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BVerwG - Entscheidung vom 29.06.2017

6 B 63.16

Normen:
VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1

BVerwG, Beschluss vom 29.06.2017 - Aktenzeichen 6 B 63.16

DRsp Nr. 2017/9831

Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen für einen Reservisten; Nachweis einer "Umkehr" der gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe; Umkehr als Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses; Begründung einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe durch eine veränderte Einordnung der Tätigkeit bei der Bundeswehr

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 15. September 2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 60 Abs. 1 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Die Klägerin ist Sanitätsoffizierin und Soldatin auf Zeit. Ihren Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin lehnte das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben mit Bescheid vom 1. Juli 2013 ab. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision.

II

Der Klägerin war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung ihrer Beschwerde zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO ).

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

1. Die Revision ist nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Eine solche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Aus den Darlegungen der Klägerin in der Begründung ihrer Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,

ob eine veränderte Einordnung der Tätigkeit, hier bei der Bundeswehr, tatsächlich eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe nicht zu begründen vermag,

hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in einem Revisionsverfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen für einen Reservisten, der zunächst seinen vollen Bundeswehrdienst abgeleistet hatte, ohne einen Konflikt mit seinem Gewissen zu empfinden, den Nachweis einer "Umkehr" der gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe voraus. Diese Umkehr kann nicht nur durch ein "Schlüsselerlebnis" oder entsprechend schwerwiegende Umstände herbeigeführt werden, sondern auch das Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses sein (BVerwG, Urteil vom 2. März 1989 - 6 C 10.87 - BVerwGE 81, 294 <295 f.>). Dass diese Grundsätze auch auf Sanitätsoffiziere auf Zeit, die nach längerer Dienstzeit einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen, Anwendung finden, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls geklärt (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2014 - 6 B 17.14 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11 Rn. 25). Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt (UA S. 9). Ob ein Wandlungsprozess im dargelegten Sinne tatsächlich stattgefunden hat, entzieht sich hingegen einer allgemeinen Maßstabsbildung, sondern kann stets nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Dies gilt auch für die Frage, wie eine Tätigkeit bei der Bundeswehr "einzuordnen" ist, ob diesbezüglich Veränderungen eingetreten sind und ob hierauf eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe gestützt werden kann.

Unabhängig davon kommt der aufgeworfenen Frage eine grundsätzliche Bedeutung auch deshalb nicht zu, weil sie das angefochtene Urteil nicht trägt, sondern nur im Rahmen einer Hilfsbegründung behandelt worden ist. Denn das Verwaltungsgericht weist die Prämisse der Klägerin, ihre Tätigkeit bei der Bundeswehr sei nunmehr anders als früher "einzuordnen", ausdrücklich zurück. In Bezug auf die objektiven Verhältnisse hebt das Verwaltungsgericht hervor, dass die Einbeziehung von Auslandseinsätzen in das Aufgabenspektrum der Bundeswehr nicht erst das Ergebnis einer abrupten Neuausrichtung gewesen sei, sondern es solche Einsätze schon seit Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts gegeben habe. In subjektiver Hinsicht könne der Klägerin nicht abgenommen werden, dass sie die Ausbildung bei der Bundeswehr - mit einer gewissen "Blauäugigkeit" - in der Annahme begonnen habe, sie sei eigentlich kein Soldat, sondern lediglich ein bei der Bundeswehr beschäftigter Arzt; denn die Ausbildung an der Waffe in der dem Studium vorangegangenen Grundausbildung, den dann folgenden Lehrgängen und auch im Truppenpraktikum - unabhängig von der Qualität und Tiefe dieser Ausbildung - hätte der Klägerin bereits im Jahr 1998 grundsätzlich vor Augen führen können und müssen, dass sie als Sanitätsoffizier durchaus in die Lage geraten könne, in der sie über den Einsatz der Schusswaffe entscheiden müsse. Lediglich ergänzend führt das Verwaltungsgericht hieran anschließend aus, dass selbst wenn die Klägerin ihre Tätigkeit in der Bundeswehr nunmehr anders einordnen würde als früher, nämlich auch als Waffen- und Soldatendienst verbunden mit einem etwaigen Auslandseinsatz und nicht (nur) als Arzt, dies für sich genommen lediglich einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum und keine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe begründen würde.

2. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich ferner nicht, dass das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht.

Soweit die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht hätte ihr durch weitere Nachfragen Gelegenheit geben müssen, die in den Entscheidungsgründen erwähnten Zweifel an der Nachvollziehbarkeit ihres Vorbringens auszuräumen, genügt dies schon nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO . Bei einer Verfahrensrüge ist den Darlegungspflichten nur genügt, wenn der geltend gemachte Verfahrensmangel sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO ) muss dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Die von der Klägerin weiter erhobene Rüge, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) sei verletzt, erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Zur substantiierten Darlegung der geltend gemachten Verstöße gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht sowie das Recht auf rechtliches Gehör hätte die Klägerin deshalb zumindest darlegen müssen, auf welche Gesichtspunkte sie noch hingewiesen oder welche Argumente sie noch vorgetragen hätte, wenn das Gericht die von ihr vermissten Nachfragen gestellt hätte. Hierzu ist der Beschwerdebegründung jedoch nichts zu entnehmen.

Unabhängig von der unzureichenden Darlegung liegen die von der Klägerin geltend gemachten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO sowie das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) im Übrigen auch in der Sache nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. September 1987 - 6 C 11.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 192 S. 4 ff.; Beschlüsse vom 29. April 1991 - 6 B 40.90 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 231 S. 59 f. und vom 13. September 2010 - 6 B 31.10 - Buchholz 448.6 § 2 KDVG Nr. 6 Rn. 3) gehört es in gerichtlichen Verfahren, deren Gegenstand die Berechtigung des Klägers zur Verweigerung des Kriegsdienstes ist, unter der Geltung des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Ablehnung des Anerkennungsbegehrens in Frage steht, regelmäßig zur Erforschung des Sachverhalts im Sinne des § 86 Abs. 1 VwGO , dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von dem Kläger verschafft und ihn zu diesem Zweck förmlich als Partei vernimmt. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 15. September 2016 ist dies hier geschehen. Die Klägerin hatte damit Gelegenheit, die Gründe, die sie veranlasst haben, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, umfassend darzulegen und hierbei auch zu der - bereits die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben vom 1. Juli 2013 tragenden - Erwägung Stellung zu nehmen, es sei nicht nachvollziehbar, dass sie erst jetzt, während ihrer dritten Elternzeit, erkenne, dass der Beruf des Sanitätsoffiziers nicht mit ihrer ethischen Einstellung vereinbar sei. Das Verwaltungsgericht hat die Bekundungen der Klägerin, die in dem Protokoll unter der Überschrift "Zur Sache" zusammenfassend dargestellt werden, in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eingehend gewürdigt und auf dieser Grundlage nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass bei der Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die behauptete verbindliche Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe vorgelegen hat. Der Sache nach rügt die Klägerin diese tatrichterliche Sachverhaltswürdigung. Hierauf kann die Zulassung der Revision jedoch nicht gestützt werden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Greifswald, vom 15.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 A 842/13