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BSG - Entscheidung vom 06.11.2017

B 12 KR 35/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 06.11.2017 - Aktenzeichen B 12 KR 35/17 B

DRsp Nr. 2017/17716

Sozialversicherungsbeitragspflicht Grundsatzrüge Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage

1, Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. 2. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Dezember 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit als Busfahrer für den Kläger in der Zeit vom 1.7.2007 bis 31.3.2010 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlag.

Im Rahmen eines vom Kläger im August 2008 eingeleiteten Statusfeststellungsverfahrens stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in seiner Tätigkeit für den Kläger aufgrund Beschäftigung in allen Zweigen der Sozialversicherung ab 1.7.2007 fest. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Im Klageverfahren begrenzte die Beklagte den Zeitraum der versicherungspflichtigen Beschäftigung bis 31.3.2010. Das SG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb überwiegend erfolglos. Das LSG nahm lediglich bestimmte Tage und Zeiträume von der Versicherungspflicht aus. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.12.2016 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 - Juris RdNr 9).

Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 22.6.2017 auf alle drei Zulassungsgründe.

1. Der Kläger bezeichnet keinen Verfahrensmangel in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise.

a) Auf Seite 3 der Beschwerdebegründung macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil habe "die Frage nach der zivil- oder arbeitsrechtlichen Wirksamkeit der doppelten Schriftformklausel nicht gesehen und nicht gewürdigt". Hätte ihn das Gericht darauf hingewiesen, dass aus dessen Sicht wegen der doppelten Schriftformklausel eine Delegation der Tätigkeit auf einen Dritten nicht zulässig gewesen sei, hätte er "die zivil- und arbeitsrechtliche Dimension dieser These aufgezeigt". Aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht gebe es kein erkennbares Bedürfnis für eine gewillkürte Schriftform, erst recht nicht für ihre Verdoppelung. Im hiesigen Falle wäre sie für die beteiligten Vertragsparteien nicht interessensgerecht. Die Sozialversicherer seien nicht Schutzobjekt der schuldrechtlichen Vertragskontrolle. Die Berufung auf die Unwirksamkeit der doppelten Schriftformklausel oder auf den Vorrang der formlos möglichen Individualabrede entspreche auch dem Interesse des Beigeladenen zu 1. Hätte das LSG auf diesen Aspekt hingewiesen, "dann wäre ein wesentlicher Erwägungsgrund für das Urteil entfallen". Nach Ablauf der bis 22.6.2017 verlängerten Begründungsfrist hat der Kläger sein Vorbringen zur "doppelten Schriftformklausel" mit Schriftsatz vom 17.8.2017 "präzisiert".

Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, gegen welche verfahrensrechtliche Bestimmung das LSG aus Sicht des Klägers verstoßen hat. Soweit man die Ausführungen dahingehend versteht, dass der Kläger einen Hinweis auf die Rechtsansicht des Gerichts im Zusammenhang mit der Auslegung des zwischen ihm und dem Beigeladenen zu 1. geschlossenen "Vertrags über freie Mitarbeit" speziell zur darin enthaltenen Schriftformklausel vermisst, bezeichnet die Beschwerdebegründung weder eine Rechtsgrundlage noch eine individuelle Notwendigkeit für einen entsprechenden konkreten Hinweis. Im Kern macht der Kläger insoweit geltend, die juristische Würdigung des LSG sei falsch, weil es im Zusammenhang mit der Frage einer Delegationsbefugnis des Beigeladenen zu 1. der mündlichen Vereinbarung einer Delegationsbefugnis zu Unrecht die doppelte Schriftformklausel entgegen gehalten und andererseits - zusammenfassend - bei der Annahme von (abhängiger) Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 SGB IV die privatrechtliche Vertragsautonomie von Kläger und Beigeladenem zu 1. nicht hinreichend beachtet habe. Unabhängig davon, ob die Rechtsansichten des Klägers zutreffend sind, genügen seine entsprechenden Ausführungen nicht den Zulässigkeitsanforderungen, weil die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, wie dargelegt nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

Schließlich bezeichnet der Kläger auch deshalb keinen Verfahrensmangel, weil er keine Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Verstoßes macht. Zu einer vertieften Darlegung hätte Anlass bestanden, weil das LSG im unmittelbaren Anschluss zu der vom Kläger angeführten Passage in den Entscheidungsgründen (Seite 25 des LSG-Urteils) ausführt, dass man zu keinem abweichenden Ergebnis gelange, wenn man zugrunde legen würde, dass die vom Vater des Beigeladenen zu 1. (im Rahmen einer Delegation) erbrachten Leistungen nicht unberücksichtigt bleiben dürften. Damit befasst sich der Kläger nicht und legt demzufolge auch nicht die Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Verfahrensmangels dar.

b) Auf Seite 4 f macht der Kläger geltend, der Ausschluss bestimmter Tage und Zeiträume von der Versicherungspflicht beruhe auf einer Auswertung der von ihm vorgelegten Fahrtenschreiber. Zwar habe er im Schriftsatz vom 9.3.2015 irrtümlich angegeben, es gebe keine weiteren Aufzeichnungen. "Nach" der mündlichen Verhandlung habe er jedoch weitere Aufzeichnungen gefunden, die er zusammen mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegt hat.

Die Ausführungen des Klägers lassen einen Verfahrensmangel des LSG nicht erkennen. Es ist nicht schlüssig dargelegt und damit nachvollziehbar, inwieweit sich das LSG zu einer erneuten Nachfrage nach weiteren Aufzeichnungen hätte gedrängt sehen müssen, wenn der Kläger selbst ausdrücklich im Verfahren erklärt hat, über keine weiteren Aufzeichnungen mehr zu verfügen.

2. Der Kläger legt auch nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar.

Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 RK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger wirft auf Seite 6 f der Beschwerdebegründung die Fragen auf,

"ob die zivilrechtlichen Grundsätze über den Umgang mit einer doppelten Schriftformklausel in Formularverträgen und in Individualverträgen auch im Sozialrecht gelten oder

ob es insoweit abweichende Sichtweisen gibt",

ob die vom BAG besonders seit dem "Todesrad-Urteil" vom 11.8.2015 - 9 AZR 98/14 - formulierte Sichtweise auch auf den sozialrechtlichen Beschäftigungsbegriff durchschlägt, und

ob im Hinblick auf die doppelte Schriftformklausel die Beurteilung des Sozialrechts von dem zivilrechtlichen Verständnis abweichen darf.

Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht, weil der Kläger keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG ) mit höherrangigem Recht ( BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN).

Darüber hinaus legt der Kläger weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit der von ihm in den Raum gestellten Fragen - ihre Qualität als Rechtsfragen unterstellt - in einer den oben genannten Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar. Hieran ändern auch seine "präzisierenden" Ausführungen im Schriftsatz vom 17.8.2017 nichts, weil der Schriftsatz nach Ablauf der bis 22.6.2017 verlängerten Begründungsfrist (§ 160a Abs 2 S 1 SGG ) eingegangen ist.

3. Auch eine entscheidungserhebliche Divergenz legt der Kläger nicht in einer den Anforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise dar.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung nur unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die ein in der Norm genanntes Gericht aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zu demselben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist, und welcher in der instanzabschließenden Entscheidung des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 , 29 und 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).

Auf Seite 7 f führt der Kläger aus, "in wesentlichen Aspekten" weiche das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des BSG ab. Die Aussage, dass das bloße Risiko, einen Auftrag nicht zu erhalten, nicht als Indiz für eine Selbständigkeit gewertet werden dürfe, weiche vom Urteil des BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - RdNr 27 und vom Urteil des BSG vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R - RdNr 69 ab. Die Aussage, dass die nachteiligen steuerlichen Folgen für den Beigeladenen zu 1. insbesondere im Hinblick auf die Rückabwicklung der Vorsteuer nicht als Argument für die Selbständigkeit gewertet werden dürften, verstoße gegen die Aussage im Urteil des BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - RdNr 27.

Hierdurch legt der Kläger eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht dar, weil er nicht wie erforderlich der angefochtenen Entscheidung sowie den in Bezug genommenen Entscheidungen abstrakte Rechtssätze entnimmt, die zum Nachweis eines Widerspruchs im Grundsätzlichen gegenüber zu stellen wären. Stattdessen beschränkt sich der Kläger darauf, einen vermeintlichen "Verstoß" des LSG bei der Rechtsanwendung gegen Entscheidungen des BSG zu behaupten. Hierdurch wird aber eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargelegt.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

6. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2 , § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 14.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 KR 344/13
Vorinstanz: SG Berlin, vom 02.10.2013 - Vorinstanzaktenzeichen S 210 KR 323/10