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BGH - Entscheidung vom 04.07.2018

5 StR 580/17

Normen:
StGB § 21

Fundstellen:
NStZ 2019, 26
NStZ-RR 2018, 345

BGH, Urteil vom 04.07.2018 - Aktenzeichen 5 StR 580/17

DRsp Nr. 2018/10551

Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Täters bei Begehung der Taten infolge einer wahnhaften Störung i.R.d. Prüfung der Annahme der verminderten Schuldfähigkeit; Beweiswürdigung hinsichtlich des Ausnutzungsbewusstseins i.R.d. heimtückischen Tatbegehung

Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB ) setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten infolge eines den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zuzuordnenden psychischen Defekts erheblich vermindert war. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit - insbesondere das Einsichtsvermögen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19.12.2013 - 2 StR 534/13; vom 16.05.2012 - 3 StR 33/12) - auswirken; standen Tatmotiv und -handlung aber nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema, ist allein aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Mai 2017 mit Ausnahme der Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufgehoben.

2.

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen betreffend Tat 1 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.

3.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

4.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 21 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und die Nebenklägerin mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Der Angeklagte beanstandet zudem das Verfahren. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge im tenorierten Umfang Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wartete der Angeklagte am Vormittag des 19. September 2016 vor der Dienstzimmertür der Nebenklägerin Ha. im Bezirksamt N. auf eine Gelegenheit, deren Zimmer zu betreten und die Nebenklägerin mit einem Kampfmesser zu töten, das er in einem Rucksack mitsichführte. Die Nebenklägerin, die deutsch mit russischem Akzent spricht, war die für den Angeklagten zuständige Mitarbeiterin der Abteilung Sozialangelegenheiten. Sie war mit Anträgen des Angeklagten auf Zuweisung eines Einzelzimmers in einer Wohnungsloseneinrichtung befasst. Einige Tage zuvor hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie bislang keinen Erfolg bei der Suche nach einem Einzelzimmer für ihn gehabt habe.

Als die Nebenklägerin ihre Zimmertür öffnete, trat der Angeklagte an sie heran und führte mit dem Messer einen wuchtigen Hieb in Richtung ihres Halses aus. Er verfehlte sein Ziel jedoch, möglicherweise weil er nicht so schnell mit einer Gelegenheit zum Angriff auf die Nebenklägerin gerechnet und sich noch nicht vollständig auf die Tatausführung eingestellt hatte, und versetzte der Nebenklägerin stattdessen mit der Hand oder dem Messer lediglich einen kräftigen Stoß gegen die linke Schulter.

Verfolgt vom Angeklagten, der ihr tödliche Stiche zufügen wollte, floh die Nebenklägerin in einen angrenzenden Büroraum. Dort stach der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Behördenmitarbeiter S. ein, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, und fügte ihm eine 3 cm tiefe und 7 cm lange Verletzung am Oberkörper zu. Da der Angeklagte die Nebenklägerin nicht mehr erblicken konnte, wandte er sich zur Flucht. Im Treppenhaus begegnete er zwei herbeieilenden Wachmännern. Dem spontanen Entschluss folgend, auch den Sicherheitsdienstmitarbeiter K. zu töten, schlug er mit dem Messer auf diesen ein und verletzte ihn am rechten Unterarm. K. flüchtete, ohne dass der Angeklagte ihm nachsetzte.

2. Bei diesen Taten handelte der Angeklagte nach Einschätzung des sachverständig beratenen Landgerichts infolge einer bei ihm bestehenden wahnhaften Störung jeweils im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit. Die Wahrnehmung des Angeklagten sei in krankheitswertiger, wahnhaft übersteigerter Weise durch eine Abneigung gegen Ausländer und dadurch stark eingeengt gewesen, dass er sich durch den Staat vernachlässigt und benachteiligt fühlte. Bei dem Angriff auf die Nebenklägerin habe er wahnhaft angenommen, diese sei "keine Deutsche und (habe) sich nicht genügend um seine Wohnsituation gekümmert". Wahnbedingt habe sich der Angeklagte von der Nebenklägerin getäuscht und benachteiligt gefühlt und angenommen, sie als vermeintliche Ausländerin habe ihm schaden wollen. Daher sei er in seinem Wahnsystem davon ausgegangen, sie bestrafen zu müssen.

3. Das Landgericht hat die Taten zum Nachteil des Geschädigten S. (Tat 2) und des Nebenklägers K. (Tat 3) rechtlich jeweils als gefährliche Körperverletzung und die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Ha. (Tat 1) als versuchten Totschlag gewürdigt. Die Mordmerkmale der sonstigen niedrigen Beweggründe und der Heimtücke hat es nicht als erfüllt angesehen. Ausländerhass sowie Wut und Verärgerung über seine Wohnsituation und die mangelnde Abhilfe durch die Nebenklägerin seien zwar aus objektiver Sicht als niedrig einzustufen, jedoch habe dem Angeklagten infolge der bei ihm bestehenden wahnhaften Störung die Fähigkeit gefehlt, diese Antriebe zutreffend zu bewerten. Für das Mordmerkmal der Heimtücke fehle es am erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein. Der Angeklagte sei von der sich ihm bietenden Gelegenheit zum Angriff auf die Nebenklägerin überrascht gewesen und habe deren Arg- und Wehrlosigkeit nicht in sein Bewusstsein aufgenommen.

II.

Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils im tenorierten Umfang.

1. Die erhobene Verfahrensbeanstandung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.

2. Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB ), die den Angeklagten im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB beschwert, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten infolge einer wahnhaften Störung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war.

a) Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB ) setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten infolge eines den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zuzuordnenden psychischen Defekts erheblich vermindert war. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit - insbesondere das Einsichtsvermögen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2013 - 2 StR 534/13; vom 16. Mai 2012 - 3 StR 33/12) - auswirken; standen Tatmotiv und -handlung aber nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema, ist allein aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten (BGH, Urteil vom 25. Februar 2015 - 2 StR 495/13).

Um die revisionsgerichtliche Nachprüfung dieser Voraussetzungen zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar selbst mit ihnen auseinanderzusetzen. Erforderlich ist insoweit insbesondere stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2017 - 1 StR 63/17; Beschluss vom 16. März 2017 - 4 StR 11/17).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilgründe nicht gerecht.

aa) Auf der Grundlage der Ausführungen der Schwurgerichtskammer kann der Senat schon die Diagnose einer im Sinne des § 21 StGB relevanten wahnhaften Störung nicht nachvollziehen, da die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen unzureichend dargestellt sind.

So nimmt das Landgericht im Rahmen seiner Schuldfähigkeitsprüfung bei der Schilderung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Bezug auf Konflikte des Angeklagten in der Vergangenheit, die auf eine wahnhafte Verarbeitung zwischenmenschlicher Interaktionen hindeuteten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Vorkommnissen, die das Landgericht - ohne hierzu Einzelheiten zu schildern - lediglich in den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen mitteilt, fehlt jedoch ebenso wie nähere Darlegungen zu der sachverständigen Wertung, hierin komme eine krankheitswertige Störung zum Ausdruck. Unabhängig von der Frage, unter welchen Umständen Ausländerhass als wahnhafte Störung gewertet oder zu einer solchen beitragen kann, sind weder die lediglich schlaglichthaft angeführte "negative Einstellung" des Angeklagten zu "Ausländern" noch die Gesichtspunkte, dass der Angeklagte in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung einen verwirrten Eindruck gemacht, sich verärgert über die Nebenklägerin Ha. gezeigt und die Verantwortung für seine Lebenssituation auf andere abgeschoben habe (UA S. 20) - selbst in der Zusammenschau - geeignet, die Diagnose einer wahnhaften Störung, der für die Beurteilung der Schuldfähigkeit Bedeutung zukommt, zu belegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. November 2015 - 5 StR 259/15).

bb) Die Urteilsgründe lassen auch nicht ausreichend erkennen, dass die Begehung der drei Taten auch auf die beim Angeklagten festgestellte wahnhafte Störung zurückzuführen ist.

Schon für Tat 1 fehlt eine konkret auf die Tatsituation bezogene Begründung dafür, dass der Angeklagte der Nebenklägerin nicht lediglich aus Verärgerung über ihr Verhalten ihm gegenüber - ohne maßgeblichen Einfluss wahnhafter Vorstellungen - nach dem Leben trachtete. Die bloße Feststellung, der Angeklagte habe im Wahn gehandelt (UA S. 7 unten), in der Nebenklägerin seien "beide wahnbesetzten Themen zusammengekommen" (UA S. 16 und 22) und der Angeklagte sei der Auffassung gewesen, sie bestrafen zu "müssen" (UA S. 22 oben), genügt den genannten Darstellungsanforderungen nicht. Für die Taten 2 und 3 mangelt es an jeglicher Erörterung dazu, inwiefern sich die angenommene Wahnstörung beim Vorgehen des Angeklagten gegen den weiteren Behördenmitarbeiter S. (Tat 2) und sodann gegen den Wachmann K. (Tat 3) auf dessen Schuldfähigkeit ausgewirkt hat. Hinweise auf psychotische Situationsverkennungen sind in den Urteilsfeststellungen zu diesen Geschehen nicht vorhanden.

3. Da der Senat nicht gänzlich ausschließen kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten belegen, hat auch der Schuldspruch keinen Bestand. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen. Von der Aufhebung nicht betroffen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO ) sind indes die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen der Taten. Das neue Tatgericht kann - naheliegend unter Heranziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen - ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen treffen.

III.

Die Revision der Nebenklägerin hat ebenfalls Erfolg. Der Schuldspruch des Angeklagten wegen versuchten Totschlags (Tat 1) hält rechtlicher Prüfung nicht stand, da die Schwurgerichtskammer das Vorliegen von Mordmerkmalen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben. Die Revisionsbegründung der Nebenklägerin lässt - trotz des irreführenden (Haupt-)Antrags dahin, das angefochtene Urteil "im Rechtsfolgenausspruch" aufzuheben - insbesondere aufgrund der Sachausführungen eindeutig erkennen, dass mit der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes anstelle des für Tat 1 erfolgten Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags ein im Rahmen der durch § 400 Abs. 1 StPO beschränkten Rechtsmittelbefugnis der Nebenklage statthaftes Rechtsmittelziel verfolgt wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17 mwN).

2. Die Schwurgerichtskammer hat das Vorliegen der Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

a) Ausgerichtet an den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17 mwN) hat das Landgericht die festgestellten handlungsleitenden Tötungsmotive des Angeklagten bei der Begehung von Tat 1 - nämlich "Ausländerhass" sowie "Wut und Verärgerung über seine Wohnsituation" - in objektiver Hinsicht rechtsfehlerfrei als niedrig bewertet. Mit der Begründung, dem Angeklagten habe bei seinem Handeln aus wahnhaften Motiven - insbesondere habe er sich von der Nebenklägerin getäuscht und benachteiligt gefühlt - die Fähigkeit gefehlt, diese Tatantriebe zutreffend zu bewerten, hat es jedoch insoweit die subjektiven Voraussetzungen für nicht gegeben erachtet.

Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die oben dargelegten Fehler bei der Schuldfähigkeitsprüfung (vgl. oben II.2) wirken sich dahin aus, dass die mit dem beim Angeklagten bestehenden "Wahnsystem" begründete Verneinung eines Handelns aus niedrigen Beweggründen keinen Bestand haben kann.

b) Die Verneinung heimtückischer Tatbegehung ist ebenfalls nicht tragfähig begründet. Die Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. April 2018 - 4 StR 336/17 mwN) - rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie weist eine Lücke auf und ist widersprüchlich.

Für das Vorliegen von Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2017 - 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 , 47 mwN). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709 , 710).

Die Schwurgerichtskammer hat sich hier nicht vom Vorliegen eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten zu überzeugen vermocht, weil sie nicht hat ausschließen können, dass sich für den Angeklagten vor dem Dienstzimmer der Nebenklägerin früher, als von ihm erwartet, und damit überraschend die Gelegenheit zur Tat bot. Daher geht sie davon aus, dass der Angeklagte eine Erleichterung seines Angriffs durch die Arg- und Wehrlosigkeit der Nebenklägerin nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hatte. Hierfür spreche, dass der Angeklagte das Messer noch habe aus dem Rucksack nehmen müssen und der Angriff "wenig erfolgreich" verlaufen sei.

aa) Diese Würdigung ist lückenhaft. Die Schwurgerichtskammer hat bei ihrer Beweiswürdigung die Planung der Tat durch den Angeklagten nicht erkennbar in den Blick genommen. Nach den Feststellungen betrat der Angeklagte am Tattag das Dienstgebäude des Bezirksamts N. bewaffnet mit einem Kampfmesser zu dem Zweck, der Nebenklägerin vor ihrem Dienstzimmer aufzulauern und sie bei einer sich bietenden Gelegenheit zu töten. Bestandteil dieses Vorhabens war ersichtlich, dass die Nebenklägerin in ihrer Arbeitsumgebung nicht mit einem Messerangriff auf ihr Leben rechnen würde und sich infolgedessen nicht effektiv hiergegen würde wehren können.

Zutreffend weist die Schwurgerichtskammer zwar darauf hin, dass Ausnutzungsbewusstsein weder längere Überlegung noch planvolles Vorgehen voraussetzt. Jedoch hätte die Erwägung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass sich ihm die Gelegenheit zur Tat gleichsam überraschend geboten habe, im Kontext des vom Angeklagten zuvor gefassten und sodann auch verwirklichten Tatplans gewürdigt werden müssen. Mit der von Beginn an auf ein heimtückisches Vorgehen abzielenden Tatplanung des Angeklagten und dem Umstand, dass er sodann entsprechend dieser Planung gegen die Nebenklägerin vorging, hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2017 - 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 Rn. 15 aE; vom 7. Juni 2017 - 2 StR 474/16, NStZ 2018, 93 , 94 f.). Der Umstand, dass der Angeklagte im öffentlich zugänglichen Bereich des Bezirksamts nicht mit schon gezogenem Messer auf die Nebenklägerin wartete, sowie das Scheitern des Tötungsvorhabens sprechen nicht gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten bei Ausführung der Tat.

bb) Schließlich steht die Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein in Widerspruch zu der im Rahmen der Verneinung aufgehobener Schuldfähigkeit angeführten Erwägung, der Angeklagte sei bei den Taten in der Lage gewesen, situationsadäquat zu handeln und die "günstige Gelegenheit" zu nutzen (UA S. 22, 3. Absatz). Denn "situationsadäquat" im Sinne des vom Angeklagten gefassten Tatplans war der sofortige, für die Nebenklägerin überraschende Angriff. Die Gelegenheit hierzu war deshalb "günstig", weil der Angeklagte den Angriff tatplangemäß unter Nutzung dieses Überraschungsmoments ausführen konnte.

3. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 der Urteilsgründe und des Gesamtstrafenausspruchs. Die vom Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO ) und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Berlin, vom 29.05.2017
Fundstellen
NStZ 2019, 26
NStZ-RR 2018, 345