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BGH - Entscheidung vom 12.09.2018

5 StR 400/18

Normen:
StPO § 265

BGH, Beschluss vom 12.09.2018 - Aktenzeichen 5 StR 400/18

DRsp Nr. 2018/13880

Lückenhafte Beweiswürdigung im Rahmen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Bestehen zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich nicht vor jedem Verkauf die entsprechende Menge Betäubungsmittel erst beschafft hatte, so hat das Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu prüfen, ob und inwieweit einzelne Verkaufsmengen jeweils aus einem hierfür vorgesehenen Vorrat stammten.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 22. Januar 2018 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 265 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 95 Fällen, hiervon in 26 Fällen mit einer nicht geringen Menge, unter Einbeziehung weiterer Strafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Senftenberg zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 15 Fällen, hiervon in fünf Fällen mit einer nicht geringen Menge, und wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (bei bestimmter Vorwegvollzugsdauer) sowie die Einziehung von 12.600 Euro als Tatertrag und des Wertes des Tatertrages in Höhe von 124.790 Euro angeordnet. Die hiergegen erhobene Revision ist mit der Sachrüge erfolgreich. Auf die zudem erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

1. Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte in Mengen von einem bis 200 Gramm Crystal an die gesondert Verfolgten G. (zehn Fälle von Juli 2015 bis Anfang April 2016, wobei dieser zugleich Marihuana und im letzten Fall zudem Amphetamine erwarb), M. (75 Fälle von September 2015 bis 6. April 2017), F. (neun Fälle von September 2016 bis 6. April 2017), Ma. (neun Fälle von November 2016 bis 19. Februar 2017) sowie T. (sieben Fälle vom 24. Juni 2016 bis 19. Januar 2017). Am 6. April 2017 besaß der Angeklagte neben zum Handeln vorgesehenen Betäubungsmitteln (1.682,38 Gramm Methamphetamin Crystal, 793,19 Gramm Haschisch, 159,52 Gramm Marihuana, 81,22 Gramm Kokain und 738 LSD-Trips) eine neben einer Geldzählmaschine und aus Drogengeschäften stammenden 12.000 Euro aufbewahrte Pistole Ceska Zbrojovka (Modell CZ 50, Kaliber 7,65 mm Browning) mit passender Munition.

2. Diesen Feststellungen liegt eine nicht tragfähige Beweiswürdigung zugrunde. Sie erweist sich - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2015 - 5 StR 79/15 mwN) - in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Dies führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

a) Den insofern schweigenden Angeklagten hat das Landgericht hinsichtlich der Lieferungen an seinen Abnehmer Ma. im Wesentlichen durch dessen Angaben bei seiner staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmung als überführt angesehen. Dieser hatte angegeben, die Lieferung am 19. Februar 2017 sei "außerplanmäßig" erfolgt, "bevor der Angeklagte sich für längere Zeit in stationäre Behandlung begeben habe". Angesichts dessen hätte erläutert werden müssen, wie das Landgericht hat feststellen können, dass der Kunde M. bis Ende März 2017 weiterhin wöchentlich beim Angeklagten - in den meisten Fällen in dessen Wohnung - Crystal hat erwerben können.

Vergleichbares gilt für die jeweils auf Anfang Januar 2017 datierten, vom Angeklagten ebenfalls nicht eingeräumten Geschäfte mit den Erwerbern Ma. und M. , der auch in diesem Zeitraum wöchentlich kaufte. Denn nach den Feststellungen stand eine Ägyptenreise des Angeklagten bevor, nachdem dieser kurz vor Silvester 2016 Crystal an F. übergeben hatte.

b) Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass sämtliche am 6. April 2017 beim Angeklagten bzw. in ihm zuzurechnenden Räumen sichergestellten Betäubungsmittel zum Handeltreiben bestimmt waren. Dies hätte jedoch angesichts des seit vielen Jahren polytoxikomanen, insbesondere Crystal konsumierenden und gerade zur Finanzierung seines Konsums handelnden Angeklagten der Erläuterung bedurft, weil weitere zum Eigenverbrauch geeignete Substanzen nicht aufgefunden wurden. Das diesbezügliche Schweigen des Angeklagten entband das Landgericht nicht von einer entsprechenden Prüfung. Vielmehr hätte die für den Eigenkonsum bestimmte Menge gegebenenfalls geschätzt werden müssen.

c) Schließlich hätte das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung prüfen müssen, ob und inwieweit einzelne Verkaufsmengen jeweils aus einem hierfür vorgesehenen Vorrat stammten. Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung nicht geboten, zugunsten eines Angeklagten eine Tatvariante zu unterstellen, für die ein realer Anknüpfungspunkt fehlt (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 - 5 StR 532/06). Hier aber bestanden zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich nicht vor jedem Verkauf die entsprechende Menge erst beschafft hatte. Dies gilt insbesondere für die Geschäfte mit nur wenigen Gramm Crystal. Vielmehr hatte der Angeklagte am 6. April 2017 eine die üblichen Margen bei weitem überschreitende Betäubungsmittelmenge vorrätig, einen Großteil hiervon aufbewahrt in einem Rucksack. Die Zeiträume der Verkäufe an die fünf Abnehmer überlappten sich erheblich. Soweit er dem Käufer Ma. kleinere Crystalmengen überließ, entnahm er diese jeweils einer unter dem Wohnzimmertisch aufbewahrten Tüte mit einem größeren Vorrat. Bei der Lieferung am 6. April 2017 äußerte er gegenüber dem Abnehmer M. , dieser wäre der erste, welcher an diesem Tag beliefert würde. Tatsächlich kam es im Anschluss hieran zum Betäubungsmittelgeschäft mit dem Käufer F..

3. Die fehlerhafte Beweiswürdigung führt nicht nur zur Aufhebung der wegen der Betäubungsmitteltaten ergangenen Schuldsprüche, sondern auch desjenigen wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz , jeweils einschließlich der zugrundeliegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO ). Denn nach den bisherigen Feststellungen kommt insofern in Betracht, dass dieses Delikt wegen der Aufbewahrung von Waffe und Munition gemeinsam mit Taterlösen aus Betäubungsmittelgeschäften und einem diesen dienenden Tatmittel mit dem am 6. April 2017 begangenen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit steht. Dies alles bedingt den Wegfall sämtlicher Rechtsfolgenentscheidungen.

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte in den Fällen 1 bis 10 wiederum festgestellt werden, dass der Käufer G. die auf Kommission erworbenen Betäubungsmittel jeweils persönlich bezahlt hat, wenn er die nächste Lieferung vereinbarte, so wird das Gesamtgeschehen als einheitliche Tat zu bewerten sein (vgl. BGH [Großer Senat für Strafsachen], Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17). Sofern die Feststellungen erneut ergeben, dass auch die Kunden M. (jedenfalls teilweise) und F. "auf Kommission" gekauft haben, werden mit Blick auf die soeben zitierte Rechtsprechung die näheren Umstände der Geschäftsabwicklungen aufzuklären sein.

Der Freispruch vom Vorwurf, am 6. April 2017 dem Abnehmer M. 20 Gramm Crystal verkauft zu haben, geht ins Leere. Denn das Landgericht hat sich vom als Tat 86 angeklagten Geschehen zwar überzeugt, es aber - nach den bisherigen Feststellungen zutreffend - als Teil des abgeurteilten Handeltreibens mit der am selben Tag beim Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittelmenge angesehen. Ein Angeklagter kann jedoch nicht wegen einer Tat verurteilt und wegen derselben freigesprochen werden. Daran ändert auch die Aufnahme in die Anklageschrift als tatmehrheitliche Fälle nichts (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1998 - 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196 , 202; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 61. Aufl., § 260 Rn. 13). Eine Aufhebung des Freispruchs kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn der Angeklagte ist aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden, soweit ihm drei weitere Taten zur Last gelegt wurden.

Angesichts der relativ geringen Höhe der einbezogenen Strafen aus dem nach den bisherigen Feststellungen eine Zäsur bildenden Urteil des Amtsgerichts Senftenberg (eine sechsmonatige Freiheitsstrafe und zwei 30 Tagessätze betragende Geldstrafen) wird das neue Tatgericht bei der Bemessung der Gesamtstrafen das Gesamtstrafübel im Blick zu behalten haben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2000 - 4 StR 488/00).

Da der Angeklagte auf die Rückgabe der sichergestellten, direkt aus Betäubungsmittelgeschäften herrührenden 12.600 Euro wirksam verzichtet hat, bedarf es insoweit keiner Einziehungsanordnung mehr (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2018 - 5 StR 611/17, NStZ 2018, 333 ). Sofern wiederum die Einziehung des Wertes des Tatertrages angeordnet werden sollte, wird der gesamte Verzichtsbetrag hiervon abzuziehen sein.

Vorinstanz: LG Cottbus, vom 22.01.2018