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BGH - Entscheidung vom 20.09.2018

3 StR 618/17

Normen:
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 59

BGH, Urteil vom 20.09.2018 - Aktenzeichen 3 StR 618/17

DRsp Nr. 2018/17158

Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich Beweiswürdigung durch das Gericht i.R.d. schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern; Bestimmtheit des Adhäsionsantrags zur Zahlung eines Schmerzensgeldes

Die Verurteilung eines Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Höhe von 60.000 Euro an die Geschädigte hat keinen Bestand, wenn der Adhäsionsantrag nicht beziffert war und auch sonst keinen Hinweis auf die Größenordnung oder einen Mindestbetrag, den die Adhäsionsklägerin als Schmerzensgeld anstrebte, enthielt.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 21. August 2017, auch im Adhäsionsausspruch, soweit der Angeklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 60.000 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.

Insoweit wird von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen.

Im Übrigen wird das vorbezeichnete Urteil im Adhäsionsausspruch dahin ergänzt, dass eine Verpflichtung zum Ersatz der materiellen Schäden der Nebenklägerin nur insoweit besteht, als die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Versicherer übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, bestimmt, dass fünf Monate der verhängten Strafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten, und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung geltend macht und fünf Verfahrensrügen sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhebt. Während den verfahrensrechtlichen Beanstandungen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen der Erfolg zu versagen ist, hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge Erfolg.

I. Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte in vier Fällen die im Tatzeitraum zehn- bis elfjährige Tochter seiner Lebensgefährtin. An zwei Tagen Ende 2003 berührte er die Scheide und die Brust der auf seinem Schoß sitzenden Zehnjährigen. Anfang 2005 führte er mit der Elfjährigen den vaginalen Geschlechtsverkehr aus. Schließlich fesselte er sie im Sommer 2005 mit Kabelbindern an das Kopfende ihres Bettes und vollzog wiederum den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr.

Die Nebenklägerin ist durch das Geschehen psychisch sehr belastet. Insbesondere entwickelte sie in der Folge eine schwere dissoziative Störung.

II. Die Beweiswürdigung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16, StV 2018, 95 , 96; vom 21. Februar 2017 - 3 StR 404/16, StV 2018, 195 ).

2. So liegt es hier. Die Beweiswürdigung erweist sich als teilweise widersprüchlich und damit rechtsfehlerhaft.

Der Angeklagte hat die Taten abgestritten. Das Landgericht hat sich sachverständig beraten seine Überzeugung nahezu ausschließlich aufgrund der Aussage der Geschädigten gebildet, die es hinsichtlich der festgestellten Taten für glaubhaft befunden hat. Dem liegt zugrunde:

Die Nebenklägerin hatte sich zu vom Angeklagten in den Jahren 2004 und 2005 begangenen Missbrauchstaten erstmals im Jahr 2007 gegenüber ihrem ehemaligen Handballtrainer geäußert. Dabei schilderte sie zunächst die vier festgestellten Taten. In den Folgejahren wurde die Nebenklägerin mehrfach therapeutisch behandelt. Ab dem Jahr 2010 fanden mehrere polizeiliche Vernehmungen statt. Außerdem äußerte sich die Nebenklägerin im Rahmen ihrer Exploration durch den ihre Glaubhaftigkeit begutachtenden Sachverständigen und in der Hauptverhandlung. Im Rahmen dieser Vernehmungen und der Exploration berichtete sie - teilweise detailreich, aber auch voneinander abweichend - von einer Vielzahl sexueller Übergriffe durch den Angeklagten. Der Sachverständige, der die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin aufgrund der fortschreitenden psychischen Erkrankung, insbesondere der dissoziativen Störung, als nunmehr beeinträchtigt angesehen hat, bewertete ihre Aussage im Hinblick auf mögliche spätere auto- und fremdsuggestive Einwirkungen nur hinsichtlich der vier festgestellten Taten als mit großer Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert. Da bezüglich der Angaben gegenüber dem ehemaligen Handballtrainer eine Suggestion auszuschließen sei, könne insoweit eine Aussagezuverlässigkeit bejaht werden. Auch hinsichtlich dieser Fälle gelte aber, dass spätere Beimischungen und Veränderungen nicht ausgeschlossen werden könnten, so dass allein die Angaben zum Kerngeschehen als ausreichend zuverlässig anzusehen seien. Nur hinsichtlich dieses Kerngeschehens sei die Aussage auch als konstant zu bezeichnen. Im Rahmen der Analyse der Qualität der Aussage seien zudem motivationsbezogene Inhalte wie Zugeständnisse von Erinnerungslücken oder Selbstbelastungen vor dem Hintergrund einiger nachweislich nicht real basierter Schilderungen als nicht sehr hoch zu bewerten.

Das Landgericht hat sich dem Sachverständigen nach eigenständiger Überprüfung der gutachterlichen Ausführungen "vollumfänglich" angeschlossen und zusammenfassend nochmals die Erwägungen dargelegt, aufgrund derer es die Angaben der Nebenklägerin zu den festgestellten Taten für glaubhaft gehalten hat. Dabei hat es insbesondere auf die Qualität der Aussage abgestellt, die sich in der Schilderung zahlreicher Details zum Kerngeschehen, aber auch in einer Vielzahl nebensächlicher Details gezeigt habe. Damit hat sich die Strafkammer aber in Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen gesetzt, der ausdrücklich nur die Angaben zum Kerngeschehen, nicht aber die zu weiteren Umständen der Taten als zuverlässig angesehen hat. Mithin hat - jedenfalls nach der Auffassung des Sachverständigen - der Detailreichtum der Angaben zum Randgeschehen gerade nicht zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit herangezogen werden können. Auch im Übrigen hat der Sachverständige den sogenannten Realkennzeichen, anhand derer die Qualität einer Aussage zu überprüfen ist, bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin nur einen geringen Wert beigemessen. Hiervon ist das Landgericht abgewichen, indem es ausgeführt hat, für die Glaubhaftigkeit der Aussage spreche auch, dass die Nebenklägerin auf Mehrbelastungen verzichtet habe. Dies gilt umso mehr, als nach Auffassung des Sachverständigen die weiteren Angaben der Zeugin zu sexuellen Übergriffen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit als erlebnisbasiert zu bewerten sind. Mit der Heranziehung dieser vom Gutachten abweichenden Glaubhaftigkeitskriterien hat das Landgericht die Zuverlässigkeit der Aussage der Zeugin mit widersprüchlicher Begründung bejaht, da es sich andererseits "vollumfänglich" dem Sachverständigen angeschlossen haben will.

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

III. Auch der Adhäsionsausspruch kann, soweit der Nebenklägerin ein Schmerzensgeld von 60.000 € nebst Zinsen zugesprochen worden ist, nicht bestehen bleiben. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit ausgeführt:

"Die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 60.000 Euro an die Geschädigte kann dagegen keinen Bestand haben. Denn der Adhäsionsantrag war nicht beziffert und enthielt auch sonst keinen Hinweis auf die Größenordnung oder einen Mindestbetrag, den die Adhäsionsklägerin als Schmerzensgeld anstrebte (vgl. auch BGH NJW 1996, 2425 ). Damit genügte der Antrag nicht den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO . Dies wurde bis zum Ende der Hauptverhandlung auch nicht geheilt - etwa durch eine Streitwertangabe oder eine vor Urteilserlass unwidersprochen hingenommene Streitwertfestsetzung seitens des Gerichts (vgl. dazu Greger in Zöller, ZPO , 31. Aufl., § 253 Rn. 14 m.w.N.). § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verlangt aber die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Die Vorschrift steht der Zulässigkeit eines unbezifferten Antrags nur dann nicht entgegen, wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber zumindest die Angabe der Größenordnung des begehrten Betrages, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll. Deshalb fehlt es an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Adhäsionskläger keine Angaben zur Größenordnung, zum geforderten Mindestbetrag des begehrten Schmerzensgeldes oder zum Streitwert macht (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 351 )."

Dem schließt sich der Senat an und hebt insoweit auch den Adhäsionsausspruch auf. Darüber hinaus hat er den Ausspruch über die Feststellung der Verpflichtung des Angeklagten zum Ersatz künftiger Schäden um den Vorbehalt ergänzt, dass die Ansprüche nicht auf andere Versicherungsträger übergegangen sind (§ 86 VVG ).

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Aurich, vom 21.08.2017
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 59