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BGH - Entscheidung vom 08.01.2018

AnwZ (Brfg) 66/17

Normen:
BRAO § 7 Nr. 3
BRAO § 112c Abs. 1 S. 1
BRAO § 32 Abs. 2 Hs. 1

BGH, Beschluss vom 08.01.2018 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 66/17

DRsp Nr. 2018/1984

Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft; Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile

Eine Rechtsanwaltstätigkeit darf nur dann ausgeübt werden, wenn die Zulassungsvoraussetzungen der Bundesrechtsanwaltsordnung geprüft worden sind, ihr Vorliegen also nicht nur wegen Fristablaufs fingiert wird. Eine Person, der infolge einer Genehmigungsfiktion die Beratung und Vertretung der Rechtsuchenden als Rechtsanwalt gestattet wird, obwohl nicht gewährleistet sei, dass sie die erforderliche berufliche Qualifikation und Zuverlässigkeit besitzt, stellt eine Gefahr für die Rechtspflege, die Interessen der Rechtsuchenden und die Rechtsordnung insgesamt dar.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 26. Juli 2017 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 7 Nr. 3 ; BRAO § 112c Abs. 1 S. 1; BRAO § 32 Abs. 2 Hs. 1;

Gründe

I.

Der am 18. Mai 1953 geborene Kläger hat am 1. September 1994 die zweite juristische Staatsprüfung bestanden und wurde in der Folgezeit zur Anwaltschaft zugelassen. Die Zulassung wurde mit Bescheid vom 18. Januar 2001 widerrufen, nachdem der Kläger am 6. Dezember 2000 auf sie verzichtet hatte. Der Kläger ist im Zeitraum 1997 bis 2013 mehrfach strafrechtlich verfolgt worden, u.a. wegen des Erwerbs und der Ausübung tatsächlicher Gewalt über eine Schusswaffe in Tateinheit mit dem Erwerb von Munition, wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und Nötigung, wegen versuchter Nötigung und Parteiverrat, wegen Unterschlagung, wegen besonders schwerer Untreue, wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen, wegen Beleidigung und wegen Unterschlagung. Hinsichtlich der Einzelheiten und der jeweils verhängten Strafen und Auflagen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Im Jahre 2006 beantragte der Kläger die erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Klage gegen den Ablehnungsbescheid blieb erfolglos. Im Urteil des S. Anwaltsgerichtshofs vom 18. April 2008 heißt es: "Unter Berücksichtigung der in § 7 Nr. 3 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung erscheint es dem Senat - sofern kein anderes Zulassungshindernis bestehen wird - vertretbar, unter Berücksichtigung der Schwere der Verfehlungen einerseits und der für den Antragsteller sprechenden Umstände andererseits nach einer Wohlverhaltensphase von 8 Jahren gerechnet ab dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft am 19.6.2007 den Antragsteller erneut zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen."

Am 23. März 2016 beantragte der Kläger erneut die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gerichtete Klage ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 36/16, juris Rn. 3 mwN). Daran fehlt es hier.

a) Der Kläger meint, der Anwaltsgerichtshof habe die unmittelbare Außenwirkung des Urteils des S. Anwaltsgerichtshofs vom 18. April 2008 verkannt. Dies folge aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO . Nicht nur die Rechtsanwaltskammer D. , sondern auch die Beklagte sei verpflichtet, das bezeichnete Urteil umzusetzen. Ein etwa bestehendes Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert.

Dies trifft nicht zu. Gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile nur die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. An dem Verfahren vor dem S. Anwaltsgerichtshof war die Beklagte nicht beteiligt. Die Bindungswirkung reicht überdies nur soweit, wie über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand des Verfahrens vor dem S. Anwaltsgerichtshof war der Zulassungsantrag aus dem Jahre 2006. Der im Tatbestand wiedergegebene Satz aus den Urteilsgründen des damaligen Urteils trug die Klagabweisung nicht. Streitgegenstand des jetzigen Verfahrens ist überdies der Zulassungsantrag vom 23. März 2016. Bei der Entscheidung über diesen Antrag hatte der Anwaltsgerichtshof ebenso wie zuvor die Beklagte die Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung neu zu würdigen. Einzubeziehen waren sämtliche Straftaten sowie die im Tatbestand des angefochtenen Urteils aufgeführten und die aus den Akten ersichtlichen Äußerungen und sonstigen Verhaltensweisen des Klägers.

b) Der Kläger meint weiter, der Anwaltsgerichtshof sei befangen gewesen. Eine Richterin habe sich beleidigend über ihn, den Kläger, geäußert, ohne dass der Vorsitzende oder die anderen Richter eingeschritten seien.

Dieses Vorbringen ist unerheblich. Gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 54 Abs. 1 VwGO , § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter nicht mehr wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Einen Ablehnungsantrag hat der anwaltlich vertretene Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof nicht gestellt. Ein Hinweis auf die Vorstrafen des Klägers hätte überdies eine Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO ) nicht begründen können. Die Vorstrafen mussten zur Vorbereitung der Entscheidung über die auf § 7 Nr. 5 BRAO gestützte Versagung der Zulassung erörtert werden.

2. Besondere tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten weist die Rechtssache nicht auf (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen deutlich abhebt (BGH, Beschluss vom 17. März 2016 - AnwZ (Brfg) 6/16, juris Rn. 5 mwN). Das ist hier nicht der Fall.

a) Nach Ansicht des Klägers hat der Anwaltsgerichtshof die Reichweite der verwaltungsrechtlichen Vorschrift des § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG verkannt. Gemäß § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG gelte eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt. Gemäß § 32 BRAO sei über Anträge innerhalb einer Frist von drei Monaten zu entscheiden. Die Beklagte habe nicht innerhalb der Frist von drei Monaten entschieden.

b) Gemäß § 32 Abs. 2 Halbsatz 1 BRAO ist über Anträge innerhalb einer Frist von drei Monaten zu entscheiden. Nach Ablauf dieser Frist gilt jedoch nicht die Genehmigungsfiktion des § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG . Auf diese Vorschrift nimmt § 32 BRAO nicht Bezug; sie setzt zudem ihrerseits eine Anordnung in einer Rechtsvorschrift voraus, welche die Bundesrechtsanwaltsordnung nicht enthält. Der Gesetzgeber hat die Dreimonatsfrist des § 32 Abs. 2 BRAO in Umsetzung des Art. 13 der Richtlinie 2006/123 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ( Dienstleistungsrichtlinie ; ABl. L 376 vom 27. Dezember 2006, S. 36) eingeführt und dabei bewusst von der Anordnung einer Genehmigungsfiktion abgesehen. In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu, nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 der Dienstleistungsrichtlinie könne eine Genehmigungsfiktion ausgeschlossen werden, wenn dies durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, einschließlich eines berechtigten Interesses Dritter, gerechtfertigt sei. Eine Person, der infolge einer Genehmigungsfiktion die Beratung und Vertretung der Rechtsuchenden als Rechtsanwalt gestattet werde, obwohl nicht gewährleistet sei, dass er die erforderliche berufliche Qualifikation und Zuverlässigkeit besitze, stelle eine Gefahr für die Rechtspflege, die Interessen der Rechtsuchenden und die Rechtsordnung insgesamt dar (BT-Drucks. 17/3356, S. 14). Dem ist nichts hinzuzufügen. Eine Rechtsanwaltstätigkeit darf nur dann ausgeübt werden, wenn die Zulassungsvoraussetzungen der Bundesrechtsanwaltsordnung geprüft worden sind, ihr Vorliegen also nicht nur wegen Fristablaufs fingiert wird.

3. Die Rechtssache hat schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 53/16, juris Rn. 21 mwN). Diese Voraussetzungen sind vom Beschwerdeführer darzulegen. Insbesondere muss begründet werden, warum ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 39/16, juris Rn. 9 mwNachw; st. Rspr.).

Der Kläger meint, es müsse die grundsätzliche Frage geklärt werden, ob gesetzliche Rechte des Klägers durch ein Verwaltungshandeln der Beklagten eingeschränkt oder aufgehoben werden dürften; zu klären sei, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beklagte von gesetzlichen Vorgaben abweichen dürfe. Diese Rüge ist unverständlich. Der ablehnende Bescheid vom 18. Oktober 2016 ist vom Anwaltsgerichtshof daraufhin überprüft worden, ob er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 113 Abs. 5 VwGO ). Der Anwaltsgerichtshof ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist. Gründe für eine Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs hat der Kläger nicht dargetan (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 VwGO ).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 2 VwGO . Der Streitwert wurde nach § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO festgesetzt.

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 26.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen II AGH 7/16