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BSG - Entscheidung vom 06.02.2017

B 4 AS 47/16 BH

Normen:
SGG § 160

BSG, Beschluss vom 06.02.2017 - Aktenzeichen B 4 AS 47/16 BH

DRsp Nr. 2017/9999

SGB-II -Leistungen Kosten der Unterkunft und Heizung Übernahme weiterer Heizkosten Zulassung der Revision Mängel des Verfahrens vor dem LSG

1. Da sich die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG richtet (§ 160 SGG ), kommen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG und nicht vor dem SG in Betracht. 2. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verfahrensmangel fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet. 3. Eine solche Fallgestaltung kann vorliegen, wenn etwa gerügt wird, dass anstelle eines erstinstanzlichen Prozessurteils eine Sachentscheidung hätte ergehen müssen und auch das LSG lediglich das Prozessurteil des SG bestätigt hat.

Der Antrag des Klägers, ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin A in M beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 ;

Gründe:

I

Streitig ist die Übernahme weiterer Heizkosten für den Zeitraum vom 9.3.2008 bis 5.3.2010 durch den Beklagten.

Der Kläger bewohnte im streitigen Zeitraum eine Wohnung in einer Obdachlosenunterkunft in M . Der Beklagte bewilligte SGB II -Leistungen vom 1.2.2009 bis 31.7.2009 (Bescheid vom 26.2.2009; Widerspruchsbescheid vom 3.12.2009), 1.8.2009 bis 31.1.2010 (Bescheid vom 10.9.2009; Widerspruchsbescheid vom 21.1.2010) und 1.2.2010 bis 31.7.2010 (Bescheid vom 19.3.2010; Widerspruchsbescheid vom 9.9.2010), jeweils mit monatlichen Direktzahlungen an die Stadtwerke M . Die sozialgerichtlichen Klageverfahren (S 8 AS 54/10; S 8 AS 304/10) hatten keinen Erfolg (Urteile des SG vom 12.8.2011; Urteile des LSG vom 17.6.2015 - L 6 AS 529/11, L 6 AS 527/11; erfolglose Nichtzulassungsbeschwerden).

Zeitgleich mit diesen Verfahren hatte der Kläger mit mehreren Schreiben die jährlichen Verbrauchsabrechnungen der Stadtwerke M für verschiedene Abrechnungszeiträume vorgelegt sowie die Erstattung der Nachforderungsbeträge und die Berücksichtigung von höheren Abschlägen für Heizkosten erbeten.

Hierzu hatte das SG in dem Verfahren S 8 AS 54/10 in dem Verhandlungstermin am 12.8.2011 das Verfahren "hinsichtlich der Bescheidung des Antrags des Klägers vom 10.9.2009 auf Übernahme weiterer Heizkosten in Höhe von 228,16 Euro und Mahnkosten in Höhe von 10 Euro" abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 8 AS 270/11 fortgeführt. Gleichermaßen wurde in dem sozialgerichtlichen Verfahren S 8 AS 304/10 "das Verfahren hinsichtlich der Bescheidung des Antrags des Klägers vom 30.5.2010 auf Gewährung weiterer Heizkosten" abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 8 AS 284/11 fortgeführt. Beide Verfahren wurden vom SG unter dem Aktenzeichen S 8 AS 284/11 verbunden.

Mit Bescheid vom 15.11.2011 lehnte der Beklagte die Anträge auf Nachzahlung von Gasversorgungskosten gemäß den Abrechnungen der Stadtwerke M vom 13.5.2009 und 28.4.2010 ab. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 23.3.2012 ist ein Verfahren anhängig (SG Marburg - S 8 AS 83/12).

In den zum Aktenzeichen S 8 AS 284/11 verbundenen Verfahren hat der Kläger die Ansicht vertreten, dass die Abtrennung der Nachzahlungsanträge aus den zwischenzeitlich erledigten Verfahren S 8 AS 54/10 und S 8 AS 304/10 rechtswidrig gewesen sei und das Verfahren S 8 AS 284/11 auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich nicht für erledigt erklärt.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 15.10.2014). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.5.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, streitgegenständlich seien allein die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12.8.2011 von der damaligen Bevollmächtigten ausdrücklich gestellten Bescheidungsanträge wegen der Übernahme der Verbrauchsabrechnungen für die Zeiträume vom 9.3.2008 bis 7.3.2009 (S 8 AS 54/10) und 8.3.2009 bis 5.3.2010 (S 8 AS 304/10). Mit Erlass des Bescheides vom 15.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.3.2012 hätten sich die abgetrennten Bescheidungsanträge und Untätigkeitsklagen erledigt. Gegenstand des aktuellen Berufungsverfahrens könne daher nicht sein, ob dieser Bescheid rechtswidrig sei bzw ein Anspruch auf Übernahme der Nachzahlungsbeträge bestehe. Nachforderungen von Heiz- und Betriebskosten gehörten als einmalig geschuldete Zahlungen in der Regel zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat. Insofern sei die Verbrauchsabrechnung der Stadtwerke M für die Zeit vom 8.3.2009 bis 5.3.2010 bereits Streitgegenstand des rechtskräftig gewordenen Verfahrens L 6 AS 527/11 geworden, wovon der 6. Senat in seiner Entscheidung vom 17.6.2015 auch ausgegangen sei. Bezogen auf den Verbrauchsabrechnungszeitraum vom 9.3.2008 bis 7.3.2009 werde das SG in dem noch anhängigen Verfahren S 8 AS 83/12 zu prüfen haben, ob das Verwaltungsverfahren als Überprüfungsverfahren bezüglich des Bescheides vom 26.2.2009 (betreffend den Leistungszeitraum vom 1.2.2009 bis 31.7.2009) angesehen werden könne, weil die Rechnung vom 13.5.2009 den Heizkostenbedarf im Monat Mai 2009 erhöht habe.

Der Kläger begehrt die Bewilligung von PKH für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde und die Beiordnung von Rechtsanwältin S A. Er wendet sich gegen die Abtrennung der Verfahren am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12.8.2011 bezüglich der Heizkostenjahresrechnungen. Bei einer Abtrennung von Streitgegenständen im Rahmen einer Anfechtungs- und Leistungsklage könnten auch die vom Gericht abgetrennten und neu angelegten Klagen nur Anfechtungs- und Leistungsklage sein. Trennungsentscheidungen unterlägen zwar nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht, könnten aber einen Verfahrensmangel begründen, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne.

II

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO ). Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG ) in der Lage wäre, einen der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung, Abweichung oder Verfahrensmangel) mit Erfolg geltend zu machen. Es sind unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in der ersten und zweiten Instanz sowie des Akteninhalts insbesondere keine Gründe dafür ersichtlich, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, einen Verfahrensfehler des LSG darzulegen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

Soweit sich der Kläger mit seinem Vorbringen gegen die Abtrennung der Anträge der damaligen Prozessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen vor dem SG in den Sachen S 8 AS 54/10 und S 8 AS 304/10 am 12.8.2011 wendet, könnte nur ein Verfahrensfehler des SG , nicht jedoch des LSG vorliegen. Da sich die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG richtet (§ 160 SGG ), kommen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG und nicht vor dem SG in Betracht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verfahrensmangel fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet ( BSG Beschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - Juris; vgl BSG Beschluss vom 11.4.1995 - 12 BK 97/94). Eine solche Fallgestaltung, die etwa vorliegen kann, wenn gerügt wird, dass anstelle eines erstinstanzlichen Prozessurteils eine Sachentscheidung hätte ergehen müssen und auch das LSG lediglich das Prozessurteil des SG bestätigt hat (vgl BSG Beschluss vom 25.4.2001 - B 9 V 70/00 B - SozR 3-1500 § 73 Nr 10), ist hier nicht gegeben.

Ein - in der Entscheidung des LSG - fortwirkender Verfahrensmangel ist hier nicht etwa darin zu sehen, dass das SG ein Klagebegehren des Klägers unzutreffend erfasst und insofern gegen § 123 SGG verstoßen hat. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. In den beiden Verfahren S 8 AS 54/10 und S 8 AS 304/10 hatte der anwaltlich vertretene Kläger jedoch ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 12.8.2011 ausdrücklich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, seine noch offenen Anträge auf Übernahme der Verbrauchsabrechnungen für vorangegangene Bewilligungsabschnitte zu bescheiden und zeitgleich - der Höhe nach nur begrenzt - beantragt, die Heizkosten für die streitigen Bewilligungsabschnitte in Höhe von 37,92 Euro direkt an ihn zu zahlen. Mit dem Bescheid vom 15.11.2011 hat der Beklagte die - als Untätigkeitsklage zu wertenden - neuen Klageanträge beschieden. Die Untätigkeitsklagen waren damit erledigt. Eine unzutreffende Behandlung des Klagebegehrens ist nicht erkennbar.

Unabhängig hiervon hat das LSG zutreffend darauf hingewiesen, dass die Auslegung des Bescheides vom 15.11.2011, evtl als Überprüfungsbescheid bezogen auf die betroffenen Bewilligungsbescheide und -zeiträume, zunächst dem SG im Verfahren S 8 AS 83/12 obliegt. Dies betrifft auch die Frage, ob - unter Berücksichtigung der im Monat April 2010 geforderten Nachzahlung für Heizkosten - erneut auch über höhere KdUH in dem Bewilligungszeitraum vom 1.2.2010 bis 31.7.2010 entschieden werden kann, obgleich dies - entsprechend den Ausführungen des LSG - bereits Gegenstand der rechtskräftigen Entscheidung des LSG vom 17.6.2015 (L 6 AS 527/11) war.

Da dem Kläger PKH nicht zusteht, kommt auch die Beiordnung von Rechtsanwältin A gemäß § 73a SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 20.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 7 AS 731/14
Vorinstanz: SG Marburg, - Vorinstanzaktenzeichen 8 AS 284/11