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BFH - Entscheidung vom 29.01.2018

X B 122/17

Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
FGO § 65 Abs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3, § 119 Nr. 3, § 116 Abs. 6
VwGO § 82 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 178, § 180, § 181
GG Art. 19 Abs. 4
FGO § 65 Abs. 1 S. 1
VwGO § 82 Abs. 1 S. 1
ZPO § 178
FGO § 76 Abs. 1 S. 1
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1-3
FGO § 119 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 6
ZPO § 180
ZPO § 181

Fundstellen:
BFH/NV 2018, 630

BFH, Beschluss vom 29.01.2018 - Aktenzeichen X B 122/17

DRsp Nr. 2018/4705

Anforderungen an die Bezeichnung des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren

1. NV: Zur Bezeichnung des Klägers gehört grundsätzlich die Angabe des tatsächlichen Wohnorts als ladungsfähiger Anschrift. Das gilt auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. 2. NV: Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn ihre Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist. 3. NV: Die Angabe ist unmöglich, wenn der Kläger glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt. 4. NV: Hierzu kann die persönliche Anhörung des Klägers eine zweckentsprechende Möglichkeit der Sachaufklärung sein. 5. NV: Ein beschrifteter Briefkasten, der nicht zu einem tatsächlichen Wohnsitz gehört, ersetzt diesen nicht.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 20. Juli 2017 6 K 696/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Nürnberg zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Normenkette:

GG Art. 19 Abs. 4 ; FGO § 65 Abs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 , § 115 Abs. 2 Nr. 1 , 2 , 3 , § 119 Nr. 3, § 116 Abs. 6; VwGO § 82 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 178 , § 180 , § 181 ;

Gründe

I.

Am 11. Mai 2016 erhob der Prozessbevollmächtigte (P) Klage für die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin). Als Anschrift der Klägerin war die Adresse L angegeben. Nach einem Schriftsatzaustausch zur Sache lud das Finanzgericht (FG) zur mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2017 und ordnete das persönliche Erscheinen der Klägerin an. Die Ladung der Klägerin sollte förmlich mit der Deutschen Post zugestellt werden. Auf dem entsprechenden Briefumschlag war unter dem Feld "Bei der Zustellung zu beachtende Vermerke" angekreuzt "Nicht durch Niederlegung zustellen". Die Option "Ersatzzustellung ausgeschlossen" war hingegen nicht angekreuzt. Auf der Zustellungsurkunde, die unter dem 5. Mai 2017 (unleserlich) gezeichnet ist, ist der Vermerk angekreuzt "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln".

Die Zustellungsurkunde gelangte am 9. Mai 2017 an das FG zurück. Eine Mitarbeiterin des FG teilte am selben Tage einer Mitarbeiterin der Kanzlei des P telefonisch mit, die Post sei als unzustellbar zurückgekommen. Letztere erklärte, bei P sei auch keine andere Adresse gespeichert. Mit Schreiben vom 11. Mai 2017 forderte die Berichterstatterin des FG P auf, eine ladungsfähige Anschrift der Klägerin mitzuteilen, da die Ladung nicht habe zugestellt werden können und die Klägerin unter der Anschrift in L nicht zu ermitteln sei. Eine Antwort ging nicht ein. Nach einer Melderegisterauskunft vom 17. Juli 2017 war die Klägerin am 15. April 2015 nach B (Ausland) verzogen.

Weitere Aktivitäten zur Frage der Anschrift der Klägerin sind nicht aktenkundig. Ausweislich des Protokolls und der Feststellungen des Urteils hatte sich P am 19. Juli 2017 bei der Berichterstatterin telefonisch gemeldet und gefragt, ob die Anwesenheit der Klägerin, die Herzprobleme habe, erforderlich sei. Sie könne aber erscheinen. Die Berichterstatterin wies darauf hin, dass die ladungsfähige Anschrift der Klägerin und deshalb die Zulässigkeit der Klage fraglich sei. In einem erneuten Telefonat teilte P mit, er habe mit der Klägerin gesprochen. Unter der Anschrift in L sei sie erreichbar und erhalte Post wie etwa Steuerbescheide. Sie habe sich im Ausland aufgehalten und als Reiseleiterin gearbeitet, zuletzt in C. Sie habe vor, sich nächste Woche wieder in Deutschland anzumelden. Die Berichterstatterin erklärte, im Termin werde über die Zulässigkeitsproblematik verhandelt. Sollte im Termin mit dem tatsächlichen Wohnort eine ladungsfähige Anschrift genannt werden, müsse diese erst geprüft und die Klägerin geladen werden, so dass zur Begründetheit nicht verhandelt werde. Für die Frage der Zulässigkeit müsse aber die Klägerin bei schlechtem Gesundheitszustand nicht erscheinen.

Im Termin der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2017 wurde ausweislich des Protokolls festgestellt, dass die Ladung der Klägerin unter der Anschrift L nicht habe zugestellt werden können. Nach Erörterung der Sach– und Rechtslage nahm P Einsicht in die FG-Akte, worauf die Sitzung für 23 Minuten (11:09 Uhr bis 11:32 Uhr) unterbrochen wurde. Anschließend heißt es, der Vorsitzende habe mit Herrn A, der unter der Anschrift in L lebe, telefoniert. A habe angegeben, dass die Klägerin derzeit nicht bei ihm lebe und keine Wohnung bei ihm habe. Post für die Klägerin, die in den Briefkasten, auf dem auch ihr Name stehe, eingeworfen werde, sammele er. Sporadisch melde sich die Klägerin und hole die Post ab oder nenne eine Adresse, wo er die Post hinschicke. Er wisse nicht, wo sie wohne. Sie könne bei ihm übernachten, wenn sie gelegentlich in Deutschland sei. In der letzten Zeit habe er keinen Kontakt zu der Klägerin gehabt.

P wiederum habe während derselben Sitzungsunterbrechung mit der Klägerin telefoniert und mitgeteilt, die Klägerin habe sich zuletzt im Ausland aufgehalten. Sie sei als Reiseleiterin tätig, zuletzt in C. Derzeit sei sie in Deutschland und wolle in den nächsten Tagen wieder Wohnsitz in L nehmen. Eine zeitliche Konkretisierung nahm er nicht vor. Einen aktuellen Wohnsitz gab er trotz ausdrücklicher Nachfrage des Vorsitzenden nicht an. Während einer weiteren vierminütigen Unterbrechung der Verhandlung (11:43 Uhr bis 11:47 Uhr) versuchte P erfolglos, die Klägerin nochmals telefonisch zu erreichen. Er erklärte sodann, nachdem ihm die Berichterstatterin in einem Telefonat am 19. Juli 2017 mitgeteilt habe, dass die persönliche Anwesenheit der Klägerin im heutigen Termin nicht erforderlich sei, sei ihm eine weitere Aufklärung des Sachverhalts heute nicht möglich. P beantragte Schriftsatzfrist, um zu der am selben Tage durchgeführten Akteneinsicht wegen der Zustellung der Ladung und dem Ergebnis des Telefonats des Vorsitzenden mit A Stellung nehmen zu können, sowie Vertagung der mündlichen Verhandlung.

Mit am selben Tage verkündetem Urteil wies das FG die Klage ab. Ein Schriftsatznachlass sei nicht zu gewähren. Nachdem P bereits mit Schreiben vom 11. Mai 2017 auf den Ladungsmangel hingewiesen worden sei, habe er hinreichend Zeit gehabt, sich hierzu zu erklären und bereits zuvor Akteneinsicht zu nehmen. Nachdem die Klägerin nie vorgetragen habe, in L ihren tatsächlichen Wohnsitz zu haben, A nichts anderes bestätigt habe, stelle dies keine neue Sachlage dar, zu der eine Erklärung nachgereicht werden müsse. Die Verhandlung sei aus im Wesentlichen denselben Gründen auch nicht zu vertagen. P hätte vor und in der mündlichen Verhandlung den tatsächlichen Wohnsitz der Klägerin benennen können, insbesondere, nachdem er sowohl am 19. als auch am 20. Juli 2017 während der Sitzungsunterbrechung mit der Klägerin telefoniert habe und diese ihn sogleich hätte informieren können. Stattdessen sei die wiederholte ausdrückliche Nachfrage des Vorsitzenden nach dem aktuellen Wohnsitz unbeantwortet geblieben.

Die Klage sei unzulässig, da eine ladungsfähige Anschrift der Klägerin nicht bekannt sei. Eine ordnungsgemäße Klageerhebung erfordere regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift, d.h. des tatsächlichen Wohnorts, auch wenn eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfinde. Das Gericht müsse das persönliche Erscheinen anordnen können, die Anschrift im Rubrum angeben und, wenn dies auch u.U. nachrangig sei, Kosten beitreiben können. Tatsächlich sei die ladungsfähige Anschrift der Klägerin nicht bekannt. Die Anschrift in L sei keine solche. Die Ladung habe dort nicht erfolgen können. Mängel des Zustellungsversuchs seien nicht ersichtlich. A habe bestätigt, dass die Anschrift nicht der tatsächliche Wohnsitz der Klägerin sei. Eine ladungsfähige Anschrift sei auch nicht ermittelbar gewesen. Die Angaben des P zu den Aufenthalten der Klägerin vor ihren Aufenthalten in Deutschland seien pauschal und zeitlich nicht einzuordnen. Nach Auffassung des FG versuche die Klägerin bewusst, ihren Wohnort zu verheimlichen. Dafür, dass die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift wegen besonderer Umstände unzumutbar sei (Verhaftungsgefahr o.Ä.), sei nichts ersichtlich.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin alle drei Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ), vornehmlich Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO , geltend.

Es sei bereits eine grundsätzliche Frage, ob die Klägerin überhaupt einen tatsächlichen Wohnsitz haben und angeben müsse, um Klage gegen Steuerbescheide führen zu können. Ebenso sei es von grundsätzlicher Bedeutung, ob besondere Umstände die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift im Sinne einer mehr oder weniger ständigen Wohnanschrift entbehrlich machen könnten.

Das FG weiche auch von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. August 2011 V B 44/10 (BFH/NV 2011, 2084 ) ab. Die Klägerin dürfe nicht schlechter gestellt werden als eine GmbH, um die es dort gegangen sei. Das FG gehe davon aus, dass nur im Falle des Verstoßes gegen die sog. Selbstbelastungsfreiheit die Angabe eines Wohnsitzes verzichtbar sei. Es ergebe sich aber aus der Rechtsprechung des BFH, dass von einem Beteiligten darüber hinaus nicht Unmögliches oder Unzumutbares verlangt werden könne. Die Benennung einer ladungsfähigen Anschrift im Sinne einer mehr oder weniger ständigen Wohnanschrift sei der Klägerin angesichts der besonderen Umstände des Falles unzumutbar. Wenn die ladungsfähige Anschrift, nicht aber der tatsächliche Wohnsitz mitgeteilt worden sei, dann deshalb, weil die Klägerin über keinen festen Wohnsitz im Sinne des deutschen Melde– und Abgabenrechts verfügt habe. In C, wo sie sich zuletzt aufgehalten habe, gebe es keine Meldepflicht. Eine ladungsfähige Anschrift müsse nicht genannt werden, wenn die Klägerin über eine solche nicht verfüge. Sie sei auch nicht erforderlich, da die Identität der Klägerin feststehe und die Möglichkeit der Zustellung durch einen Bevollmächtigten sichergestellt sei.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht habe das FG zunächst den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ( GG ) in mehrfacher Hinsicht verletzt.

Zunächst sei mit der Anschrift in L ordnungsgemäß die ladungsfähige Anschrift der Klägerin benannt worden. Die Zustellung hätte nur postalisch ordnungsgemäß erfolgen müssen. Nach § 155 FGO i.V.m. § 171 der Zivilprozessordnung ( ZPO ) hätte die Zustellung an A erfolgen können, ebenso eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 155 FGO i.V.m. § 180 ZPO oder durch Niederlegung nach § 155 FGO i.V.m. § 181 ZPO .

Weiter liege in der Versagung des Schriftsatznachlasses eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Zwar habe es kein neues Angriffs– oder Verteidigungsvorbringen des Gegners gegeben. Wohl aber sei ein Beweismittel, nämlich die Zustellungsurkunde, zu beanstanden gewesen.

Da L die Anschrift sei, über die die Klägerin bei ordnungsgemäßer Zustellung auch geladen werden könne, habe P eine andere Anschrift nicht mitteilen können. Da das Gericht von Amts wegen die ordnungsgemäße Ladung überprüfen müsse, wäre es nicht zumutbar gewesen, nach jeder nicht zustellbaren Ladung o.Ä. Einsicht in die Gerichtsakte zu beantragen. Warum die Klägerin unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sein soll, sei nicht klar, zumal nach allseitigen Angaben dort ein Briefkasten mit ihrem Namen vorhanden sei. Auch neuere Steuerbescheide, gegen die die Klägerin teilweise im Einspruchswege vorgehe, würden nach L versandt.

Ebenso habe die fehlende Vertagung rechtliches Gehör verletzt.

Durch Ablehnung von Schriftsatznachlass oder Vertagung sei der Klägerin die Möglichkeit abgeschnitten worden darzulegen, dass sie alle Postsendungen unter der Anschrift in L grundsätzlich erreichen und sie L regelmäßig aufsuche, wenn sie sich im Inland befinde. Die missglückte Zustellung selbst habe folgerichtig ebenfalls ihr rechtliches Gehör verletzt.

Weiter sei die Beweiserhebung durch Anhörung des A, auf die sich das Urteil stütze, nicht verfahrensgerecht gewesen. Nach der mündlichen Verhandlung —als Rügen nicht mehr möglich gewesen seien— habe sich A mit der Klägerin in Verbindung gesetzt. Auf deren Hinweis habe P den A angerufen. Nach Angabe des A habe ihn am Tag der mündlichen Verhandlung niemand angerufen. Vielmehr habe ein Herr E bei ihm geklingelt, sich als Vorsitzender Richter am FG vorgestellt und ihm sein Handy gegeben. Darauf habe er erklärt, dass er regelmäßig die Post an die Klägerin weiterleite und die Klägerin, wenn sie in Deutschland sei, stets bei ihm wohnen könne. Diese Vorgehensweise verstoße gegen § 81 Abs. 2 FGO . Zum einen fehle ein Beweisbeschluss, mit dem E hätte beauftragt werden können. Zum anderen gehöre er nicht dem zuständigen Senat an. Damit liege außerdem ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters vor. Es sei auch davon auszugehen, dass A nicht belehrt worden sei.

Das FG sei schließlich seiner Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht nachgekommen. Trotz Anhaltspunkten für das unverschuldete Fehlen eines Wohnsitzes habe es nichts unternommen, um dieser aus seiner Sicht wesentlichen Frage nachzugehen. Zudem seien die Überlegungen des FG, warum die Angaben der Klägerin nicht ausreichen sollten, unschlüssig. Es könne sich nicht darauf berufen, eine sachgerechte Prozessführung setze die Kenntnis des tatsächlichen Wohnorts voraus, um das persönliche Erscheinen anzuordnen und durchzusetzen. Die Klägerin sei ausdrücklich bereit gewesen, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Das FG habe auf Nachfrage durch die Berichterstatterin, der die Prozesssituation bewusst gewesen sei, auf die Anwesenheit der Klägerin verzichtet, sie ausdrücklich als "nicht erforderlich" bezeichnet. Die Klägerin hätte ihre Wohnverhältnisse während der gesamten Verfahrenszeit detailliert dem FG erläutern können. Das FG setze sich in Widerspruch zu sich selbst, verstoße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, wenn es einerseits die Zulässigkeit der Klage an einem vermeintlich oder tatsächlich fehlenden Wohnsitz der Klägerin scheitern lasse, andererseits die Teilnahme der Klägerin an der mündlichen Verhandlung, die zu einer umfassenden Aufklärung hätte führen können, unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit als nicht erforderlich bezeichnet. Es sei ein Zirkelschluss zu erklären, die Anwesenheit der Klägerin sei nicht erforderlich, die Unzulässigkeit aber damit zu begründen, die Anwesenheit sei nicht gewährleistet.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) tritt der Beschwerde entgegen.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Das FG ist in Bezug auf seine Feststellung, die Klägerin habe das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift nicht glaubhaft gemacht, sondern verheimliche ihren Wohnort, entgegen § 76 Abs. 1 , 2 FGO seiner Sachaufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Darin liegt ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO , der den Senat zur Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 116 Abs. 6 FGO veranlasst.

1. Das FG hat in Bezug auf die Glaubhaftmachung entgegen § 76 Abs. 1 , 2 FGO die sich in der Verfahrenslage dieses besonders gelagerten Einzelfalls aufdrängende Möglichkeit der Sachaufklärung durch Anhörung der Klägerin nicht genutzt. Die Sachaufklärung ist ihrerseits auf die Frage gerichtet, ob die Klägerin über einen tatsächlichen Wohnsitz verfügt.

a) Denn nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Klägers gehört grundsätzlich die Angabe des tatsächlichen Wohnorts als ladungsfähiger Anschrift, und zwar auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juni 2015 X B 28/15, BFH/NV 2015, 1423 , unter II.2.a, m.w.N.). Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Sie ist unmöglich, wenn der Kläger glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt. Dann aber müssen dem Gericht die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift des Klägers verzichtet werden kann (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts —BVerwG— vom 13. April 1999 1 C 24/97, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1999, 2608 , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2000, 382 , zu der mit § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO insoweit identischen Vorschrift des § 82 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung —VwGO—).

b) Bislang stellt sich folgende Situation dar:

aa) Die Angabe der Anschrift in L war tatsächlich keine Angabe einer Wohnanschrift in diesem Sinne. Auch nach den Angaben des P hatte die Klägerin dort keinen Wohnsitz, sondern hielt sich allenfalls sporadisch besuchsweise bei A auf. Das Vorhalten eines Briefkastens begründet keinen Wohnsitz. Es kann daher offenbleiben, ob es unter der Anschrift in L überhaupt einen Briefkasten mit dem Namen der Klägerin gegeben hat, ob der Vermerk des Zustellers, der Adressat sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln, gegenteilig zu verstehen ist und ob er deswegen auch keine scheinbar ordnungsgemäße Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten unternommen hat, oder ob der Zusteller vielmehr wusste, dass die Klägerin in L keinen Wohnsitz hat und deshalb pflichtgemäß eine derartige Scheinzustellung nicht unternahm. Selbst ein beschrifteter Briefkasten, der nicht zu einem tatsächlichen Wohnsitz gehört, wäre nur einem Postfach vergleichbar (zur Rechtslage beim Postfach eingehend BVerwG-Urteil in NJW 1999, 2608 , HFR 2000, 382 ). Insbesondere erlaubt er von Rechts wegen weder die Ersatzzustellung nach § 178 ZPO durch Übergabe des Schriftstücks an eine dritte Person noch die Ersatzzustellung nach § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten noch die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 181 ZPO , da alle Zustellungsformen das Vorhandensein einer Wohnung voraussetzen. Daran ändert auch nichts, dass ein derartiger wohnungsloser Briefkasten tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, Post einzuwerfen, und so den Schein einer ordnungsgemäßen Zustellung erzeugen kann. Es bedarf daher im Streitfall keiner näheren Erörterung, dass Einschränkungen der Zustellungsarten durch die Zustellungsanordnung wie im Streitfall in Gestalt des Ausschlusses der Ersatzzustellung durch Niederlegung keinen Einfluss darauf haben, ob eine Anschrift eine ladungsfähige Anschrift ist.

bb) Die Klägerin hat bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie über einen tatsächlichen Wohnort nicht verfügt, was die Angabe der entsprechenden Anschrift entbehrlich gemacht hätte.

(1) Der Senat lässt dabei (noch) dahingestellt, ob nicht die Angabe, die Klägerin habe als Reiseleiterin gearbeitet und sich an verschiedenen Orten im Ausland aufgehalten, wo es keine Meldepflicht gebe, für sich genommen glaubhaft ist. Diese Sachverhaltsgestaltung ist jedenfalls plausibel. Es ist nicht zwingend und wäre sogar unökonomisch, bei einer berufsbedingten ständigen Reisetätigkeit eine nur selten aufgesuchte Wohnung vorzuhalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Schilderung der Klägerin nicht der Wahrheit entspricht, sind nicht ersichtlich. Es liegt auch in der Natur der Sache, dass derartige Angaben pauschal und zeitlich vage sind. Unterstellt, die Klägerin habe tatsächlich als Reiseleiterin gearbeitet, wären ihr präzisere Angaben nur möglich, wenn sie ein detailliertes Reisetagebuch geführt haben sollte, was nicht Pflicht und auch nicht festgestellt ist. In der Sache wären derartige Darlegungen zudem überflüssig, da es bei der Frage der ladungsfähigen Anschrift nur darum geht, ob die Klägerin dem Grunde nach überhaupt über einen hinreichend festen Wohnsitz verfügt hat, nicht darum, wo sie sich an bestimmten Tagen genau aufgehalten hat. Ob hingegen übermäßige Vagheit der Auskunft auf insgesamt unzutreffende Auskunft schließen lässt, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung.

(2) Zu unkonkret ist aber die Auskunft der Klägerin auf die Frage, wo sie sich anschließend in Deutschland aufgehalten hat. Zwar lässt sich grundsätzlich die Behauptung, ein fester Wohnsitz fehle, als negative Tatsache nur schwer glaubhaft machen. Es ist aber jeder Person möglich anzugeben, wo sie sich aktuell aufhält und übernachtet, und zwar auch dann, wenn diese Aufenthalts– und Übernachtungsorte nicht die Qualität eines ständigen Wohnsitzes haben und regelmäßig oder häufig wechseln. Wenn solche genauen Aussagen über vergangene Zeiträume auch schwierig sein können, sind sie aber umso leichter, je näher die betreffenden Zeiträume an die Gegenwart heranrücken, und gänzlich unproblematisch, soweit sie die Gegenwart selbst betreffen. Kurz vor und während der mündlichen Verhandlung wäre eine Auskunft über die aktuellen Verhältnisse jedenfalls möglich und auch erforderlich gewesen.

cc) Da folglich bislang nicht geklärt ist, ob die Klägerin einen tatsächlichen Wohnsitz im Inland hat, war das FG gehalten, dies aufzuklären. Dies hätte durch eine Anhörung der Klägerin erfolgen können und auch müssen.

c) Deshalb hätte das FG der Klägerin ausrichten lassen müssen, dass sie nach Möglichkeit erscheine, um ihr durch persönliche Befragung die Gelegenheit zu geben, ihre Lebensverhältnisse zu schildern, auf konkrete Vorhaltungen des FG entsprechend zu erwidern und so das Fehlen eines tatsächlichen Wohnsitzes glaubhaft zu machen. Dies zu unterlassen, stellte in der aktuellen Verfahrenssituation eine unzureichende Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Dadurch bestand auch keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Feststellung, die Klägerin wolle ihren Wohnort verheimlichen.

d) Es bestand im Streitfall Aussicht, die Klägerin persönlich hören zu können. Die ausdrückliche Nachfrage des P, ob die gesundheitlich angegriffene Klägerin erscheinen müsse, war ersichtlich so zu verstehen, dass die Klägerin erschienen wäre, wenn das FG darum gebeten hätte. Umgekehrt war die Auskunft des FG, die Klägerin brauche für die Zulässigkeitsfrage nicht zu erscheinen, so zu verstehen, dass es das Erscheinen für unnötig hielt. Das FG hat sich damit ohne Notwendigkeit einer Aufklärungsmöglichkeit begeben.

e) Die Anhörung der Klägerin war auch nicht deshalb von minderer Bedeutung oder gänzlich überflüssig, weil P für die Klägerin ausreichend Auskunft über deren persönliche Verhältnisse geben konnte. Der Senat kann offenlassen, wie nachhaltig P im Vorfeld der mündlichen Verhandlung die Klägerin hätte befragen müssen, um seinerseits den Anforderungen des FG an die Glaubhaftmachung möglichst genügen zu können. Ein vermittelnder Dritter, auch ein Bevollmächtigter, kann selten so genau Auskunft erteilen wie derjenige, für den der Inhalt der Auskunft Gegenstand eigener Wahrnehmung ist und der ihn sogar als Person selbst betrifft.

f) Zwar hätte die Klägerin aus eigenem Antrieb zur mündlichen Verhandlung erscheinen können, nachdem das FG bereits im Vorfeld mitgeteilt hatte, dass die Frage der ladungsfähigen Anschrift problematisch ist. Jedoch enthebt dies das FG nicht seiner Verantwortung für die Aufklärung der Sache, zumal die Klägerin nicht wissen konnte, ob die über P erteilten Auskünfte dem FG genügen würden.

g) Der Senat stellt klar, dass die persönliche Anhörung des Beteiligten, dessen ladungsfähige Anschrift fehlt oder zweifelhaft ist und dessen Ladung tatsächlich auch misslungen ist, lediglich in Ausnahmefällen verlangt werden kann. In derartigen Fällen kann das FG den Beteiligten regelmäßig schon nicht zu einer Anhörung laden, so dass eine derartige Verpflichtung meist ins Leere ginge. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn der Beteiligte anderweit tatsächlich zur Verfügung steht. Das gilt also insbesondere dann, wenn er trotz fehlgeschlagener Ladung zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, weil er von seinem Bevollmächtigten oder einem anderen Prozessbeteiligten über den Termin informiert wurde. Dann darf aber auch das FG das über einen Dritten durchgestellte Anerbieten des Beteiligten, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, nicht ausschlagen.

Für das weitere Verfahren bedeutet das, dass das FG die Klägerin zu der Frage ihres Wohnsitzes persönlich nur anhören kann und muss, wenn die Klägerin von sich aus, ggf. vermittelt durch P, zu einer neuerlichen mündlichen Verhandlung erscheint.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Nürnberg, vom 20.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 696/16
Fundstellen
BFH/NV 2018, 630