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BGH - Entscheidung vom 12.06.2018

EnVR 63/17

Normen:
EnWG § 86 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 12.06.2018 - Aktenzeichen EnVR 63/17

DRsp Nr. 2018/8891

Niedrigere Festsetzung der Erlösobergrenzen für die zweite Regulierungsperiode des Betreibers eines Gasverteilernetzes durch die Bundesnetzagentur; Anforderungen an Darlegung und Nachweis der Betriebsnotwendigkeit von Umlaufvermögen

Es obliegt dem Netzbetreiber, die Betriebsnotwendigkeit des von ihm in Ansatz gebrachten Umlaufvermögens nachvollziehbar darzulegen. Die Notwendigkeit eines überdurchschnittlich hohen Umlaufvermögens kann sich etwa daraus ergeben, dass kurzfristig zu bedienende Verbindlichkeiten durch die vorhandenen liquiden Mittel und kurzfristig realisierbare Forderungen nicht vollständig abgedeckt werden können. Eine solche Betrachtung darf nicht auf einzelne Stichtage oder Teile des Geschäftsjahrs beschränkt werden.

Tenor

Die Beschwerde der Betroffenen gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 2. Kartellsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 21. August 2017 in der Fassung des Beschlusses vom 4. September 2017 wird zurückgewiesen.

Normenkette:

EnWG § 86 Abs. 2 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

A. Die Betroffene betreibt ein Gasverteilernetz, das ihre Muttergesellschaft an sie verpachtet hat. Mit Beschluss vom 21. Oktober 2013 hat die Bundesnetzagentur in Wahrnehmung der Aufgaben der Landesregulierungsbehörde die Erlösobergrenzen für die zweite Regulierungsperiode niedriger als von der Betroffenen begehrt festgesetzt.

Mit ihrer Beschwerde hat sich die Betroffene dagegen gewandt, dass die Bundesnetzagentur Neuanlagen, die im Basisjahr erstmals aktiviert wurden, im Jahresanfangsbestand mit Null angesetzt, Umlaufvermögen nur in Höhe von einem Zwölftel des Jahresumsatzes anerkannt und Verbindlichkeiten aus Gewinnabführungsverträgen als Abzugskapital berücksichtigt hat. Das Beschwerdegericht hat die Bundesnetzagentur hinsichtlich der Neuanlagen und der Verbindlichkeiten aus Gewinnabführungsverträgen zur Neubescheidung verpflichtet und die Rechtsbeschwerde nur zu deren Gunsten zugelassen.

Die Betroffene beantragt,

die Rechtsbeschwerde auch zu ihren Gunsten zuzulassen.

Die Bundesnetzagentur hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

B. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

I. Das Rechtsmittel ist zulässig.

1. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde insoweit nicht zugelassen.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 74 GWB kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde ebenso wie die Zulassung der Revision in Zivilsachen wirksam auf einen rechtlich und tatsächlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, über den zulässigerweise durch Teil- oder Grundurteil hätte entschieden werden können oder auf den der Rechtsmittelführer selbst das Rechtsmittel beschränken könnte (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 - KVR 5/05, BGHZ 166, 165 Rn. 10 - DB Regio/üstra). Für die Regelung in § 86 EnWG , die sich am Vorbild von § 74 GWB orientiert, gilt nichts anderes.

b) Danach ist die vom Beschwerdegericht ausgesprochene Beschränkung der Rechtsmittelzulassung wirksam.

Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde nur insoweit zugelassen, als es die Bundesnetzagentur verpflichtet hat, Verbindlichkeiten aus Gewinnabführungsverträgen nicht als Abzugskapital zu berücksichtigen. Diese Zulassung betrifft einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstands, auf den die Bundesnetzagentur ein unbeschränkt zugelassenes Rechtsmittel hätte beschränken können.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt worden.

Die in § 87 Abs. 3 EnWG bestimmte Frist von einem Monat hat entsprechend § 58 Abs. 1 VwGO nicht schon mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 29. August 2017 zu laufen begonnen. Diese Entscheidung war entgegen § 83 Abs. 6 EnWG nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Ihre Zustellung konnte die genannte Frist deshalb nicht in Gang setzen.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats bestimmen sich die Folgen einer fehlenden oder unzureichenden Rechtsmittelbelehrung in energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren entsprechend den Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (BGH, Beschluss vom 29. April 2008 - KVR 30/07, BGHZ 176, 256 Rn. 17 - Organleihe).

Dies gilt auch für die seit 1. Januar 2014 geltende Gesetzeslage.

Seit 1. Januar 2014 enthält zwar auch die Zivilprozessordnung Regelungen über den Inhalt von Rechtsmittelbelehrungen und die Folgen einer unterbliebenen oder unrichtigen Belehrung. Diesen liegt aber ein anderes Konzept zu Grunde als den Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes . Insbesondere ist gemäß § 232 Satz 2 ZPO eine Rechtsmittelbelehrung in Verfahren, in denen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, grundsätzlich entbehrlich. § 83 Abs. 6 EnWG sieht hingegen keine entsprechende Ausnahme vor, obwohl sich die Beteiligten vor dem Beschwerdegericht gemäß § 80 Satz 1 EnWG grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Dies entspricht dem Regelungskonzept des § 58 Abs. 1 VwGO . Folgerichtig sind die Wirkungen einer unterbliebenen oder unrichtigen Belehrung auch in der Beschwerdeinstanz (ebenso wie bei einer Belehrung in behördlichen Entscheidungen, vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - EnVR 22/13, RdE 2015, 24 Rn. 11 - Öffentliche Bekanntmachung) weiterhin in entsprechender Anwendung von § 58 Abs. 1 und 2 VwGO zu beurteilen.

b) Im Streitfall begann die Monatsfrist deshalb frühestens mit der Zustellung der Rechtsbehelfsbelehrung am 11. September 2017. Sie war bei der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 10. Oktober 2017 noch nicht abgelaufen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob die Betriebsnotwendigkeit von Umlaufvermögen nur durch eine nach einzelnen Monaten aufgeschlüsselte Darstellung der Liquidität und der kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten für das gesamte Geschäftsjahr dargelegt werden kann, ist für die Entscheidung des Streitfalls nicht erheblich.

a) Das Beschwerdegericht hat zwar mit der Bundesnetzagentur eine Cash-flow-Analyse der genannten Art als grundsätzlich erforderlich angesehen. Die angefochtene Entscheidung wird jedoch schon von der Erwägung getragen, dass sich der Vortrag der Betroffenen zur Liquidität nicht auf ein volles Geschäftsjahr bezieht. Die Frage, ob eine das Geschäftsjahr betreffende Darstellung nach einzelnen Monaten aufgeschlüsselt sein muss, ist danach nicht entscheidungserheblich.

b) Dass der Netzbetreiber die Entwicklung der Liquidität und der kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten grundsätzlich für das gesamte Geschäftsjahr darzulegen hat, ist durch die Rechtsprechung des Senats bereits geklärt.

Der Senat hat mehrfach entschieden, dass es dem Netzbetreiber obliegt, die Betriebsnotwendigkeit des von ihm in Ansatz gebrachten Umlaufvermögens nachvollziehbar darzulegen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. März 2009 - EnVR 79/07, RdE 2010, 19 Rn. 20 - SWU Netze; Beschluss vom 17. Oktober 2017 - EnVR 23/16 Rn. 27 f. - SW Kiel Netz GmbH). Die Notwendigkeit eines überdurchschnittlich hohen Umlaufvermögens kann sich etwa daraus ergeben, dass kurzfristig zu bedienende Verbindlichkeiten durch die vorhandenen liquiden Mittel und kurzfristig realisierbare Forderungen nicht vollständig abgedeckt werden können (BGH, Beschluss vom 3. März 2009 - EnVR 79/07, RdE 2010, 19 Rn. 25 - SWU Netze; Beschluss vom 23. Juni 2009 - EnVR 19/08 Rn. 25).

Eine solche Betrachtung darf, wie das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit der Bundesnetzagentur zu Recht angenommen hat, nicht auf einzelne Stichtage oder Teile des Geschäftsjahrs beschränkt werden. Gerade wenn sich im Verlauf des Jahres Schwankungen ergeben, hängt die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang das Vorhalten von Umlaufvermögen erforderlich ist, auch davon ab, inwieweit entstandene Ungleichgewichte kurzfristig ausgeglichen werden können. Selbst wenn hierzu nicht in jedem Fall eine nach einzelnen Monaten aufgegliederte Darstellung erforderlich sein sollte, muss sich der Vortrag des Netzbetreibers jedenfalls auf die Entwicklung innerhalb eines vollen Geschäftsjahrs, d. h. eines Zeitraums von zwölf Monaten beziehen.

2. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

a) Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde ergeben sich aus der Rechtsprechung des Senats keine unzumutbaren Anforderungen an die Darlegung der Betriebsnotwendigkeit.

Die Anforderungen an Darlegung und Nachweis der Betriebsnotwendigkeit von Umlaufvermögen ergeben sich daraus, dass diese eine zentrale Voraussetzung für die Verzinsung als Eigenkapital und die daraus resultierende Kostenbelastung für die Netznutzer darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2009 - EnVR 79/07, RdE 2010, 19 Rn. 20 - SWU Netze). Der von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte Umstand, viele Netzbetreiber verfügten nicht über ausreichendes Datenmaterial, um die Entwicklung von Liquidität und kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten über das gesamte Geschäftsjahr hinweg darzustellen, vermag eine Reduzierung dieser Anforderungen nicht zu rechtfertigen.

b) Ob die Annahme des Beschwerdegerichts, die Anforderungen an die Darlegung könnten grundsätzlich nur durch eine nach einzelnen Monaten aufgegliederte Darlegung erfüllt werden, von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweicht, ist für die Entscheidung des Streitfalls nicht erheblich, weil die Beschwerdeentscheidung aus den bereits oben aufgezeigten Gründen nicht auf dieser Rechtsauffassung beruht.

c) Die von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobene Rüge, das Beschwerdegericht habe den Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, vermag eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 86 Abs. 2 EnWG nicht zu rechtfertigen.

Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann gemäß § 86 Abs. 4 Nr. 3 EnWG stets im Wege der Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden. Einer Zulassung bedarf es insoweit nicht.

Unabhängig davon kann aus dem Umstand, dass sich das Beschwerdegericht mit dem Vortrag der Betroffenen zur Entwicklung in den ersten drei Monaten nach dem Bilanzstichtag nicht im Einzelnen auseinandergesetzt hat, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen hat. Vom rechtlichen Standpunkt des Beschwerdegerichts aus waren die vorgetragenen Einzelheiten schon deshalb nicht relevant, weil sich die Darstellung nicht auf das gesamte Geschäftsjahr bezieht.

3. Eine Entscheidung über den Gegenstandswert und die Kosten des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde wird zusammen mit der Entscheidung über die von der Bundesnetzagentur eingelegte Rechtsbeschwerde und die von der Betroffenen eingelegte Anschlussrechtsbeschwerde zu treffen sein.

Vorinstanz: OLG Thüringen, vom 21.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Kart 3/13 (2)