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BGH - Entscheidung vom 30.05.2018

2 StR 141/18

Normen:
StPO § 261
StGB § 24 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ 2019, 594
StV 2021, 93

BGH, Beschluss vom 30.05.2018 - Aktenzeichen 2 StR 141/18

DRsp Nr. 2018/8246

Ausschluss eines möglichen Rücktritts durch das Gericht in einem Verfahren bezüglich eines versuchten Totschlags; Ausschluss der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB bei Absehen von der Tat durch Einfluss von Dritten

Für die Annahme eines beendeten Versuchs des Totschlags ist maßgeblich das Vorstellungsbild (Rücktrittshorizont) des Täters nach der letzten Ausführungshandlung. Ein beendeter Versuch liegt bereits dann vor, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt, selbst wenn er den Erfolg weder will noch billigt. Die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die einen Erfolgseintritt nahelegen, reicht aus.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 8. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 261 ; StGB § 24 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine dagegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte gemeinsam mit dem später geschädigten G. und dem Zeugen Dr. am Abend des 24. März 2016 in der Wohnung des Dr. erhebliche Mengen Bier und Kräuterlikör. Etwa gegen 0.50 Uhr wollte der Angeklagte einen Streit zwischen G. und Dr. schlichten und wurde daraufhin von G. , der die Situation verkannte, geschlagen. Der Angeklagte, dessen Steuerungsfähigkeit infolge des Alkoholgenusses erheblich vermindert war, geriet in große Wut und schlug G. zunächst mit einer leeren Kräuterlikörflasche auf den Kopf, die dabei zerbrach. G. ging zu Boden. Der Angeklagte versetzte dem am Boden liegenden Geschädigten mehrere Faustschläge in das Gesicht.

Der Angeklagte verlor jetzt alle Hemmungen und wollte G. töten. Er ergriff einen Tisch und riss diesen hoch, wobei sich das Tischuntergestell löste. Die mit schweren Tonfliesen belegte Tischplatte warf der Angeklagte auf den weiterhin am Boden liegenden G. . Schließlich nahm er einen Minibackofen und warf diesen auf die auf Kopf und Rumpf des Geschädigten liegende Tischplatte.

Unmittelbar nach diesen Verletzungshandlungen klopfte ein anderer Hausbewohner, der Zeuge Z. , an die Wohnungstür. Der Angeklagte öffnete, verweigerte Z. und dessen inzwischen ebenfalls erschienener Ehefrau jedoch zunächst den Zutritt zur Wohnung. Als Dr. rief, dass die Zeugen hereinkommen sollten, schubste Z. den Angeklagten zur Seite und drückte ihn an die Wand im Flur, so dass er gemeinsam mit seiner Frau die Wohnung betreten konnte. Beide sahen im Wohnraum den Geschädigten, von dem nur die Beine zu erkennen waren, unter der Tischplatte am Boden liegen. Daraufhin riefen J. Z. und ein weiterer Bewohner den Notarzt und die Polizei.

O. Z. kümmerte sich um den Geschädigten, der nur noch röchelte und dessen Kopf blutverschmiert war.

Der Geschädigte erlitt mehrere Schürfwunden und Hämatome, ein Schädelhirn- und ein Gesichtstrauma, einen Nasenbeinbruch, einen Bruch des rechten Augenhöhlenbodens sowie der seitlichen Wand des rechten Unterkiefers mit mehreren Einblutungen. Seine Verletzungen waren potentiell lebensbedrohlich. Ohne ärztliche Hilfe hätte der hohe Blutverlust zu seinem Tode führen können. Der Geschädigte verließ die Klinik nach der Erstversorgung gegen ärztlichen Rat bereits am nächsten Morgen. Er hat sich zwischenzeitlich mit dem Angeklagten ausgesöhnt.

Die Strafkammer ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung nach der letzten Tathandlung alles getan, was nötig gewesen sei, um den Geschädigten zu töten, wobei er es für möglich gehalten habe, dass der Geschädigte ohne ärztliche Versorgung aufgrund der erlittenen Verletzungen hätte versterben können. Von dem danach beendeten Versuch habe der Angeklagte - wie nicht geschehen - nur aktiv zurücktreten können. Würde man aus Sicht des Angeklagten von einem unbeendeten Versuch ausgehen, fehle es an der Freiwilligkeit des Rücktritts, denn er sei durch das Klopfen an der Wohnungstür bei der Tatausführung gestört worden.

II.

Die Revision des Angeklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil leidet an durchgreifenden materiell-rechtlichen Fehlern.

1. Das Landgericht hat einen möglichen Rücktritt des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

a) Die Kammer ist zunächst von einem zutreffenden Maßstab für die Annahme eines beendeten Versuchs des Totschlags ausgegangen. Maßgeblich ist das Vorstellungsbild (Rücktrittshorizont) des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2017 - 2 StR 140/17, NStZ-RR 2017, 303 , 304; Urteil vom 29. Juni 2016 - 2 StR 588/15, NStZ 2016, 664 , 665; BGH, Beschluss vom 27. November 2014 - 3 StR 458/14, NStZ 2015, 331 ). Dabei liegt ein beendeter Versuch bereits dann vor, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt, selbst wenn er den Erfolg weder will noch billigt. Die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die einen Erfolgseintritt nahelegen, reicht aus (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2017 - 2 StR 140/17, aaO; BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263 , 264).

b) Die diesen Maßstäben genügende Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe nach dem Wurf mit dem Minibackofen und damit der letzten Ausführungshandlung nach seiner Vorstellung alles getan, was nötig gewesen sei, um den Geschädigten zu töten und es für möglich gehalten, dass dieser ohne medizinische Versorgung auf Grund der erlittenen Verletzungen sterben könnte (UA S. 17), wird durch die von der Strafkammer vorgenommene Beweiswürdigung jedoch nicht getragen.

aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden (§ 261 StPO ). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178 , 179). Die Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 26. Oktober 2016 - 2 StR 275/16, juris Rn. 12). Zudem muss die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einer nachvollziehbaren und tragfähigen Grundlage beruhen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16, juris Rn. 9).

bb) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung hier nicht in jeder Hinsicht gerecht. Sie bleibt in Teilen lückenhaft. Die Strafkammer unterlegt ihre Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten lediglich mit dem objektiven Befund des rechtsmedizinischen Sachverständigen, wonach der erhebliche Blutverlust des Geschädigten ohne ärztliche Versorgung zu dessen Tod hätte führen können. Warum dieser objektive und nachträglich erhobene Befund einen Rückschluss auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten zulassen soll, bleibt im Urteil offen. Es ist weder festgestellt, dass der Angeklagte den hohen Blutverlust des Geschädigten nach dem Wurf mit der Tischplatte und dem Minibackofen wahrgenommen, noch dass er die diagnostizierten erheblichen Verletzungen erkannt hat. Dass der Angeklagte allein aufgrund seiner erheblichen Tathandlungen bereits davon ausging, der Geschädigte werde an den erlittenen Verletzungen versterben, hat die Strafkammer ebenfalls nicht festgestellt.

Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist ein Schluss auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten nicht zu entnehmen. Nach den knappen Feststellungen zur objektiven Wahrnehmungssituation nach der letzten Ausführungshandlung lag der Geschädigte mit Kopf und Rumpf unter der Tischplatte, so dass nur seine Beine erkennbar waren. Der Kopf des stark blutenden Geschädigten wurde erst sichtbar, nachdem der Zeuge Z. die auf dem Geschädigten liegende Tischplatte hochgehoben hatte. Die Urteilsfeststellungen bieten keine Anhaltspunkte, dass der erhebliche Blutverlust des Geschädigten bereits sichtbar war, als dieser noch unter der Tischplatte lag. Sonstige Umstände, die den Schluss zuließen, der Angeklagte habe die schweren Verletzungen des Geschädigten bereits unmittelbar nach seiner letzten Ausführungshandlung wahrgenommen, sind den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen.

c) Die Urteilsgründe schließen auch einen Rücktritt des Angeklagten von einem eventuell unbeendeten Versuch des Totschlags nicht rechtsfehlerfrei aus. Die Feststellungen belegen nicht die fehlende Freiwilligkeit einer nicht auszuschließenden Tataufgabe.

aa) Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will und dementsprechend "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist (BGH, Beschlüsse vom 7. März 2018 - 1 StR 83/18, juris Rn. 9; vom 24. Oktober 2017 - 1 StR 393/17, juris Rn. 12; Senat, Beschluss vom 3. April 2014 - 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241 mwN).

bb) Daran gemessen bleiben die Urteilsfeststellungen auch zur fehlenden Freiwilligkeit lückenhaft. Sie lassen offen, ob der Angeklagte, bevor er den Zeugen Z. die Tür öffnete, nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen ohne Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs hätte vornehmen können. Weshalb das Klopfen des Zeugen Z. einer freiwilligen Tataufgabe entgegenstehen soll, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, denn der Angeklagte war allein durch ein Klopfen an der Wohnungstür objektiv nicht gehindert, die Tatausführung fortzusetzen und weiterhin auf sein Opfer einzuwirken. Der Ausschluss einer möglichen Tataufgabe aus selbstgesetzten Motiven ist damit nicht belegt.

2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags. Dies entzieht ohne Weiteres dem Strafausspruch und der angeordneten Maßregel die Grundlage. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

Vorinstanz: LG Stralsund, vom 08.12.2017
Fundstellen
NStZ 2019, 594
StV 2021, 93