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BGH - Entscheidung vom 10.10.2018

2 StR 253/18

Normen:
StGB § 177 Abs. 5
StGB § 223 Abs. 1

BGH, Urteil vom 10.10.2018 - Aktenzeichen 2 StR 253/18

DRsp Nr. 2019/330

Erschöpfung des durch die zugelassene Anklage abgegrenzten Prozessstoffs durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs (Kognitionspflicht)

Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen.

Tenor

1.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 1. Februar 2018 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a)

im Fall 1 der Urteilsgründe und

b)

im Gesamtstrafenausspruch.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 177 Abs. 5 ; StGB § 223 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf den Schuld- und Strafausspruch betreffend Fall 1 der Urteilsgründe sowie den Gesamtstrafenausspruch beschränkte, zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

I.

Nach den Urteilsfeststellungen traf der Angeklagte am 29. Mai 2017 in A. die als Prostituierte tätige Nebenklägerin und vereinbarte mit ihr, gemeinsam in seiner Wohnung Kokain zu konsumieren. Dabei war der Nebenklägerin bewusst, dass sie als Gegenleistung dafür sexuelle Handlungen mit dem Angeklagten vornehmen werde. Nach dem Eintreffen in der Wohnung konsumierten der Angeklagte und die Nebenklägerin Kokain und vollzogen auf der ausgezogenen Schlafcouch einvernehmlichen vaginalen und oralen Geschlechtsverkehr, bei dem der Angeklagte nicht zum Höhepunkt gelangte. Nach einiger Zeit legte sich die Nebenklägerin nochmals mit dem Rücken auf die Ausziehcouch. Der Angeklagte forderte sie nun auf, mit ihm Analverkehr auszuüben. Dies lehnte die Nebenklägerin „vehement und für den Angeklagten wahrnehmbar“ ab. Daraufhin schlug ihr der Angeklagte zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht, drehte sie zur Seite und versuchte, mit seinem erigierten Penis in ihren After einzudringen. Dabei berührte er mit dem Penis den Po der Nebenklägerin, die sich dem Versuch des Angeklagten durch Wegdrehen entziehen konnte. Einen weiteren Versuch, Analverkehr durchzuführen, nahm der Angeklagte nicht vor, sondern schubste die Nebenklägerin von der Couch und schlug und trat wütend auf sie ein.

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als vorsätzliche Körperverletzung gewertet. Soweit in dem Bestreben des Angeklagten, mit der Nebenklägerin den Analverkehr zu vollziehen, ein unmittelbares Ansetzen zum Versuch einer Vergewaltigung zu sehen sei, sei der Angeklagte durch das Herunterstoßen der Nebenklägerin von der Couch davon strafbefreiend zurückgetreten.

II.

Die wirksam auf den Schuld- und Strafausspruch betreffend Fall 1 der Urteilsgründe sowie den Gesamtstrafenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende Kognitionspflicht (§ 264 StPO ) verstoßen hat.

1. Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222 , 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 258/13, NStZ-RR 2014, 57 ). Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, StPO , 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).

2. So liegt es hier. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten lediglich als Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB gewürdigt. Da nach den getroffenen Feststellungen die an der Geschädigten vorgenommene Handlung in einem sexuell motivierten Übergriff bestand, bei dem der – unbekleidete – Angeklagte nach Anwendung von Gewalt (zwei Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht und Drehen des Körpers zur Seite) mit seinem erigierten Penis das entblößte Gesäß der Nebenklägerin berührte, hätte die Strafkammer aber auch prüfen und entscheiden müssen, ob sich der Angeklagte tateinheitlich einer – vollendeten – sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 , Abs. 5 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat.

3. Das Urteil beruht auf diesem Fehler (§ 337 StPO ). Denn angesichts der Strafdrohung des § 177 Abs. 5 StGB von nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe liegt es nicht fern, dass das Landgericht bei entsprechender Verurteilung eine höhere Einsatzstrafe und damit auch eine höhere Gesamtstrafe ausgesprochen hätte.

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt daher zur Aufhebung der Verurteilung in Fall 1 der Urteilsgründe. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Aachen, vom 01.02.2018