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BFH - Entscheidung vom 23.02.2018

X B 61/17

Normen:
AO § 122 Abs. 2
Post-UniversaldienstleistungsVO § 2 Nr. 5
AO § 122 Abs. 2
Post-UniversaldienstleistungsVO § 2 Nr. 5

Fundstellen:
AO-StB 2018, 171
BFH/NV 2018, 601

BFH, Beschluss vom 23.02.2018 - Aktenzeichen X B 61/17

DRsp Nr. 2018/4707

Umfang der Sachaufklärungspflicht hinsichtlich des Zugangs eines von einem privaten Postdienstleister beförderten Schriftstücks

1. NV: Lässt das FA die Beförderung von Verwaltungsakten von einem privaten Postdienstleister vornehmen, der kein Universaldienstleister ist und daher nicht an die in § 2 der Post-UniversaldienstleistungsVO genannten Pflichten gebunden ist, darf das FG nicht ohne weitere Sachaufklärung unterstellen, ein solcher privater Postdienstleister liefere auch an Montagen Post aus, obwohl er dazu gesetzlich nicht verpflichtet ist. 2. NV: Das FA trägt die Feststellungslast sowohl für den Zeitpunkt der Absendung eines Verwaltungsakts als auch für den Zeitpunkt des Zugangs.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. März 2017 14 K 14062/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Normenkette:

AO § 122 Abs. 2 ; Post-UniversaldienstleistungsVO § 2 Nr. 5;

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die am 7. April 2015 (Dienstag nach Ostern) beim Finanzgericht (FG) eingegangene Klage gegen die auf den 27. Februar 2015 (Freitag) datierte Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) fristgerecht erhoben worden ist.

Zur Absendung der Einspruchsentscheidung hat das FG —im Wege der Zugrundelegung des entsprechenden Vortrags des FA— festgestellt, die Sachbearbeiterin habe am 26. Februar 2015 einen Vermerk erstellt, wonach die Einspruchsentscheidung am 27. Februar 2015 zur Post gegeben werde. Die Sendung sei am 26. Februar 2015 in den internen Postlauf des FA gegeben worden. Das Landesverwaltungsamt hole die Postausgänge an jedem Arbeitstag ab, sammle sie und übergebe sie noch am selben Tag dem beauftragten privaten Postdienstleister (P). Dies bedeute "regeltypisch", dass Briefsendungen am Tag ihrer Abholung beim FA dem P übergeben würden.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die Einspruchsentscheidung vorgelegt, auf der sich ein Eingangsstempel der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten vom 3. März 2015 (Dienstag) befindet. Der Prozessbevollmächtigte hat anwaltlich versichert, Eingangsstempel würden in seiner Kanzlei ausnahmslos so angebracht, dass sie das tatsächliche Eingangsdatum auswiesen.

Das FG hat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe keine Zweifel an dem vom FA vermerkten Absendetag. Demgegenüber sei es dem Kläger nicht gelungen, die gesetzliche Zugangsfiktion zu entkräften. Allein der Eingangsstempel und die anwaltliche Versicherung reichten nicht aus, wenn —wie hier— weder der Briefumschlag vorgelegt noch die Bearbeitung des Posteingangs in der Kanzlei exakt dargelegt werde.

Mit seiner —per Telefax bereits am 26. Juni 2017 und damit fristgerecht begründeten— Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln, grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts.

Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

1. Das FG hat seine von Amts wegen bestehende Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, weil es nicht aufgeklärt hat, ob P an Montagen überhaupt Postsendungen ausliefert.

a) Hierzu bestand schon deshalb Anlass, weil gemäß § 2 Nr. 5 der Post-Universaldienstleistungs-Verordnung ( PUDLV ; erlassen aufgrund von § 11 Abs. 2 des Postgesetzes ) ausschließlich Universaldienstleister gesetzlich verpflichtet sind, an sechs Tagen in der Woche Post auszuliefern. Andere Postdienstleister unterliegen dieser rechtlichen Vorgabe hingegen nicht. Sie können daher selbst —insbesondere nach wirtschaftlichen Kriterien— darüber entscheiden, ob sie beispielsweise an Montagen überhaupt Postsendungen ausliefern wollen.

Ob es sich bei P —wofür aus Sicht des Senats nichts spricht— im Zeitpunkt der Beförderung der Einspruchsentscheidung um einen solchen Universaldienstleister handelte, der zur Beachtung des § 2 Abs. 5 PUDLV verpflichtet war, hat das FG nicht festgestellt.

b) Die Frage, ob P an Montagen überhaupt Post ausliefert, war im Streitfall entscheidungserheblich. Denn die Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung ( AO ) endete im Streitfall am Montag, den 2. März 2015. Die daran geknüpfte Bekanntgabe-Vermutung wäre aber ohne Weiteres entkräftet, wenn der vom FA beauftragte private Postdienstleister an Montagen gar keine Auslieferungen vornimmt. Wäre die Einspruchsentscheidung —wie vom Kläger vorgetragen— hingegen erst am Folgetag (3. März 2015) zugegangen, wäre die Monatsfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO am 3. April 2015 (Karfreitag) abgelaufen und hätte sich wegen der Feiertage auf den 7. April 2015 (Dienstag nach Ostern) verlängert. In diesem Fall wäre die Klage fristgerecht erhoben worden.

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat —ohne Bindungswirkung für das FG— darauf hin, dass das FG zugunsten des FA bereits eine Erklärung zum "regeltypischen" Verfahrensablauf bei der Absendung hat ausreichen lassen (das FA hatte zum konkreten Absendevorgang und –tag nichts vortragen können), beim Kläger aber ausdrücklich beanstandet hat, dass dieser nur zum regelmäßigen, nicht aber zum konkreten Ablauf der Posteingangsbearbeitung bei seinem Prozessbevollmächtigten vorgetragen hatte.

Zwar ist das FG —auch im zweiten Rechtsgang— in seiner Beweiswürdigung frei. Es muss dabei aber jedenfalls erkennen lassen, dass ihm die gesetzlichen Regelungen über die Verteilung der Feststellungslast bewusst sind. Hierzu ordnet § 122 Abs. 2 AO an, dass im Zweifel die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung trägt die Finanzverwaltung zudem die Feststellungslast für den Zeitpunkt der Aufgabe eines Verwaltungsaktes zur Post; eine Beweiserleichterung durch einen Anscheinsbeweis kann sie dabei nicht in Anspruch nehmen (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26 , BStBl II 2003, 898 , unter II.1.b bb, und vom 26. Januar 2010 X B 147/09, BFH/NV 2010, 1081 , Rz 3, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, vom 15.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 14 K 14062/15
Fundstellen
AO-StB 2018, 171
BFH/NV 2018, 601