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BSG - Entscheidung vom 16.11.2017

B 9 SB 64/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 16.11.2017 - Aktenzeichen B 9 SB 64/17 B

DRsp Nr. 2018/300

Schwerbehindertenrecht Divergenzrüge Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze Genügen der Darlegungspflicht

1. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. 2. Darzulegen ist, dass das LSG einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht nur das Recht falsch angewendet hat.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

Der Kläger leidet an Diabetes und beansprucht deshalb die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft.

Auf seinen entsprechenden Antrag stellte die Beklagte bei ihm indes lediglich einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 wegen seiner insulinpflichtigen Zuckerkrankheit fest (Bescheid vom 18.12.2014, Widerspruchsbescheid vom 3.3.2015).

Die weitergehende Klage und die Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat ausgeführt, der Kläger sei über seinen Therapieaufwand hinaus nicht durch erhebliche Einschnitte gravierend in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Seine Stoffwechsellage sei nicht schwer einstellbar, an Folgeerkrankungen leide er nicht (Urteil vom 9.6.2017).

Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung erhoben. Das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.), noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie vom Kläger darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein anwaltlich vertretener Beteiligter kann dabei mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.

Dies hat die Beschwerde versäumt; schon deshalb kann sie nicht mit Erfolg eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht geltend machen. Die Beschwerde gibt zwar an, der Kläger habe mit Schriftsatz vom 5.12.2016 ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG beantragt. Doch teilt sie weder den genauen Inhalt dieses Antrags mit, noch legt sie dar, ihn bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben. Ebenso wenig gibt das angefochtene Urteil einen Beweisantrag des Klägers wieder.

Erst recht keinen rügefähigen Verfahrensmangel zeigt der Kläger mit dem Vorwurf auf, das LSG habe seinen hilfsweisen Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG abgelehnt. Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG die Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden.

b) Ebenso wenig legt der Kläger die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) notwendigen Voraussetzungen dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Darzulegen ist, dass das LSG einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht nur das Recht falsch angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).

Die Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Sie benennt bereits keinen divergierenden Rechtssatz des LSG. Dieses hat in seinem Urteil im tragenden Obersatz die ständige Rechtsprechung des Senats zur Möglichkeit der Bewertung der Teilhabebeeinträchtigungen bei Diabetes mit einem GdB von 50 angeführt, die maßgeblich auf drei Beurteilungskriterien abstellt (vgl iE BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris RdNr 39; ebenso BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 18 RdNr 18). Das Berufungsgericht ist dieser Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung von Teil B Nr 15.1 AnlVersMedV gefolgt. Soweit die Beschwerde dem entgegenhält, das LSG habe seine GdB-Bewertung nicht genug am Einzelfall des Klägers sowie an seinem Gesundheitszustand insgesamt ausgerichtet, legt sie daher keine Divergenz im Grundsätzlichen dar. Vielmehr kritisiert die Beschwerde damit letztlich nur Rechtsanwendung und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts im Einzelfall des Klägers. Die Bewertung des Therapieaufwands von Diabetes sowie im Zusammenhang damit des Gesamt-GdB ist aber allein Aufgabe des Tatrichters ( BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris RdNr 45).

Die Beschwerde ist darüber hinaus der Auffassung, entgegen der Ansicht des LSG müsse in die GdB-Bewertung die Disziplin des Klägers und die resultierende Beschränkung der Krankheitsfolgen einfließen. Sie legt aber nicht dar, warum die anderslautende Rechtsansicht des LSG von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen sollte, die das Berufungsgericht zutreffend zitiert hat. Danach ist die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, hat also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen; auf die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsstörung kommt es nicht an. Das gilt auch für Vorgänge, auf die der Betroffene Einfluss nehmen kann oder die er sogar selbst zu verantworten hat wie etwa die Vernachlässigung der Diabetes-Therapie (vgl BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris RdNr 51; BSG Urteil vom 25.10.2012 - B 9 SB 2/12 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 16 RdNr 48).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 09.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 21 SB 400/15
Vorinstanz: SG Aachen, vom 27.10.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 12 SB 272/15