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BVerwG - Entscheidung vom 27.03.2017

4 BN 33.16

Normen:
VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 133 Abs. 2 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 27.03.2017 - Aktenzeichen 4 BN 33.16

DRsp Nr. 2017/5356

Unverschuldete Überschreitung der Beschwerdefrist; Vertrauen des Prozessbevollmächtigten auf die Angabe des Postbeamten zur Postlaufzeit; Verfahrensmangel einer aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 60 Abs. 1 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ; VwGO § 133 Abs. 2 S. 1;

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Sie ist allerdings zulässig. Zwar hat der Antragsteller die einmonatige Beschwerdefrist des § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO versäumt, ihm ist aber nach § 60 Abs. 1 VwGO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Da das mit der Beschwerde angegriffene Urteil dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 25. Juli 2016 zugestellt wurde, lief die Beschwerdefrist am 25. August 2016 ab. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat sie nicht eingehalten. Der Beschwerdeschriftsatz vom 23. August 2016, den der Prozessbevollmächtigte dem Senat in Ablichtung vorgelegt hat, ist beim Oberverwaltungsgericht nicht eingegangen.

Der Prozessbevollmächtigte hat anwaltlich versichert, den Schriftsatz vom 23. August 2016 wegen eines Defekts am Faxgerät noch am selben Tag zur Post gegeben zu haben. Der Schalterbeamte habe ihm zugesagt, dass der Brief am nächsten Tag beim Adressaten eintreffen werde. Von der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung darf der Senat ausgehen, weil es keine Anhaltspunkte gibt, die es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2014 - XII ZB 289/14 - NJW 2015, 349 Rn. 14).

Die Überschreitung der Beschwerdefrist ist unverschuldet. Der Prozessbevollmächtigte hat den Schriftsatz vom 23. August 2016 rechtzeitig abgesandt. Auf die Angabe des Postbeamten zur Postlaufzeit durfte er sich verlassen (siehe zu Postlaufzeiten auch BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 4 C 2.12 - BVerwGE 147, 37 Rn. 8), mit dem Verlust des Briefs auf dem Postweg musste er nicht rechnen. Es fällt ihm daher nicht als Sorgfaltspflichtverletzung zur Last, dass er es unterlassen hat, sich am 24. und 25. August 2016 durch einen Anruf beim Oberverwaltungsgericht nach dem Briefeingang zu erkundigen oder noch am Abend des 25. August 2016 unter Einsatz des möglicherweise inzwischen wieder funktionsfähigen Faxgeräts durch Übermittlung des Beschwerdeschriftsatzes die Frist zu wahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 1979 - 2 BvR 376/77 - BVerfGE 53, 25 <30>).

An die Fristen des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO und des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat sich der Prozessbevollmächtigte gehalten.

2. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist aber unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Normenkontrollurteil auf dem Verfahrensmangel einer aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts beruhen kann.

Das Oberverwaltungsgericht hat eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zu weitergehenden Untersuchungen wie etwa einer Sonderprüfung nach Nummer 4.8 der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft ( TA Luft ) aus zwei Gründen verneint: Da der angefochtene Bebauungsplan keine näheren Regelungen bezüglich der zugelassenen Biogasanlagen treffe, sei eine detaillierte Ermittlung der von den zugelassenen Anlagen ausgehenden Emissionen auf der Ebene der Planung noch gar nicht möglich gewesen. Zudem sei davon auszugehen, dass sich die Belastung der Umgebung der Biogasanlage der Beigeladenen mit Bioaerosolen in einem für den ländlichen Raum gebietstypischen Rahmen bewege. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Bevölkerung des ländlichen Raums in signifikantem Umfang an Krankheiten, insbesondere der Atemwege leide, die auf Bioaerosole zurückzuführen seien, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil sei es so, dass außer dem Antragsteller niemand Atemwegsprobleme geltend gemacht habe, die auf den Betrieb der Biogasanlage der Beigeladenen zurückzuführen seien.

Den Befund des Oberverwaltungsgerichts zur alleinigen Betroffenheit des Antragstellers rügt der Antragsteller als aktenwidrig. Aus Einwendungsschreiben, die er im Beschwerdeverfahren in Kopie vorgelegt hat, ergibt sich, dass die Rüge begründet ist. Im Schreiben vom 25. Januar 2013 beschwert sich eine Frau C.-P. darüber, dass ihre Gesundheit durch die Biogasanlage dauerhaften Gefahren ausgesetzt sei; sie leide seit einiger Zeit an Atemwegsinfektionen und ständig gereizten und entzündeten Augen. Ein Herr J. beklagt unter dem 19. Februar 2013 drei schwere Asthma-Anfälle seiner Ehefrau als Folge einer wochenlangen Geruchsbelästigung durch die Biogasanlage.

Die Beschwerde scheitert aber daran, dass der Antragsteller entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht darlegt, dass das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruhen kann. Ist die vorinstanzliche Entscheidung wie hier auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Die Aufklärungsrüge des Antragstellers bezieht sich auf die zweite Begründung, mit der das Oberverwaltungsgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchführung weiterer Untersuchungen verneint hat. Die erste Begründung nimmt der Antragsteller hin.

Die Beschwerde müsste auch dann erfolglos bleiben, wenn die zweite Begründung die einzige Begründung wäre. Das Oberverwaltungsgericht hat insoweit entscheidungstragend darauf abgestellt, dass konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Bevölkerung des ländlichen Raums in signifikantem Umfang an Krankheiten, insbesondere der Atemwege leide, die auf Bioaerosole zurückzuführen seien, weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich seien. Die irrige Feststellung, mit Ausnahme des Antragstellers seien von keiner Seite Atemwegsprobleme geltend gemacht worden (UA S. 12), diente ihm lediglich als Bekräftigung ("Im Gegenteil") seiner Einschätzung, dass Atemwegserkrankungen nicht im signifikantem Umfang aufgetreten seien. Dass es Signifikanz bejaht hätte, wenn es die Einwendungen C.-P. und J. berücksichtigt hätte, zeigt der Antragsteller nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 28.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 C 10575/15