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BGH - Entscheidung vom 25.09.2018

XI ZB 6/17

Normen:
ZPO § 174 Abs. 1
ZPO § 174 Abs. 4
ZPO § 520 Abs. 2 S. 1

BGH, Beschluss vom 25.09.2018 - Aktenzeichen XI ZB 6/17

DRsp Nr. 2018/16484

Empfangsbekenntnis als Beweis für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung hinsichtlich Begründung der Berufung i.R.d. Frist

Bescheinigt der Prozessbevollmächtigte die Zustellung eines Urteils auf einem Empfangsbekenntnis, so erbringt ein derartiges Empfangsbekenntnis grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstückes als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Allerdings ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Nebenintervenienten wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15. Dezember 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 128.124,27 €

Normenkette:

ZPO § 174 Abs. 1 ; ZPO § 174 Abs. 4 ; ZPO § 520 Abs. 2 S. 1;

Gründe

I.

Die Kläger nehmen die beklagte Bank nach dem Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages auf Rückabwicklung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das landgerichtliche Urteil ist dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger, dem Nebenintervenienten, mittels eines Empfangsbekenntnisses, das das handschriftliche Eingangsdatum vom 15. September 2016 trägt, zugestellt worden. Nach ordnungsgemäßer Einlegung der Berufung hat das Berufungsgericht am 16. November 2016 darauf hingewiesen, dass die Berufung bis dahin nicht begründet worden und die Berufungsbegründungsfrist am 15. November 2016 abgelaufen sei. Am 17. November 2016 ist beim Berufungsgericht die Berufungsbegründungsschrift eingegangen, die eine Unterschrift mit dem handschriftlichen Zusatz "i.V." trägt. Darunter befindet sich die maschinenschriftliche Angabe des Namens des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger. Dieser hat mit Schriftsatz vom 24. November 2016 mitgeteilt, das angefochtene Urteil sei am 15. September 2016 übermittelt worden. An diesem Tag habe er sich auf einem auswärtigen Termin befunden. Seine Kanzlei sei nur mit einer Mitarbeiterin besetzt gewesen, die die Sendung des Landgerichts geöffnet und auf dem Empfangsprotokoll den 15. September 2016 notiert habe. Er sei erst am Montag, den 19. September 2016, wieder in der Kanzlei gewesen und habe erst an diesem Tag von dem Urteil Kenntnis erhalten. Bei der Unterzeichnung der Empfangsbestätigung habe er versäumt, das Datum auf den 19. September 2016 zu ändern. Diese Darstellung hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger an Eides statt versichert. Hilfsweise hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Auf einen weiteren gerichtlichen Hinweis hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger am 30. November 2016 mitgeteilt, die Berufungsschrift sei von ihm erstellt und in seiner Vertretung von Rechtsanwältin P. unterschrieben worden.

Das Berufungsgericht hat durch Beschluss vom 15. Dezember 2016 die Berufung der Kläger unter Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist formgerecht begründet worden. Auf der Grundlage des Vortrages der Kläger könne die in dem Empfangsbekenntnis erfolgte Bestätigung der Zustellung des landgerichtlichen Urteils für den 15. September 2016 trotz der Ortsabwesenheit des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger richtig gewesen sein. Ein Rechtsanwalt könne den Empfang auch für einen früheren Zeitpunkt bescheinigen, zu dem ihm das Schriftstück, etwa telefonisch, bekannt gegeben worden sei. Dass dies am 15. September 2016 nicht geschehen sei, lasse sich dem Vortrag der Kläger nicht hinreichend sicher entnehmen. Die am 17. November 2016 bei Gericht eingegangene Berufungsbegründungsschrift sei danach verspätet. Sie sei auch nicht formgerecht, weil ihr eine wirksame Unterschrift fehle. Aus der Berufungsbegründungsschrift selbst heraus sei nicht erkennbar, wer sie unterschrieben habe, insbesondere ob dies wie erforderlich durch einen zugelassenen Rechtsanwalt geschehen sei. Bis zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist sei nicht ersichtlich gewesen, wer für den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger "i.V." unterschrieben habe. Ein Wiedereinsetzungsgrund sei nicht gegeben.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Nebenintervenienten.

II.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO ). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer form- und fristgerechten Begründung der Berufung fehle, verletzt die Kläger in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Allerdings hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger die Zustellung des landgerichtlichen Urteils auf einem Empfangsbekenntnis nach § 174 Abs. 1 und 4 ZPO bescheinigt, das das Datum des 15. September 2016 trägt, so dass danach die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) nicht eingehalten wäre. Ein derartiges Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstückes als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 1996 - VII ZB 12/96, NJW 1996, 2514 , 2515 und vom 15. Juli 1998 - XII ZB 37/98, NJW-RR 1998, 1442 , 1443; Urteil vom 24. April 2001 - VI ZR 258/00, NJW 2001, 2722 , 2723 mwN). Allerdings ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig. Dieser setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2001 - VI ZR 258/00, NJW 2001, 2722 , 2723 und vom 18. Januar 2006 - VIII ZR 114/05, NJW 2006, 1206 , 1207).

Die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Gegenbeweises hat der Nebenintervenient entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schlüssig vorgetragen. Bei der Würdigung dieses Vorbringens ist der Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht auf eine rechtliche Überprüfung beschränkt, sondern hat den für die Zulässigkeit des Rechtsmittels maßgeblichen Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht selbständig zu würdigen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 - IX ZB 303/11, WM 2012, 1210 Rn. 7 mwN).

Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger hat sich nach seiner Darstellung am 15. September 2016 nicht in seiner Kanzlei, sondern auf einem auswärtigen Termin befunden. Er hat demzufolge seine Kanzlei erst wieder am 19. September 2016 aufgesucht und erst an diesem Tag Kenntnis von dem landgerichtlichen Urteil erlangt. Nach diesen Angaben hat er das Empfangsbekenntnis erst am 19. September 2016 unterzeichnen können, dabei allerdings versäumt, das Datum zu ändern. Der Behauptung, der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger habe erst am 19. September 2016 Kenntnis von dem landgerichtlichen Urteil erlangt, lässt sich, anders als das Berufungsgericht meint, mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger das Urteil nicht zu einem früheren Zeitpunkt, etwa telefonisch, bekannt gegeben worden ist. Falls diese Darstellung zutrifft, ist die Berufungsbegründungsschrift am 17. November 2016 fristgerecht beim Berufungsgericht eingegangen.

b) Die Berufungsbegründungsschrift vom 17. November 2016 ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts formgerecht. Sie trägt eine wirksame Unterschrift. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist geklärt, dass ein Rechtsanwalt, der eine Berufungsbegründungsschrift für den darin bezeichneten Prozessbevollmächtigten der Partei mit dem Zusatz "i.V." unterzeichnet, erkennbar als Unterbevollmächtigter handelt und mit seiner Unterschrift die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift übernimmt (BGH, Beschluss vom 26. April 2012 - VII ZB 83/10, NJW-RR 2012, 1139 Rn. 9). Dass für das Berufungsgericht bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht erkennbar war, welche Person die Unterschrift geleistet hat, ist unerheblich. Für die Prüfung der Frage, ob die Identität und die Postulationsfähigkeit des Unterzeichners eines derartigen Schriftsatzes feststeht bzw. erkennbar ist, ist nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012, aaO Rn. 11, vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 10 und vom 14. März 2017 - XI ZB 16/16, WM 2017, 831 Rn. 9).

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO ). Das Berufungsgericht wird, gegebenenfalls nach Vernehmung des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger und seiner Mitarbeiterin als Zeugen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99, NJW 2000, 814 ), darüber zu befinden haben, ob auf der Grundlage der Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Kläger der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis angegebenen Datums geführt ist.

Vorinstanz: LG Bonn, vom 12.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 124/16
Vorinstanz: OLG Köln, vom 15.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 139/16