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BSG - Entscheidung vom 20.02.2017

B 12 R 30/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 20.02.2017 - Aktenzeichen B 12 R 30/16 B

DRsp Nr. 2017/10502

Sozialversicherungsbeitragspflicht Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH Verfahrensrüge Gehörsverletzung

1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. 2. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG. 3. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. 4. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. 5. Art 103 Abs 1 GG verpflichtet die Gerichte weder dazu, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen noch ist ein Gericht allgemein gehalten, vor einer Entscheidung die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe mit den Beteiligten zu erörtern; jedenfalls ist bei Rüge einer Gehörsverletzung auch darzulegen, dass der betroffene Beteiligte alle ihm verfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, ausgeschöpft hat.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1.

Die Beigeladene zu 1. hat die Rechtsform einer GmbH. Seit ihrer Gründung 1990 hielt der Kläger die Mehrheit der Geschäftsanteile, zwischenzeitlich war er auch Alleingesellschafter. Zum 1.4.2011 verkaufte er 51 % der Geschäftsanteile an die T. B.V., weitere 20 % lagen zu diesem Zeitpunkt bereits bei der P. Beteiligungs- und Beratungs-UG. Auch über diesen Zeitpunkt hinaus war der Kläger für die Beigeladene zu 1. als einer von zwei Gesellschafter-Geschäftsführern tätig. Mit seinem Antrag auf Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens wies der Kläger ua darauf hin, er habe der Beigeladenen zu 1. ein Darlehen über 1,6 Mio Euro gewährt und für diese neben privaten Sicherheiten in ähnlicher Höhe auch Bürgschaften über 650 000 Euro gestellt. Dennoch stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund die Versicherungspflicht des Klägers wegen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung fest (Bescheid vom 22.8.2012).

Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das SG die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die (Sozial-)Versicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. verneint (Urteil vom 1.7.2014). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG -Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27.4.2016.

II

Die Beschwerde des Klägers ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Der Kläger beruft sich in seiner Beschwerdebegründung vom 3.8.2016 auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf einen Verfahrensmangel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 SGG ). Die Beschwerdebegründung genügt jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung dieser Zulassungsgründe.

1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

a) Der Kläger hält folgende Frage für klärungsbedürftig:

"Führt allein die Minderheitsbeteiligung des Gesellschafter-Geschäftsführers ohne umfassende Sperrminorität zu Beschäftigung und Versicherungspflicht i.S.d. § 7 SGB IV , auch wenn der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer ein eigenes erhebliches wirtschaftliches Risiko trägt, faktisch Kopf und Seele des Unternehmens ist, schalten und walten kann wie er will, satzungsgemäß weitgehende Alleinentscheidungsrechte hat, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist, in tatsächlicher Hinsicht keinerlei Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegt und darüber hinaus Inhaber von der Gesellschaft überlassenen Patenten ist?"

Hierzu erläutert er, die Frage sei klärungsbedürftig, weil das LSG im angefochtenen Urteil zunächst auf Rechtsprechung des BSG verwiesen habe, wonach Beschäftigung oder Selbstständigkeit vom Überwiegen der auf die jeweilige Tätigkeitsform hinweisenden Merkmale innerhalb des Gesamtbilds der Arbeitsleistung abhingen (Hinweis auf BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 R 2/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 27). Zwar habe das BSG in seinen Urteilen vom 29.7.2015 ( B 12 KR 23/13 R - BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24 und B 12 R 1/15 R - Die Beiträge Beilage 2016, 73) herausgearbeitet, dass es für die Annahme von Selbstständigkeit nicht ausreiche, wenn jemand Kopf und Seele des Unternehmens sei und dieses nach eigenem Gutdünken leite. Dabei habe das BSG aber nicht entschieden, ob diese Frage im Rahmen der Gesamtabwägung nicht doch eine Rolle spiele. Desgleichen sei in den Urteilen des BSG vom 29.7.2015 (aaO) und 11.11.2015 ( B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26 und B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28), ob es für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers nunmehr ausschließlich auf die aus dem Gesellschaftervertrag eingeräumte Rechtsmacht ankomme oder ob dies nur ein Indiz für diese Beurteilung sei.

b) Es kann unerörtert bleiben, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den folgenden Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat. Hieran bestehen erhebliche Zweifel, da die formulierte Frage zahlreiche einzelfallbezogene Prämissen enthält. Daher scheint sie mehr auf die - die Revisionszulassung nicht gestattende - Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall bezogen zu sein, als auf die Klärung einer über den Einzelfall hinausweisenden abstrakten Rechtsauslegungsfrage. Jedenfalls aber hat der Kläger - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht den nach § 160a Abs 2 S 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.

c) Hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit ist dem Kläger zunächst zuzugestehen, dass er einige jüngere Urteile benennt, die wichtige Aussagen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern enthalten. Den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit genügt die Beschwerdebegründung dennoch nicht, weil sich der Kläger nicht - wie erforderlich - tiefergehend mit den von ihm benannten Urteilen auseinandersetzt. An die Stelle einer nachvollziehbaren Analyse der in diesen Urteilen enthaltenen verallgemeinerungsfähigen Aussagen tritt die bloße Behauptung, das BSG habe - zusammengefasst - nicht herausgearbeitet, ob über die gesellschaftsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse hinaus weiterhin auch andere Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen seien. Im Hinblick auf diese Fragestellung hätte er aber zumindest auf den Leitsatz 1 zu dem von ihm angesprochenen Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R (BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26) eingehen müssen, wonach Gestaltungen der Gesellschaftsrechts- bzw Gesellschaftsvertragsrechtslage die Abwägungsentscheidung zum sozialversicherungsrechtlichen Status nicht iS einer strikten Parallelwertung zwingend vorprägen, sondern lediglich Indizfunktion haben. Vor dem Hintergrund dieser Aussage hätte er auch anhand der hierzu vom BSG in den Entscheidungsgründen angestellten Erwägungen im Einzelnen darlegen müssen, dass insbesondere diese Entscheidung keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihm formulierten Frage enthält. Denn auch wenn das BSG eine Frage - worauf sich der Kläger vorliegend beruft - noch nicht ausdrücklich entschieden hat, so ist eine Rechtsfrage doch auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6).

d) Die Klärungsfähigkeit der von ihm formulierten Frage hat der Kläger ebenfalls nicht den oben dargestellten Anforderungen an die Zulässigkeit der Beschwerde entsprechend dargelegt. Insoweit fehlen in der Beschwerdebegründung mindestens Darlegungen dazu, dass das LSG alle Tatsachen festgestellt hat, die notwendig sind, um die in der vermeintlich klärungsbedürftigen Frage enthaltenen Prämissen zu begründen. So wird insbesondere nicht dargelegt, dass nicht nur der im angefochtenen Urteil wiedergegebene Vortrag des Klägers, sondern die vom LSG tatsächlich getroffenen Feststellungen die Aussagen in der Fragestellung stützen, wonach der Kläger zB faktisch Kopf und Seele des Unternehmens sei, schalten und walten könne wie er wolle und in tatsächlicher Hinsicht keinerlei Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliege. Dies darzulegen wäre notwendig gewesen, weil es ohne entsprechende Tatsachenfeststellungen des LSG auf die vom Kläger formulierte Frage im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt nicht ankäme und deren Klärung daher nicht notwendig und zu erwarten wäre.

2. Die Begründung des Klägers erfüllt die Zulässigkeitsanforderungen der Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht bezüglich des von ihm geltend gemachten Verfahrensmangels. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSGE 2, 81 , 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG ). Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Als vermeintlichen Verfahrensmangel macht der Kläger eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG iVm § 128 Abs 1 S 2, Abs 2 SGG ). Insofern rügt er, dass ihm während der von 11:27 Uhr bis 11:55 Uhr durchgeführten mündlichen Verhandlung allein Gelegenheit zu einer kurzen Stellungnahme gegeben worden sei, nicht aber zu einer ausführlichen rechtlichen Erörterung. Auch habe der LSG-Senat seinerseits keine rechtlichen Ausführungen gemacht.

Eine Gehörsverletzung wird damit nicht in die Zulässigkeit der Beschwerde begründender Weise dargelegt. So verpflichtet Art 103 Abs 1 GG die Gerichte weder dazu, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG NZS 2010, 497 ) noch ist ein Gericht allgemein gehalten, vor einer Entscheidung die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe mit den Beteiligten zu erörtern (vgl zB Senatsbeschluss vom 21.9.2006 - B 12 KR 24/06 B - Juris RdNr 9 mwN; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 679 mwN). Jedenfalls ist bei Rüge einer Gehörsverletzung auch darzulegen, dass der betroffene Beteiligte alle ihm verfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, ausgeschöpft hat (Kummer, aaO, RdNr 691 mwN). Dies versäumt der Kläger vollständig, indem er nicht einmal darlegt, um die Gelegenheit zu weiteren Ausführungen gebeten zu haben.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 27.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 3635/14
Vorinstanz: SG Konstanz, - Vorinstanzaktenzeichen 1 R 772/13