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BGH - Entscheidung vom 19.04.2018

V ZB 93/17

Normen:
ZVG § 43 Abs. 2
ZVG § 83 Nr. 1
ZVG § 84 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 19.04.2018 - Aktenzeichen V ZB 93/17

DRsp Nr. 2018/7014

Feststellung eines gesonderten geringsten Gebots für jede Ausgebotsart i.R.d. Zwangsversteigerung eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1, zu 2 und zu 4 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 16. März 2017 werden zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 289.000 € für die Gerichtskosten und die Vertretung der Beteiligten zu 8 und 9, 431.000 € für die Vertretung der Beteiligten zu 1 bis 3 und 60.000 € für die Vertretung des Beteiligten zu 4.

Normenkette:

ZVG § 43 Abs. 2 ; ZVG § 83 Nr. 1 ; ZVG § 84 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 3 (Gläubigerin) betreibt aus der in der Abteilung III Nr. 1 eingetragenen Grundschuld über 460.162,69 € nebst Zinsen und Nebenleistungen die Zwangsversteigerung des eingangs genannten, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, das im hälftigen Miteigentum der Beteiligten zu 1 und 2 (Schuldner) steht. Das Amtsgericht setzte den Verkehrswert auf 431.000 € fest. In dem ersten Versteigerungstermin am 10. November 2015 meldete der Beteiligte zu 4 (Zessionar) Rechte aus einer Vereinbarung vom 22. Oktober 2015 an, mit der die Schuldner ihre Forderungen und Ansprüche bis zur Höhe von 60.000 € aus bestehenden und künftigen Ansprüchen der in Abteilung III Nr. 1 und 2 eingetragenen Grundschulden sowie u.a. die Ansprüche auf Rückübertragung und Übererlös an den Zessionar abgetreten hatten. Gebote wurden in diesem Termin nicht abgegeben.

Mit Beschluss vom 4. Oktober 2016 wurde ein neuer Versteigerungstermin auf den 15. November 2016 bestimmt. Dem Zessionar wurde die Terminsbestimmung nicht zugestellt; gleichwohl erschien er zu dem Termin. Auf Antrag des Gläubigervertreters beschloss das Amtsgericht, dass neben den Einzelausgeboten der Grundstücksanteile ein Gesamtausgebot erfolgen sollte. Das geringste Gebot stellte es mit 9.357,26 € fest. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einem Zuzahlungsbetrag von 50 € (bestehen bleibende Dienstbarkeit) sowie dem Bargebot (Gerichtskosten 7.700 € sowie öffentliche Grundabgaben 1.657,26 €). Anschließend wies das Gericht nochmals darauf hin, dass neben den Einzelausgeboten auch auf ein Gesamtausgebot geboten wird. Gebote wurden nur auf das Gesamtausgebot abgegeben.

Nach Schluss der Versteigerung hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 8 und 9 den Zuschlag auf deren Meistgebot über 289.000 € erteilt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldner und des Zessionars zurückgewiesen. Mit ihren zugelassenen Rechtsbeschwerden, deren Zurückweisung die Gläubigerin beantragt, wollen die Schuldner und der Zessionar die Versagung des Zuschlags erreichen.

II.

Das Beschwerdegericht sieht die Beschwerde der Schuldner als unbegründet an. Zwar seien die Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots gemäß § 83 Nr. 1 ZVG verletzt worden, weil das geringste Gebot für die Einzelausgebote nicht festgesetzt worden sei. Dies stehe der Erteilung des Zuschlags gemäß § 84 Abs. 1 ZVG aber nicht entgegen, da das Recht der Schuldner hierdurch nicht beeinträchtigt werde. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Versteigerung bei richtiger Feststellung der geringsten Gebote zum gleichen Ergebnis geführt hätte. Die Schuldner könnten sich auch nicht darauf berufen, dass das Amtsgericht nicht zur Abgabe von Geboten auf die gesetzlichen Ausgebotsformen aufgefordert habe; sein Vorgehen sei als einheitliche Aufforderung zur Abgabe von Geboten auf alle Gebotsarten zu verstehen.

Die Beschwerde des Zessionars habe ebenfalls keinen Erfolg. Zwar sei er als Beteiligter im Sinne von § 9 Nr. 2 ZVG anzusehen, weil er die Rechte aus der Abtretung im ersten Termin angemeldet habe. Infolgedessen hätte ihm die Terminsbestimmung gemäß § 43 Abs. 2 ZVG zugestellt werden müssen. Aber auch insoweit stehe § 84 Abs. 1 ZVG einer Versagung des Zuschlags entgegen. Eine Aussicht auf Befriedigung aus dem Grundstück habe nicht bestanden, weil der Wert der Grundschuld weit über und das Meistgebot weit unter dem Verkehrswert gelegen habe. Darauf, dass ihm der Beschluss über die Festsetzung des Verkehrswerts nicht zugestellt worden sei, könne der Zessionar die Zuschlagsbeschwerde nicht stützen, da er gegen die Wertfestsetzung als solche keine Einwände erhebe.

III.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Rechtsbeschwerde der Schuldner hat keinen Erfolg.

a) Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei bejaht das Beschwerdegericht einen Zuschlagsversagungsgrund im Sinne von § 83 Nr. 1 ZVG . Nach dieser Bestimmung ist der Zuschlag unter anderem dann zu versagen, wenn eine der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots verletzt worden ist. Ein solcher Verfahrensfehler ist dem Amtsgericht unterlaufen. Nachdem es gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 ZVG beschlossen hatte, dass neben den Einzelausgeboten der Miteigentumsbruchteile (§ 63 Abs. 1 ZVG ; vgl. Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2014 - V ZB 181/12, ZfIR 2014, 257 Rn. 9 mwN) ein Gesamtausgebot erfolgen sollte, hätte für jede Ausgebotsart ein gesondertes geringstes Gebot festgestellt werden müssen (vgl. Böttcher, ZVG , 6. Aufl., § 63 Rn. 12). Das ist unterblieben, da nur ein einheitliches geringstes Gebot festgestellt worden ist.

b) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, dass der Zuschlagsversagungsgrund der Versagung des Zuschlags gemäß § 84 Abs. 1 Alt. 1 ZVG nicht entgegensteht, weil das Recht der Schuldner nicht beeinträchtigt wird. Richtig ist zwar, dass positiv feststehen muss, dass es an einer Beeinträchtigung fehlt, weshalb eine Heilung schon bei der Möglichkeit einer Beeinträchtigung ausscheidet. Aber eine solche positive Feststellung trifft das Beschwerdegericht. Es nimmt - gestützt auf das Verhältnis des festgestellten geringsten Gebots zu dem Meistgebot - sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an, dass die Versteigerung zum gleichen Ergebnis geführt hätte, wenn das geringste Gebot auch für jedes Einzelausgebot festgestellt worden wäre. Den Maßstab für seine Überzeugungsbildung hat das Beschwerdegericht daher nicht verkannt.

2. Die Rechtsbeschwerde des Zessionars ist ebenfalls unbegründet.

a) Auch insoweit rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht einen Zuschlagsversagungsgrund im Sinne von § 83 Nr. 1 ZVG an, weil die Vorschrift des § 43 Abs. 2 ZVG verletzt ist. Dieser Bestimmung zufolge muss der Versteigerungstermin unter anderem dann aufgehoben werden, wenn nicht vier Wochen vor dem Termin allen Beteiligten, die schon zur Zeit der Anberaumung des Termins dem Gericht bekannt waren, die Terminsbestimmung zugestellt ist. Danach musste der Beschluss, mit dem der zweite Versteigerungstermin bestimmt wurde, dem Zessionar zugestellt werden; dieser hatte nämlich infolge der Anmeldung seiner Ansprüche in dem ersten Versteigerungstermin am 10. November 2015 gemäß § 9 Nr. 2 ZVG die Stellung eines Beteiligten erlangt.

b) Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, wonach der Zuschlagsversagungsgrund der Erteilung des Zuschlags gemäß § 84 Abs. 1 Alt. 1 ZVG nicht entgegensteht, weil das Recht des Zessionars nicht beeinträchtigt wird.

aa) Dies gilt zunächst, soweit das Beschwerdegericht davon ausgeht, dass auch bei rechtzeitiger Zustellung der Terminsbestimmung kein (abgetretener) Anspruch auf Auskehr von Übererlös bestanden hätte. Angesichts der Höhe der gesicherten Forderung (447.712,02 €) sowie der in das geringste Gebot fallenden Kosten (9.357,26 €) wäre ein Übererlös nur dann erzielt worden, wenn ein Gebot den Verkehrswert (431.000 €) um mehr als 20.000 € überschritten hätte, und ein derartiges Ergebnis sei, so meint das Beschwerdegericht, angesichts des erst im zweiten Termin erzielten, weit unter dem Verkehrswert liegenden Meistgebots (289.000 €) mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen anzusehen. Die hiergegen erhobenen Einwände sind unbegründet.

(1) Die Ansicht der Rechtsbeschwerde, es stehe nicht fest, in welcher Höhe die Grundschuld valutierte, ist nicht nachvollziehbar. Nach den bindenden Feststellungen des Beschwerdegerichts (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) belief sich die gesicherte Forderung auf 447.712,02 € bei einem Nennbetrag der Grundschuld von 460.162,69 €.

(2) Auch die weitere Überlegung, der Zessionar müsse die Verkehrswertfestsetzung in diesem Zusammenhang nicht gegen sich gelten lassen, weil ihm der Beschluss über die Verkehrswertfestsetzung nicht zugestellt worden sei, verhilft der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg.

(a) Im Grundsatz richtig ist allerdings, dass die Verkehrswertfestsetzung gegenüber dem Zessionar nicht formell rechtskräftig geworden ist (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2017 - V ZB 109/17, NJW-RR 2018, 140 Rn. 6), weil eine an ihn gerichtete Zustellung unterblieben ist. Diese war erforderlich, weil der Beschluss über die Verkehrswertfestsetzung auch denjenigen Beteiligten zuzustellen ist, die die Beteiligtenstellung - wie der Zessionar - erst nach Erlass des Beschlusses erlangt haben (vgl. Dassler/Schiffhauer/Hintzen, ZVG , 15. Aufl., § 74a Rn. 59; Stöber, ZVG , 21. Aufl., § 74a Rn. 7.18).

(b) Ob das Vollstreckungsgericht den Zuschlag erteilen darf, wenn die Verkehrswertfestsetzung nicht formell rechtskräftig geworden ist, ist umstritten. Nach verbreiteter Ansicht wird dies verneint; der Zuschlag müsse gegenüber allen Beteiligten rechtskräftig sein und sei andernfalls gemäß § 83 Nr. 1 ZVG zu versagen (OLG München, NJW 1968, 2249 ; OLG Braunschweig, NdsRpfleger 1984, 259; OLG Hamm, ZfIR 2000, 230, 231 f.; OLG Oldenburg, Rpfleger 1992, 209 ). Vertreten wird auch, dass die Entscheidung über den Zuschlag bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft ausgesetzt werden müsse (OLG Düsseldorf, Rpfleger 1981, 69 ). Andere gehen davon aus, dass das Gericht den Zuschlag nach pflichtgemäßem Ermessen erteilen darf (Stöber, ZVG , 21. Aufl., § 74a Rn. 7.12 und 9.8).

(c) Dass die fehlende formelle Rechtskraft der Verkehrswertfestsetzung einen Zuschlagsversagungsgrund darstellt, kann in dieser Allgemeinheit schon deshalb nicht richtig sein, weil es oft nicht möglich ist, eine rechtzeitige Zustellung an alle Beteiligten - zumal solche, die ihre Rechte erst im Versteigerungstermin anmelden - herbeizuführen (so zutreffend Stöber, ZVG , 21. Aufl., § 74a Rn. 7.12; Löhnig/Steffen, ZVG , § 74a Rn. 17; Dassler/Schiffhauer/Hintzen, ZVG , 15. Aufl., § 74a Rn. 59). Einer näheren Erörterung dieser Frage bedarf es jedoch nicht. Denn der Zessionar stützt sich allein auf die fehlende Zustellung und erhebt keine konkreten inhaltlichen Bedenken gegen den festgesetzten Verkehrswert, aus denen sich eine Beeinträchtigung seiner Rechte im Sinne von § 84 Abs. 1 ZVG ergeben könnte. Infolgedessen ist das Beschwerdegericht bei seinen Berechnungen zu Recht von dem festgesetzten Verkehrswert ausgegangen; ebenso wenig musste es den Zuschlag allein wegen der unterbliebenen Zustellung der Verkehrswertfestsetzung versagen.

bb) Ohne Erfolg wendet die Rechtsbeschwerde schließlich ein, das Beschwerdegericht habe, indem es eine Rechtsbeeinträchtigung verneint habe, Vortrag des Zessionars zu den Folgen der unterbliebenen Zustellung der Terminsbestimmung unbeachtet gelassen. Danach habe er eigene Gebote abgeben wollen, die zu einem besseren Versteigerungsergebnis geführt hätten, was jedoch an dem Verlangen der Gläubigerin nach einer Sicherheitsleistung gescheitert sei; wäre ihm die Terminsmitteilung rechtzeitig zugestellt worden, hätte er für eine Sicherheitsleistung gesorgt. Das Beschwerdegericht hat auch unter diesem Gesichtspunkt eine Beeinträchtigung im Sinne von § 84 Abs. 1 ZVG verneint; es hat gemeint, es könne nicht angenommen werden, dass der Zessionar, der als Unternehmens- und Wirtschaftsberater im Wirtschaftsleben auftrete, ein weit über dem aktuellen Meistgebot und dem Verkehrswert liegendes Gebot abgegeben hätte. Diese Erwägungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dass der Zessionar eine wirtschaftlich unsinnige Handlung vorgenommen hätte, um einen von ihm selbst zu finanzierenden Übererlös zu erzielen, kann als ausgeschlossen angesehen werden. Unabhängig davon ist ein Recht des Zessionars schon deshalb nicht beeinträchtigt, weil er ausweislich des Protokolls des Versteigerungstermins kein Gebot abgegeben hat. Deshalb kann er nicht damit gehört werden, dass die Gläubigerin eine Sicherheitsleistung verlangt hätte, zumal sie bei zwei anderen Bietern hiervon abgesehen hat.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 7).

Der Gegenstandswert für die Gerichtskosten bestimmt sich nach dem Wert des Zuschlags (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG ). Die Wertfestsetzung für die Vertretung der Beteiligten beruht auf § 26 Nr. 1 RVG (Beteiligte zu 3 und 4), § 26 Nr. 2 RVG (Schuldner) und § 26 Nr. 3 RVG (Ersteher).

Vorinstanz: AG Rüdesheim, vom 29.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 1/15
Vorinstanz: LG Wiesbaden, vom 16.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 13/17
Vorinstanz: LG Wiesbaden, vom 16.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 14/17