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BGH - Entscheidung vom 25.10.2018

V ZB 259/17

Normen:
ZPO § 233 B
ZPO § 233 (B)
ZPO § 233

Fundstellen:
AnwBl 2019, 423
DStR 2019, 408
FamRZ 2019, 551
MDR 2019, 244
MDR 2019, 404
NJW-RR 2019, 315

BGH, Beschluss vom 25.10.2018 - Aktenzeichen V ZB 259/17

DRsp Nr. 2019/1299

Anforderungen an die von einem Rechtsanwalt geforderte übliche Sorgfalt; Auswirkungen eines falsch adressierten fristgebundenen und dann korrigierten Schriftsatzes; Verpflichtung zur Vernichtung des falsch adressierten Schriftsatzes

Der Rechtsanwalt, der einen falsch adressierten fristgebundenen Schriftsatz unterschrieben, seinen Irrtum dann aber bemerkt und einen korrigierten Schriftsatz unterzeichnet hat, genügt regelmäßig der von ihm geforderten üblichen Sorgfalt, wenn er eine sonst zuverlässige Kanzleikraft anweist, den korrigierten Schriftsatz zu versenden; der eigenhändigen Vernichtung oder eigenhändiger Durchstreichungen des ursprünglichen Schriftsatzes bedarf es grundsätzlich nicht (Anschluss u.a. an BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 13). Das gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Kanzleikraft nicht ausdrücklich angewiesen hat, den falsch adressierten Schriftsatz zu vernichten.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München - 8. Zivilsenat - vom 28. November 2017 aufgehoben.

Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zu Einlegung der Berufung gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 20.000 €.

Normenkette:

ZPO § 233 ;

Gründe

Die Kläger haben gegen das ihnen am 9. Oktober 2017 zugestellten Urteil des Landgerichts mit einem an dieses gerichteten und dort am 9. November 2017 eingegangenen Telefax Berufung eingelegt. Das Landgericht hat die Berufungsschrift am 14. November 2017 an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet. An diesem Tag haben die Kläger dort Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben sie ausgeführt, ihr Prozessbevollmächtigter habe bei Unterzeichnung der Berufungsschrift bemerkt, dass der Schriftsatz versehentlich an das Landgericht und nicht an das Oberlandesgericht adressiert gewesen sei. Unter Rückgabe der Unterschriftsmappe habe der Prozessbevollmächtigte seine Mitarbeiterin angewiesen, eine geänderte, an das Oberlandesgericht adressierte Berufungsschrift zu fertigen, was auch geschehen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe die an das Oberlandesgericht adressierte Berufungsschrift unterzeichnet und der Mitarbeiterin mit der Weisung übergeben, den Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die seit zwölf Jahren beschäftigte, gut geschulte und zuverlässige Mitarbeiterin habe aber nicht die an das Oberlandesgericht adressierte Berufungsschrift dorthin versandt, sondern versehentlich die an das Landgericht adressierte Berufungsschrift an die Telefaxnummer des Landgerichts gefaxt.

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 28. November 2017 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist nicht vor. Die Kläger hätten ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das ihnen gemäß § 85 ZPO zuzurechnen sei, nicht ausgeräumt. Seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genüge ein Rechtsanwalt nur, wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden sei. Erst danach dürfe die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine entsprechende Weisung in seiner Kanzlei getroffen habe, sei nicht vorgetragen. Eine Verzögerung des Eingangs einer Rechtsmittelschrift, die auf eine falsche Adressierung zurückzuführen sei, habe der Rechtsanwalt zudem grundsätzlich selbst zu vertreten. Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger sei es auch als eigenes Verschulden anzulasten, dass er es versäumt habe, die ursprünglich an das Landgericht adressierte und von ihm unterschriebene Berufungsschrift zu vernichten oder sie als überholt zu kennzeichnen und damit zu vermeiden, dass sie in den Verkehr gebracht werde.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat den Klägern den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275 , 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367 , 368 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Klägern zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Sie waren ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 233 Abs. 1 ZPO ). Auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht als glaubhaft angesehenen Vortrags der Kläger lässt sich ein ihnen gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

a) Ein Verschulden liegt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht in einer unzureichenden Organisation der Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze.

aa) Richtig ist, dass der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann genügt, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 28; Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 86/15, NJW-RR 2016, 636 Rn. 7; jeweils mwN). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (Senat, Beschluss vom 29. Juni 2017 - V ZB 124/16, juris Rn. 8; Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 135/15, aaO Rn. 28; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 12).

bb) Ob das Berufungsgericht, wie die Rechtsbeschwerde rügt, das Vorbringen der Kläger in dem Wiedereinsetzungsantrag übergangen hat, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten seien Vorkehrungen getroffen worden, die eine Ausgangskontrolle per Telefax versandter fristgebundener Schriftsätze gewährleisteten, kann offen bleiben. Darauf kommt es nämlich nicht an. Es ist nicht ersichtlich, warum eine funktionierende Ausgangskontrolle im vorliegenden Fall die irrtümliche Versendung der Berufungsschrift an das unzuständige Landgericht verhindert und eine fristwahrende Übermittlung an das zuständige Oberlandesgericht gewährleistet hätte. Eine Ausgangskontrolle der versehentlich an das für die Berufung unzuständige Landgericht gerichteten Berufungsschrift hätte vorliegend nur erbracht, dass der Schriftsatz innerhalb der Berufungsfrist an eben das Empfangsgericht (Landgericht) gefaxt worden ist, an das es nach der Adressierung auch übermittelt werden sollte.

b) Anders als das Berufungsgericht meint, musste der Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht die fehlerhaft an das Landgericht adressierte Berufungsschrift eigenhändig vernichten.

aa) Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der einen falsch adressierten fristgebundenen Schriftsatz unterschrieben, seinen Irrtum dann aber bemerkt und einen korrigierten Schriftsatz unterzeichnet hat, der von ihm geforderten üblichen Sorgfalt regelmäßig genügt, wenn er eine sonst zuverlässige Kanzleikraft anweist, den korrigierten Schriftsatz zu versenden; der eigenhändigen Vernichtung oder eigenhändiger Durchstreichungen des ursprünglichen Schriftsatzes bedarf es grundsätzlich nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 16; Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 13; Beschluss vom 16. April 2013 - VIII ZB 67/12, juris Rn. 7; Beschluss vom 17. Juli 2007 - VIII ZB 107/06, juris Rn. 4 f.; Urteil vom 24. Juni 1985 - II ZR 69/85, VersR 1985, 1140 ).

bb) Das gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Kanzleikraft - wie hier - nicht ausdrücklich angewiesen hat, den falsch adressierten Schriftsatz zu vernichten. In den von dem Bundesgerichtshof bislang entschiedenen Fällen lag zwar eine solche ausdrückliche Anweisung zur Vernichtung vor. Sie ist aber nicht zwingend erforderlich, sondern kann auch konkludent erteilt werden. Beauftragt der Rechtsanwalt die sonst zuverlässige Kanzleikraft damit, einen neuen Schriftsatz zu erstellen, weil der alte falsch adressiert war, und weist er sie an, den korrigierten Schriftsatz zu versenden, ist damit die Anweisung verbunden, den fehlerhaften Schriftsatz zu vernichten. Nur so kann eine zuverlässige Kanzleikraft den ihr erteilten Auftrag verstehen. Der Rechtsanwalt darf sich dann darauf verlassen, dass die Kanzleikraft, wie angewiesen, den fehlerhaften alten Schriftsatz tatsächlich vernichten und den korrigierten versenden wird. Zusätzliche Vorkehrungen, die dies sicherstellen, sind nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 16; Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 12; Beschluss vom 16. April 2013 - VIII ZB 67/12, juris Rn. 7; Urteil vom 24. Juni 1985 - II ZR 69/85 - VersR 1985, 1140 f.).

IV.

1. Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Aufgrund der von dem Berufungsgericht als glaubhaft gemacht angesehenen Anweisung des Prozessbevollmächtigten der Kläger an die sonst zuverlässige Kanzleikraft, die korrigierte Berufungsschrift an das Oberlandesgericht zu versenden, liegt kein den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Da auch die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben.

2. Mangels anderer Anhaltspunkte hat der Senat den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts bestimmt.

Vorinstanz: LG München II, vom 28.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 2379/12
Vorinstanz: OLG München, vom 28.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 3643/17
Fundstellen
AnwBl 2019, 423
DStR 2019, 408
FamRZ 2019, 551
MDR 2019, 244
MDR 2019, 404
NJW-RR 2019, 315