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BGH - Entscheidung vom 27.06.2018

XII ZB 601/17

Normen:
FamFG § 275
GVG § 186 Abs. 1
GVG § 186 Abs. 2
BGB § 1897 Abs. 4
FamFG § 275
GVG § 186 Abs. 1
GVG § 186 Abs. 2
BGB § 1897 Abs. 4
BGB § 1897 Abs. 4 S. 1-3

Fundstellen:
FGPrax 2018, 271
FamRB 2018, 447
FamRZ 2018, 1602
FuR 2018, 550
MDR 2018, 1126
NJW-RR 2018, 1089

BGH, Beschluss vom 27.06.2018 - Aktenzeichen XII ZB 601/17

DRsp Nr. 2018/10460

Nutzung von nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten durch das Betreuungsgericht i.R.d. Anhörung des Betroffenen; Rücksichtnahme auf einen negativen Betreuerwunsch des Betroffenen in Bezug auf einen konkreten Angehörigen

GVG § 186 Abs. 1 und 2 BGB § 1897 Abs. 4 a) Das Betreuungsgericht hat im Rahmen der Anhörung des Betroffenen auch nonverbale Kommunikationsmöglichkeiten mit ihm zu nutzen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 269/16 - FamRZ 2016, 2093 ).b) Ist dem Betroffenen eine Äußerung zur Betreuerwahl im Zeitpunkt der gerichtlichen Anhörung nicht (mehr) möglich, muss das Gericht prüfen, ob außerhalb der Anhörung erfolgte Äußerungen des Betroffenen herangezogen werden können.c) Zur Rücksichtnahme auf einen negativen Betreuerwunsch des Betroffenen in Bezug auf einen konkreten Angehörigen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 87 des Landgerichts Berlin vom 30. Oktober 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Beschwerdewert: 5.000 €

Normenkette:

BGB § 1897 Abs. 4 S. 1-3;

Gründe

I.

Die 81jährige Betroffene erlitt einen großen Mediainfarkt links, wegen dessen sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann.

Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung vor Behörden einschließlich Strafermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden, Ämtern, Versicherungsleistungsträgern und gegebenenfalls Gerichten sowie Entgegennahme und Bearbeitung der den Aufgabenkreis betreffenden Post eingerichtet und den Beteiligten zu 1 als Berufsbetreuer bestimmt. Auf die Beschwerde des Sohns der Betroffenen hat das Landgericht ihn zum Betreuer bestellt und den Beteiligten zu 1 entlassen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Einen positiven Betreuungsvorschlag habe die Betroffene nicht unterbreiten können. Ob ihr Verhalten dahin gedeutet werden könne, dass sie nicht von ihrem Sohn betreut werden wolle, sei zweifelhaft, zumal Gründe für einen solchen Negativvorschlag nicht bekannt seien und auch nicht eruiert werden könnten. Nach dem im Anhörungstermin gewonnenen Eindruck sei die Betroffene nicht mehr in der Lage, die rechtliche Bedeutung einer Betreuung zu verstehen und einen Willen bezüglich des rechtlichen Betreuers zu äußern. Auch bei unterstelltem Negativvorschlag überwögen die für die Bestellung des Sohns sprechenden Gründe. Dass ein allgemein schlechtes Verhältnis der Betroffenen zu ihrem Sohn bestünde, könne nicht festgestellt werden. Vielmehr habe die Betroffene ihrem Sohn im Anhörungstermin mit freundlichem Gesichtsausdruck zugewinkt. Der Streit zwischen dem Sohn und dem Untermieter bzw. zeitweisen Lebensgefährten der Betroffenen sei entfallen, da die Streitigkeiten beigelegt seien. Der Sohn habe eine Ausbildung zum Schlaganfallhelfer absolviert und an einem Einführungsseminar für ehrenamtliche Betreuer teilgenommen sowie bei der Betreuungsbehörde einen kompetenten Eindruck hinterlassen. Ein einmaliges "Ausrasten" gegenüber einer Pflegekraft würde keine mangelnde Eignung begründen. Für die Bestellung des Sohns sprächen seine Bindung zu der Mutter und der Vorrang der ehrenamtlich geführten Betreuung.

2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Prüfungsgegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist allein die Frage der Betreuerauswahl und somit nicht, ob die Voraussetzungen einer Betreuerbestellung vorgelegen haben. Denn hierauf war bereits die mit der Beschwerde vorgenommene Anfechtung der die Einrichtung der Betreuung und die Betreuerbestellung umfassenden Einheitsentscheidung in zulässiger Weise beschränkt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. März 2018 - XII ZB 558/17 - FamRZ 2018, 947 Rn. 5 mwN).

b) Schlägt der Volljährige eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann, so ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Volljährigen nicht zuwiderläuft. Schlägt er vor, eine bestimmte Person nicht zu bestellen, so soll hierauf Rücksicht genommen werden (§ 1897 Abs. 4 Sätze 1 und 2 BGB ).

Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden oder nicht werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird vielmehr hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (Senatsbeschluss vom 28. März 2018 - XII ZB 558/17 - FamRZ 2018, 947 Rn. 10 mwN).

c) Das Landgericht hat seiner Entscheidung den im Anhörungstermin gewonnenen Eindruck zugrunde gelegt, wonach die Betroffene nicht mehr in der Lage sei, die rechtliche Bedeutung einer Betreuung zu verstehen und einen Willen bezüglich des rechtlichen Betreuers zu äußern.

Hiergegen rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Landgericht die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen nicht unter Ausschöpfung aller gebotenen Mittel durchgeführt hat (§ 26 FamFG ).

aa) Die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen erfordert es, bei der Ermittlung des für einen Betreuungsvorschlag maßgeblichen natürlichen Willens nicht nur die Möglichkeiten der verbalen Kommunikation, sondern auch seine erhalten gebliebenen nonverbalen Kommunikationsfähigkeiten zu nutzen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 269/16 - FamRZ 2016, 2093 Rn. 13). Aus dem Anhörungsprotokoll vom 25. Mai 2017 ergibt sich indessen nicht, dass Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation in ausreichender Weise nachgegangen worden ist. Dem Protokoll ist nicht einmal zu entnehmen, ob die Betroffene überhaupt danach gefragt worden ist, ob sie von ihrem Sohn rechtlich betreut werden will.

Wie die Rechtsbeschwerde unter Verweis auf den Akteninhalt zutreffend darlegt, war es hingegen dem Verfahrenspfleger, der Betreuungsbehörde und auch dem früheren Betreuer gelungen, eine Kommunikation mit der Betroffenen aufzubauen, bei der diese auf die ihr gestellten Fragen teils verbal (mit der Antwort "nein"), teils nonverbal (durch Kopfnicken oder -schütteln) zu antworten vermochte, wodurch von den Genannten ein Betreuerwunsch in Erfahrung gebracht werden konnte. Dass das Landgericht eine ähnliche Kontaktaufnahme zu der Betroffenen versucht hat, lässt sich dem Anhörungsprotokoll indessen nicht entnehmen.

bb) Selbst, wenn eine Äußerung der Betroffenen zur Betreuerwahl im Zeitpunkt der Anhörung durch das Landgericht nicht (mehr) möglich war, hätte geprüft werden müssen, ob frühere oder nachfolgende Äußerungen der Betroffenen herangezogen werden können. Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 3 BGB gelten die vorstehenden Sätze 1 und 2 nämlich auch für Vorschläge, die der Volljährige vor dem Betreuungsverfahren gemacht hat, es sei denn, dass er an diesen Vorschlägen erkennbar nicht festhalten will. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber zwar in erster Linie klarstellen, dass auch die in Betreuungsverfügungen enthaltenen Vorschläge zu berücksichtigen sind (BT-Drucks. 11/4528 S. 128). Erst recht muss das jedoch für Vorschläge gelten, die der Betroffene während des laufenden Betreuungsverfahrens macht, wenn er zu deren Wiederholung in der Situation seiner gerichtlichen Anhörung nicht (mehr) in der Lage ist.

So hat hier die Betroffene gegenüber dem Verfahrenspfleger bei einem Besuch am 7. Juli 2016 auf die Frage, ob sie von ihrem Sohn rechtlich betreut werden wolle, verneinend den Kopf geschüttelt. Auf die Nachfrage des Verfahrenspflegers bei dem anwesenden Pflegedienstmitarbeiter, wie er diese Geste der Betroffenen deuten würde, antwortete dieser: "Sie möchte es nicht". Sodann bat der Verfahrenspfleger einen Mitbewohner hinzu und fragte erneut die Betroffene, ob sie möchte, dass der Sohn ihre Angelegenheiten für sie regele, woraufhin diese erneut den Kopf schüttelte und auch der Mitbewohner bestätigte, dass sie es nicht möchte. Auf letztmalige Frage, ob sie möchte, dass der Sohn sich um ihren Papierkram und ihre Bankgeschäfte kümmert, reagierte die Betroffene energisch mit dem gleichen Kopfschütteln.

Weiterhin besuchte der frühere Betreuer die Betroffene gemeinsam mit einer Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde am 31. Mai 2017, eine Woche nach der landgerichtlichen Anhörung. Angesprochen darauf, dass es bei der Anhörung darum gegangen sei, dass sich künftig ihr Sohn um ihre Angelegenheiten kümmern solle, reagierte die Betroffene mit einem laut vernehmbaren "nein" und einer abrupt abwehrenden Bewegung der linken Hand; sodann fing sie an zu weinen und war für längere Zeit nicht mehr zu beruhigen. Für die Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde, die die Betroffene bis dahin nicht kannte, war dies eine klare Geste, die eindeutig den Wunsch bekräftigte, dass sie ihren Sohn nicht als Betreuer haben möchte.

Das Landgericht hat es versäumt, Feststellungen über diese zu den Gerichtsakten angezeigten Sachverhalte zu treffen und deren Bedeutung im Hinblick auf einen außerhalb der gerichtlichen Anhörung getätigten Betreuerwunsch der Betroffenen zu würdigen.

d) Auch die vom Landgericht gegebene Hilfsbegründung, wonach selbst bei unterstelltem negativem Betreuerwunsch die für die Bestellung des Sohns sprechenden Gründe überwögen, trägt nicht.

aa) Schlägt der Betroffene vor, eine bestimmte Person nicht zu bestellen, soll hierauf nach § 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB Rücksicht genommen werden. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich somit zwar kein striktes Ablehnungsrecht des Betroffenen (aA BeckOGK/Schmidt-Recla [Stand: 1. Februar 2018] BGB § 1897 Rn. 70). Dieses ist im Gesetzesentwurf allerdings unter anderem damit begründet worden, dass vermieden werden sollte, dass der Betroffene durch die Ablehnung mehrerer oder aller in Aussicht genommenen Betreuerpersonen die Einrichtung der Betreuung verzögern oder verhindern kann (BT-Drucks. 11/4528 S. 127 f.). Beschränkt sich die Ablehnung hingegen auf ganz bestimmte Personen, ohne dass die Betreuung als solche verhindert werden soll, ist die in der Ablehnung ausgedrückte Aversion ein starkes Indiz dafür, dass der Betroffene zu dieser Person kein Vertrauen hat und daher die persönlichen Voraussetzungen einer Betreuung nicht gegeben sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. November 2012 - XII ZB 384/12 - FamRZ 2013, 286 Rn. 13; BeckOGK/Schmidt-Recla [Stand: 1. Februar 2018] BGB § 1897 Rn. 71).

Der negative Betreuerwunsch, der sich auf eine bestimmte Person aus dem persönlichen Umfeld des Betroffenen bezieht, lässt daher in der Regel auch die gesetzliche Favorisierung der Angehörigen zurücktreten (vgl. MünchKommBGB/Schwab 7. Aufl. § 1897 Rn. 36). Diese beruht nämlich, neben dem allgemeinen Schutz der Familie, auch auf der Annahme eines regelmäßig bestehenden familiären Vertrauensverhältnisses zu den Angehörigen, welches sie typisierend als besonders geeignet erscheinen lässt. Ein negativer Betreuerwunsch bezüglich eines bestimmten Angehörigen kann indessen auf eine Störung der familiären Bindung hinweisen und entzieht dann dem Angehörigenvorrang die Grundlage (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 128).

bb) Letztlich kommt es auf eine Gesamtbeurteilung an. Da nach dem Gesetz auf den negativen Betreuerwunsch Rücksicht genommen werden soll, bedarf es allerdings besonders darzulegender Gründe, von dieser Sollbestimmung abzuweichen. Solche Gründe können etwa in einer gefestigten persönlichen Bindung zwischen dem Angehörigen und dem Betroffenen liegen, die dieser krankheitsbedingt verkennt. Tragfähige Feststellungen zum Bestehen einer solchen Bindung sind indessen vom Landgericht nicht getroffen.

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Berlin-Charlottenburg, vom 19.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 56 XVII 243/15
Vorinstanz: LG Berlin, vom 30.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 87 T 212/16
Fundstellen
FGPrax 2018, 271
FamRB 2018, 447
FamRZ 2018, 1602
FuR 2018, 550
MDR 2018, 1126
NJW-RR 2018, 1089