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BGH - Entscheidung vom 15.11.2018

V ZB 251/17

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2

BGH, Beschluss vom 15.11.2018 - Aktenzeichen V ZB 251/17

DRsp Nr. 2019/856

Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen nach Algerien bei Vorliegen eines zulässigen Haftantrags

In einem Haftantrag ist insbesondere darzulegen, auf welcher Grundlage die Abschiebung erfolgen soll, welche Schritte hierfür erforderlich sind und welchen Zeitraum diese jeweils in Anspruch nehmen. Besteht mit dem Zielstaat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, ein Rückübernahmeabkommen, sind die nach diesem durchzuführenden entscheidenden Schritte in dem Haftantrag darzustellen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 9. Oktober 2017 und der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 1. Dezember 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Düren auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5; AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Jahre 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Das Asylverfahren wurde im Jahre 2016 eingestellt, und dem Betroffenen wurde die Abschiebung angedroht. Von März bis September 2017 war er unbekannten Aufenthalts; am 8. Oktober 2017 wurde er festgenommen.

Mit Beschluss vom 9. Oktober 2017 hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Algerien bis zum 9. Januar 2018 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, der am 22. Dezember 2017 aus der Haft entlassen wurde, die Feststellung, durch die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegt der Haftanordnung ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Die Behörde habe insbesondere dargelegt, was im konkreten Fall zur Durchführung der Abschiebung zu veranlassen gewesen sei und welche Zeit das in Anspruch nehmen werde. Der Haftantrag sei auch begründet, denn es liege der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 1 und 2 AufenthG vor.

III.

Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG ) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts und die Beschwerdeentscheidung in seinen Rechten verletzt. Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, InfAuslR 2016, 108 Rn. 15 mwN; Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 164/17, juris Rn. 4).

2. Dem entsprach der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht.

a) Sie musste in dem Antrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG insbesondere darlegen, auf welcher Grundlage die Abschiebung erfolgen sollte, welche Schritte hierfür erforderlich waren und welchen Zeitraum diese jeweils in Anspruch nahmen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Oktober 2015 - V ZB 82/14, juris Rn. 7 mwN). Besteht mit dem Zielstaat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, ein Rückübernahmeabkommen (hier das Protokoll zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Identifizierung und die Rücknahme i.d.F. der Bekanntmachung vom 4. Dezember 2003, BGBl. II 2004 S. 16 , nachfolgend: deutsch-algerisches Protokoll), sind die nach diesem durchzuführenden entscheidenden Schritte in dem Haftantrag darzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - V ZB 172/12, InfAuslR 2014, 52 Rn. 9; Beschluss vom 16. Juni 2016 - V ZB 12/15, InfAuslR 2016, 429 Rn. 9; Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 29/17, InfAuslR 2018, 139 Rn. 6); ggf. ist darzulegen, warum abweichend hiervon verfahren werden soll.

b) Daran fehlt es. Die beteiligte Behörde hat in dem Haftantrag zwar ausgeführt, dass die Beschaffung eines Passersatzes nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde Köln im vorliegenden Fall drei Monate in Anspruch nehme. Ein ausgefüllter Passersatzpapierantrag nebst Fingerabdrücken liege vor. Parallel werde die Flugbuchung durchgeführt, die aufgrund der erforderlichen Sicherheitsbegleitung nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde ca. acht Wochen in Anspruch nehmen werde.

aa) Damit werden die erforderlichen Schritte für eine Abschiebung nach Algerien aber nicht dargestellt. Das deutsch-algerische Protokoll über die Identifizierung und Rückübernahme wird nicht erwähnt, und es werden keine Angaben zu dem darin vorgesehenen Verfahren gemacht. Selbst wenn die Behörde nicht vorhatte, nach dem deutsch-algerischen Protokoll zu verfahren, weil ihr durch die Zentrale Ausländerbehörde das jeweils tagesaktuelle Verfahren für die Beschaffung des Passersatzpapiers vorgegeben wird, wäre jedenfalls dies darzulegen und zu erläutern gewesen. Ohne solche Angaben ist es dem Richter und dem Betroffenen nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der beantragten Haft, insbesondere die notwendige Haftdauer (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ), zu prüfen (Senat, Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 29/17, InfAuslR 2018, 139 Rn. 8).

bb) Die in dem Haftantrag enthaltenen Angaben wären auch dann nicht ausreichend, wenn die beteiligte Behörde davon ausgegangen sein sollte, dass für die Beschaffung des Passersatzes kein weiterer Schritt mehr erforderlich und nur noch die Übersendung des Dokuments durch die algerischen Behörden abzuwarten war. Zwar wäre in einem solchen Fall die Darlegung der nach dem Rückübernahmeprotokoll erforderlichen - bereits absolvierten - Schritte entbehrlich. Es wäre in dem Haftantrag dann aber zumindest darzulegen gewesen, dass auf Seiten der deutschen Behörden nichts weiter zu veranlassen und nur noch die Reaktion der ausländischen Behörden abzuwarten ist. Dies ist dem Antrag der beteiligten Behörde nicht zu entnehmen.

3. Der Mangel des Haftantrags ist nicht nachträglich geheilt worden. Weder hat die Behörde ihre Darlegungen ergänzt noch haben das Amtsgericht oder das Beschwerdegericht das Vorliegen der an sich seitens der Behörde nach § 417 Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen aufgrund eigener Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG ) festgestellt (vgl. zu dieser Möglichkeit Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 22).

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 AufenthG ).

Vorinstanz: AG Wuppertal, vom 09.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 902 XIV (B) 9/17 (B)
Vorinstanz: LG Wuppertal, vom 01.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 9 T 186/17