalsgruppe 6.2 b gibt es ferner zwei Sätze von Strängen, die wechselweise im spitzen Winkel zur ersten Streckrichtung verlaufen. Eine solche Anordnung gewährleistet, dass das Gitter nicht nur Kräfte aufnehmen kann, die in der ersten und der zweiten Richtung auftreten, sondern auch solche, die diagonal hierzu einwirken.

g) Nach Merkmal 6.2 c umfasst das biaxial ausgerichtete Erdbaugitter Abzweigungen oder Knotenpunkte (junctions), die jeweils vier der im Winkel zur ersten Richtung verlaufenden ausgerichteten Stränge und zwei der weiteren ausgerichteten (in der zweiten Richtung verlaufenden) Stränge verbinden. Die Abzweigungen werden damit von den Strängen unterschieden. Während es sich bei Strängen um Bereiche des Ausgangsmaterials handelt, die durch das Strecken stark gedehnt worden sind, handelt es sich bei den Abzweigungen um die verbleibenden Bereiche, die deutlich weniger stark gedehnt werden und in denen damit auch nur in geringerem Umfang eine Ausrichtung auf molekularer Ebene erfolgt. Unerlässlich ist aber, dass jeweils sechs Stränge an derselben Abzweigung anliegen. Ausgeschlossen sind danach Gestaltungen, bei denen mehrere Abzweigungen, von denen jede einzelne weniger als sechs Stränge verbindet, ihrerseits durch Stränge verbunden sind. Die Form der Abzweigung ist nicht näher festgelegt. Sie kann etwa, wie das Ausführungsbeispiel nach Figuren 11 und 12 und die Erläuterung hierzu in Absatz 66 verdeutlichen, eine angedeutete Hantelform haben.

h) Nach Merkmal 6.2 d ist die Gabelung zwischen zwei benachbarten Strängen an den Abzweigstellen so ausgerichtet (orientiert), dass die Ausrichtung von der Kante eines mit der Abzweigung verbundenen Strangs um die Gabelung herum zur Kante des benachbarten Strangs verläuft. Beispielhaft ist das ersichtlich aus dem Verlauf der Referenzlinien im Bereich 4'' der Figur 4 der Streitpatentschrift, die ein weiteres Ausführungsbeispiel eines erfindungsgemäßen biaxialen Erdbaugitters zeigt.

Auch insoweit ist eine Ausrichtung der Moleküle erforderlich. Der Streckvorgang muss so durchgeführt werden, dass die Moleküle auch im Bereich der Gabelungen zumindest leicht ausgerichtet werden.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Nichtigkeitsgrund der unzureichenden Offenbarung liege nicht vor. Die Erfindung sei anhand dreier Ausführungsbeispiele, die in den Absätzen 54 bis 67 näher erläutert seien, so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann, ein Diplom-Ingenieur der Kunststofftechnik, der über besondere Berufserfahrungen bezüglich der Herstellung von Erdbaugittern verfügt und der - soweit es um die an ein Erdbaugitter zu stellenden praktischen Anforderungen geht - mit einem in der Planung und Ausführung von Erdbaukonstruktionen kundigen Bauingenieur zusammenarbeitet, sie ausführen könne.

Das Streitpatent sei auch nicht mangels Patentfähigkeit für nichtig zu erklären.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei weder durch die US-Patentschrift 4 536 429 (NK5) noch durch das europäische Patent 62 462 (NK6) oder die deutsche Offenlegungsschrift 1 454 903 (NK8) vorweggenommen.

Bei der in NK5 beschriebenen Gitterkonstruktion seien die den querlaufenden Teilen entsprechenden Stäbe nicht durch im Wesentlichen gerade ausgerichtete Stränge, sondern über ein Netzwerk aus unterschiedlichen, weiter verzweigten Strängen miteinander verbunden.

Das Gitter nach NK6 zeige keine Stränge, die querlaufende Stäbe miteinander verbinden.

Das in NK8 beschriebene Gitter weise keine Stränge auf, die im Winkel zur Streckrichtung verlaufen. Stränge und Stäbe stießen dort ausschließlich im rechten Winkel aufeinander. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei ein uniaxiales Gitter mit im Winkel zur Streckrichtung verlaufenden Strängen auch nicht durch die Figuren 9 und 10 der NK8 und der zugehörigen Beschreibung offenbart. Zwar könne angenommen werden, dass sich aus dem in Figur 9 gezeigten Ausgangsmaterial bei einer zunächst nur in eine Richtung erfolgende Streckung ein Zwischenprodukt mit Strängen gemäß Merkmalsgruppe 1.3 ergebe. Ein solches Zwischenprodukt werde dem Fachmann jedoch nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei dem Fachmann durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt worden. Zwar sei die NK8 als möglicher Ausgangspunkt für die Bemühungen des Fachmanns anzusehen. Wenn dort angegeben sei, dass das Material nicht nur gleichzeitig in zwei Richtungen gestreckt werden könne, sondern die Streckung auch zunächst in eine erste und sodann in eine zweite Richtung erfolgen könne, habe dies dem Fachmann keine ausreichende Anregung vermittelt, aus einem Material gemäß Figur 9 ein uniaxiales Gitter herzustellen. Die Annahme, die aus Figur 10 ersichtlichen Stränge 53 seien bereits nach dem Strecken in eine Richtung winklig angeordnet, sei rein spekulativ.

Das US-Patent 5 787 654 (NK9) betreffe einen gänzlich anderen Sachverhalt und habe daher keinen tauglichen Ausgangspunkt für die Bemühungen des Fachmanns dargestellt.

Die britische Patentanmeldung 2 295 353 (NK10) gebe keinen Hinweis auf Stränge, die im Winkel zur Streckrichtung verlaufen.

Auch der Gegenstand von Patentanspruch 6 sei durch den Stand der Technik nicht vorweggenommen.

NK5 offenbare keine Abzweigungen, die jeweils vier der im Winkel zur ersten Streckrichtung verlaufenden, ausgerichteten Stränge und zwei weitere, sich in die zweite Richtung erstreckende Stränge verbinden. Ohne Erfolg verweise die Klägerin auf Figur 3c der NK5. Verlängere man den dort gezeigten Strang Teilstrang 34 über den horizontal verlaufenden Strang 13, ergebe sich daraus, entgegen der Auffassung der Klägerin, keine Abzweigung im Sinne von Merkmal 6.2 c.

Dieses Merkmal sei auch durch NK6 nicht offenbart. Deren Figur 24c zeige vielmehr ein aus Teilsträngen bestehendes Rechteck, das nicht mit einer Abzweigung im Sinne von Merkmal 6.2 c gleichgesetzt werden könne.

Die deutsche Offenlegungsschrift 1 479 677 (NK7) sei ebenfalls nicht neuheitsschädlich. Das dort vorgesehene Ausgangsmaterial weise keine Löcher auf, sondern Materialverdickungen. Erst nach dem Strecken bildeten sich in der dort beschriebenen Folie schlitzförmige Öffnungen aus.

Schließlich offenbare auch NK8 nicht alle Merkmale von Patentanspruch 6. Nach der dort vorgestellten technischen Lehre sei es entscheidend, dass die Streckung des Ausgangsmaterials und damit die Orientierung auf die dort als "Rippen" bezeichneten Stränge beschränkt würden, dagegen die dazwischenliegenden Bereiche "unausgezogen" blieben. Damit fehle es an der in Merkmal 6.2 d beschriebenen Ausrichtung um die Gabelung herum.

Der Gegenstand von Patentanspruch 6 sei dem Fachmann durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt gewesen. Nachdem NK8 betone, dass die gestreckten Rippen mit "unausgezogenen" Bereichen in Verbindung stehen sollen, habe diese Schrift dem Fachmann keine Anregung vermittelt, ein Erdbaugitter mit den in Merkmal 6.2 d beschriebenen Gabelungen zu entwickeln, sondern ihn in eine gänzlich andere Richtung gewiesen. Zu NK9 und NK10 gelte das zu Anspruch 1 Ausgeführte entsprechend.

Auch der Gegenstand der nebengeordneten Ansprüche 15, 17, 40 und 41 sei jeweils patentfähig.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug stand.

1. Zu Recht hat das Patentgericht den Nichtigkeitsgrund fehlender Ausführbarkeit der Erfindung verneint.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH, Urteil vom 3. Februar 2015 - X ZR 76/13, GRUR 2015, 472 Rn. 36 - Stabilisierung der Wasserqualität).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das Patentgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beschreibung des Streitpatents anhand mehrerer Beispiele im Einzelnen beschreibt, welches Ausgangsmaterial welcher Stärke, mit welcher Größe und Anordnung der Löcher verwendet wird und mit welcher Kraft dieses Ausgangsmaterial nacheinander in zwei Richtungen gestreckt wird. Ferner wird dort beschrieben, wie sich diese Vorgehensweise auf die Stärke des Materials in den verschiedenen Bereichen und auf dessen Orientierung auswirkt.

Soweit die Klägerin Zweifel daran äußert, dass sich bei dem in der Beschreibung des Streitpatents erläuterten Vorgehen eine Orientierung nach Merkmal 6.2 d ergebe, füllt dies keinen Nichtigkeitsgrund aus. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens ohne unzumutbare Schwierigkeiten durchzuführen, trägt die Nichtigkeitsklägerin (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 910 Rn. 31 - Polymerisierbare Zementmischung). Es wäre daher ihre Sache darzulegen, dass eine Nacharbeitung der im Streitpatent aufgeführten Beispiele auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nicht zu Erdbaugittern führt, wie sie das Streitpatent lehrt. Daran fehlt es.

Der Hinweis der Klägerin auf NK8 führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar trifft es zu, dass auch dort als Ausgangsmaterial unter anderem eine Kunststofffolie mit hexagonal angeordneten Löchern gezeigt wird, die dann in zwei Richtungen gestreckt wird, die im rechten Winkel zueinander verlaufen. Richtig ist weiter, dass die NK8 in den Ansprüchen und in der Beschreibung vielfach deutlich macht, dass die dort beschriebene Vorgehensweise zwar in bestimmten Bereichen zur Ausbildung von Strängen führen soll, es aber auch Bereiche geben soll, die "unausgezogen" (siehe Anspruch 1 der NK8) bleiben, also nicht einer Streckung und damit einhergehend einer Ausrichtung unterzogen werden. NK8 legt damit zugrunde, dass es möglich ist, bestimmte Bereiche zu - dort als Rippen bezeichneten - Strängen zu dehnen, ohne dabei die Zugkräfte auf die angrenzenden Verbindungsflächen wirken zu lassen (NK8, S. 3, 2. Abs.). Aus dem Umstand, dass eine solche Begrenzung der Zugkräfte möglich ist, folgt jedoch nicht, dass sie notwendig eintritt. Daher ist auch der Schluss nicht begründet, es sei unmöglich, dass die in der Streitpatentschrift beschriebene Vorgehensweise die dort beschriebenen Wirkungen, insbesondere eine Orientierung des Materials auch im Bereich der querlaufenden Stäbe gemäß Merkmal 1.3 c bzw. im Bereich der Abzweigungen gemäß Merkmal 6.2 d hervorrufe. Wird es in NK8 als vorzugswürdig beschrieben, bestimmte Bereiche des Ausgangsmaterials von der Streckung auszunehmen, belegt dies vielmehr eher, dass der Fachmann beide Zustände herbeiführen kann.

Zudem ist bereits in der europäischen Patentanmeldung 515 233 (NK4) für Erdbaugitter, bei denen die Stränge parallel zu den beiden Streckrichtungen verlaufen, beschrieben, dass die Orientierung in den Abzweigungen um die Gabelung herum verlaufen (S. 11, Z. 6-8) und sich über Verbindungszonen hinweg erstrecken kann (S. 5, Z. 48-50).

2. Zutreffend hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 patentfähig ist.

a) Dieser Gegenstand wird durch den Stand der Technik nicht vorweggenommen.

aa) NK5 beschreibt eine Gitterkonstruktion, die als Erdbaugitter dienen kann und ein- oder zweiachsig ausgerichtet ist. Figuren 3a und 3b der NK5 zeigen jeweils ein mit unterschiedlichen Lochmustern versehenes Ausgangsmaterial und den Zustand, in dem sich dieses Material nach einachsigem Strecken befindet.

Diese Gestaltung nimmt Merkmalsgruppe 1.3 nicht vorweg. Wie sich aus Figur 3b ergibt, sind die querlaufenden Teile dort nicht durch gerade ausgerichtete Stränge miteinander verbunden, die unter einem wesentlichen Winkel zu der Streckrichtung verlaufen. Figur 3b zeigt vielmehr querlaufende Teile, die durch ein Netz von Strängen verbunden sind, die teilweise im Winkel, teilweise jedoch parallel zur Streckrichtung verlaufen. Stränge, die durchgehend von einem querlaufenden Teil zum nächsten in einem Winkel zur Streckrichtung verlaufen, zeigt Figur 3b nicht. Zudem fehlt es daran, dass sich die Ausrichtung der im Winkel zur Streckrichtung verlaufenden Stränge über den querlaufenden Stab zu einem entsprechenden im Winkel verlaufenden Strang auf dessen anderer Seite erstreckt.

Für das durch die Figuren 4a und 4b der NK5 erläuterte Ausführungsbeispiel gilt entsprechendes.

bb) Auch NK8 nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vorweg.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das in NK8 beschriebene Gitter geeignet ist, als Erdbaugitter zu dienen. Zwar weisen die in den Ausführungsbeispielen näher beschriebenen Filme nur eine Stärke von 0,3 mm auf, was einer Verwendung eines daraus gefertigten Gitters für Erdarbeiten entgegenstehen dürfte, auch wird eine solche Einsatzmöglichkeit bei der - nicht abschließenden - Aufzählung möglicher Verwendungen nicht ausdrücklich erwähnt (S. 20, letzter Absatz). Nach der Beschreibung hängt aber die Dicke des Filmmaterials in erster Linie von den Eigenschaften ab, die das fertige Netz haben soll (S. 20, 2. Abs.). In diesem Zusammenhang wird auch die Bearbeitung von Filmen mit einer Dicke von mehr als 3 mm angesprochen und damit in einer Größenordnung, wie sie auch das Streitpatent angibt.

Es kann ferner offen bleiben, ob bei einer Vorgehensweise, bei der das Ausgangsmaterial nicht, wie in NK8 als vorzugswürdig bezeichnet (S. 19, 2. Abs.), gleichzeitig, sondern in zwei aufeinander folgenden Schritten gestreckt wird, durch eine Dehnung des in Figur 9 dargestellten Ausgangsmaterials in die Richtung 47 ein Gitter entstünde, dass Ähnlichkeiten mit demjenigen aufweist, das die oben wiedergegebene Figur 2 des Streitpatents zeigt. Denn es fehlt jedenfalls an einer Vorwegnahme von Merkmal 1.3 c. Wie bereits ausgeführt, offenbart NK8 keine Orientierung der im Winkel zur Streckrichtung verlaufenden Stränge über den querlaufenden Stab hinweg zu dem entsprechend im Winkel verlaufenden Strang auf dessen anderer Seite. NK8 betont vielmehr, dass die Zugwirkung auf bestimmte Bereiche beschränkt wird, dazwischen jedoch "unausgezogene" Bereiche verbleiben. Wenn nach NK8 auch nach biaxialem Strecken des Ausgangsmaterials gemäß nachstehend wiedergegebener Figur 9 die in Figur 10 mit dem Bezugszeichen 55 versehenen Bereiche "unausgezogen" sind (NK8, S. 19 oben), gilt dies notwendigerweise auch für die querlaufenden Stäbe, die nach einer Streckung in nur eine Richtung entstehen.

Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung der geschützten Lehre ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in NK8 die Möglichkeit einer Streckung im Bereich der Verbindungsstellen ausdrücklich erwähnt wird. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine hinreichende Offenbarung schon deshalb zu verneinen ist, weil diese Variante in NK8 als nachteilig dargestellt wird. Der Beschreibung von NK8 lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass die Verbindungsstellen gerade in der Weise gestreckt werden, dass sich einerseits nur eine verhältnismäßig geringfügige Ausrichtung ergibt, diese sich aber von einem Strang über die Verbindungsstelle hinweg durchgehend bis zum gegenüberliegenden Strang erstreckt.

b) Der Gegenstand von Patentspruch 1 wurde dem vom Patentgericht zutreffend bestimmten Fachmann durch den Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt auch nicht nahegelegt.

aa) Die europäische Patentanmeldung 515 233 (NK4) kommt zwar als Ausgangspunkt der Bemühungen des Fachmanns in Betracht, weil sie ein Erdbaugitter betrifft, die Herstellung eines solchen Gitters durch biaxiales Strecken einer Kunststofffolie behandelt und sich eingehend mit der durch die Streckung bewirkten Orientierung des Kunststoffs und deren Wirkungen befasst. NK4 beschreibt zudem bereits eine Vorgehensweise, nach welcher die Streckung so lange fortgesetzt wird, bis es zu einer Verminderung des Querschnitts auch im Bereich der Stäbe bzw. Abzweigungen kommt, so dass sich die Orientierung über diese hinweg erstreckt (S. 3, Z. 10 ff.). Zwar zeigen die Figuren der NK4 nur Ausgangsmaterial, bei dem die Löcher quadratisch oder in einem Rechteck angeordnet sind, doch wird in der Beschreibung auf die Möglichkeit einer anderen Anordnung hingewiesen (S. 8, Z. 44-46).

NK4 kann jedoch bereits nicht entnommen werden, dass eine Orientierung der Stränge eines Erdbaugitters in jedem Fall erstrebenswert ist. Das Dokument erläutert die Vorteile einer solchen Maßnahme nur für Gestaltungen, bei denen die Stränge im rechten Winkel zueinander verlaufen, und auch dies nur für Gitter, bei denen die Stränge in eine - als Hauptrichtung bezeichnete - Richtung eine wesentlich größere Festigkeit aufweisen sollen als in eine im rechten Winkel dazu verlaufende Nebenrichtung. Eine Anregung, ein solches Erdbaugitter dahin abzuwandeln, dass mindestens einige der Stränge unter einem wesentlichen Winkel zur ersten und zur zweiten Streckrichtung verlaufen, ergab sich aus NK4 nicht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergab sich für den Fachmann eine solche Anregung auch nicht aus NK8. Wie bereits ausgeführt, soll nach NK8 die Wirkung der Streckung des Materials auf bestimmte Bereiche beschränkt bleiben, während andere Bereiche "unausgezogen" bleiben sollen, so dass sich hieraus keine Anregung zu einem Gitter ergab, bei dem sich die Ausrichtung der im Winkel verlaufenden Stränge gemäß Merkmal 1.3 c über die querlaufenden Stäbe hinweg erstreckt. NK8 liegt damit ein deutlich anderes Konzept zugrunde als NK4, nach der eine Orientierung des Ausgangsmaterials durch Strecken auch über die Verbindungsbereiche hinweg empfohlen wird. Angesichts dessen gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Fachmann aus der NK8 allein einen bestimmten Aspekt - die Anordnung von Strängen auch im Winkel zur Streckrichtung bzw. das dafür gewählte hexagonale Lochmuster des Ausgangsmaterials - herausgegriffen und diesen mit dem in NK4 vorgestellten Gitter und der Methode zu dessen Herstellung kombiniert hätte.

Sofern eine technische Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Fachmanns gehört, kann Veranlassung zu ihrer Heranziehung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings bereits dann bestehen, wenn es für ihre Anwendung zwar kein konkretes Vorbild gibt, sich aber die Nutzung ihrer Funktionalität in dem betreffenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände festzustellen sind, die eine Anwendung als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 11. März 2014 - X ZR 139/10, GRUR 2014, 647 - Farbversorgungssystem; Urteil vom 26. September 2017 - X ZR 109/15, GRUR 2018, 509 Rn. 113 - Spinfrequenz). Es ist jedoch Sache des Nichtigkeitsklägers, konkrete Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen, dass ein bestimmtes Mittel in diesem Sinne "im Griffbereich" des Fachmanns liegt.

Daran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat weder aufgezeigt, dass ein aus aneinander angrenzenden Sechsecken bestehendes Lochmuster im Ausgangsmaterial entsprechender Folien, noch dass eine Anordnung von Strängen, die in einem wesentlichen Winkel zur ersten und zur zweiten Streckrichtung verlaufen, wobei sich gleichlaufende und entgegengesetzte Winkel abwechseln, als ein solches generelles Lösungsmittel zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns gehörten.

bb) Nichts anderes ergibt sich, wenn man NK8 als Ausgangspunkt der Bemühungen des Fachmanns ansehen wollte.

Dabei kann zugrunde gelegt werden, dass dieses Dokument den Fachmann darüber informiert, dass das dort in Figur 9 gezeigte Ausgangsmaterial, welches hexagonal angeordnete Löcher aufweist, nicht zwingend zugleich in zwei Richtungen gestreckt werden muss, sondern auch die Möglichkeit besteht, zunächst in die Richtung 47 und sodann in Richtung 45 zu strecken. Zwar wird in NK8 das gleichzeitige Aufbringen biaxialer Reckkräfte als vorteilhaft bezeichnet (S. 19), doch wird auch die Möglichkeit angesprochen, die Streckung erst in die eine Richtung und anschließend in eine quer dazu verlaufende Richtung vorzunehmen. Dabei wird zwar eine erste Streckung in Richtung 45 als nachteilig angesehen. Eine erste Streckung in Richtung 47 - und damit in die Richtung, die auch in den Ausführungsbeispielen der Streitpatentschrift für die erste Streckung gewählt wird - wird dagegen nicht als problematisch angesehen. Weiter kann zugunsten der Klägerin angenommen werden, dass eine solche Streckung der in Figur 9 gezeigten Folie in Richtung 47 zu Strängen führt, die im Winkel zu dieser Richtung verlaufen.

Wie bereits ausgeführt, gibt NK8 jedoch vor, dass die Verbindungsbereiche zwischen den Strängen nicht ausgerichtet werden. Es ist daher nicht ersichtlich, was den Fachmann veranlasst haben sollte, nur das in Figur 9 der NK8 gezeigte Lochmuster zu verwenden, die weiteren Vorgaben dieser Entgegenhaltung aber beiseite zu lassen und sich im Übrigen an der in NK4 erläuterten Vorgehensweise zu orientieren.

cc) Hinsichtlich der NK9 und NK10 wird auf die zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts Bezug genommen.

c) Ist danach der Gegenstand von Patentanspruch 1 patentfähig, erweist sich auch der Gegenstand von Patentanspruch 15, der auf ein Verfahren zur Herstellung eines Erdbaugitters nach Anspruch 1 gerichtet ist, als schutzfähig.

3. Zu Recht hat das Patentgericht weiter angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 6 patentfähig ist.

a) Der Gegenstand von Patentanspruch 6 ist neu

aa) Die Auffassung der Klägerin, NK5 zeige Abzweigungen, die jeweils vier der im Winkel zur ersten Richtung verlaufenden, ausgerichteten Stränge und zwei der weiteren ausgerichteten Stränge verbinden, und nehme damit auch Merkmal 6.2 c vorweg, trifft nicht zu.

Zur Illustration ihres Vorbringens hat die Klägerin die nachstehend wiedergegebene, aus Figur 3c der NK5 entwickelte Abbildung erstellt

und hierzu ausgeführt, der dort mit einem Oval gekennzeichnete und als "junction" bezeichnete Bereich sei als Abzweigung im Sinne von Merkmal 6.2 c anzusehen.

Dem kann nicht beigetreten werden. Zwar muss eine Abzweigung im Sinne von Merkmal 6.2 c, wie bereits ausgeführt, nicht zwingend eine Kreisform oder eine dieser angenäherte Form aufweisen. Eine Abzweigung im Sinne von Merkmal 6.2 c unterscheidet sich aber jedenfalls dadurch von einem Strang, dass der entsprechende Bereich deutlich weniger gestreckt wurde. Während ein Strang nach dem Strecken eine deutliche Orientierung aufweist und das Material wesentlich dünner ist als zuvor, kommt es im Bereich der Abzweigungen, an denen die Stränge ansetzen, nur in geringerem Maße zu einer Orientierung auf molekularer Ebene, zudem bleibt das Material in diesem Bereich deutlich dicker (vgl. etwa die Maßangaben in Figur 12). Patentanspruch 6 erfasst demnach nicht Gestaltungen, bei denen mehrere Abzweigungen, von denen jede einzelne weniger als sechs Stränge verbindet, ihrerseits durch Stränge verbunden sind. Danach kann der von der Klägerin in Bezug genommene Bereich, der sich von einer Verbindungsstelle 35 über einen Strang 34, die Verbindungsstelle 40 und einen weiteren Strang 34 zur nächsten Verbindungsstelle erstreckt, nicht als Abzweigung im Sinne von Merkmal 6.2 c angesehen werden. Dieser Bereich besteht vielmehr nach dem Sprachgebrauch des Streitpatents aus zwei Strängen und drei Abzweigungen.

bb) Mit zutreffenden Ausführungen, auf die Bezug genommen wird, hat das Patentgericht eine Vorwegnahme der Merkmale 6.2 c und d durch die NK6 verneint.

Die hierzu von der Klägerin angeführte Figur 24c dieser Entgegenhaltung, die in NK6 nicht näher erläutert wird (Sp. 13, Z. 61-64), zeigt schon keine Abzweigung, die jeweils insgesamt sechs Stränge miteinander verbinden (Merkmal 6.2 c). Weder dieser Figur noch dem sonstigen Inhalt der NK6 ist zudem zu entnehmen, dass die Gabelungen zwischen zwei benachbarten Strängen an diesen Abzweigungen eine Ausrichtung gemäß Merkmal 6.2 d aufweisen.

cc) NK8 nimmt Merkmal 6.2 d nicht vorweg.

Wie bereits ausgeführt, lehrt NK8 eine Vorgehensweise, bei der das Ausgangsmaterial mit Löchern versehen und sodann gestreckt wird, wobei die Wirkungen der Streckung, also die Herabsetzung der Materialdicke und die Orientierung, auf bestimmte Bereiche beschränkt sein sollen, um sie zu Strängen (im Sprachgebrauch der NK8: Rippen) auszubilden. Dagegen sollen die Flächen zwischen den Rippen "unausgezogen" bleiben, was dadurch erreicht werden soll, dass die Zugkräfte auf die Rippen begrenzt bleiben (siehe NK8, S. 2, 3, 4, 19, 20). Nach NK8 haben "nicht-ausgezogene" Verbindungsteile den Vorteil, dass die Längs- und Querkräfte auf die entsprechend verlaufenden Rippen beschränkt bleiben und das Netz gegen Zerreißen widerstandsfähiger ist (S. 13 unten).

Im Rahmen der Beschreibung des dritten Ausführungsbeispiels enthält NK8 den Hinweis, dass ein gleichzeitiges Strecken eines Ausgangsmaterials nach Figur 9 vorzuziehen sei, dagegen ein gestuftes Strecken, bei dem die Streckung zunächst in die Richtung 45 erfolge, das Risiko begründe, dass die Zugwirkung sich nicht auf die mit dem Bezugszeichen 51 bezeichneten Bereiche des Ausgangsmaterials beschränken lasse, sondern sich auch auf die mit dem Bezugszeichen 57 bezeichneten Bereiche erstrecke, was einen unerwünschten Auszug der Verbindungsbereiche zur Folge habe (S. 19, 2. Abs.). Damit offenbart NK8 nicht die vom Streitpatent gelehrte Ausrichtung der Gabelungen zwischen zwei benachbarten Strängen in die Richtung, die um die Gabelung herum verläuft, so dass eine kontinuierliche Ausrichtung von der Kante eines Strangs um die Gabelung herum zur Kante des benachbarten Strangs vorliegt. Nichts anderes gilt für die im Anschluss beschriebene Vorgehensweise, bei der die Streckung zunächst in die Richtung der Pfeile 47 erfolgt, denn dazu führt NK8 aus, dass kein Zug auf die Verbindung übertragen werde (S. 19, 3. Abs.), womit eine Streckung und die dadurch bewirkte Orientierung im Bereich der Gabelung unterbleiben.

Die in NK8 enthaltenen Hinweise, dass eine Streckung auch im Bereich der Verbindungsstellen erfolgen könne, führen in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Diesen Hinweisen lässt sich nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass die Streckung gerade so erfolgen soll, dass sich nur eine verhältnismäßig geringfügige Ausrichtung ergibt, die aber kontinuierlich um die Gabelung herum verläuft.

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 6 war dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt auch nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

aa) Aus den oben zur Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 genannten Gründen ergab sich für den Fachmann aus der NK4 - auch in Verbindung mit NK8 - keine Anregung für ein Gitter, welches Stränge umfasst, die im spitzen Winkel zur ersten Streckrichtung verlaufen.

bb) Auch wenn der Fachmann NK8 zum Ausgangspunkt nahm, ergibt sich nichts anderes. Dieses Dokument vermittelte dem Fachmann keine Anregung zu einem Erdbaugitter, bei dem die Abzweigung die in Merkmal 6.2 d gelehrte Ausrichtung aufweist. Denn nach NK8 soll die Wirkung der Streckung des Materials auf bestimmte Bereiche beschränkt bleiben, während die Verbindungsbereiche "unausgezogen" bleiben sollen.

c) Ist danach der Gegenstand von Patentanspruch 6 patentfähig, ist auch der Gegenstand von Patentanspruch 17, der auf ein Verfahren zur Herstellung eines Erdbaugitters nach Anspruch 6 gerichtet ist, schutzfähig.

4. Erweist sich danach der Gegenstand der Ansprüche 1, 6, 15 und 17 patentfähig, hat das Patentgericht zu Recht auch den Gegenstand der auf diese rückbezogenen Ansprüche 40 und 41 als schutzfähig angesehen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG sowie § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 22. November 2018

Vorinstanz: BPatG, vom 19.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 Ni 18/15 (EP)