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BGH - Entscheidung vom 20.09.2018

V ZB 102/16

Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 2
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 2
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 2
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2
AsylG § 71
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

Fundstellen:
NVwZ-RR 2019, 391

BGH, Beschluss vom 20.09.2018 - Aktenzeichen V ZB 102/16

DRsp Nr. 2018/18425

Anhaltspunkt für Fluchtgefahr bei Entziehen der Abschiebung des Ausländers in sein Heimatland durch Ausreise in einen anderen Staat; Aufenthaltsrecht eines Ausländers nach Zurückweisung seines Asylantrags; Stellen eines Asylantrags unter variierten Personalien

Ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG liegt vor, wenn sich der Ausländer der Abschiebung in sein Heimatland durch Ausreise in einen anderen Staat entzieht, in dem er nach Zurückweisung seines Asylantrags kein Aufenthaltsrecht hat, und später nach Deutschland zurückkehrt und einen Asylantrag unter variierten Personalien stellt, ohne offenzulegen, dass es sich um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG handelt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Warburg vom 25. Mai 2016 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 6. Juli 2016 den Betroffenen insoweit in seinen Rechten verletzt haben, als die Sicherungshaft bis zum 5. Juli 2016 angeordnet und über den 31. Juli 2016 hinaus aufrechterhalten und vollzogen worden ist.

Von den gerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Betroffene 27 %. Die Dolmetscherkosten und die übrigen Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Rhein-Hunsrück-Kreis trägt 73 % der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen in allen Instanzen. Im Übrigen trägt sie dieser selbst.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 2 ; AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2; AsylG § 71 ; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein armenischer Staatsangehöriger, beantragte am 15. Oktober 2014 bei der Außenstelle Trier des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (fortan Bundesamt) Asyl. Mit Rücksicht auf die Prüfung seines Asylantrags durch das Bundesamt erteilten ihm die zuständigen Ausländerbehörden befristete Duldungen. Da er in Belgien bereits viermal erfolglos Asyl beantragt hatte, lehnte das Bundesamt mit rechtskräftigem Bescheid vom 21. Januar 2016 den Asylantrag ab. Es forderte den Betroffenen unter Androhung seiner Abschiebung nach Armenien auf, Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Dieser Aufforderung leistete der Betroffene ebenso wenig Folge wie einer weiteren Aufforderung durch die beteiligte Behörde vom 17. Februar 2016. Er tauchte unter und wurde am 25. Mai 2016 in Nordrhein-Westfalen vorläufig festgenommen. Bei seiner Festnahme führte er einen Ankunftsnachweis der Stadt Bielefeld vom 13. April 2016 bei sich, in dem er als R. T. , geboren am 27. Juni 1986 in Spitak, ausgewiesen war. Es stellte sich heraus, dass er am 13. April 2016 bei der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld erneut Asyl beantragt hatte.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 25. Mai 2016 Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Armenien bis zum 25. August 2016 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 6. Juli 2016 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene nach Ablauf des Haftzeitraums die Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung festgestellt wissen. Die beteiligte Behörde beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, dass der Haftantrag jedenfalls im Hinblick auf seine schriftliche Ergänzung durch einen Schriftsatz vom 24. Juni 2016 und die ergänzenden Angaben der beteiligten Behörde in der mündlichen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht die erforderlichen Angaben enthält. Es hält den Haftantrag auch für begründet. Der Betroffene sei aufgrund der Ausweisung durch das Bundesamt vollziehbar ausreisepflichtig. Daran ändere der erneute Asylantrag als Zweitantrag gemäß § 71a AsylG nichts. Es bestehe der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 , § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG . Der Betroffene habe nach Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt die ihm zugewiesene Wohnung verlassen und in Bielefeld unter Angabe von Aliaspersonalien ein neues Asylgesuch gestellt. In diesem Verhalten lägen gleichzeitig konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht, um sich der mit dem Bescheid angekündigten bevorstehenden Abschiebung zu entziehen. Indem er seinen Aufenthaltsort nach unbekannt verlassen und unter Angabe falscher Personalien einen neuen Asylantrag gestellt habe, habe er hinreichend deutlich gemacht, sich der Abschiebung durch Flucht entziehen zu wollen. Das sei nicht anders zu beurteilen, sollte der Betroffene tatsächlich, wie er behaupte, zunächst freiwillig aus Deutschland nach Belgien ausgereist sein, um sodann in Bielefeld unter Angabe anderer Personalien ein weiteres Mal Asyl zu beantragen. Ob daneben auch der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gegeben sei, bedürfe keiner Entscheidung.

Die beteiligte Behörde habe die Abschiebung des Betroffenen mit der gebotenen Beschleunigung betrieben. Es stehe fest, dass sie die Haftanordnung am 27. Mai 2016 erhalten und noch am gleichen Tage die zuständige Clearingstelle in Rheinland-Pfalz gebeten habe, das Rückübernahmeverfahren bei den armenischen Behörden einzuleiten. Diese Stelle habe den Antrag am 31. Mai 2016 an die armenische Botschaft in Berlin weitergeleitet. Sie habe am 22. Juni und 4. Juli 2016 telefonisch an die Erledigung des Ersuchens erinnert. Eine Entscheidung der armenischen Behörden liege aber noch nicht vor. Verzögerungen durch die armenische Botschaft habe die beteiligte Behörde nicht zu vertreten.

Auch die Haftdauer sei nicht zu beanstanden. Zwar gelte die Zustimmung Armeniens zur Rücküberstellung des Betroffenen dorthin nach Art. 11 Abs. 2 des Rücknahmeübereinkommens zwischen der EU und Armenien nach Ablauf von zwölf Kalendertagen nach Eingang des Ersuchens als erteilt. An sich müsse es deshalb auch möglich sein, die Abschiebung des Betroffenen bis zum 20. Juli 2016 durchzuführen. Hier sei aber zu berücksichtigen, dass die armenischen Behörden von dem in dem Rücknahmeübereinkommen vorgesehenen Verfahren abgewichen seien und zunächst die interne Klärung mit den zuständigen Behörden in Armenien abgewartet hätten ohne präzise anzugeben, wann die Entscheidung genau zu erwarten sei. Vor diesem Hintergrund erscheine die beantragte Haft bis zum 25. August 2016 weiterhin erforderlich.

III.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nur teilweise stand.

1. Die Haftanordnung des Amtsgerichts hat den Betroffenen bis zum 5. Juli 2016 in seinen Rechten verletzt, weil sie auf einem unzulässigen Haftantrag beruhte und dieser Mangel erst durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts am 6. Juli 2016 geheilt worden ist.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 ff. und vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, NVwZ 2017, 1231 Rn. 6 jeweils mwN).

b) Diesen Anforderungen genügte der Haftantrag der beteiligten Behörde, worauf das Beschwerdegericht diese zu Recht hingewiesen hat, in wesentlichen Punkten nicht. Die Behörde hatte in dem Haftantrag unter anderem die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung darzulegen (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG ). Dazu heißt es in dem Haftantrag nur, die beantragte Dauer der Haft sei aus der Sicht der beteiligten Behörde „erforderlich und angemessen“. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ), unzureichend (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10, vom 12. Oktober 2016 - V ZB 8/15, juris Rn. 7 und vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 7).

c) Der Mangel ist erst durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts am 6. Juli 2016 geheilt worden.

aa) Mängel des Haftantrags können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (§ 26 FamFG , vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Diese Heilung kann auch noch während des Beschwerdeverfahrens erfolgen (Senat, Beschlüsse vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, juris Rn. 9 und vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 5). Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (Senat, Beschlüsse vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 9 mwN, vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, aaO und vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, aaO).

bb) Die Heilung wirkt aber nicht zurück, sondern nur für die Zukunft (Senat, Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 und vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 = juris Rn. 13). Sie tritt nicht schon mit der Ergänzung des Haftantrags durch die beteiligte Behörde oder der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht, sondern erst mit dessen Entscheidung ein (Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 6). Die Haftanordnung des Amtsgerichts blieb deshalb mangels zulässigen Haftantrags bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts am 6. Juli 2016 rechtswidrig.

2. Das Beschwerdegericht durfte zwar die Fortdauer der Haft anordnen, jedoch nicht über den 31. Juli 2016 hinaus.

a) Bei der Entscheidung über die Beschwerde des Betroffenen lagen die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Armenien bis zum 31. Juli 2016 vor.

aa) Der Mangel des Haftantrags war zu diesem Zeitpunkt geheilt, zwar nicht schon durch die immer noch nicht ausreichende ergänzende Stellungnahme der Behörde vom 24. Juni 2016, wohl aber durch die Feststellungen des Beschwerdegerichts, zu denen es den Betroffenen, wie geboten, selbst erneut persönlich angehört hat.

bb) Ohne Erfolg wendet sich der Betroffene gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG habe vorgelegen. Diese tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüfbar und in diesem Rahmen nicht zu beanstanden.

(1) Der Betroffene meint, der von dem Beschwerdegericht zugrunde gelegte konkrete Anhaltspunkt für das Vorliegen von Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG sei nicht, jedenfalls nicht entsprechend den Anforderungen des § 26 FamFG festgestellt. Es fehlten Feststellungen dazu, welche Aliaspersonalien er bei der erneuten unerlaubten Einreise nach Deutschland verwendet habe und woraus sich die Täuschungsabsicht ergebe. Die unterschiedlichen Schreibweisen seines Namens könnten ebenso gut Folge eines Fehlers bei der Transkription aus dem Armenischen sein.

Das trifft nicht zu. Aus dem Ankunftsnachweis, den die Stadt Bielefeld dem Betroffenen nach seiner erneuten unerlaubten Einreise nach Deutschland am 13. April 2016 erteilt hat, ergibt sich, dass der Betroffenen die Personalien „R. T. , geboren am 27. Juni 1986 in Spitak“ verwendet hat. Die Annahme des Beschwerdegerichts, dass der Betroffene damit über seine Identität getäuscht hat, ist nicht zu beanstanden. Zweifelhaft ist zwar, ob sich das allein aus einem Vergleich der transkribierten Personalien ableiten ließe, obwohl der jetzt verwendete Vorname R. mit den im Verfahren über seinen ersten Asylantrag in Deutschland verwendeten Vornamen Ro. bzw. Rom. keine phonetische Ähnlichkeit hat und ein Transkriptionsfehler bei der Aufnahme der unterschiedlichen Geburtsdaten der Erklärung bedürfte. Ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG liegt aber auch vor, wenn sich der Ausländer der Abschiebung in sein Heimatland durch Ausreise in einen anderen Staat entzieht, in dem er nach Zurückweisung seines Asylantrags kein Aufenthaltsrecht hat, und später nach Deutschland zurückkehrt und einen Asylantrag unter variierten Personalien stellt, ohne offenzulegen, dass es sich um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG handelt.

So liegt es nach den von dem Beschwerdegericht aufgrund der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen festgestellten Umständen hier. Dieser hat sich bei seiner unerlaubten Wiedereinreise nach Deutschland nicht als Wiederankömmling in Deutschland vorgestellt, der er in Wirklichkeit war, sondern, ohne das vorangegangene gescheiterte Asylverfahren in Deutschland zu erwähnen, als Neuankömmling, der er nicht war. Bei diesem Vorgehen genügen schon geringe Abweichungen bei den Personalien wie ein anderer Vorname und ein verändertes Geburtsdatum, um bei einem Personenabgleich - jedenfalls zunächst - unentdeckt zu bleiben. Dieses Verhalten des Betroffenen durfte das Beschwerdegericht deshalb als eine Täuschung über die Identität werten.

(2) Nicht zu beanstanden ist weiter, dass das Beschwerdegericht in dem Gesamtverhalten des Betroffenen nach der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids auch einen konkreten Anhaltspunkt für das Vorliegen von Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG gesehen hat. Danach liegt ein solcher Anhaltspunkt vor, wenn der Ausländer, um sich der bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht vorgenommen hat, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können. Dieser Tatbestand erfasst die sonstigen im Verantwortungsbereich eines Ausländers liegenden konkreten Vorbereitungshandlungen, die auf die Verzögerung bzw. Verhinderung der ihm bevorstehenden Rückführung ausgerichtet sind und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Rückführung stehen. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist, dass die Handlungen des Ausländers gleichermaßen Ausdruck einer möglichen Entziehungsabsicht sind wie bei den in § 2 Abs. 14 Nr. 1 bis 5 AufenthG beschriebenen Fallgruppen (Senat, Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 69/16, FGPrax 2016, 279 Rn. 4). Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn sich der Ausländer - wie der Betroffene hier - der Abschiebung in sein Heimatland durch Ausreise in einen anderen Staat entzieht, in dem er nach Zurückweisung seines Asylantrags kein Aufenthaltsrecht hat, und später nach Deutschland zurückkehrt und einen Asylantrag unter variierten Personalien stellt, ohne offenzulegen, dass es sich um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG handelt. Der Ausländer erreicht so, dass er bei einem Registerabgleich nicht auffällt, als neuer Asylantragsteller behandelt und als Folge dessen - bis zur Entdeckung der Täuschung - nicht aufgrund des existierenden Ablehnungsbescheids abgeschoben wird.

cc) Einen Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot hat das Beschwerdegericht zutreffend verneint.

(1) Die Abschiebungshaft muss auch während des Laufs der Drei-Monats-Frist des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt und die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betrieben werden; dies ergibt sich schon daraus, dass die Haft gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist. Die Sicherungshaft darf deshalb nur aufrechterhalten oder verlängert werden, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich betreibt, und zwar - gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - mit der größtmöglichen Beschleunigung. Dabei ist ihr die Bearbeitung durch die ausländischen Behörden nicht zuzurechnen; ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot kann sich aber daraus ergeben, dass die Ausländerbehörde ihrerseits nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen hat, um Ersatzpapiere zu beschaffen. In diesem Fall darf die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht aufrechterhalten werden. Welche Maßnahmen in welchem zeitlichen Abstand von der Einreichung des Antrags an geboten sind, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 25/13, juris Rn. 6, 8 f. und vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 22).

(2) Diesen Anforderungen genügte das von dem Beschwerdegericht festgestellte Vorgehen der beteiligten Behörde.

(a) Den Ausländerakten ist zwar nur die Weiterleitung der Reaktion der armenischen Botschaft zu entnehmen. Auf die in den Ausländerakten dokumentierten Vorgänge ist die Prüfung aber nur beschränkt, wenn das Beschwerdegericht keine eigenen Feststellungen getroffen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2013 - V ZB 24/13, EzAR-NF 57 Nr. 31 Rn. 15, 17 f.). Hier hat das Beschwerdegereicht aufgrund der Angaben des Vertreters der beteiligten Behörde bei der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen eigene Feststellungen getroffen, die für die Prüfung zugrunde zu legen sind.

(b) Danach hat die beteiligte Behörde der für die Abwicklung der Rücknahme mit den armenischen Behörden zuständigen Clearingstelle den Vorgang am 27. Mai 2016 vorgelegt, die das Ersuchen am 31. Mai 2016 an die armenische Botschaft in Berlin gesandt hat. Nach Art. 11 Abs. 2 des für die Durchführung der Abschiebung des Betroffenen nach Armenien maßgeblichen Abkommens der Europäischen Union und der Republik Armenien über die Rücknahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vom 19. April 2013 (ABl. EU Nr. L 289 S. 13 ff.; fortan Abkommen) gilt die Zustimmung der armenischen Behörden zu dem Rücknahmeersuchen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union gemäß Art. 3 oder 4 des Abkommens als erteilt, wenn innerhalb der hier einschlägigen Frist von zwölf Kalendertagen keine Antwort eingegangen ist. Ob das bedeutet, dass die beteiligte Behörde oder die Clearingstelle dem Beschleunigungsgebot nur genügen konnten, wenn sie unmittelbar am nächsten Werktag nach Ablauf der Frist - hier am 15. Juni 2016 - bei der armenischen Botschaft vorstellig wurden, erscheint zweifelhaft, muss aber nicht entschieden werden. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass und aus welchen Gründen die beteiligte Behörde von der armenischen Botschaft bei einer früheren Nachfrage eine andere Antwort erhalten hätte, als die auf ihre Nachfrage am 22. Juni 2016, nämlich, dass man sich „in der nächsten Woche“ melde. Gemessen daran war es auch ausreichend, am 4. Juli 2016 erneut nachzufragen.

b) Das Beschwerdegericht hätte die Haft indessen bis zum 31. Juli 2016 begrenzen müssen.

aa) Die Haft ist, wie bereits ausgeführt, nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf den kürzest möglichen Zeitraum zu begrenzen. Stellt sich im Beschwerdeverfahren heraus, dass die Abschiebung, deren Sicherung die angeordnete Haft dient, in einem kürzeren Zeitraum als dem ursprünglich ermittelten zu erreichen ist, ist die Haft nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. dem Rechtsgedanken von § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen auf den nach dem Ergebnis der Feststellungen im Beschwerdeverfahren benötigten Zeitraum zu begrenzen und im Übrigen aufzuheben (Senat, Beschlüsse vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, NVwZ 2017, 733 [Ls.] = juris Rn. 13, vom 1. Juni 2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rn. 8 und vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 24).

bb) Diesen Anforderungen ist das Beschwerdegericht hier nur teilweise gerecht geworden.

(1) Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass das deutsche Rücknahmeersuchen der armenischen Botschaft spätestens am 24. Juni 2016, dem Datum der Antwort-E-Mail auf die Nachfrage der beteiligten Behörde bzw. der Clearingstelle vom 22. Juni 2016, vorgelegen haben muss. Unter Berücksichtigung der 12-Kalendertage-Regelung in Art. 11 Abs. 2 des Abkommens und eines Zeitraums für die Erteilung eines Reisedokuments für den Betroffenen und die Durchführung des Flugs nach Armenien ist es zu dem Zwischenergebnis gelangt, dass die Abschiebung des Betroffenen bis zum 20. Juli 2016 durchzuführen sein müsste. Das Beschwerdegericht durfte weiter berücksichtigen, dass die armenische Botschaft tatsächlich für ihre Prüfung bislang mehr als zwölf Kalendertage benötigt und diese Prüfung ungeachtet des Umstands fortgesetzt hatte, dass die Frist nach Art. 11 Abs. 2 des Abkommens an sich schon am 14. Juni 2016 abgelaufen war und dass sich deshalb weitere Verzögerungen ergeben konnten.

(2) Eine tatsächliche Grundlage dafür, die zu erwartenden Verzögerungen mit insgesamt etwa fünf Wochen anzusetzen, ergeben die Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht. Das Beschwerdegericht hat sich zulässigerweise (dazu Senat, Beschluss vom 30. Juni 2016 - V ZB 143/14, FGPrax 2016, 277 Rn. 7) an den Angaben in der Fallsammlung der Clearingstellen für Armenien orientiert. Danach nimmt die Beschaffung der Reisedokumente für die Abschiebung nach Armenien „ungefähr zwei Monate“ in Anspruch. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung eines zeitlichen Puffers für allfällige Verzögerungen (dazu: Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, NVwZ 2017, 733 [Ls.] = juris Rn. 13) konnte das Beschwerdegericht die Haft nur bis zum 31. Juli 2016 aufrechterhalten. Für den Zeitraum danach war sie entsprechend § 426 FamFG aufzuheben. Es war zwar nicht auszuschließen, dass sich weitere Verzögerungen ergaben. Dem durfte das Beschwerdegericht aber nicht mit einer Aufrechterhaltung der Haft Rechnung tragen, für die es keine tragfähige Tatsachengrundlage gab. Vielmehr ist die Haft in solchen Fällen auf den Zeitraum zu begrenzen, den der festgestellte Sachverhalt ergibt. Wenn sich später abzeichnet, dass wider Erwarten mehr Zeit benötigt wird, kann Verlängerung der Haft beantragt werden.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Warburg, vom 25.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 41 XIV (B) 2/16
Vorinstanz: LG Paderborn, vom 06.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 206/16
Fundstellen
NVwZ-RR 2019, 391