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BGH - Entscheidung vom 08.03.2018

V ZR 200/17

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
BGB § 242
BGB § 546 Abs. 1
BGB § 1090

BGH, Beschluss vom 08.03.2018 - Aktenzeichen V ZR 200/17

DRsp Nr. 2018/4959

Nebeneinanderbestehen eines schuldrechtlichen und eines dinglichen Nutzungsrechts verwandten Inhalts als Ausnahmefall mit einer notwendigen Abrede; Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts als beschränkte persönliche Dienstbarkeit

Bestellen die Parteien eines Mietvertrags eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit können, zwei Nutzungsrechte gleichen oder ähnlichen Inhalts nebeneinander entstehen. Die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit kann aber auch lediglich als eine dingliche Sicherheit für das durch den Mietvertrag begründete schuldrechtliche Nutzungsrecht vereinbart werden.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kl�ger wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 14. Juli 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch �ber die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zur�ckverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens betr�gt 30.000 €.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; BGB § 242 ; BGB § 546 Abs. 1 ; BGB § 1090 ;

Gr�nde

I.

Die Beklagten mieteten mit Vertrag vom 26. August 2009 ein Haus. Mit notarieller Vereinbarung vom 11. November 2010 r�umte der Kl�ger zu 1 den Beklagten ein lebenslanges Wohnrecht ein. Zu dessen Sicherung wurde eine beschr�nkte pers�nliche Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen. In einem "Annex Nr. 1" zu dem Mietvertrag hei�t es, die Dienstbarkeit werde als Gegenleistung f�r die �berlassung von Einbauten in dem Haus gew�hrt. Die Kl�ger verlangen nach K�ndigung des Mietvertrags die Herausgabe des Grundst�cks.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung zur�ckgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wollen die Kl�ger die Zulassung der Revision erreichen; die Beklagten beantragen die Zur�ckweisung der Beschwerde.

II.

Das Berufungsgericht, das unter Hinweis auf � 540 Abs. 2 i.V.m. � 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung eines Tatbestandes abgesehen hat, verneint einen Herausgabeanspruch aus � 546 Abs. 1 BGB . Unabh�ngig davon, ob die sonstigen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorl�gen, m�ssten die Kl�ger sich den Einwand treuwidrigen Verhaltens gem�� � 242 BGB entgegen halten lassen, da sie das Grundst�ck wegen der beschr�nkten pers�nlichen Dienstbarkeit, die den Beklagten ein Recht zum Besitz gebe, sogleich wieder herausgeben m�ssten. Die Auslegung der Vereinbarung der Parteien vom 11. November 2010 ergebe, dass eine selbst�ndige beschr�nkte pers�nliche Dienstbarkeit bestellt worden sei, die nicht von dem Bestand des Mietvertrags abh�ngig sei. Auch die sonstigen Umst�nde st�tzten diese Auslegung. Der Kl�ger zu 1 sei dankbar f�r seine Heilung durch die Beklagten gewesen und habe diesen etwas Gutes tun und einen starken Schutz �ber den Mietvertrag hinaus gew�hren wollen. Ihm sei bewusst gewesen, dass der Mietvertrag durch das Wohnrecht praktisch unk�ndbar sei. Die Kl�ger k�nnten auch nicht nach � 985 BGB Herausgabe verlangen. Mangels Anspruchs auf L�schung der Dienstbarkeit h�tten die Beklagten ein Recht zum Besitz.

III.

1. Das Rechtsmittel ist nach � 26 Nr. 8 EGZPO zul�ssig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € �bersteigt (zur Bemessung der Beschwer vgl. Senat, Beschluss vom 3. April 2014 - V ZR 185/13, WuM 2014, 253 Rn. 4).

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begr�ndet. Das angefochtene Berufungsurteil ist nach � 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Kl�ger auf rechtliches Geh�r (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

a) Das Gebot rechtlichen Geh�rs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gr�nden zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn besondere Umst�nde deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder �berhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZR 146/14, NZM 2016, 180 Rn. 4). So ist es hier.

b) Die Nichtzulassungsbeschwerde r�gt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag in der Berufungsbegr�ndung �bergangen hat, der Mietvertrag sei am 26. August 2009 ohne den "Annex Nr. 1" ausgef�llt und unterschrieben worden. Ende September 2010 seien die Kreuzfahrtunternehmen des Kl�gers zu 1 in wirtschaftliche und finanzielle Turbulenzen geraten. In dieser Situation seien die Beklagten an den Kl�ger zu 1 herangetreten und h�tten ihn um eine rechtliche Absicherung des Mietverh�ltnisses gebeten mit dem Ziel, den Zugriff Dritter z.B. im Zwangsvollstreckungs- oder Insolvenzverfahren zu verhindern. Man sei auf die Idee der Einr�umung einer Dienstbarkeit gekommen. Da es sich hierbei um eine anfechtbare Erkl�rung nach der Insolvenzordnung gehandelt habe, sei die Erkl�rung als "Annex Nr. 1" verfasst und auf den 4. September 2009 r�ckdatiert worden. Der Mietvertrag sei erst in diesem Zuge um den Hinweis auf den "Annex Nr. 1" handschriftlich erg�nzt worden. Mit diesem Vorbringen hat sich das Berufungsgericht nicht befasst. Es zieht zwar den "Annex Nr. 1 zu dem Mietvertrag vom 04.09.2009" heran, erw�hnt aber nicht die Umst�nde, unter denen es zu dieser Erkl�rung gekommen sein soll. Die von den Kl�gern dargelegte R�ckdatierung wird nicht angesprochen.

c) Der �bergangene Vortrag ist entscheidungserheblich. Er ist f�r die Feststellung, auf welcher schuldrechtlichen Abrede die Bestellung der beschr�nkten pers�nlichen Dienstbarkeit vom 11. November 2010 beruht, wesentlich.

aa) Bestellen die Parteien eines Mietvertrags eine beschr�nkte pers�nliche Dienstbarkeit k�nnen, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht, zwei Nutzungsrechte (ein schuldrechtliches und ein dingliches) gleichen oder �hnlichen Inhalts nebeneinander entstehen. Die Bestellung einer beschr�nkten pers�nlichen Dienstbarkeit kann aber auch lediglich als eine dingliche Sicherheit f�r das durch den Mietvertrag begr�ndete schuldrechtliche Nutzungsrecht vereinbart werden. Wann und in welchem Umfang der Nutzungsberechtigte auf das ihm einger�umte dingliche Nutzungsrecht zur�ckgreifen kann, ergibt sich in diesem Fall aus der Sicherungsabrede, die zugleich der Rechtsgrund f�r die Bestellung der Dienstbarkeit ist (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 11/10, NJW-RR 2011, 882 Rn. 19 mwN; Urteil vom 27. Juni 2014 - V ZR 51/13, NZM 2014, 790 Rn. 11). Im Verh�ltnis von Dienstbarkeitsberechtigtem und -verpflichteten bestimmt sich das Nutzungsrecht hingegen nach den Vereinbarungen des Mietvertrags.

bb) Das Nebeneinanderbestehen eines schuldrechtlichen und eines dinglichen Nutzungsrechts verwandten Inhalts ist aber ein Ausnahmefall und bedarf einer zweifelsfreien, in der Regel ausdr�cklichen Abrede (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 - V ZR 51/13, NZM 2014, 790 Rn. 10; Urteil vom 20. September 1974 - V ZR 44/73, NJW 1974, 2123 f.; Urteil vom 20. M�rz 1963 - V ZR 143/61, NJW 1963, 1247 ). Ob hier ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, h�ngt davon ab, in welchem Verh�ltnis der Mietvertrag vom 26. August 2009 und das am 11. November 2010 bestellte dingliche Wohnungsrecht zueinander stehen. Dieses Verh�ltnis h�tte das Berufungsgericht kl�ren und dabei das unter Beweis gestellte Vorbringen der Kl�ger ber�cksichtigen m�ssen. Es kommt daf�r n�mlich, anders als das Berufungsgericht meint, nicht nur auf die Vereinbarung �ber die Bestellung des dinglichen Rechts vom 11. November 2010, sondern vor allem auf die von den Kl�gern dargelegte - nicht formbed�rftige - schuldrechtliche Abrede an, nach der die Beklagten sich nur gegen�ber einem Dritten, der das Grundst�ck im Wege eines Zwangsversteigerungs- oder Insolvenzverfahrens erwirbt, auf die Dienstbarkeit h�tten berufen k�nnen, w�hrend im Verh�ltnis der Parteien zueinander allein das Mietverh�ltnis habe ma�geblich sein sollen. Indiz gegen die Vereinbarung einer solchen Sicherungsdienstbarkeit ist zwar die von dem Berufungsgericht herangezogene Aussage des beurkundenden Notars in einem Parallelverfahren, wonach in seiner Gegenwart nicht �ber den Zusammenhang zwischen Mietvertrag und Wohnrecht gesprochen worden sei und wonach er im Vorfeld der Beurkundung den Kl�ger zu 1 darauf hingewiesen habe, dieser erhalte durch das Wohnungsrecht "praktisch einen unk�ndbaren Mietvertrag", was diesem bewusst gewesen sei. Bei der W�rdigung der Aussage ist aber zu ber�cksichtigen, dass der Notar nur an der Bestellung des dinglichen Wohnungsrechts nach � 1090 BGB mitgewirkt hat, an der schuldrechtlichen Vereinbarung aber nicht beteiligt war und er deshalb aus eigener Erkenntnis weder zu dem eigentlichen Rechtsgrund f�r die Bestellung des Wohnungsrechts noch zu einer Sicherungsabrede Angaben machen kann. Das hat das Berufungsgericht au�er Acht gelassen.

3. Infolgedessen ist das Berufungsurteil gem�� � 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zur�ckzuverweisen. Das Berufungsgericht hat in der neuen Entscheidung, die mit einem Tatbestand zu versehen ist, auch �ber den in der Berufungsinstanz klageerweiternd gestellten Antrag auf L�schung des eingetragenen Wohnungsrechts zu entscheiden.

Vorinstanz: AG Tostedt, vom 13.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 C 159/16
Vorinstanz: LG Stade, vom 14.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 5 S 5/17